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ADB:Stephani, Heinrich

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Artikel „Stephani, Heinrich“ von Ferdinand Sander in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 90–93, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stephani,_Heinrich&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 03:55 Uhr UTC)
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Stephani: Heinrich St., geboren am 1. April 1761 in Gemünd an der Greck (Bisthum Würzburg), † am 24. December 1850 in Gorkau am Zobten (Schlesien); merkwürdig als typischer Vertreter des Rationalismus in theologischer, namentlich aber in pädagogischer Hinsicht und als Urheber der Lautirmethode im ersten Leseunterrichte. St. wurde im väterlichen Pfarrhause zu Merzbach im Itzgrunde, wohin sein Vater 1763 versetzt war, streng nach dem kirchlichen Lehrbegriff erzogen und mit Hülfe von Hauslehrern für die Universität Erlangen vorbereitet, die er 1778 bezog, um dort fünf Jahre im Hause seines Oheims, Hofraths Groß, zu verweilen. Sein reger Wissensdrang warf sich zuerst hauptsächlich auf die semitischen Sprachen, für die ihn früh der Unterricht des Rabbi Jona in seinem Heimathdorfe gewonnen und während der Studienzeit der Verkehr mit dem verwandten Pfarrer Bodenschatz zu Frauenaurach noch mehr begeistert hatte. Doch entsagte er dem Plane, die akademische Laufbahn zu verfolgen, und blieb ein Jahr als Candidat, mit weiteren Studien und pfarramtlicher Aushülfe beschäftigt, bei seinem Vater. Er war inzwischen durch seine Studien dem kirchlichen Lehrbegriff entfremdet und ganz ins rationalistische Lager hinübergetreten. Ehe er im Bisthume die verheißene Anstellung fand, berief ihn die Reichsgräfin Hedwig von Castell zum Hofmeister ihrer beiden Söhne, die er nach der Mutter baldigem Tode im Hause und unter Aufsicht des Geheimen Rathes v. Zwanziger in Nürnberg vier Jahre lang unterrichtete. Hier im Mittelpunkte des fränkischen Reichskreises und im freundschaftlichen Verkehre mit Zwanziger lernte er die sog. große Welt kennen, die Welthändel auch vom juristischen und politischen Standpunkte aus beurtheilen. Den vier Nürnberger Jahren folgten vier weitere Jahre mit dem jüngeren Grafen Castell und einem Sohne Zwanziger’s in Kloster Bergen bei Magdeburg, wo St. zu dem Abte Resewitz, zu Gurlitt u. a. in freundliches Verhältniß trat und sich mehr und mehr in die Pädagogik vertiefte. Er unterrichtete dort auch selbst zeitweilig und benutzte öftere Ausflüge mit seinen beiden Zöglingen zur Anknüpfung interessanter Bekanntschaften im Kreise des hohen Reichsadels wie der gelehrten Welt Norddeutschlands. Bevorzugt durch seine gesellschaftliche Stellung, lebte er von 1791 an zwei Jahre mit seinem gräflichen Zöglinge auf der Universität Jena in vertrautem Verkehre mit Schiller, Reinhold, Paulus, Schütz, Hufeland, Döderlein, Griesbach u. a. „Alle Sonntage speiste eine ausgesuchte Gesellschaft von Gelehrten bei seinem Zöglinge und alle Abende wurde für einige geistreiche Freunde mitgedeckt.“ Er benutzte die Zeit, um Jura zu studiren; nach seinem Selbstzeugnisse, [91] auf das wir angewiesen sind, war er aber dort keineswegs nur empfangend, sondern übte eine weitgehende Wirksamkeit auf jüngere Docenten und Studenten, so daß z. B. infolge eines von ihm angeregten Ehrengerichtes in Jena während eines ganzen Jahres kein Duell vorgekommen sein soll. Auch las er in einem engeren Zirkel über Moralpolitik oder die auf sittliche Principien gegründete Staatslehre. Der Jenaer Studienzeit folgte eine längere Reise in die Schweiz, wo er Fichte wiederfand, Matthisson, Lavater u. a. kennen lernte, und ein nochmaliger, fast zweijähriger Aufenthalt in Erlangen. Im J. 1795 ward St. Consistorialrath