Zum Inhalt springen

ADB:Stolberg-Wernigerode, Wolfgang Graf zu

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Stolberg und Wernigerode, Wolfgang Graf zu“ von Eduard Jacobs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 566–576, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stolberg-Wernigerode,_Wolfgang_Graf_zu&oldid=- (Version vom 17. November 2024, 23:30 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 54 (1908), S. 566–576 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Wolfgang zu Stolberg in der Wikipedia
Wolfgang zu Stolberg in Wikidata
GND-Nummer 104141018
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|54|566|576|Stolberg und Wernigerode, Wolfgang Graf zu|Eduard Jacobs|ADB:Stolberg-Wernigerode, Wolfgang Graf zu}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=104141018}}    

Stolberg: Wolfgang Graf zu St. und Wernigerode, Sohn des Grafen Botho des Glückseligen und der Anna geb. Gräfin von Königstein-Eppenstein, Stifter der Wolfgangischen oder Harzlinie des Hauses, geboren am 1. October 1501 auf Schloß Stolberg, † am 8. April 1552 auf Schloß Allstedt. Nachdem er die zartesten Kinderjahre am Süd- und Nordharz verlebt hatte, wurde der Knabe schon im 7. Jahre auf längere Frist der Großmutter Loys (Luise) geb. Gräfin von der Mark-Rochefort und dem Oheim Graf Eberhard v. Königstein zur Erziehung anvertraut und sorgfältig unterwiesen. Aus rein wirthschaftlichen Gründen beschloß der Vater, auch diesen erstgeborenen Sohn geistlich werden zu lassen, nicht damit er es bleibe, sondern um ihn erst gut zu versorgen und dann später zu prüfen, welcher unter seinen Söhnen am meisten Geschick zum weltlichen Regiment offenbaren würde und diesen dann in den weltlichen Stand zurückkehren zu lassen. Die geistliche Vorbildung Wolfgang’s ist also nicht in tieferem christlich-religiösem Sinne, sondern nach dem Geist und Maßstab der damaligen Kirche zu verstehen: er wurde bis zur Stufe des Subdiakonats gefördert, im übrigen von vorn herein bei der Vorbildung sein zukünftiger weltlicher Lebensberuf ins Auge gefaßt, der ihm doch, als dem Erstgeborenen, muthmaßlich zufallen sollte. Aus rein ökonomischer Berechnung scheute der Vater keine Ausgaben für Provisionen bei geistlichen Stiftern und für päpstliche Dispense wegen zu jugendlichen Alters zur Erlangung geistlicher Prälaturen oder zur Häufung geistlicher Aemter an verschiedenen Orten auf ein und dieselbe Person. Seitdem im J. 1510 Graf Botho mit der päpstlichen Fuggerbank in Rom einen festen Vertrag wegen Erhebung der Ablaßgelder abgeschlossen hatte, war die Erlangung solcher durch Curtisanen vermittelten Dispense wohl gesichert und gelangte bei fast allen Söhnen Graf Botho’s und bei seiner Tochter Anna, Aebtissin von Quedlinburg, zur Verwirklichung.

So wurde denn W. 1512 zehnjährig als Domherr zu Halberstadt aufgenommen, zwei Jahre darnach bei Lebzeiten des dortigen Dompropsts Balthasar von Neustadt zu dessen Coadjutor befördert. Abermals nach zwei Jahren, nachdem Balthasar von Neustadt im October 1516 verstorben war, wurde W. Dompropst, d. h. der 15jährige Jüngling erlangte die Würde und die Einkünfte dieses geistlichen Amts, das von einem Vicar versehen wurde. Dem Hause Stolberg gereichte diese Prälatur dadurch zum Nutzen, daß W. sich als Verwalter der dompropsteilichen Aemter Dardesheim und Harsleben auf seine zukünftige Aufgabe als Haushalter vorbereitete. Bei der Halberstädter Propstei blieb es nicht, sondern der väterlich sorgende Onkel in Königstein wußte ihm auch durch ein vortheilhaftes Abkommen mit dem kränklichen Dompropst Engelbert Erckel von Naumburg die Coadjutorie für dieses Amt zu verschaffen, in dessen Besitz und Nutzungen er auch ums Jahr 1517 gelangte.

Seit dem Bauernaufruhr war W. – bei der Nachbarschaft von Halberstadt und den dompropsteilichen Aemtern bei der Grafschaft Wernigerode – in [567] der Lage, seinen Vater bei dessen Bemühen, das Klosterwesen innerhalb dieser Grafschaft einzuschränken und die Leitung der Klosterwirthschaft in die Hand der Herrschaft zu bringen, kräftig zu unterstützen.

Jene große, besonders die südharzischen Gebiete der Grafschaft, theilweise aber auch die nordharzischen, tief aufrührende Bewegung der Bauern brachte den noch jugendlichen Grafen vorübergehend in eine sehr schwierige und mißliche Lage. Sein Vater, der vom 2.–4. Mai 1525 gezwungen worden war, erst die Artikel der Bauern, dann die der aufgestandenen Bürger von Stolberg anzunehmen, wurde von seinem Oberlehnsherrn Herzog Georg von Sachsen gedrängt, ihm und den gegen die Bauern verbündeten Fürsten bewaffneten Zuzug zu leisten. Als es ihm am 11. Mai gelungen war, 20 Reiter und 50 Mann zu Fuß aufzubringen und diese unter seinem Sohne Wolfgang der Kriegsmacht Herzog Georg’s und seiner Verbündeten zuzuführen, wurde Graf Wolfgang von Abgesandten des Bauernheeres genöthigt, zu ihrem Haufen zu ziehen, widrigenfalls sie, wie Münzer drohte, die Dörfer der Grafschaft Stolberg „puchen“ oder verwüsten wollten. Als er im Bauernlager angekommen war, umzingelte man den jungen Grafen mit den Seinigen als Geiseln und forderte vom Grafen Botho Geschütz und Pulver. Da sie im Weigerungsfalle ihm den Sohn zu tödten drohten, sandte ihnen Graf Botho eine alte Steinbüchse und 20 Pfund Pulver. Als nun am 15. Mai, also nach wenigen Tagen, das Bauernheer geschlagen war, wurden Graf W. und die Seinigen mit den Bauern gefangen genommen und hatten unter dem Zorn des Herzogs Moritz und des Grafen Ernst von Mansfeld zu leiden, besonders des letzteren, dessen Besitzungen durch die Bauernschar stark gelitten hatten. Es kostete einige Zeit und Mühe, um ein gutes Verhältniß zwischen W. und seinem Vater einerseits, und Herzog Georg und Graf Ernst von Mansfeld andererseits wieder herzustellen.

