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ADB:Sudermann, Heinrich

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Artikel „Sudermann, Heinrich“ von Hermann Keussen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 121–127, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sudermann,_Heinrich&oldid=- (Version vom 2. Dezember 2024, 07:58 Uhr UTC)
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Sudermann: Heinrich S., Dr. jur., Syndikus der Hansestädte. Er stammte aus einem alten Kölner Patriciergeschlechte, dessen Vorfahren aus Dortmund eingewandert waren. In Köln spielte die Familie im 15. und 16. Jahrhundert eine maßgebende Rolle. Sowol Heinrich’s Vater Hermann, wie sein Bruder Hillebrand bekleideten öfter die Bürgermeisterwürde. H. wurde am 31. August 1520 geboren. Mit 18 Jahren bezog er die Universität seiner Vaterstadt. Seine akademischen Studien schloß er mit der Erwerbung des juristischen Doctorgrades ab. Wie seine spätere Wirksamkeit erkennen läßt, hat er sich in seinen Studienjahren eine gründliche Fachbildung und ein ausgedehntes allgemeines Wissen angeeignet. Zu Anfang der 50er Jahre befand er sich in Köln, noch unschlüssig, in welcher Weise er seine Arbeitskraft bethätigen solle. Damals ließ er sich bereden, den hansischen Dingen seine Aufmerksamkeit zu widmen. Sein Vater war als Rathsherr und Bürgermeister der alten Hansestadt mit ihnen vertraut; oft hatte er Kölns Vertretung auf Hansetagen und auf hansischen Gesandtschaften. Unter seines Vaters Anleitung lebte S. sich in die hansischen Interessen ein. Er erkannte, daß eine Wiederherstellung der politischen Macht des Hansebundes unter den veränderten Zeitumständen nicht mehr möglich sei. Die Förderung der hansischen Handelsinteressen namentlich in England und in den Niederlanden war daher von vornherein der Zielpunkt seiner rastlosen Bemühungen. Es fällt die Geschichte seines Lebens seit dem Jahre 1552 zusammen mit der Geschichte der hansischen Bestrebungen in beiden Ländern.

Vom Jahre 1552–1556 war S. in Kölns Auftrage auf Hansetagen und bei Gesandtschaften thätig. In diesen 4 Jahren hat er nach seiner eigenen Angabe nicht weniger als 2 Jahre und 20 Tage auf Reisen nach Lübeck und England verwandt. Auf dem Hansetage 1556 trat er definitiv als Syndikus in den Dienst der Hansestädte; die Zeitdauer wurde nachträglich zunächst auf 6 Jahre festgesetzt, dann 1562, 1567 und 1572 der Vertrag erneuert, bis 1576 eine völlig neue Bestallung erfolgte, in der er bis zu seinem Tode 1591 verblieb. Seine erste hansische Thätigkeit fiel in eine trübe Zeit für den hansischen Handel. Die Engländer waren längst unwillig wegen des Lakenhandels des Kölnischen Drittels in Antwerpen. Im Februar 1552 erklärte König Eduard VI. einfach den Heimfall der hansischen Privilegien in England. Im März verbot das Londoner Contor seinen Angehörigen allen Handel, in der Hoffnung, durch diesen Gegenschlag seine Unentbehrlichkeit darzuthun; die Hansestädte folgten mit dem gleichen Verbot.

