Zum Inhalt springen

ADB:Sorge, Georg Andreas

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Sorge, Georg Andreas“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 694–697, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sorge,_Georg_Andreas&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 19:28 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Sorg, Anton
Nächster>>>
Soter, Melchior
Band 34 (1892), S. 694–697 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Georg Andreas Sorge in der Wikipedia
Georg Andreas Sorge in Wikidata
GND-Nummer 126963665
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|34|694|697|Sorge, Georg Andreas|Robert Eitner|ADB:Sorge, Georg Andreas}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=126963665}}    

Sorge: Georg Andreas S., ein tüchtiger Musiktheoretiker des 18. Jahrhunderts, geboren am 30. März 1703 zu Mellenbach im Schwarzburgischen, † am 4. April 1778 zu Lobenstein. Als Knabe empfing er den Unterricht des Cantors Nicolaus Walther und dessen Vertreters Kaspar Tischer zu Mellenbach, auch übte er sich unter dem Studenten Joh. Gottfried Holzhey im Violinspiel und verdiente sich zugleich bei letzterem durch Notencopiren den nöthigen Lebensunterhalt. Als Tischer dann zum Hoforganisten nach Schney in Franken berufen wurde, folgte er diesem und setzte unter dessen Leitung die Musikstudien eifrig fort. Zwei Jahre später ging er nach Meuselbach und studirte unter dem Pfarrsubstituten Wintzer Theologie, Rechenkunst, deutsche Dichtkunst, Oratorie und Latinität (wie er selbst in seiner Autobiographie in Mattheson’s Ehrenpforte berichtet). Auch in der Composition nahm er Unterricht und setzte schon im Alter von 18 Jahren verschiedene Kirchencompositionen, zu denen er auch den Text schrieb. Kurz vor seiner Anstellung als Hof- und Stadtorganist in Lobenstein bekleidete er eine Hauslehrerstelle in Burg im Vogtlande, als ihm aber 1722 obiger Posten, der auch noch die vierte Stelle als Lehrer am Gymnasium umfaßte, angeboten wurde, nahm er diese an und verblieb sein Leben lang trotz der kleinen Verhältnisse in derselben. Die deutschen Philologen und Theologen waren in dieser Zeit wenig verwöhnt, und wenn das Einkommen nur regelmäßig ausgezahlt wurde und sie Zeit zu eigenen Arbeiten behielten, dann fühlten sie sich glücklich und behaglich und strebten nicht nach besser bezahlten Aemtern. S. war ein fleißiger und strebsamer Schriftsteller, der sich außer in der Musiktheorie auch in anderen Fächern durch Schriften hervorthat. Hauptsächlich sind es aber seine musiktheoretischen Arbeiten, die ihn bekannt machten, seinen Namen bis auf uns erhielten und zu ihrer Zeit viel Staub aufwirbelten.