Nach dem Bauernsturm fiel die Unterstützung des alternden und im Dienste Cardinal Albrecht’s viel in Anspruch genommenen Vaters um so mehr dem ältesten Sohne zu, als den nächstalten Bruder Ludwig seine Geschäfte meist im Königsteinschen zurückhielten. Sein eigentliches schweres Lebenswerk begann aber im J. 1538, als am 18. Juni d. J. der Vater das Zeitliche gesegnet hatte. An die Stelle des einen Herrn, der als musterhafter Wirthschafter das Regiment einheitlich geführt hatte, traten nun fünf Brüder, die gleiches Geburtsrecht hatten, wenn auch der dritte Sohn Heinrich, als geistlicher Herr, im J. 1528 durch einen Verzicht vom weltlichen Regiment zurückgetreten und Christoph, der jüngste, noch unmündig war und zunächst unter des ältesten Bruders Vormundschaft stand. Dazu kam, daß der zweite der Brüder, der geschäftstüchtige Graf Ludwig, durch die Verwaltung des an ihn allein gelangten Königsteinschen Erbes meist von den Stammbesitzungen am Harz ferngehalten und von vielen Geschäften in Anspruch genommen wurde. Endlich war auch ansehnlicher Schulden wegen eine einsichtsvolle, einheitliche Ordnung des Regiments ein dringendes Bedürfniß.

Diese Umstände brachten denn auch die Brüder zu der Einsicht, daß sie, ohne von ihrem Rechte als gleichgestellte regierende Herren zurückzutreten, einem unter ihnen als einem gemeinsamen Haushalter die Leitung des Regiments anvertrauen müßten. Da nun Graf W., als der älteste, dazu an erster Stelle berufen war, so wurde ihm durch eine am 26. August auf Schloß Stolberg getroffene Vereinbarung die Führung des Haushalts mit Festsetzung genauer Bestimmungen auf ein Jahr übertragen und alsbald auch ein genaues Inventarium über den väterlichen Nachlaß aufgenommen. In gleichem Sinne wurden am 16. März 1540 und 1. November 1541 neue [568] Vergleiche getroffen und dem ältesten Bruder die Leitung der gemeinsamen Angelegenheiten gelassen. Als dem Grafen W. aber die Aufgabe etwas schwer wurde, baten ihn die Brüder am 21. Februar 1543, die Führung des Haushalts noch bis Michaelis zu behalten; von da an sollte er auf je ein Jahr an die Brüder Ludwig, Albrecht Georg und Christoph gelangen. Dazu kam es aber nicht, vielmehr wurde durch einen neuen, ungemein umständlichen Vergleich dem ältesten Bruder das Regiment auf neun Jahre übertragen, deren Ablauf er nicht erlebte.

Erwägen wir die ausgeprägten verschiedenen Charaktere der Brüder und die finanziell ungünstige Lage des Hauses, so müssen wir es als etwas Außerordentliches ansehen, daß während des vierzehnjährigen Regiments Graf Wolfgang’s auch nicht die Spur eines Mißverständnisses unter den Brüdern hervortritt, vielmehr jeder an seinem Theile dem gemeinsamen Interesse dient. Unzweifelhaft hatte dabei W. selbst das größte Verdienst: stets drängt er auf Zusammenkünfte der Brüder und gemeinsames Handeln, nichts will er für sich allein, ohne der Brüder Einverständniß vornehmen. Bezeichnend ist es für ihn; daß er gelegentlich bei gemeinsamen Schäden durch Krieg und Fehde zunächst von den Schäden seiner Brüder und dann erst seinen eigenen redet. Seine treue geschwisterliche Gesinnung war jedenfalls dabei an erster Stelle betheiligt, wenn unter seiner Leitung den beiden geistlichen Herren, die auf die Herrschaft verzichtet hatten, dem Domdechanten Heinrich zu Köln und dem Dompropst Christoph zu Halberstadt, alle Titel und Ehren des Hauses, die Nennung ihres Namens auf den Münzen, die Theilnahme an allen brüderlichen Zusammenkünften und am Bergwerksgewinn zugebilligt wurden, um ihnen ihr brüderliches Entgegenkommen zu beweisen und die Verzichte allen nicht unmittelbar eingeweihten Personen gegenüber zu verdecken. So geschah es noch bei zwei am 10. August 1551 zu Wernigerode getroffenen brüderlichen Vergleichen, den letzten, an denen W. theilnahm.

