Zum Inhalt springen

ADB:Steudel, Johann Christian

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Steudel, Johann Christian Friedrich“ von Theodor Schott in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 152–155, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Steudel,_Johann_Christian&oldid=- (Version vom 19. November 2024, 13:18 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Steudner, Hermann
Band 36 (1893), S. 152–155 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Christian Friedrich Steudel in der Wikipedia
Johann Christian Friedrich Steudel in Wikidata
GND-Nummer 118618024
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|36|152|155|Steudel, Johann Christian Friedrich|Theodor Schott|ADB:Steudel, Johann Christian}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118618024}}    

Steudel: Johann Christian Friedrich St., geboren am 25. Octbr. 1779 zu Eßlingen, † am 24. Octbr. 1837 in Tübingen, evangelischer Theologe, war der Sohn des Johann Immanuel St., Oberbauverwalters und Mitglieds [153] des inneren Rathes in Eßlingen und der Regine Katharine Burk. Ein Kreis von zehn Geschwistern umgab den begabten Knaben, der dem eigenen Triebe und der Ueberlieferung des Hauses folgend – die Familie zählte den Reformator Brenz zu ihren Ahnen, und die Mutter war eine Enkelin von Johann Albrecht Bengel – das Studium der Theologie ergriff, wozu ihm das Pädagogium von Eßlingen und später das Gymnasium in Stuttgart die Vorbildung gaben; in der letztern Stadt ertheilte ihm sein Oheim Garnisonsprediger Moser Privatunterricht im Hebräischen und weckte dadurch die Liebe zu dieser Sprache und zum Alten Testamente, welcher St. sein Leben lang treu blieb. Im J. 1797 bezog er, obgleich kein württembergischer Unterthan, das theologische Seminar in Tübingen, studirte Philosophie und Theologie und betrieb daneben Studien in den orientalischen Sprachen. 1803 wurde er Vicar in Obereßlingen, 1805 Repetent in Tübingen. Von Schnurrer aufgefordert und von der württembergischen Regierung sowie von dem Freiherrn v. Palm ansehnlich unterstützt, unternahm er 1808 eine größere Reise, die ihn über die Schweiz nach Paris führte, wo er 1½ Jahre blieb, mit Sacy, Hase, Grégoire in Verkehr trat und seine orientalischen Studien eifrigst fortsetzte. Ueber Brüssel und Köln kehrte er in die Heimath zurück. Im Mai 1810 wurde er Diakonus in Cannstatt bei Stuttgart, 1812 zweiter Diakonus in Tübingen mit der Verpflichtung „durch Privatvorlesungen sich auch den Studenten nützlich zu machen“, 1814 erhielt er das erste Diakonat, 1815 als Nebenamt eine ordentliche Professur der Theologie. Diese anstrengende und unzweckmäßige Doppelstellung währte bis zum J. 1822; daneben wurden ihm noch bis 1826, wie er meinte zur Strafe für den Freimuth, womit er in dem Kampfe zwischen dem Könige und den Ständen für die letzteren Partei ergriffen und öffentlich in der Kirche für sie gebetet hatte, Vorlesungen in der philosophischen Facultät über Arabisch und Aramäisch übertragen. Im J. 1826 nach dem Tode von E. D. Bengel wurde er erster Professor der Theologie, erster Frühprediger und Superattendent des evangelischen Seminars. In dieser einflußreichen Stellung brachte der schaffensfreudige, vielgeschäftige Mann, den immer eine eiserne Arbeitskraft auszeichnete, in angestrengter akademischer und schriftstellerischer Thätigkeit seine Tage dahin; Berufungen nach auswärts, die mehrfach an ihn kamen, lehnte er ab, ein echter Schwabe blieb er seiner Heimath getreu, deren kirchliche Verhältnisse ihm ebenso am Herzen lagen, wie seine Lehrthätigkeit. Seine Vorlesungen bezogen sich wesentlich auf das A. Testament, Theologie desselben und Einleitung in dasselbe, sowie auf die Erklärung der wichtigsten Bücher; vom Neuen Testament las er über den Hebräer- und Galaterbrief, das Evangelium Johannis, auch einmal Synopse der Evangelien; seit 1826 waren Dogmatik und Moral ihm übergeben. Eine Art Nebencolleg bildeten die Vorlesungen über die wichtigsten Beweisstellen der Dogmatik und Moral, sowie die über Religion und Christenthum für Studirende aller Facultäten (1819). Seiner theologischen