Sorge’s erstes Werk erschien 1741, betitelt: „Genealogia allegorica intervallorum actavae diatonico-chromaticae, das ist: Geschlechtregister der Intervallen nach Anleitung der Klänge des großen Waldhorn.“ Hof, gedr. bey Joh. Ernst Schultzen, in kl.8°, 4 Bll. 44 Seiten und 2 Bll. (Exemplare in Berlin, Hamburg und München). Zu Sorge’s Zeit gährte es in den aufgeweckten Köpfen mächtig, die Grundlage einer Harmonielehre festzustellen. Rameau in Frankreich hatte den Anstoß gegeben, schwankte aber in seinen Schriften hin und her und diese Schwankungen theilten sich allen dabei Betheiligten mit und jeder glaubte sich berufen, in dem großen Wettlaufe sein Ziel als das allein richtige hinzustellen. Rameau hatte die sogen. Naturharmonie, die auch dann im 19. Jahrhundert wieder von Logier und Marx als Grundlage aller Harmonielehre aufgestellt wurde, als Grundgesetz eingeführt. S. spricht sich in seiner „Anleitung zur Fantasie“ (1767) im Vorworte Bl. 3r. näher darüber aus. Es sind die mitklingenden Töne beim Erklingen eines Tones. Schlägt man z. B. den Ton C an, so erklingen die Töne c g c e etc. mit und zwar wie S. sagt: c in C zweimal, g dreimal, c viermal und e fünfmal und diese Töne ergeben den harten Accord (d. i. den Durdreiklang). Der „Capellmeister Mozart, Neidhart Werkmeister und viele andere Musici haben dies schon so gelehrt“. Obige Genealogia allegorica ist in einem symbolischen Vergleiche und noch in der alten schwülstigen Weise dargestellt. Er vergleicht die Töne mit Prinzen und Prinzessinnen und weist ihre Verwandtschaft nach, gebraucht aber dabei eine Ausdrucksweise, die er selbst für nothwendig findet in zahlreichen Anmerkungen, die meistens den Text an Raum übersteigen, zu erklären. Sorge’s bestes Werk ist sein „Vorgeschmack der musikalischen Composition, oder ausführliche, ordentliche und vor heutige Praxin hinlängliche Anweisung zum General-Baß, durch welche ein Studiosus Musices zu einer gründlichen Erkenntniß aller in der Composition [695] und Clavier vorkommenden con- und dissonirenden Grundsätze und wie mit denenselben Natur-, Gehör- und Kunstmäßig umzugehen“ …, welches in drei Theilen von 1745–47 in Lobenstein im Selbstverlage erschien. Anfänglich trat die Berliner Schule: Marpurg, Quantz, Kirnberger und viele andere auf Sorge’s Seite, als aber S. nach links und rechts Hiebe austheilte, seine Ansichten mit denen Rameau’s, Marpurg’s und anderer auseinander gingen, wenn auch nur in Kleinigkeiten, besonders aber als sich S. im Vertriebe seiner eigenen Werke durch die Arbeiten anderer benachtheiligt sah (wie Marpurg im 18. seiner kritischen Briefe schreibt), so brach ein so heftig geführter Streit aus, der mit so beißender Satire gewürzt war, daß sich die Theoretiker in zwei Lager theilten: für S., für Marpurg. Die Streitpunkte waren verschiedene: Ist die Quart eine Dissonanz oder Consonanz? S. behauptet, daß sie eine Consonanz sei und stellt seine Beweise auf. Rameau, Marpurg u. a. erklären sie für eine Dissonanz. S. berechnete den Aufbau der Harmonie nach Verhältnißzahlen, Rameau und Marpurg nach der Sympathie der Töne, d. h. nach den mitklingenden Tönen. S. betracht den A-moll-Accord als nächsten Verwandten von C-dur, Rameau Und Marpurg den F-moll-Accord. S. baut die Accorde von c in Terzen auf: c e g h d f a c und entwickelt daraus die Verwandtschaften. Marpurg entwickelt den Nonenaccord aus dem verminderten Septimenaccorde: h d f a und setzt unter das h noch ein g. S. bestreitet dies und weist auf die Tonfolge seines Terzenaufbaues hin, aus der klar hervorgeht, daß g h d f der Stammaccord ist und a als None hinzutritt. Mit wie elenden Waffen die Gegenpartei gegen S. oft kämpfte, erhellt ganz besonders aus Marpurg’s Schrift von 1760: „Herrn Georg Andreas Sorgens Anleitung zum Generalbaß und zur Composition“. Marpurg nimmt hier Sorge’s Schrift Capitel für Capitel vor und weist ihm seine angeblichen Irrthümer nach, fordert auch im Vorworte 52 damals lebende Theoretiker auf, ihre Meinung darüber zu äußern, von denen etwa fünf sich gegen S. in einer gehässigen Weise aussprachen und durch Marpurg in den Kritischen Briefen Aufnahme fanden. S. leuchtet den Herren dann wieder in seiner Anleitung zur Fantasie (1767) S. 74 heim und bleibt ihnen an Schärfe und Grobheit nichts schuldig. So schreibt z. B. Marpurg in obiger Streitschrift S. 30: „Herr Sorge will uns die Bildung der Durtonleiter durch Verhältnißzahlen lehren, kann aber die Quarte und Sexte nicht finden und hilft sich einfach dadurch, daß er sie als bekannt voraussetzt. Marpurg will „nun nach Rameau’s Sympathie der Töne die Durtonleiter bilden“, muß aber auch eingestehen, daß die Secunde fehlt. Marpurg wirft S. Unklarheit und Unwissenheit vor und wie hilft sich Marpurg um den zweiten Ton d in C-dur zu erreichen? Er sagt: weil die Secunde in C-dur nicht des oder dis sein kann, da der eine Ton zu nahe und der andere zu weit liegt, so muß er d heißen. Es ist wahrhaft spaßhaft, mit welchen Waffen man sich einst bekämpfte und dabei mit einem wahren heiligen Eifer seine Ansichten vertheidigte. – Noch eine kleine Probe der Kampfweise. Quantz, der bekannte Flötist, richtet an Emanuel Bach in Marpurg’s Kritischen Briefen Nr. 4 Seite 25 eine Abwehr gegen S., worin er unter anderem sagt: „Sie müssen bedenken, daß Herr Sorge der einzige Mann in der Welt zu sein glaubt, der weiß, daß 2 x 2 nicht 5 und eine Terz keine Quarte ist. Er hält sich aus diesem Grunde alleine berechtigt von der Musik zu schreiben, und wehe dem, der ihm auf dem Wege begegnet.“ S. muß man den Vorwurf machen, daß er den Streit ins Persönliche zog und nichts sparte, seine Gegner in den Grund zu bohren. Daß er in vieler Hinsicht auf einem besseren Wege war als seine Widersacher und seine Beweise und Gründe stichhaltiger als die seiner Gegner ist ein Verdienst, welches ihm nicht hoch genug angeschlagen werden kann, besonders in einer Zeit, wo das Harmoniegebäude noch auf so [696] schwankenden Füßen stand. Auch S. fand seine Vertheidiger, leider traten sie anonym oder pseudonym auf und man vermuthet wohl nicht mit Unrecht S. selbst dahinter. So erschien 1759 in Lobenstein die Schrift: „Alethophilos Schreiben an.den Herrn Joh. Georg Hofmann“. Darin wird Sorge’s Compendium vertheidigt. Ferner ohne Ort und Jahr: „Eine helle Brille für die blöden Augen eines albernen Haberechts“.