Für den Mai 1553 war ein Hansetag in Lübeck angesagt; unter den Kölner Gesandten befand sich S. Infolge der Beschlüsse dieses Tages reiste er nach Antwerpen und Brügge. Hier traf ihn die Kunde vom Regierungsantritt der Königin Maria. Sofort ging er nach England hinüber zur Ausnutzung der günstigen Lage; sein Vater folgte ihm trotz seines vorgerückten Alters rasch nach. Im November ward die Privilegienbestätigung erreicht. S. blieb noch bis zum Januar 1554 in England. Zu Trinitatis war er wieder auf dem Hansetage [122] in Lübeck als Kölner Gesandter anwesend. Eine weitere Gesandtschaft nach England ward beschlossen, an der S. theilnahm. Aber deren Erfolg war nur von kurzer Dauer; denn im folgenden Jahre setzten die englischen Kaufleute eine große Beschwerung des hansischen Lakenhandels durch. Aufs neue folgten sich Hansetage und Gesandtschaften. Die Lage in England gestaltete sich aber immer ungünstiger. Die Hanse rief sogar die Vermittlung von Maria’s Gemahl, König Philipp’s von Spanien, an. Auch eine Sperrung des englischen Handels wurde bei den westdeutschen Fürsten angeregt und zum Theil erreicht, sodaß die Wirkung in England fühlbar wurde.

Mit neuer Hoffnung sah S. dem bald darauf erfolgenden Regierungswechsel in England zu. Aber selten sind Hoffnungen gründlicher getäuscht worden. Bis an sein Lebensende mußte S. gegen die Repressiv- und Expansivpolitik von Elisabeth’s Regierung ankämpfen, mit immer geringerem Erfolge. Daß S. in diesem Streite unbedingt unterliegen mußte, war nicht zum wenigsten bedingt durch den Eigennutz und die Spaltung seiner Oberen, der Hansestädte. Traurig waren indeß auch die Zustände auf dem Londoner Contor. Nur selbstsüchtige Interessen, nicht die Rücksicht auf die Ehre des hansischen Bundes bestimmten das Verhalten der wenigen Kaufleute; die alte Hausordnung wurde nicht mehr beobachtet. Der Altermann Peter Eifler wurde trotz grober Mißbräuche im Amte belassen. Nachdem erst brieflich mit der Königin verhandelt worden war, ging im April 1560 eine Gesandtschaft, der S. angehörte, an sie ab. Aber eine Einigung wurde nicht erzielt. Von seiner ersten Reise nach England nach Elisabeth’s Regierungsantritt schreibt sich die gegenseitige Abneigung zwischen S. und den Engländern her, an der auch die privatim im Winter 1579 in den Niederlanden angeknüpften Beziehungen zu den Secretären der Königin nichts änderten. So blieb das Verhältniß zu England bis zu Ende 1563 ein gespanntes. Damals schien im englischen Handelsstreit mit den Niederlanden durch den näheren Anschluß an diese der Hansa ein großer Vortheil zu erwachsen. S. begrüßte den Conflict mit Freuden. Er hoffte, eine gemeinsame Sperre der hansischen und niederländischen Häfen gegen die englischen Waaren durchzusetzen, zumal die Verhandlungen zwischen England und den Niederlanden lange ohne jeden Erfolg blieben. Noch im J. 1572 wurde an S. vom Brüsseler Hofe aus geschrieben, nur eine Einigung der Niederländer mit den Hansestädten werde die Engländer zur Vernunft bringen. Auch auf Frankreichs Beihülfe hoffte er. Er war der Anschauung, man müsse den Engländern Ernst zeigen, da sie keinem Heiligen glauben, er thue denn Wunder. Im September 1564 fand ein Hansetag statt, auf dem S. Vollmacht zu Verhandlungen mit den Niederlanden gegen die englischen Bestrebungen erhielt. Damit kam man der niederländischen Regierung entgegen, die ihrerseits durch Androhung eines Bündnisses mit der Hansa den Engländern Vortheile abzuringen suchte. Eine objective Handhabe für das gemeinsame Vorgehen bot die Schädigung der overysselschen, geldrischen und friesischen Hansestädte, welche der niederländischen Regierung unterstanden, und deren Handel daher von dieser direct gegen England vertreten werden konnte.