Dieselbe Rücksicht auf die geistlichen Brüder waltete bei der drei Jahre früher, am 19. März 1548, geschlossenen stolbergischen Erbeinigung. Mit dem Tode Graf Eberhard’s, des letzten Grafen von Königstein-Eppenstein, war das Königsteinsche Erbe dem Hause Stolberg zugefallen; es war aber ein das Erbrecht des Gesammthauses unter Umständen gefährdender Umstand, daß ein bestimmter Neffe des Erblassers, und zwar nicht Graf Wolfgang, als der älteste, sondern dessen jüngerer Bruder Ludwig namentlich als Erbe eingesetzt war. Da nun bis zum Jahre 1548 dem Grafen Ludwig, abgesehen von einem bald nach der Geburt wieder verstorbenen Sohne, nur Töchter geboren wurden, so stieg die Sorge, daß nach Graf Ludwig’s Tode für die Erbfolge seines Hauses Schwierigkeiten entstehen könnten. Um nun das große Königstein’sche und v. d. Mark-Rochefort’sche Erbe fester an das von ihm innigst geliebte angestammte Vaterhaus zu binden, schloß Graf Ludwig am genannten Tage mit seinen Brüdern auf Schloß Stolberg einen Erbverein, worin er sie alle als Erben seiner Graf- und Herrschaften anerkennt, während den Töchtern gegen ihre Verzichte angemessene Summen Geldes ausgesetzt werden. Die Festigkeit dieser Verbindung suchte man dadurch zu erhöhen, daß die Mannessprossen hinfort alle, die sich seit 1429 nur Grafen zu Stolberg und Wernigerode genannt hatten; die Anspruchstitel Grafen von Königstein, Herren zu Eppenstein, Münzenberg, Breuberg, Rochefort (Rutschefort), Agimont, Herbimont führen sollten, auch die geistlichen Brüder. Es wurde auch alsbald ein diesen Ansprüchen gemäßes neues Gesammtwappen gebildet und von Kaiser Karl V. bestätigt.

[569] Während zu dieser Erbeinigung Wolfgang’s Bruder Ludwig den Anstoß gegeben hatte, war es nun allermeist er selbst, der auf alle mögliche Weise der Schuldenkrankheit entgegenzuarbeiten suchte. Dazu sollten kühne Handelsunternehmungen dienen. So trat er im Juli 1548 mit Hans Schlitte aus Goslar, einem Gesandten des Großfürsten Iwan Wassiljowitsch des Grausamen von Rußland in Verbindung, um die vom Zaren vermittelten Waaren zu erhandeln und dagegen andere nach Rußland einzuführen. Insbesondere soll Schlitte die ausschließliche Einfuhr aller in den Schäfereien der Stolbergischen Lande und Pfandschaften gefallenen Wolle nach Rußland vermitteln. Nicht zuletzt durch die Eifersucht deutscher Mitbewerber wurde dieses Bemühen vereitelt.

Nicht weniger kühn war der Plan eines großen Ochsenhandels nach der Walachei oder den Donaufürstenthümern. Den Anlaß gab eine Schuldforderung der Grafen bei dem Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg. Da an eine Bezahlung seitens dieses Oberlehnsherrn nicht zu denken war, so beredete Graf Wolfgang’s Rath Dr. Schüßler im J. 1548 mit dem auf dem Reichstage zu Augsburg anwesenden Kurfürsten den Plan eines nach der Walachei – es scheint sich allerdings zunächst um die Moldau gehandelt zu haben – zu unternehmenden Handels mit Ochsen, wobei der Kurfürst den Grafen gewisse Sicherungen und Vortheile gewährte, durch deren Benutzung sie sich leicht bezahlt machen konnten. Nun ergeben die Quellen, daß Graf W. einen ausgedehnten Ochsenhandel durch die Mark, Pommern, Schlesien und weit nach Polen hinein betrieb; daß es sich dabei aber um jenen Handel nach der Walachei oder Moldau gehandelt habe, ist nicht zu ersehen. Jedenfalls war dieses Geschäft ein lebhaftes und erstreckte sich auch westlich und südlich ins Reich. Die ausgedehnten Bergweiden im Harze, besonders auf der Lange südlich Elbingerode, wo es auch ein gräfliches Gestüt gab, kamen dabei zur Verwerthung. Von anderen Handelszweigen ist besonders der ausgedehnte Holzhandel zu erwähnen, den man theilweise seit den dreißiger Jahren gemeinsam mit dem Grafen Ulrich von Regenstein betrieb, mit Holzreiten zu Hasselfelde und Blankenburg. Auch hatte man eine besondere Holzniederlage zu Wernigerode. Mit kühnem Wagen suchte man das Holz von den schwer zugänglichen Höhen des Brockens zu Thal und ins Land zu fördern. Mit den Grafen von Mansfeld trieb man einen ausgedehnten Holzkohlenhandel, da die Mansfelder dieses Materiales sehr dringend für ihre Bergwerke bedurften.

All dieser Handelsbetrieb aber wurde weit überboten durch das bis zur Leidenschaftlichkeit und mit sanguinischen Hoffnungen verfolgte Bergwerkswesen. Schon zur Zeit Graf Botho’s, dessen Schürfordnung von 1537 die Gründung einer neuen Bergstadt im Brockengebiet in Aussicht nimmt, begann diese Steigerung in bergmännischen Unternehmungen; unter dem Grafen Wolfgang stiegen sie aber mit reger Betheiligung der Brüder zur äußersten Höhe. Höchst merkwürdig war die unter dem Schutze Erzbischof Hermann’s von Köln stehende und von dessen Domdechanten Graf Heinrich zu Stolberg dem Grafen W. und den übrigen Brüdern im J. 1547 dringend empfohlene Kölnische Gesellschaft von der Edlen Wasserkunst behufs des Schmelzens und Seigerns in den Bergwerken. Die Grafen, die sich selbst lebhaft daran betheiligten, übernahmen es auch, dieses Unternehmen nach den deutschen Ostmarken und in die polnisch-slavischen Lande hinein zu verbreiten. Mit gewissen Einschränkungen wurde zu diesen Unternehmungen auch den im geistlichen Stande lebenden Brüdern der Zutritt gestattet. Selbst an auswärtigen Bergwerken, so zu Andreasberg, [570] Siegen und in Lothringen, hatten die Grafen Antheile und bezogen Arbeiter aus den Niederlanden, der Eifel und aus Siegen.