Anschauung nach gehörte St. zu der supranaturalistischen Schule Storr’s; ohne durch schwere innere Kämpfe hindurch gegangen zu sein, hatte er diese sich angeeignet und wußte sich nun geschützt „vor dem unseligen Loose, Ansicht und Ueberzeugung nach dem immer wechselnden Geschmacke der Zeit richten zu müssen“. Fern von einem starren Confessionalismus, etwas angehaucht von der neueren historischen Schule, war er ein Hauptvertreter der positiv gläubigen Richtung, er hielt es für Pflicht und Beruf, überall in den Kampf für das echt biblische Christenthum einzutreten; die Rolle eines „Hemmschuh“, die er sich als die ihm von Gott verordnete zuschrieb, bezeichnet recht deutlich die Stellung, die er gegen die hereinbrechenden Neuerungen einnehmen wollte. Begabt mit einem warmen Herzen und richtigem Verständniß für die akademische Jugend, uneigennützig und [154] offen, von unantastbarer Rechtschaffenheit, gelehrt, mit umfassendem Wissen ausgerüstet, eifrig bestrebt, keine bedeutende theologische Erscheinung unbeachtet zu lassen, genoß er allgemeine Achtung und in den positiv gerichteten Kreisen in und außerhalb Württembergs großes Ansehen, aber weder als Lehrer noch als Schriftsteller war er irgendwie bahnbrechend. Seine Vorlesungen waren weder anziehend noch durchsichtig, sein Organ ungünstig, der Stil schwerfällig, die Schleiermacher’sche und Baur’sche Schule drängte ihn immer mehr auf die Seite, zumal da seine Neigung ihn als Schriftsteller immer wieder auf theologische Principienfragen, auf die systematische Theologie führte, für welches Gebiet er weniger beanlagt war, indem ihm dialektische Gewandtheit und speculative Kraft fehlten. Obgleich eigentlich ein Mann des Friedens lag er doch beständig im Kampfe, und indem er sich mit den verschiedensten theologischen Richtungen auseinandersetzte, war er in seinem Eifer nicht immer vorsichtig und daher auch nicht immer glücklich. Im J. 1811 trat er dem Abt Precht in Amberg und dessen Aufforderung zur Union bezw. zum Uebertritt in die katholische Kirche mit der Schrift entgegen: „Ueber Religions-Vereinigung“ (Stuttgart 1811), der später: „Beitrag zur Kenntniß des Geistes gewisser Vermittler des Friedens“ (Stuttgart 1817) und die anonyme Schrift: „Sollen wir katholisch werden?“ (Stuttgart 1822) folgten; die Rechte und der segensvolle Einfluß des Protestantismus waren hier entschieden gewahrt. Mit Schleiermacher, Jacobi, Fries, de Wette setzte er sich auseinander, gegen Hengstenberg und Olshausen vertrat er die Rechte der historisch-grammatischen Auslegung, gegen Hegel und Rust die biblische Anschauung vom Alten Testament. Als Strauß 1835 den ersten Band seines Lebens Jesu veröffentlichte, trat St. sogleich mit einer Warnungsschrift: „Vorläufig zu Beherzigendes“ (Tübinger Zeitschrift 1835) auf. Strauß in seiner Entgegnung verfuhr nicht säuberlich mit seinem Gegner, worauf St. mit einem kurzen „Bescheid auf Hrn. Dr. Straußens Streitschrift“ erwiderte (Tübinger Zeitschrift 1837). – Auch in die Angelegenheiten seiner Landeskirche griff er schriftstellerisch ein; als G. W. Hoffmann die Gemeinde Kornthal gründete, trat St. in: „Ein Wort der Bruderliebe an und über die Gemeinschaften in Württemberg“ (Stuttgart 1820) gegen die Separation auf. 1822 schrieb er „Ueber die Vereinigung beider evangelischen Kirchen, namentlich in Württemberg“, gegen jede von oben decretirte Union protestirend. Bei dem Verfassungsstreit erhob er seine Stimme für die Selbständigkeit der Kirche in der Broschüre: „Was thut der Kirche Württembergs Noth?“ (1819). Als 1827 der Fortbestand des evangelischen Seminars in Tübingen bedroht war, legte er für dies „Kleinod“ eine Lanze ein in: „Die Bedeutsamkeit des evangelisch-theologischen Seminars in Tübingen“ und im J. 1830 besprach er, veranlaßt durch eine Schrift C. G. Wächter’s, die neue Organisation der Universität. Er war Mitarbeiter an Bengel’s Archiv für Theologie, an dem Anzeiger für christliche Theologie und Wissenschaft von Tholuck, mit welchem er befreundet war, und 1828 gründete er die „Tübinger Zeitschrift für Theologie“, von welcher jeder Jahrgang Beiträge seiner fleißigen Feder enthält.