Jedoch war die Hanse zu sehr auf widerstrebenden Interessen aufgebaut. Die Engländer wandten sich nach dem Grundsatze: Divide et impera nach Norddeutschland, wo sie in Emden oder in der Hansestadt Hamburg einen Stapelplatz zu finden hofften. Das Londoner Contor klagte über Hamburgs Entgegenkommen gegen England. S. warnte Hamburg. Zunächst allerdings nahm Emden die Fremden auf. Bald befürchtete man den Untergang des hansischen Handels in England; der Altermann Eifler verließ das Londoner Contor in Unordnung. Da lenkte der Hansetag 1566 wieder ein. Aber es war zu spät; denn verhängnißvoll wurde das egoistische Vorgehen Hamburgs. Im Juli 1567 [123] bewilligte es den Merchants adventurers eine Niederlassung mit zehnjährigem Handelsprivileg. Seit diesem Zugeständniß war den Engländern nicht mehr beizukommen. Zunächst äußerte sich die Folge von Hamburgs Untreue in den verminderten Einnahmen des Londoner Contors. Aber der Hansetag wagte dem mächtigen Hamburg gegenüber nur die bescheidene Bitte um Aufgabe der Residenz. Eine günstige Wendung schien erst durch das Geldbedürfniß der Königin zu Anfang 1573 einzutreten. Das Londoner Contor empfahl die Gewährung einer Anleihe von 40 000 Pfd. Durch die Ablehnung derselben wurden die Engländer schwer gereizt. Noch mehr, als die Königin drei Jahre später von mehreren Hansestädten nur die Bürgschaft für eine Anleihe verlangte und abermals abschlägig beschieden wurde. Der königliche Secretär ließ dem Londoner Contor gegenüber Drohungen laut werden. Dem Fasse wurde der Boden ausgeschlagen, als Hamburg allen englischen Werbungen zum Trotz die Verlängerung des Vertrags mit den Adventurers abschlug. Nunmehr verbat sich die Königin alle weiteren Verhandlungen über hansische Privilegienbestätigung bis zur Meinungsänderung von Hamburg. Nur 4 Personen waren damals noch auf dem Londoner Contor anwesend. Ihnen erschwerte ein königliches Decret den Handel, indem es von ihnen Caution für Nachzahlung des erhöhten Zollsatzes verlangte, bis ein den englischen Interessen günstiger Hansetagsbeschluß gefaßt würde. Als die Engländer den Weg nach Hamburg verlegt sahen, wandten sie sich überallhin, in die nördlichen Niederlande, nach Emden, nach Dänemark, nach Preußen und knüpften sogar mit Nürnberg Verhandlungen an. In Emden und Elbing hatten sie Erfolg. Das machte Hamburg wieder schwankend. Nun versuchten die Hansestädte aus der Fernhaltung der Adventurers eine Reichssache zu machen. S. reiste zu Anfang 1581 nach Prag. Aber englischerseits wurde dafür gesorgt, daß der schwache Kaiser keine durchgreifenden Schritte that. Nochmals ging eine hansische Gesandtschaft 1585 nach England; S. nahm nicht theil. Wieder ward als Vorbedingung für die Verhandlungen die Forderung der Hamburger Residenz gestellt. Hamburg selbst beobachtete eine zweideutige Haltung. Schließlich gewannen die Engländer wieder in der benachbarten Hansestadt Stade einen Stapelplatz. Nicht mit Unrecht äußerte sich S. angesichts dieser Vorgänge dahin, daß ewige Schande das Ende der Hanse sein werde. Wagte es doch das Londoner Contor 1588 die englische Regierung um Vergünstigungen zu bitten mit Berufung darauf, daß den Adventurers die Residenz in Stade gewährt sei; die Demüthigung war dazu noch erfolglos. Der Uebermuth der Engländer stieg; sie nahmen gar keine Rücksicht mehr auf den schwachen Städtebund. Am 30. Juni 1589 kaperte die englische Flotte 68 hansische Schiffe im Hafen von Lissabon. In demüthigster Form mußte man sich um theilweise Rückgabe bemühen. So sehr hatten sich die englisch-hansischen Dinge im 16. Jahrhundert gewandt, seit das zielbewußte Vorgehen der englischen Kaufleute auf die Zerfahrenheit und den Particularismus der Hansestädte stieß. Das Londoner Contor war ein verlorener Posten, den S. zuletzt im J. 1574 bei einer Visitation besuchte.