Kriegerische Ereignisse nahmen den Grafen W. und seine Lande erst seit den vierziger Jahren sin Anspruch. Der Zug der Schmalkaldener gegen Herzog Heinrich d. J. von Braunschweig ging durch die Stolbergischen Lande. Eine Folge desselben war es, daß auf ein paar Jahre, von 1542–1544, die Pfandschaft Harzburg, die der Herzog dem Hause bis dahin vorenthalten hatte, an Stolberg gelangte. Ernster wurde die Lage Graf Wolfgang’s und des Hauses Stolberg, als des Kaisers Karl V. Absichten zur Bekämpfung der Reformation im J. 1544 deutlicher hervortraten, worauf der bekannte Nordhäuser Bürgermeister Mich. Meyenburg den Grafen zu Ende d. J. aufmerksam machte. Dieser Gefahr zu begegnen, erstrebte nun der dem Hause Stolberg persönlich sehr nahestehende Erzbischof Hermann von Köln eine feste allgemeine Verbindung der reformationsverwandten Grafen und rechnete dabei besonders auf die Harzgrafen, zumal auf die stolbergischen Vettern, Graf Wolfgang an ihrer Spitze. Durch dessen Bruder, den Kölner Dechanten Graf Heinrich zu Stolberg, lud er Anfang Februar 1546 zu einer in der Stadt Nordhausen am 1. März d. J. abzuhaltenden Tagung der Harzgrafen ein, um hier am nächsten Tage wegen seiner und der Seinigen, auch ihrer, der Grafen selbst, anliegenden Beschwerungen ihn selbst und seine Abgeordneten anzuhören, darauf mit anderen Grafen und Herren sich zu unterreden und einander beiräthig und hülfreich zu sein, was zur Förderung der Ehre Gottes, Pflanzung und Erhaltung des Friedens, Ruhe und Einigkeit im Vaterland der deutschen Nation, auch des gräflichen Standes und beschließlich zu allem, was zu zeitlicher und ewiger Wohlfahrt dienlich sein möge. Auch empfahl er, daß die Harzgrafen durch Abgeordnete zum Zweck einmüthigen Zusammengehens mit dem zweiten Grafentage in Oberwesel in Verbindung träten, so daß alle Harz- und thüringischen Grafen einheitlich mit den rheinischen Grafen zur Erhaltung ihres Standes und zum Wohle des gemeinsamen Vaterlands zusammenständen. In gleichem Sinne trat er auch – ebenfalls durch den Dechanten Heinrich – am 26. Februar mit dessen Bruder Graf Ludwig zu Königstein in Verbindung.

Aber nicht durch Eintracht und auf friedlichem Wege sollte das erstrebte Ziel erreicht, sondern auf Umwegen und nach schweren Kämpfen der evangelischen Freiheit eine Gasse gebahnt werden. Als Herzog Moritz von Sachsen beim Beginn seiner politischen Schachzüge sich den Auftrag hatte ertheilen lassen, die Lande seines Vetters, des geächteten Kurfürsten Johann Friedrich, zu besetzen, bot er auch seinen Lehnsmann Graf W. zu Stolberg auf, so stark er und sein Haus zu dienen schuldig sei, ihm Zuzug zu leisten, was auch geschah. Unterm 6. November 1546 legte Kurfürst Johann Friedrich gegen diese „nichtige“ Acht Verwahrung ein und forderte seinerseits den Grafen W. und andere Harzgrafen auf, sich trotz des Kaisers zur Erhaltung von Gottes Wort und der wahren christlichen Religion und des Reichs Freiheit zu beweisen. Als W. am 17. November dieses Schreiben erhielt, befand er sich in einer überaus schwierigen Lage. Wie anderen treuen Bekennern der Reformation erschien auch ihm der Kurfürst als Beschützer des evangelischen Bekenntnisses, und doch hatte er dem Herzoge Georg als Oberlehnsherrn Treue geschworen und seine Lehnsmannen ihm gesandt. Alsbald stellte er dem Kurfürsten seine schwierige Lage vor, sprach über den Stand der Dinge sein tiefstes Bedauern aus und gab der Hoffnung Ausdruck, daß Gott Mittel und Wege finden werde, dem Uebel abzuhelfen. Er wisse selbst keinen Rath, wolle aber höhere Reichsstände um Rath anrufen, was er dann auch sofort that. Gewiß redete er aus [571] tiefster Ueberzeugung, wenn er dem Kurfürsten versicherte, daß er sich gegen Gottes Wort, die wahre Religion und die Wohlfahrt des gemeinsamen Vaterlandes mit Willen und Wissen nicht wolle gebrauchen lassen.

Ehe es zu einem Vermittlungsversuch kommen konnte, hatte der schnelle Gang der Ereignisse eine veränderte Lage geschaffen. Kurfürst Johann Friedrich hatte, aus Süddeutschland zurückgekehrt, nicht nur bald seine Lande wieder erobert, sondern war auch schon mit der Einnahme der Besitzungen und Lehen seines Vetters beschäftigt. Dabei hatte er auch die stolbergischen Hülfsmannschaften aufheben und nach Eisenach und Waltershausen schaffen lassen. Ihre Unterhaltung mußte der Graf bestreiten; seine südharzischen Besitzungen wurden mit schwerer Schatzung belegt, auch die Pfandschaften Allstedt und Harzburg vom Kurfürsten weggenommen.

Schwerer als all diese Verluste traf den treuen, gewissenshaften Grafen das Verlangen des Kurfürsten, ihm zu huldigen, nachdem er nicht gar lange vorher dem Herzog Moritz Treue geschworen hatte. Nachdem er erst seinen Rath Dr. Schüßler vergeblich wegen einer Vermittlung an den Kurfürsten gesandt hatte, begab er sich selbst zu diesem in das Lager bei Heldrungen, um einen Erlaß dieses Eides oder um eine Linderung nachzusuchen. Als das nicht zu erreichen war, entschloß er sich endlich, für sich die Pflicht zu leisten, wenn er es nur nicht auch im Namen seiner Brüder thun müsse. Es war alles umsonst: schweren Herzens mußte W. am 25. Januar 1547 dem Kurfürsten zu Stötteritz vor Leipzig huldigen. Nachdem infolge des Treffens bei Mühlberg der gewaltige Umschlag erfolgt und Herzog Moritz an Johann Friedrich’s Stelle zum Kurfürsten erhoben war, bevollmächtigte W. zu Wernigerode am 12. Juli d. J. seinen Bruder Albrecht Georg, in seinem Namen dem neuen Kurfürsten zu huldigen, nachdem Johann Friedrich ihn und seine Brüder mit Gewalt genöthigt habe, ihm Pflicht zu thun.