Am 19. Juni 1810 hatte er sich mit Henriette Charlotte Flatt, der Tochter seines Lehrers verheirathet, aber das J. 1816 raffte die Frau und zwei Kinder innerhalb weniger Tage dahin, nur ein Töchterchen war ihm geblieben; am 12. Septbr. 1817 führte er Luise Christiane Gottliebin Liesching heim, die ihm 14 Kinder schenkte, von welchen 10 den Vater überlebten. 1830 lernte er Schleiermacher bei dessen Besuch in Tübingen kennen und stand von dort an zu ihm in freundschaftlichem Verhältniß, 1837 besuchte ihn Tholuck, 1836 war St. bei einem Missionsfest in Basel, wie er überhaupt die Sache der Mission stets lebhaft förderte. Im J. 1837 hatte er ein hartnäckiges Unterleibsleiden [155] glücklich überstanden, aber im October desselben Jahres fühlte er sich unwohl, am 22. October predigte er noch einmal in der Georgskirche, seine Schmerzen überwindend, aber am folgenden Tage mußte er sich einer doppelten Unterleibsoperation unterziehen; allein sie war fruchtlos, am 24. October 1837, Morgens 9¾ Uhr starb er. – Von seinen zahlreichen Schriften sind außer den genannten noch zu erwähnen: „Ueber die Haltbarkeit des Glaubens an geschichtliche höhere Offenbarung“ (Stuttg. 1814); „Reden über Religion und Christenthum“ (Tübingen 1820) und die Fortsetzung davon: „Neuere Vorträge“ (Stuttg. 1825), entstanden aus den oben angeführten Vorträgen; „Ueber die Behandlung der Sprache der h. Schrift als einer Sprache des Geistes“ (1822); „Grundzüge einer Apologetik des Christenthums“ (1830) und endlich: „Glaubenslehre der evangelisch-protestantischen Kirche“ (1834). Ein Werk, das ihm besonders am Herzen lag und welches er in den letzten Lebensjahren mehrfach vorgetragen: „Die Theologie des A. Testaments“ zu vollenden war ihm nicht vergönnt; sein Schwiegersohn Oehler gab dasselbe aus seinem Nachlasse heraus (Berlin 1840). Eine Reihe von Programmen, theils Erklärungen alttestamentlicher messianischer Stellen: Deut. 18, 14 (1817), Micha 4 (1820), Psalm 16, 8–11 (1821), Jes. 52, 13–53, 12 (1825), Dan. 9 (1835), theils systematische Abhandlungen: „Ueber den Knecht Gottes“ (1829), „Ueber die messianischen Weissagungen“ (1824) u. a. entströmten seiner Feder; charakteristisch für Mann und Zeit ist die aus Anlaß des Jubelfestes der Augustana verfaßte Festschrift: „Rationes quibus Catholicae et Evangelicae ecclesiae membra memoriam oblatae A. Confessionis aeque laeteque mente recolere possint.“

Zum Andenken an J. Ch. F. Steudel, enth. die Gedächtnißrede v. Dorner u. einen Lebensabriß von Dettinger i. d. Tübinger Zeitschrift 1838. – Die Skizze von Oehler in d. Realencyklopädie von Herzog I, 15, 75 ff. – Württ. Kirchengeschichte 1892, S. 568 ff. – Hausrath, D. F. Strauß I, 186 ff. – Strauß, Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu, H. 1, 1837. – Landerer, Neueste Dogmengeschichte, S. 170 ff. – C. Schwarz, Zur Geschichte der neuesten Theologie, S. 113 ff. – Weizsäcker, Lehrer und Unterricht an der evangelisch-theologischen Facultät zu Tübingen.