Während dem hansischen Handel in England der politische und wirthschaftliche Aufschwung des Landes zum Verderben wurde, wurden die niederländisch-hansischen Beziehungen durch die religiösen und politischen Wirren, zuletzt durch den großen Befreiungskrieg aufs empfindlichste geschädigt. Sudermann’s Thätigkeit in den Niederlanden mußte sich daher hauptsächlich darauf richten, den Schaden, den die traurigen politischen Geschicke der Lande und die Willkür der Herrschenden der hansischen Niederlassung in Antwerpen zufügten, durch beständige Gesandtschaften und Bitten bei den wechselnden Statthaltern bestmöglich zu heilen. Nur ein großes positives Ergebniß hatte seine Wirksamkeit [124] zu verzeichnen: den Bau des neuen Hansehauses in Antwerpen. Seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts war der hansische Handel, den örtlichen Verhältnissen entsprechend, immer mehr von Brügge nach Antwerpen abgelenkt worden. Im J. 1545 hatte das Brügger Contor einen förmlichen Vertrag mit der Stadt Antwerpen abgeschlossen. Da Antwerpen sowol wie das Contor eine dauernde Niederlassung im Auge hatten, so tauchte allmählich der Gedanke an den Bau eines neuen großen Hansehauses auf; festere Gestalt gewann er anscheinend erst im J. 1557. S. betrieb mit Eifer den Plan. Doch dauerte es bis zum Januar 1562, ehe er durchgeführt werden konnte; denn damals erst ertheilte der Geheime Rath eine theilweise Privilegienbestätigung für das in Antwerpen residirende Contor, wogegen Brügge vergebens sein Stapelrecht geltend zu machen versucht hatte. Nach längeren Verhandlungen wurde im October 1563 der endgültige Vertrag mit Antwerpen über den Bau geschlossen: die Hansestädte sollten zum Bau des Hauses, das in ihr Eigenthum überging und mit dem Grund und Boden auf 124 000 Gulden angeschlagen wurde, 60 000 Gulden beisteuern; für den Rest versprach Antwerpen aufzukommen. Es würde zu weit führen, die Schwierigkeiten zu schildern, mit denen das Contor zu kämpfen hatte, um das Geld zum Bau zu beschaffen, und die zu seiner traurigen Verschuldung, infolge der ungünstigen Zeitverhältnisse sogar fast zum Untergange führten. Daneben hatte das Contor andauernd zwei Hauptbeschwerden, die aus der Unbotmäßigkeit der eigenen Angehörigen entsprangen: die mangelhafte Einrichtung des Schosses und den Handel mit außerhansischen Factoren. Die Schoßwirren hatten ihren tieferen Grund in der privilegirten Stellung Kölns, welches für seine Bürger gegen eine jährliche Reversalsumme Schoßfreiheit beanspruchte und dadurch den Neid der anderen Hansegenossen, namentlich der Danziger hervorrief. Schoßweigerungen wurden fast zur Regel, und da der Schoß das einzige Mittel zur Erhaltung des Contors war, war dessen Bestand ernstlich gefährdet. Im J. 1566 entstand infolge dessen ein langjähriger Schoßstreit am Kammergericht zwischen der Hanse und Köln, der den dortigen Einfluß Sudermann’s sehr beeinträchtigte, obwol er ausdrücklich gewünscht hatte, man möge ihn nicht gegen seine Vaterstadt dienen lassen; er hoffte allerdings, daß Köln durch den Schaden des Schoßstreites den Nutzen der Einigkeit empfinden werde. Erst im J. 1584 gab Köln zeitweilig nach, um den völligen Untergang des Contors zu verhüten; der Hansetag pries Kölns Nachgiebigkeit damals als ein von Gott verhängtes Werk.