Im weiteren Verlauf der kriegerischen Ereignisse wurden zwar Graf W. und seine Lande durch Schatzungen, auch vom Durchzuge von Kriegssvolk und den Abzug der vor Magdeburg abziehenden Landsknechte mehrfach in Anspruch genommen; es war aber hinfort mehr die religiös-kirchliche Frage als die unmittelbare Berührung mit dem Waffenspiel, was den Grafen W. und seine Brüder hierbei tiefer berührte. Für die Beurtheilung der hochwichtigen Frage nach dem inneren Verhältnisse des Grafen zur Reformation scheint darin eine Schwierigkeit zu liegen, daß er bis zur Niederlegung seiner geistlichen Prälaturen im J. 1538, d. h. während der weitaus größeren Hälfte seines Lebens, nach außen hin mit seinem inneren Bekenntnisse nicht hervortreten durfte. Trotzdem steht fest, daß er, der im Frühjahr 1521 mit seinem Bruder Ludwig – wie Luther mit Interesse seinem Freunde Spalatin meldete – die Universität Wittenberg bezog und im Sommer d. J. ihr Ehrenrector wurde, von da ab mitsammt seinen Geschwistern ein treuer Jünger der Reformation blieb. Derselbe Dr. Tilemann Plathner, der damals unter ihm Vicerector war, blieb bis ans Ende der oberste und leitende Prediger und Pfarrer zu Stolberg, und Männer wie Johann Spangenberg, Justus Jonas, auch ein Michael Meyenburg in Nordhausen, waren und blieben die Freunde und Gesinnungsgenossen der Herrschaft.

Der theologisch gebildete Herzog Georg von Sachsen wußte wohl, was er that, wenn er von 1522 an dem Vater Wolfgang’s die kaiserlichen Mandate zur Unterdrückung der Reformation zugehen ließ und ihm noch im Jahre 1537 wegen seines Verhaltens in Kirchensachen Vorstellungen machte, aber der Graf ließ seine Gesandten sich selbst von der – äußeren – Gestalt des zu Stolberg gebräuchlichen Gottesdienstes überzeugen. Diese ließ die hergebrachte [572] Form, die Meßgewänder, die alte Form der Beichte und Absolution beim Abendmahl bestehen, aber in die alten Formen war seit der Reformation ein neuer Geist gegossen. Hinsichtlich der Priestergewänder und der äußeren Gestalt des Abendmahls können wir das Fortbestehen der alten Form unter Graf W. noch im J. 1548 nachweisen.

Ein nicht unwichtiger Unterschied bestand aber zwischen Graf Botho und dem jüngeren Geschlecht doch: Als er mit seinen Söhnen Wolfgang und Ludwig beim Wormser Reichstage war, schrieb Graf Botho seiner Gemahlin: „Wir“ – er meint seinen Herrn, den Cardinal Albrecht und sich – „waschen uns die Hände“, d. h. wir lassen uns nicht auf die tieferen religiösen Fragen, um die es sich damals handelte, ein. Anders Wolfgang und Ludwig: sie kamen als Zöglinge der Luther-Universität und bekannten sich zur evangelischen Wahrheit und blieben dabei, ließen sich auch gelegentlich von den Reformatoren belehren, wie das beim Grafen Ludwig am 25. April 1522 in so köstlicher Gestalt durch Luther geschah. Für die stolbergischen Lande war die nach außen hin wegen der Prälaturen zu nehmende Rücksicht ihrer Landesherren kein Hemmniß für den Fortgang der Reformation. Ohne irgendwelche Hinderung konnte schon seit 1524 die alte Gestalt des Meß-Gottesdienstes in Stolberg ebenso wie in Wernigerode aufhören und die Reformation ihren friedlichen Einzug halten. Am 12. Februar 1528 kann bezeugt werden, daß im gräflich stolbergischen Gebiete das Wort Gottes im reformatorischen Sinn lauter gepredigt wurde. Da sich Graf W. aber außerhalb der stolbergischen Lande wegen seiner dompropsteilichen Aemter durch die Rücksichtnahme auf das Bekenntniß der Kirchenfürsten gebunden fühlte, so konnten hier Mißstände eintreten. Das war z. B. in Naumburg der Fall. Hier hatte seit 1525 die Kirchenerneuerung bei der Bürgerschaft Eingang gefunden. Da nun aber die Stadtkirche zu S. Wenzel daselbst der Dompropstei einverleibt war und Graf W. als Dompropst nicht öffentlich für die Reformation einzutreten wagte, so hatte schon ein evangelischer Prediger weichen müssen. Als dann später im religiös-kirchlichen Interesse der Rath den Dompropst um gewisse Vergünstigungen bat und W. zögerte, sie zu gewähren, sprach der Rath offen seine Verwunderung darüber aus, „weil sie nit anders erfahren, denn daß Seine Gnaden das ewig klare lautere Wort Gottes auch zu fördern sonderlich geneigt sei“ (13. April 1534).