zu Castell und begann mit seinem Präsidenten v. Zwanziger eine völlige Reformation des Kirchen- und Schulwesens in der Grafschaft nach den Ansprüchen zeitgemäßer Aufklärung, geleitet von der, auch litterarisch vertretenen, Ansicht der „absoluten Einheit der Kirche und des Staates“. Abgesehen von dem grundsätzlich Bedenklichen solches rücksichtslosen Aufräumens mit geschichtlich begründeten, wenngleich im einzelnen reformbedürftigen, Ueberlieferungen hat St. damals wie später in methodischer und didaktischer Hinsicht, nicht minder für äußere Hebung und bessere Bildung des geistlichen und des Lehrerstandes manches Rühmliche in rastloser Thätigkeit geleistet. Durch den Tod des Präsidenten v. Zwanziger der kräftigsten Stütze beraubt, zog St. sich auf die ländliche Pfarre Rüdenhausen zurück, von wo ihn der Ruf des Königs von Baiern als Kreisschul- und Kirchenrath nach Augsburg (1808), von da nach Eichstädt (1810) und zuletzt nach Ansbach (1811) verpflanzte. In diesem Amte war St. nach allen Seiten hin thätig. Gymnasien, Volksschulen, Lehrerbildung, Mädchenschulen, Stipendienwesen und Schulverwaltung in Nürnberg: alles griff er mit gleichem Eifer an, der ihm das Ehrenritterkreuz des bairischen Hausordens vom heiligen Michael und nach seiner eigenen Andeutung Gelegenheit zum Eintritt in die centrale Schulleitung in München, bald aber auch in steigendem Maaße Ungunst und Feindschaft einbrachte. Geradezu verhaßt machte sich St. durch die selbstzufriedene und hoffärtige Art, mit der er die nach seiner Ansicht abergläubischen religiösen Vorurtheile der Altgläubigen befehdete, bei diesen, deren Einfluß in jener Zeit schon wieder erstarkte. Eine Schrift über die „Einsetzung und den wahren Sinn des heiligen Abendmahles mit einem Titelkupfer von Salvator Rosa“ wurde sogar obrigkeitlich verboten und eingezogen. Der Ungnade an höchster Stelle wich St. aus durch den Antrag auf Rücktritt in den geistlichen Stand. Ein vorangegangenes dienstgerichtliches Verfahren hatte zwar nicht zur eigentlichen Bestrafung, aber zu einem Schlusse geführt, der ihm „das Verschulden des Rufes der Bestechlichkeit, Unregelmäßigkeiten bei der Beförderung von Lehrern etc.“ zur Last legte und im Interesse der Würde und Ehre des Landescollegiums seinen Austritt aus diesem für erwünscht erklärte. Er ward als Decan und Pfarrer nach Gunzenhausen mit dem Charakter als Kirchenrath versetzt (1817) und wirkte dort als eifriger Volks- und Jugendfreund wie als fanatischer Aufklärer noch siebzehn Jahre weiter. Wiederholt vertrat er den dortigen Wahlkreis in der Ständeversammlung und scheint in seiner Umgegend großen Anhang gefunden zu haben. Fortgesetzte Reibungen mit den theologischen Gegnern und der auf deren Seite tretenden kirchlichen Behörde, die St. selbst wesentlich auf die Ränke eines jüngeren Geistlichen Schneider († 1868 als Pfarrer in Großhaslach) zurückführt, endeten 1834 mit Enthebung des rüstigen Greises vom Amte, die mit seinen gehässigen Angriffen gegen Kirchenlehre und Kirchenordnung begründet ward. Unter Fortbezug seines Gehaltes trat er nun in Ruhestand, den er zunächst benutzte, um die „Geschichte seiner Amtssuspension als Decan und Stadtpfarrer von Gunzenhausen in Bayern, ein Seitenstück zu der jüngsten mystischen Spukgeschichte zu Halle in Preußen“ (Hildburghausen 1835) herauszugeben. Hiewider erschienen amtlich: „Actenstücke zur Berichtigung und Ergänzung“, auf die St. [92] mit einem „Nachtrage zu Dr. H. Stephani’s Geschichte seiner Amtssuspension“ (1836) antwortete. Im J. 1842 zog St. zu seiner einzigen noch lebenden Tochter, einer Frau v. Lüttwitz, nach Gorkau am Zobten, wo er 1850 fast neunzigjährig nach einem glücklichen Greisenalter starb. Lehrer der Umgegend trugen ihn in dankbarer Verehrung zu Grabe.

