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ADB:Stolte, Ferdinand

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Artikel „Stolte, Ferdinand“ von Franz Brümmer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 411–413, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stolte,_Ferdinand&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 05:11 Uhr UTC)
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Stolte: Ludwig Ferdinand St., Schauspieler, Bühnenleiter und dramatischer Schriftsteller, wurde am 14. Februar 1809 zu Wegeleben in der Provinz Sachsen als der Sohn eines Lehrers geboren, kam mit dem 10. Lebensjahre auf das Gymnasium zu Halberstadt und bezog sechs Jahre später das Karolinum in Braunschweig, um sich auf das Studium der Medicin vorzubereiten. Das lebhafte Interesse, welches ihm das Theater einflößte, ließ ihn indessen der Wissenschaft entsagen und sich der Bühne widmen, die er, kaum 19 Jahre alt, in Magdeburg als Kosinsky in Schiller’s „Räubern“ betrat. Von hier aus begab er sich nach Dresden zu Ludwig Tieck, der ihm und Julie Gley, der später so berühmten Frau Rettich, dramatischen Unterricht ertheilte. So ausgerüstet, betrat er 1834 die Bühne zu Kassel, 1835 die zu Nürnberg. Hier lernte er Sabine Heinefetter kennen, welche sehr bald die große Begabung Stolte’s für das Opernfach erkannte und ihn deshalb dem Altmeister Spohr zur Ausbildung zuführte. Noch in demselben Jahre finden wir ihn in Wien als Mitglied der kaiserlichen Oper, deren Director, Dupont, ihn auf drei Jahre mit steigendem Gehalt engagirte und ihm allen Unterricht zu seiner weiteren Ausbildung in der Musik zusicherte. Von Wien ging St. nach Stettin, wo er bis 1841 blieb, dann an das Stuttgarter und 1842 an das Karlsruher Theater. Aber trotz [412] der Erfolge, die er bisher schon in seinem Berufe errungen hatte, vermochte ihn dieser auf die Dauer doch nicht zu befriedigen: sein übermächtiger Idealismus fand in ihm nicht den Weg, auf dem die höchsten und edelsten Güter der Menschheit erreicht wurden. Nur in stiller Abgeschiedenheit glaubte er dieselben erstreben zu können, und daher geschah das Wunderbare: St. ging in ein an der ungarischen Grenze gelegenes Kloster und wurde Jesuitenzögling. Aber seine Erwartungen wurden auf das grausamste getäuscht; was er hoffte und ersehnte, fand er nicht. Zweifel um Zweifel peinigten ihn mehr denn je; und weder übermäßiges Fasten, noch die gewaltsamsten Bußübungen vermochten ihn zum bloßen Glauben zurückzuführen. Nicht fähig, solch ein Leben länger zu ertragen, entfloh er schon 1844 aus dem Kloster und begab sich nach Lemberg, wo er als Don Juan zuerst wieder die Bretter betrat. Von hier wandte er sich nach Ratibor, wo er sich 1848 mit Pauline Weidemann, der Tochter eines Justizrathes, verheirathete, und siedelte noch in demselben Jahre nach Dresden über. Hier gründete er mit Dr. Paul Kadner eine Wasserheilanstalt, bethätigte sich auch als Dramaturg und bildete seine Frau, die ein Engagement an der Hofbühne gefunden hatte, als Künstlerin aus. Sein lebhafter Verkehr mit Karl Gutzkow war für St. insofern bedeutsam, als er auf Gutzkow’s Ermunterung, seine Kräfte auch auf litterarischem Gebiete zu versuchen, sich an die Abfassung seines großen dramatischen Gedichtes „Faust“ machte. Mitschel, welcher auf Anregung von Heinrich Künzel ein deutsches Theater in London errichtet hatte, zog 1851 das begabte Künstlerpaar – St. als Dramaturg, seine Frau als tragische Liebhaberin – zu sich heran. Im darauf folgenden Jahre finden wir beide in Braunschweig und 1854 in Kassel wieder. Danach trat St. in Berlin als Vorleser seines „Faust“ auf, dessen erster Theil inzwischen beendet war, und die große Anerkennung, welche seine Dichtung fand, veranlaßte ihn, dieselbe auch in andern großen Städten Deutschlands und der Schweiz zum Vortrag zu bringen. Selbst in Paris, wohin er sich 1862 wandte, fanden seine Vorlesungen freundliche Aufnahme. Wieder nach Deutschland zurückgekehrt (1863), wurde er von dem Könige Georg V. von Hannover an dessen Hof berufen, um den „Faust“ vorzulesen; manche Widerwärtigkeiten indessen, die ihm von den Hofleuten wegen der Zuneigung, die der König dem armen Dichter gewährte, bereitet wurden, verleideten ihm den Hof und das Hofleben so sehr, daß er nach einem Aufenthalt von vier Monaten Hannover den Rücken kehrte. Er begab sich nach der Schweiz, wo er 1864 in Basel, 1865 in St. Gallen und 1866 in Zürich als Theaterdirector wirkte. Um seine reformatorischen Bestrebungen inbetreff der Bühne mehr zur Geltung zu bringen, begründete er 1867 in Hamburg eine Theaterschule. Seine zweite Frau, Marie, geb. Stern, die er, nachdem sich der Bund mit seiner ersten Gattin nach neunjähriger Ehe gelöst, 1858 geheirathet hatte, unterstützte ihn bei diesem Unternehmen nach besten Kräften. Auch gab er seit Beginn des Jahres 1868 eine Wochenschrift „Weltbühne und Bühnenwelt“ heraus, die indeß nach einem halben Jahre wieder einging. Das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes gab ihm die Feder in die Hand zur „Frage eines Jesuiten an die protestirenden Bischöfe etc. »Wollt und könnt ihr die ganze christliche Kirche zur Lüge machen?!!!«“ (1870). Eine größere theologische Arbeit, an der er bis zu seinem Tode gearbeitet hatte, „Die Theologie muß umkehren! Die religiöse Frage als die wichtigste aller Zeiten und die brennendste der Gegenwart“ (3 Theile) sollte er nicht mehr im Druck sehen: er starb bereits am 28. November 1874. Die wichtigste litterarische Arbeit Stolte’s bleibt sein „Faust. Dramatisches Gedicht in IV Theilen“ (1858–69). Diese vier Theile erscheinen auch unter besonderen Titeln: I. Guttenberg; II. Richard und Cöleste; III. Ahasveros; IV. Faustina. „Die ganze Dichtung sollte eine [413] Fortsetzung des ersten Theils von Goethe’s Faust sein und will, an den Tod Gretchens anknüpfend, die innere Läuterung und Erhebung des Helden vor Augen führen. Die poetische Form ist freilich sehr ungleich; es finden sich Stellen von großem Fluß und Guß, Dictate des gebornen Talents, hie und da sogar tiefe Gedanken, die man im Goethe’schen Faust vermißt, daneben aber wieder Stellen, die, durch Inversionen, durch matte und triviale Wendungen und durch Härten der Form entstellt, des poetischen Reizes entbehren. Dabei hat der große Umfang der Dichtung auf den Inhalt derselben die abschwächende Wirkung geäußert, daß Stolte’s Muse, froh ihrer schrankenlosen Freiheit, die keinen Bühnenanforderungen Rede zu stehen braucht, sich bisweilen ins Breite ergeht, mit einem Behagen, das jede Wirkung gefährdet“ (Gottschall).

Handschriftliche Mittheilungen. – Gottschall, Die deutsche Nationallitteratur des 19. Jahrh. III, 406. – Lexikon der hamburgischen Schriftsteller VII, 321.