Als im J. 1538 der Vater gestorben war und Graf W. seine geistlichen Würden abgetreten hatte, bedurfte es überall solcher Rücksichten nicht mehr, und gleich bei der ersten Vereinigung der Brüder am 26. August wurde bei der Uebertragung des Regiments an den Grafen Wolfgang als oberster Grundsatz hingestellt, daß „das heilig Wort und die Ehre Gottes innerhalb der gräflichen Herrschaft allenthalben zugelassen, gepflanzt und gefördert werde“. Wenn es also noch galt, hie und da die Predigt des Wortes zuzulassen und das Evangelium zu pflanzen, so bezieht sich das wohl im wesentlichen nur auf Klöster und Stifter und die davon abhängigen Kirchen, wo hie und da noch zu bessern war. Noch kurz vor Graf Botho’s Tode vergleicht sich am 29. März 1538 Graf Wolfgang mit dem Rath zu Wernigerode wegen der Pfarrbestellung zu Unser Lieben Frauen und der Schule bei S. Silvester daselbst, die der Rath beide auf sich nimmt. Das Capitel übergibt dem Rath zwei Häuser für den Geistlichen und Rector, und der Graf fügt zum Gehalt für beide je fünf Gulden hinzu. Die oberste Leitung der kirchlichen und Schulangelegenheiten stand dem Grafen zu, aber bei der von Rath und Gemeinde ausgehenden Bildung des reformatorischen Kirchenwesens und den von diesen gebrachten Opfern entwickelte sich ein freieres Zusammenwirken von Herrschaft, [573] Rath und Gemeinde. Zu festen consistorialen Ordnungen kam es zu Wolfgang’s Zeit noch nicht; eigentlich organisirt haben sie auch später für die gesammten stolbergischen Besitzungen nur für kürzere Zeit bestanden; auch das Schulwesen erfreute sich seitens Graf Wolfgang’s einer eifrigen Förderung. Zu Wernigerode war beim Beginn von Graf Wolfgang’s Regiment der tüchtige Autor Lampe, durch den W. auch seinen Bruder Christoph in der Figuralmusik unterweisen ließ, der erste namhafte Rector. Zu Ilfeld wirkte seit 1551 der treffliche Schulmann Michael Neander als Rector; auch die Anfänge der Ilsenburger Klosterschule fallen in Graf Wolfgang’s Zeit.

Wenn W. die äußere überlieferte Form des Gottesdienstes bestehen ließ und insofern im J. 1548 dem Kaiser gegenüber der Wahrheit gemäß sagen konnte, es sei in den Kirchen seiner Herrschaft am Gottesdienst wenig geändert worden, so hatte das mit dem evangelisch-reformatorischen Bekenntniß nichts zu thun; zu diesem stand er mit aller Entschiedenheit und Treue. Das spricht er seinem Bruder Ludwig gegenüber gelegentlich sehr deutlich aus. Dieser als kaiserlicher Rath in der Diplomatie geübte Herr und durch sein Verhältniß zu Mainz, auch wegen seiner niederländischen Besitzungen gebunden, hatte sich gedrungen gefühlt, den „Kaiserlichen Rathschlag“, d. h. das Augsburger Interim, in seinen Königsteinschen Besitzungen anzunehmen. Als W. davon hörte, schrieb er seinem Bruder am 25. October 1548: „Das Interim betreffend bin ich der Antwort fast hoch erschrocken, denn zu besorgen, was Ihr itzunt vermeint zu umgehen, daß Ihr darnach mit größerer Ungnade damit werdet beladen werden; und wäre meines Erachtens besser davor zu bitten gewesen, wiewohl ich aus was Ursach diese Antwort gegeben nit wissen kann, will auch nochmals mit Rat der Gelehrten ferner darauf denken, freundlich bittend, mich deines Gemüts ferner hierin zu erklären „denn mit der Seelen nit zu scherzen, dieweil der Teufel so scharfe Klauen hat und das Feuer so heisch“ (heiß). Nochmals fragte er am 19. November d. J. bei dem Bruder an: „Bitte dich ganz freundlich, wollest mich berichten, wie es nunmehr mit dem Interim steht, denn hier innen befinde ich wenig, die es annehmen werden“, und etwas weiter erklärt er dem Bruder: „Des Interims halber trage ich Sorge, daß diese Lande mögen Verfolgung leiden“, „doch hat,“ fährt er fort, „Gott das Spiel alles in seiner Hand. Und möchte gern wissen, ob Ihr draußen noch Gott kennt oder nit, denn hier allerlei geredet wird“.

Daß diese religiöse Wärme und Entschiedenheit auf dem Grunde eines persönlichen und andächtigen Gebetslebens ruhte, daran werden wir gelegentlich lebhaft erinnert. Dienstag nach Palmsonntag (8. April) 1544 übersendet ihm seine Schwester, die Aebtissin Anna v. Quedlinburg, mit der er fortwährend in Verkehr stand, ein zugesagtes, also doch wohl erbetenes, mit Buckeln und Gläserchen wohl verziertes Gebetbuch, „auf daß Euer Liebden in der Marterwoche desto andächtiger sei“.

Aus hauswirthschaftlichen Gründen stand W. von Bewerbung um kirchliche Stellen für den Bruder Christoph auch damals noch nicht ab, obwohl man religiöse Bedenken darüber zu äußern begann. Wenn er aber hoffte, daß sein Bruder zum Bischof von Halberstadt gewählt werden könne, wofür auch ein paar Stimmen gewonnen wurden, so hätte ein solcher Erfolg ohne Zweifel das Reformationswerk in jenem Stift sehr gefördert.

Von den höheren Bediensteten, mit denen er nicht zu wechseln pflegte, übernahm W. die meisten aus des Vaters Zeit, so den Geistlichen D. Tilemann Plathner und den bei der römischen Kirche verbleibenden, aber evangelisch gesinnten Halberstädter Official Heinrich Horn, von weltlichen Räthen den Dr. Valentin v. Sundhausen, erst Rath von Haus aus, der dann nach [574] Wernigerode zog und hier verstarb. Auf ihn folgte der überaus thätige und unternehmende Dr. Franz Schüßler aus Nordhausen. Auch der Hauptmann Hans Keller und später Dietrich v. Gadenstedt in Wernigerode, sowie in Stolberg Heinrichs v. Rüxleben standen ihm näher.