Die Ordnung der Antwerpener Verhältnisse ließ den ständigen Aufenthalt Sudermann’s in Antwerpen räthlich erscheinen, zumal die erstrebten Zollbefreiungen seine Gegenwart in den Niederlanden erheischten. Aber erst im Sommer 1567 siedelte er nach der Scheldestadt über, wo ihm im alten Hansehause Wohnung eingeräumt worden war. Damals hatten die kirchlichen Wirren schon eine ernstere Wendung genommen. Im August 1566 hatte der Bildersturm in Antwerpen getobt. Das Contor selbst war nicht theilnahmlos geblieben und hatte vom Prinzen von Oranien die Gestattung der Augsburgischen Confession begehrt. S. stand, wie zahlreiche Andeutungen erkennen lassen, der Reformbewegung nicht unsympathisch gegenüber; jedoch scheint der vorsichtige Mann persönlich die mildere Richtung im Katholicismus, die durch Cassander vertreten wurde, bevorzugt zu haben. Frau und Kinder hatte S. mit nach Antwerpen genommen, ließ sie aber auf Drängen seines Vaters Anfangs October wegen der besorglichen Zeiten wieder nach Köln zurückkehren. Allmählich wurde der Hausbau vollendet, obwol Hamburg und Lüneburg ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen waren. Am 16. März 1569 wurde das stattliche Gebäude bezogen und gleichzeitig von der Regierung und der Stadt mit mehrfachen [125] Privilegien ausgestattet. Bereits im Mai mußte S. wegen gefährlicher Erkrankung seines 78jährigen Vaters nach Köln zurückkehren. Erst im Juli 1571 kam er mit Kölner Gesandten wieder nach Antwerpen, wurde aber Anfangs September abermals nach Köln zurückberufen, um den Nachlaß seines inzwischen verstorbenen Vaters zu ordnen.

Die Verhältnisse des Contors waren derweil sehr trübe; die finanzielle Lage hatte sich durch die Aufnahme hoch zu verzinsender Anleihen sehr verschlechtert. Gegen das Gebot der Residenzpflicht auf dem neuen Hause hatten namentlich Kölner und Danziger Kaufleute protestirt. Offener Ungehorsam war aufgetreten. Der Hanseverwandte Matern Schuiff hatte sogar den Contorssecretär Georg v. Laffarden in Brüssel verhaften lassen. Die religiöse Bedrückung traf auch die Fremden. Dazu kamen Versuche der Regierung, gegen die Privilegien die neu eingeführten Abgaben auch vom Contor zu erzwingen. Die traurige politische Lage in den Niederlanden lähmte den hansischen Handel. In diese elenden Verhältnisse fiel die verhängnißvolle Plünderung Antwerpens am 4. November 1576. S. wurde gerufen. Im December war er in Namur beim Gouverneur Don Juan d’Austria; aber er erreichte nur ein „mageres“ Schreiben an Antwerpen. Die Stadt selbst aber suchte ihren Schaden durch neue Abgaben zu ersetzen. S. mühte sich ab, das Unheil abzuwehren. Als er endlich einsah, daß eine Restitution der Plünderungsbeute nicht zu erlangen sei, dachte er an eine Compensation des Schadens durch Steuerbefreiung und Erweiterung der Privilegien. Gleichzeitig trat er mit dem Prinzen von Oranien in Verbindung, um Abstellung der holländischen und seeländischen Zölle zu erreichen; denn namentlich der doppelte seeländische Zoll zu Antwerpen und Vlissingen erwies sich allzu ungünstig für den Handel. In jenen schlimmen Tagen waren nur mehr 3 Personen auf dem Contor, welche die Einkünfte an sich zu reißen suchten. Von ihnen hatte S., der ihrem Treiben entgegentreten mußte, keinen Dank. Aber es schien besser zu werden, als im September 1577 der Prinz von Oranien in die Stadt einzog.