Ein anderes Thema, welches damals alle Theoretiker erhitzte, war die Herstellung einer temperirten Stimmung der Tasteninstrumente. Fast jeder Theoretiker schlug eine andere Art vor und bewies seine Methode mit Seiten langen Berechnungen, bis endlich der Instrumentenmacher Barthold Fritz in Braunschweig in einem 1756 erschienenen Büchelchen nachwies, daß der sogenannte Quintenzirkel in etwas tiefer schwebenden Quinten und reinen Octaven ausgestimmt werden müsse und das Uebrige danach in reinen Octaven. Den gelehrten Herren Theoretikern wollte diese einfache Art gar nicht einleuchten und auch S. eiferte in hitzigem Gefecht gegen diese und alle anderen Methoden und hielt die seinige, die in der Terz und Quint als maßgebend bezeichnet werden, als die allein richtige. Es ist unglaublich, wie viel Tinte und Druckerschwärze das 18. Jahrh. nur für dies eine Thema vergeudet hat und wie viel Zeit und Kopfzerbrechen es gekostet hat. S. schrieb 1754: „Gründliche Untersuchung über die Schrötersche Claviertemperatur“. Die Schrift brachte ihm viel Aerger, denn von allen Seiten wurde sie angegriffen. Marpurg that auch sein Möglichstes dazu. Dann „Gespräch von der Praetorianischen, Printzischen, Werckmeisterschen Temperatur“. – „Anweisung Klaviere und Orgeln zu temperiren und zu stimmen“ (1758).

S. zeichnete sich aber auch als Componist aus. Seine gelehrten Zeitgenossen thaten zwar dasselbe (entgegen der heutigen Zeit), doch mit wenig Erfolg, denn die natürliche Mitgift war so gering ausgefallen, daß ihre Compositionen das trockenste langweiligste Zeug waren. S. hatte eine ganz hübsche Erfindungsgabe und wenn sie auch nicht über ein gewisses bescheidenes Maß hinaus ging, so war sie immerhin bedeutender, als die von Marpurg, Kirnberger u. a. S. gab heraus „Clavier-Uebung“, bestehend in 24 Präludien für Orgel oder Clavier, ferner Sonatinen (nur aus einem Satze bestehend, wie die von Scarlatti); 12 Sonaten für Orgel oder Clavier. Ich kenne nur die Clavier-Uebung und eine Sonate im Manuscript, die übrigen waren mir zur Zeit nicht zugänglich. Ich fand überall in kleiner Form eine ansprechende Erfindungsgabe; doch selbst die kleine Form weiß er nicht entsprechend auszufüllen. Der erste Theil ist fast durchweg frisch und gut erfunden, wogegen der zweite Theil sich meistens durch Langweiligkeit auszeichnet und man die Beobachtung macht, daß der Componist mit seinem Thema nichts anzufangen weiß. Erst wenn der erste Theil zur Wiederholung gelangt, dann erhält der Satz wieder Schwung und Frische. Die Mitte des 18. Jahrhunderts bis gegen Ende desselben, selbst noch bis ins 19. Jahrhundert hinein, trägt den Charakter einer Neuentwickelung der Tonkunst. Bach und Händel, die ihr Leben eben abgeschlossen hatten, zeigen auf die ihnen nachfolgenden Componisten auch nicht den geringsten Einfluß. Es ist als wenn die Entwickelung der Harmonielehre alles Interesse und alle Kraft in Anspruch nimmt. Die Oper verknöcherte zum Schablonenhaften, die Kirchenmusik schloß sich der Opernmusik an und die Virtuosität der Sänger war den Componisten wie ein Bleigewicht angehängt. Ihre Selbständigkeit mußten sie vollständig dem Sänger und dem Erfolge zu Liebe aufgeben. Wer sich hiergegen wehrte, wurde nicht beachtet und mußte am Hungertuche saugen. Haydn, Mozart und Beethoven hatten auf ihre Zeit gar keinen Einfluß, denn sie wurden nicht verstanden und mehr geschmäht und mißachtet, als unverstanden angestaunt. Das [697] Verständniß sollte erst einer späteren Zeit durch gottbegnadete Künstler eröffnet werden und hierzu haben Liszt, Mendelssohn und Marx ganz wesentlich beigetragen.