Ueber Wolfgang’s Wesen und Persönlichkeit sind uns verschiedene gleichzeitige Urtheile überliefert. Wenn Kurfürst Moritz von Sachsen seiner Großmuth gedenkt, so bewies er diese ganz besonders gegen seinen Schwager, dann Schwiegervater Graf Ulrich v. Regenstein, dem er trotz eigner schwieriger Lage die Pfandschaftsämter Derenburg, Stiege und Hasselfelde ließ oder wiedergab und ihm treue Liebe und Freundschaft bis zum Grabe bewahrte. Der gelehrte Mediciner Janus Cornarus, der ihn aus persönlichem Verkehr kannte, rühmt seine Herzensgüte. Wenn der mit den stolbergischen Persönlichkeiten vertraute, aber etwas später (1578) schreibende Mag. Matth. Absdorf in ihm des Vaters Ebenbild erkennt, so dürfte das auf seine Besonnenheit und Milde zu beziehen sein. Bei den Unterthanen war er entschieden beliebt; wir sehen ihn wohl den Wernigeröder Rath bei sich zu Gaste haben; andererseits auch den Rath ihm Getränk vom Rathskeller spenden. Die Gesellschaft der Büchsenschützen in Wernigerode bestätigt er 1541, etwa 1546 die Schützengesellschaft zu Veckenstedt. Gelegentlich erinnerte er daran, daß man nicht versäume, den schwere Arbeit leistenden Herrendienstleuten den ihnen zukommenden Trunk zu reichen.

Graf W. war zwei Mal vermählt, zuerst mit der erst 15jährigen Dorothea v. Regenstein, mit der er im Juni 1541 zu Wernigerode die Heimfahrt oder Hochzeit feierte und die ihm im J. 1544 ein nach dem Vater genanntes, aber bald darnach wieder dahinscheidendes Knäbchen schenkte. Nachdem dann im nächsten Jahre der Tod der erst neunzehn Jahre alten Gemahlin diesen Bund gelöst hatte, war es die Sorge um den Fortbestand des Hauses, die seinen treuen Bruder Ludwig veranlaßte, dem Vereinsamten zu einer möglichst baldigen Wiederverheirathung noch vor Ablauf des Trauerjahres zu rathen und ihm dabei seine Schwägerin Genoveva v. Wied zu empfehlen. Was den Grafen Ludwig zu diesem Rath bestimmte, liegt auf der Hand. Nach der Gräfin Dorothea Dahinscheiden lebte kein vermählter Mannssproß des Hauses Stolberg, von welchem sich ein Sohn zur Fortpflanzung des Geschlechtes erwarten ließ; zwei Brüder lebten als Prälaten, Albrecht Georg schien dem ehelichen Stande abgeneigt. W. erfüllte des Bruders Wunsch und begab sich, ohne die ihm als zukünftige Genossin zugedachte Gräfin vorher gesehen zu haben, im November des Jahres 1549 nach Königstein, wohin die Gräfin Genoveva eingeladen war. Am 4. December fand die Eheberedung, am 15. Januar 1546 die Hochzeit statt. Die Gesinnung, in der sich Graf W. zu dem neuen Ehebunde entschloß, ist ein Zeugniß seines ernsten, frommen Gemüthes. Auf Ludwig’s Bemerkung, daß er sich sein künftiges Gemahl erst anschauen und sie kennen lernen müsse, erwiderte er: „Daß ich die Person erst sehen soll, acht ich ohne Not, denn ich laß den Allmächtigen hierinne gewalten. So freie ich nit Guts halber, sonder mehr Freundschaft, und daß ich achte, daß es Gott also versehe“ (21. November 1545).

Dem Ehebunde, dem nur eine Frist von wenig über sechs Jahren vergönnt war, erblühte ein reicher Leibessegen in vier Söhnen und einer Tochter. Auf den Erstgeborenen Wolfgang Ernst (geboren am 30. November 1546, † am 10. April 1616, s. d.) ging die wissenschaftliche Ader über, die auch an dem Vater in dessen jüngeren Jahren beobachtet und bezeugt wird. Der zweite Sohn Botho (geboren am 10. November 1548) verstarb am 29. März 1577 infolge einer Verwundung auf der Jagd. Der dann folgende dritte Sohn Johann (geboren am 1. October 1549, † zu Wernigerode am 30. Juli 1612), [575] der in jüngeren Jahren vorübergehend dem Könige von Frankreich Kriegsdienste leistete, empfand später bei seinem Regiment den Mangel einer nicht zulänglichen wissenschaftlichen Vorbildung. Im Gegensatz dazu erschien Wolfgang’s jüngster am 29. November 1551 geborener Sohn Heinrich, der am 16. April 1615 ebenfalls zu Wernigerode verstarb, und eine tüchtige wissenschaftliche, auch staatswirthschaftliche Vorbildung bei seinem Vetter Prinz Wilhelm von Oranien genoß, in geistiger Beziehung als eine Zierde des Hauses Stolberg. Zwischen Johann und Heinrich wurde dem Grafen W. am 29. October 1550 eine Tochter Anna geboren, die am 29. Januar 1623 als Dechantin des freiweltlichen Stifts Quedlinburg verstarb.

Nur noch wenige Monate waren dem rastlos wirkenden Grafen W. nach der Geburt des jüngsten Sohnes beschieden. Als er es der öfteren Durchzüge von Kriegsvolk wegen glaubte wagen zu dürfen, hatte er sich im Februar 1552 von Stolberg nach Allstedt begeben, um die wirthschaftlichen Verhältnisse in dieser Pfandschaft, die durch den Krieg zwischen den sächsischen Vettern geschädigt waren, zu ordnen. Seine Kräfte waren durch die überaus großen Mühen des Haushalts, besonders aber wegen des unablässigen Sorgens und Ringens um die Erhaltung des Glaubens oder Credits vor der Zeit erschöpft. Der noch nicht fünfzigjährige war schon ergraut, oder es waren ihm, wie er seinem Bruder Ludwig schrieb, die „Kirchhofsfedern“ – die weißen Haare gewachsen. „Unversehens“ – ohne längeres Siechthum – wurde er, vermuthlich infolge eines Schlaganfalles, den Seinigen und dem ganzen Hause Stolberg zum großen Schaden der Zeitlichkeit entnommen. Der Tod erfolgte jedoch nicht so plötzlich, daß er nicht noch Zeit gefunden hätte, sein Haus zu bestellen. Als er am 6. März 1552 sein Ende bestimmt voraussah, ordnete er durch mündliche Anweisung an die Seinigen einige Angelegenheiten, die ihm besonders am Herzen lagen. Die Stiftungen, die er für die Hospitäler zu Stolberg und Wernigerode gemacht hatte, und die wegen Mangels an Mitteln bisher nicht hatten voll ins Werk gerichtet werden können, sollten hinfort gebessert und gesteigert werden. Seiner Gemahlin Testament soll für voll gehalten werden. Er bestimmt für sie auch noch Behausungen zu Stolberg und Wernigerode und tausend Gulden aus dem Drahthandel. Alles Uebrige soll den Kindern zum Besten bleiben und kommen. Zu Vormündern bestimmt er den Grafen Fritz Magnus zu Solms, alle seine stolbergischen Brüder und seinen Rath Dr. Franz Schüßler. Noch zuletzt beschäftigten ihn des Hauses Stolberg Schulden und Gegenschulden oder Forderungen. Zwei Tage später, am 8. März, verschied er; seine Gemahlin Genoveva folgte ihm, allzufrüh für die fünf unerwachsenen Kinder, bereits am 26. Juni 1556 im Tode nach.