Nunmehr kehrte S. nach Köln zurück. Die häuslichen Verhältnisse fand er arg zerrüttet. Seine Frau war gestorben; 6 Kinder hatte sie ihm hinterlassen. Trotzdem mußte er im nächsten Jahre wieder sich einer hansischen Gesandtschaft nach Antwerpen anschließen, wo große Verwilderung eingerissen war. Der Altermann Hans Pretor hatte sich längere Jahre hindurch ein hohes Jahrgehalt selbst zugeschrieben; portugiesische Güter hatte er als hansische mit dem Siegel des Contors gefreit. Man gab an, er sei dem Contor 20 000 Gulden schuldig geblieben. Der Erfolg der Gesandtschaft war erfreulich; sie erlangte eine 20jährige Befreiung von dem Zoll zu Lobith und in Brabant, sowie die Anerkennung des eigenen Gerichtsstandes des Contors. Auch mit Antwerpen wurde ein Vertrag geschlossen. Hätten die Kölner Gesandten sich nicht wieder in einigen Punkten abgesondert, so hätte man vollauf zufrieden sein können, zumal bald darauf der Hansetag eine 10fache Contribution zur Schuldenbefreiung des Antwerpener Contors beschloß. Aber es waren Privilegien und Beschlüsse, die nur auf dem Papier standen. Dem Beschlusse des Hansetags von 1581, S. solle seine Wohnung in Antwerpen nehmen, setzte er offenen Widerstand entgegen. Die politische Lage war ihm zu ungewiß. Keinen Fuß wollte er ohne Geld versetzen. Die maßgebenden Personen auf dem Contor waren ihm unsympathisch. Der Altermann Daniel Gleser hatte ihn gar wie einen Spitzbuben verhöhnt. Die finanzielle Lage des Contors war sehr betrübend. Zu Ende 1583 ging schon das Gerücht, es sei bankerott. Im August 1586 ließ ein Gläubiger die Mobilien öffentlich zum Verkauf stellen; die Gefahr lag nahe, daß das neue Haus verkauft werden mußte. Gleser wagte es, dem alten S. in heftigen [126] Worten die Schuld an dem Verfall zuzuschreiben, wogegen der Angegriffene sich scharf verwahrte. Aufs neue riefen ihn Eingriffe in die hansischen Privilegien im J. 1589 nach Brabant; hansische Kaufleute waren wegen privater Forderungen an die Stadt Köln von deren Gegner Wilhelm v. Harff gepfändet worden. Trotz aller Bemühungen wurden die privilegienwidrigen Processe nicht niedergeschlagen.

S. stand am Ende seines Lebens, das voll Mühe und Arbeit gewesen war. Alle die langjährigen Anstrengungen, die vielen Reisen, der oftmalige Aufenthalt in Antwerpen, seine Werbungen am Brüsseler Hofe, alles war vergeblich gewesen. Das neue Haus, mit Schulden beladen, von ungetreuen Verwaltern bewohnt, schien nur mehr ein Denkmal der Zerfahrenheit der Hanse zu sein, keineswegs ein Zeichen ihrer Blüthe, zu dem es bestimmt war. Die Ungunst der Zeiten, die Uneinigkeit der Städte, der Ungehorsam der Genossen hatten sich vereint, um des treuen Syndikus rastlose Thätigkeit lahm zu legen. Durch die niederländischen und englischen Dinge war Sudermann’s Arbeitsfeld im Dienste der Hanse hauptsächlich begrenzt. Schon sein Wohnsitz im Westen hinderte ihn, den nordischen und östlichen Angelegenheiten nähere Aufmerksamkeit zu widmen. Nur in den ersten Jahren seiner Amtsführung beschäftigte ihn ein Rechtsgutachten über die dänischen und norwegischen Privilegien. Im allgemeinen betrachtete Lübeck den nördlichen Handel als seine alleinige Angelegenheit. Auch in seinem Kriege mit Schweden stand es auf eigenen Füßen. Die alten Hansestädte im fernen Osten überließ man ihrem traurigen Geschicke, den Zankapfel zwischen Rußland und Schweden abzugeben. Reval’s Nothschrei im J. 1558 stieß namentlich im Kölner Drittel auf völlige Interesselosigkeit. Die polnisch-preußischen Verhältnisse lagen Lübeck mehr am Herzen, zumal seit 1580 die Bemühungen der Adventurers auf eine Residenz in Elbing gerichtet waren. 1582 erhielt S. den Auftrag eine Instruction für eine Gesandtschaft nach Polen abzufassen, an welcher er selbst theilnehmen sollte, um den Abfall des preußischen Quartiers zu verhüten. Damals kam die Schickung nicht zu Stande. Als S. 1585 von Lübeck nochmals ausdrücklich zur Reise nach Polen aufgefordert wurde, lehnte er ab, ehe er sein rückständiges Gehalt empfangen hätte.