Ruhige Kritik kann die leidenschaftliche Einseitigkeit und Unduldsamkeit Stephani’z im Kampfe für die Verstandesaufklärung seiner Zeit nicht übersehen und ihn überhaupt nicht so hoch stellen, wie er selbst in seiner, nur in der Schlußwendung bescheidenen, Autobiographie sich schätzt. Aber auch die wegwerfende Geringschätzung seiner Gegner ist nicht frei von gehässiger Unbill. Wer Stephani’s zahlreiche Schriften und Aufsätze unbefangen betrachtet, findet darin neben manchem Banalen und Platten auch viele gute und glückliche Gedanken, welche die schroffe Engherzigkeit seines rationalistischen Standpunktes doppelt bedauern lassen. Namentlich der höhere nationale und staatsmännische Gesichtspunkt, von dem aus er das Ganze des Erziehungswesens auffaßt und systematisch gliedert, verdient neben seinen unleugbaren Verdiensten um die Methodik des ersten Jugendunterrichtes im Lesen, Rechnen etc. rühmend hervorgehoben zu werden.

Als Schriftsteller war St. fruchtbar und in der Zeit seiner Blüthe erfolgreich, wenngleich er selbst geneigt ist, seinen Antheil an der öffentlichen, theologischen wie philosophischen und pädagogischen, Meinung seiner Zeit zu überschätzen. Als Student schrieb er einen Roman, als junger Candidat „Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion“, die beide nicht gedruckt sind. In der Nürnberger Zeit erschienen „Geschichte der Entstehung und Ausbildung der Idee von einem Messias“ und „Lehrbuch der Religion für die Jugend der höheren Stände“. In Klosterbergen begründete er mit mehreren anderen die Zeitschrift „Archiv der Erziehungskunde für Teutschland“, die er bis zum vierten Jahrgange herausgab und dann zu Gunsten der „Pädagogischen Bibliothek“ seines Freundes Guts Muths eingehen ließ. Der Jenaer Aufenthalt zeitigte „Grundlinien der Rechtswissenschaft“ (1797), „Anmerkungen zu Kant’s metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre“ (1795) und die Schrift „Ueber die absolute Einheit der Kirche und des Staates“ (1795). Der „Grundriß der Staatserziehungswissenschaft“ (Weißenfels 1797) wurde auf Antrieb des preußischen Ministers v. Massow ausgearbeitet zum „System der öffentlichen Erziehung“ (Erlangen 1805; II. Aufl. 1813). Die Lautirmethode empfahl St. in den Schriften: „Kurzer Unterricht in der leichtesten und kürzesten Methode Kindern das Lesen zu lehren“ (Erlangen 1803) und „Ausführliche Beschreibung einer einfachen Lesemethode“ (daselbst 1814). Dazu kamen: „Ausführliche Beschreibung der genetischen Schreibmethode“ (daselbst 1815) und „Ausführliche Anweisung zum Rechenunterrichte“ (Nürnberg 1815). Am meisten Widerspruch fanden: „Leitfaden zum Religionsunterricht für Confirmanden“ (Erlangen 1806) und „Winke zur Vervollkommnung des Confirmandenunterrichtes“ (daselbst 1810). In Baiern verboten ward außer der schon genannten Schrift über das Abendmahl die „Ueber die constitutiven Grundsätze der protestantischen Kirche für Lehre, Cultus und Kirchenregiment nach den Bestimmungen der symbolischen Bücher“ (daselbst 1822). St. ließ daher sein „Allgemeines kanonisches Recht der protestantischen Kirche“ (Tübingen 1825) im Auslande drucken. An Zeitschriften gab außer dem obigen Archive St. noch heraus den „Baierischen Schulfreund“ (Erlangen seit 1809), den er seit 1818 als „Schulfreund für die deutschen Bundesstaaten“ bezeichnete, und der viele, theilweise werthvolle, Arbeiten von ihm selbst enthält, sowie die „Neue Kirchenzeitung“ (1826–28). - Seine Autobiographie erschien in Schuderoff’s Journal für Prediger und in der Aachener Allgem. Wochenschrift (1829), aus beiden in wenig verschiedener Form auch als Sonderabdruck. – Vgl. auch Klemm in [93] Schmid-Schrader’s Encyklopädie des Erziehungs- und Unterrichtswesens Bd. IX (2. Aufl. 1887).