Graf W. hat während seines Regiments viel gebaut, meist zu wirthschaftlichen und gewerblichen Zwecken. Als Prachtbau ist aber der am Stammschloß Stolberg hervorzuheben, der 1539 begonnen wurde.

Unter Graf Wolfgang hatte das Haus Stolberg den Höhepunkt seiner früheren geschichtlichen Entwicklung erreicht. Ganz abgesehen von der gesammten Hand an den Königsteinschen und von den Mark-Rochefortschen Graf- und Herrschaften hatte Graf W. und das Haus Stolberg die Grafschaften Stolberg und Wernigerode zu beiden Seiten des Harzes inne. An Wernigerode schloß sich im Süden das Amt Elbingerode an, ebenso im Norden Schauen und Stapelburg. Im Süden des Gebirges kam zu der Grafschaft Stolberg mit allem Zubehör noch das Amt Bärnrode im Anhaltschen und die werthvolle Pfandschaft Allstedt. Die Herrschaft Frohndorf bei Weißensee hatte zwar Graf Botho an die v. Werther verkauft, doch waren Steuer und Salze vorbehalten. Graf W. hatte die kirchliche Visitation 1539/40 im Frohndorfschen [576] dem Herzoge Heinrich von Sachsen gegenüber behauptet, war dann aber auch durch die Schatzungen daselbst in dem Kriege zwischen Moritz und Johann Friedrich von Sachsen in Mitleidenschaft gezogen. Auch die Hennebergischen Erbansprüche, welche dem Hause Stolberg durch Testament von Wolfgang’s Schwager Graf Albrecht v. Henneberg zugewachsen waren, vererbten auf seine Nachkommen. Unerwähnt mag auch nicht bleiben, daß durch das innige Vertrauen von Wolfgang’s Schwester, der Aebtissin Anna, die quedlinburgischen Dinge im engen Anschluß an das Haus Stolberg und Wernigerode geschlichtet wurden. Diese Summe von Besitzungen und Gerechtsamen, die in Graf Wolfgang’s allgemein geachteter und angesehener Person einheitlich zusammengefaßt waren, büßten mit seinem Ableben ihre eigentliche Bindung ein. Auch der Kranz und Bund der Harzgrafen, worin er ohne Zweifel das angesehenste Glied gewesen war, zerging nach seinem Tode bald. Die durch ihn begründete Harzlinie erlosch mitten in der Zeit des großen deutschen Krieges mit seinem Enkel Wolf Georg, Graf Johann’s einzigem Sohne, am 11. September 1631, und es folgte seines Bruders Heinrich jüngerer Sohn Christoph von der Rheinlinie als Stammvater des von da ab sich weit verzweigenden Hauses Stolberg.

Bereits im J. 1537 hat Graf W. sich im Pelz malen lassen, doch scheinen die uns von ihm bekannten Oelbildnisse – Bruststücke – auf gräflich stolbergischen Schlössern – so zu Stolberg und Wernigerode – auf die Zeit nach seiner Vermählung mit Genoveva v. Wied zu weisen, so das zu Wernigerode, wo das Bild seiner Gemahlin als Gegenstück neben dem seinigen hängt. Er erscheint hier als gereifter schöner Mann von gedrungener Gestalt und ernstem Gesichtsausdruck. Die nach der brüderlichen Einigung vom Jahre 1548 gefertigte Schaumünze glaubten und glauben wir dem Bruder Ludwig zuweisen zu müssen (vgl. Harzzeitschrift 12 [1879], S. 612 m. Abb. 1 u. 2 auf der zugehörigen Lichtdrucktafel). Von Vervielfältigungen im Druck ist uns nur eine in beschränkter Zahl abgezogene Beigabe zu unserer Geschichte des Schützenwesens in Veckenstedt bekannt.

A. Zeitfuchs, Stolb. Stadt- und Land-Historie. Frankfurt u. Leipzig 1717, S. 51 f. – E. Jacobs, Die Stolbergische Hochzeit auf Schloß Wernigerode, Harzzeitschr. 7 (1874), S. 1–50; Zur Geschichte des Harzischen Handels, das. 2 (1869), 3, 144–160. – G. Schmidt, Die Grafschaft Stolberg zu Ausgang des Schmalkalder Kriegs, Harzzeitschr. 6 (1873), S. 75–85. – Karl Schöppe, Zur Gesch. der Reformation von Naumburg. Neue Mittheil. des Vereins f. Thür.-Sächs. Gesch. XX (1890), S. 364. – Köster, Beiträge zur Reformationsgesch. Naumburgs bei Brieger-Beß, Zeitschr. f. Kirchengesch. Bd. XXII, S. 145–159, 278–330. – Die vorliegende Darstellung beruht meist auf ungedruckten Quellen der fürstl. Archive zu Stolberg und Wernigerode und einem daraus gesammelten Briefwechsel.