In der That war diese Weigerung gerechtfertigt. In äußerst mangelhafter Weise waren die Hansestädte ihren Verpflichtungen gegen den getreuen Diener nachgekommen. Die Correspondenz Sudermann’s während der letzten Jahrzehnte seines arbeitsvollen Lebens ist erfüllt mit bitteren Klagen über seine bedrückte Lage infolge des Undanks der Städte. Betonte auch Lübeck gelegentlich, daß die Unterhaltung des Syndikus eine Ehrenpflicht des Bundes sei, praktischen Erfolg hatten die schönen Worte auf den Hansetagen nicht. S. war ungewiß, ob er unter allerlei Mühsalen einem Herrn mit unzähligen Köpfen weiter dienen solle; er klagte, er werde sich einen anderen Herrn suchen müssen, der ihn unterhalte. Schon als 1576 seine Bestallung zuletzt erneuert worden war, schrieb ihm Moriz Zimmermann, der Altermann des Londoner Contors, er würde ihm die Annahme widerrathen haben. S. sah sich hinterher gezwungen, sein väterliches Erbgut theils zu veräußern, theils schwer zu belasten, um sich und seine zahlreichen Kinder zu ernähren. Volle 14½ Jahre hatte sich der geplagte Mann nur auf Reisen im hansischen Interesse befunden; die Zahl läßt sich aus den eigenen Angaben berechnen, welche er auf dem Hansetage zu Lübeck 1591 vorlegte. Bereits im Vorjahre war er in eine schwere Krankheit verfallen; noch im Februar 1591 quälte ihn ein Magenleiden. Trotzdem machte er sich, ein Greis von 70 Jahren, auf die beschwerliche Reise nach Lübeck, um den Berathungen des wichtigen Tages beizuwohnen und im eigenen Interesse Abrechnung zu fordern. Während der Tagfahrt übermannte ihn die Schwäche. Er [127] starb am 7. September zu Lübeck; seine Leiche wurde nach Köln überführt. Was die Hansestädte bei seinen Lebzeiten nicht gethan hatten, das thaten sie nach seinem Tode. Sie rechneten mit den Erben ab und empfingen dafür den hansischen Nachlaß des verdienten Mannes, seine Correspondenz, seine Sammlungen, Auszüge und Denkschriften über alle wichtigen Fragen, mit welchen er sich in seinem Amte zu beschäftigen hatte. Die Stadt nahm den Nachlaß in Obhut; ihr Archiv bewahrt den Schatz noch heutigen Tages. Lübeck regte die Ausarbeitung eines „Compendium hanseaticum“ aus Sudermann’s Nachlasse an; mangels eines fähigen Bearbeiters scheint es nicht zu Stande gekommen zu sein.

Ennen, Der hansische Syndikus Heinrich Sudermann aus Köln (Hansische Geschichtsblätter, Jahrg. 1876, S. 1–58). – Derselbe, Zur Geschichte d. hansischen Häuser zu Brügge u. Antwerpen (ebd., Jahrg. 1873, S. 71–74. – Lappenberg, Urkundliche Geschichte des hansischen Stahlhofes zu London. Hamburg 1851. – Keussen, Inventar der Hansischen Acten 1531 ff. im Historischen Archiv der Stadt Köln (handschriftlich).