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ADB:Tauber, Kaspar

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Artikel „Tauber, Kaspar“ von Alexander Nicoladoni in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 423–429, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tauber,_Kaspar&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 00:04 Uhr UTC)
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Tauber: Kaspar T., ein Wiener Bürger, hingerichtet am 12. September 1524 als erstes Opfer der Verfolgungen der Lutheraner in Wien. Da die Originalacten des Processes verloren sind, wissen wir über seine persönlichen Verhältnisse sehr wenig; nur daß er ein reicher, angesehener Kaufmann war, verheirathet und Vater mehrerer Kinder. Sein Besitzthum lag in der Dorotheergasse an der Stelle der heutigen protestantischen Kirche und war dem Schottenkloster unterthan. An die Stelle seines persönlichen Vorlebens muß hier eine kurze Ueberschau der allgemeinen Verhältnisse treten, um zu zeigen, wie die von Wittenberg ausgestreute Saat auch in Wien und in den österreichischen Landen auf einen längst vorbereiteten Boden fiel.

Schon früh hatten sich die volksthümlichen Lehren der Waldenser, der Mystiker, der Gottesfreunde und Brüdergemeinden auch in den österreichischen Erbländern in festgegliederten, wenn auch geheimen Conventikeln und Verbänden trotz aller Verfolgung weitverbreiteter Sympathien erfreut. Daß auch die Lehren Wiclef’s und des Huß hier Anhänger gefunden hatten, beweist ein Erlaß des Universitätssenates von 1421, dem zufolge alle Angehörigen der Universität einen Eid zu schwören hatten, daß sie der hussitischen Secte nicht zugethan seien und daß kein Prager Doctor zu Vorlesungen zugelassen werden solle, ehe er nicht positive Beweise seiner Orthodoxie geliefert habe. Dreißig Jahre später traten sectirerische Bestrebungen, insbesondere in den Kreisen der Wiener Geistlichkeit, [424] offen zu Tage, ohne daß es zu einer energischen Abwehr gekommen wäre. So predigte 1441 der Chormeister von St. Stephan öffentlich gegen den Ablaß und die Bettelorden. In den 1480er Jahren griff das Mitglied der Universität, Dr. Johann Kaltenmarkter (s. A. D. B. XV, 45) die Mendikanten auf das heftigste an. 1486 wurde ein Priester der Wiener Diöcese, Georg Prepost von Cilly, wegen des gegen die katholische Moral verstoßenden Inhalts seiner Predigten zum Widerruf verhalten, und 1515 widerhallten sämmtliche Predigtstühle Wiens von Angriffen gegen den Ablaß, den liederlichen Lebenswandel der Geistlichen und die Mißbräuche bei Spendung der göttlichen Gnadenmittel. Alle diese Angriffe, die größtentheils ungeahndet blieben oder mit einem formellen Widerruf endigten, den alle Einsichtigen als eine bloße Comödie ansahen, waren um so geeigneter, das Volk zur offenen Opposition aufzuregen, als die kirchlichen Zustände ihnen in der That nur zu vielen Anhalt boten. Die allgemeine Lage der kirchlichen Zustände in der Diöcese kam hinzu. Fünf Bisthümer: Wien, Wiener Neustadt, Salzburg, Raab und Passau, dazu noch die von der bischöflichen Jurisdiction exemte theologische Facultät theilten sich in die Herrschaft der Gewissen der Diöcese und bekämpften sich dabei unter einander. Die Bisthümer Wien und Wiener Neustadt waren durchaus verweltlicht; Passau war eine Versorgungsanstalt für nachgeborene adelige Sprossen geworden.

Weltliche Anlässe steigerten noch die Opposition in den Massen. Gegen das von Maximilian eingesetzte Regiment, welches sofort nach des Kaisers, am 15. Januar 1519 erfolgtem Tode die Zügel der Regierung ergriffen hatte, erhob sich in Wien eine mächtige Partei, an ihrer Spitze der Bürgermeister, der Rector der Universität und eine nicht geringe Zahl einflußreicher Aristokraten. Ihr offen eingestandenes Ziel war die Ausschließung der Sprößlige des Hauses Habsburg von der Regierung der österreichischen Erblande. Eine gerade jetzt durch mehrere Jahre wüthende Pest, welche Tausende von Einwohnern hinwegraffte, mehrte die Aufregung der Gemüther. Mit Recht sagt Aschbach in seiner Geschichte der Wiener Universität im Reformationszeitalter, daß wir in der Geschichte von Wien keinem Zeitraume begegnen, in dem im Verlaufe von wenigen Jahren so mancherlei unheilvolle und verderbenbringende Ereignisse sich häuften, wie im Decennium nach dem Tode Kaiser Maximilian’s I.

Wie überall, waren es auch in Wien gerade die höheren Stände und die Männer aus den Kreisen der Gelehrten und Priester, welche zuerst ihre Sympathien für den kühnen Wittenberger Reformator und seine Sache offen an den Tag legten. Die niederösterreichischen Regenten, insbesondere der Statthalter Graf Zeg, zählten zu den Anhängern Luther’s. Der Bischof Slatkonia ist zwar der alten Kirche treu geblieben, hat jedoch durch seine Unthätigkeit gegenüber dem Umsichgreifen der lutherischen Ansichten die Sache der Reformation wesentlich gefördert. Die Stände haben sich in beweglichen Eingaben über die in der Kirche herrschenden Mißbräuche wiederholt beschwert und Abhülfe gefordert. Die drei weltlichen Facultäten der Wiener Universität waren die eifrigsten Förderer der lutherischen Sache. Wol hatte die theologische Facultät 1452 von dem Papste die Befugniß erhalten, alle Lehrer und alle Prediger, von was immer für einem Stande, für ungeziemende und heterodoxe Aeußerungen zur Untersuchung und Strafe zu ziehen. Aber allen ihren Bestrebungen, die von dem päpstlichen Legaten Dr. Eck nach Wien gesendete päpstliche Bulle, durch welche die Lehren Luther’s verdammt wurden, zu publiciren, die lutherischen Bücher zu unterdrücken und die Verbreiter ketzerischer Ansichten zu verfolgen, setzten die drei weltlichen Facultäten beharrlichen Widerstand entgegen, in dem sie durch die Passivität des Bischofs, wie durch das directe Eingreifen des Statthalters und des Rectors kräftig unterstützt wurden. Es kam schließlich so weit, daß Niemand [425] mehr das unliebsame Amt eines Decans der theologischen Facultät übernehmen wollte und man sich genöthigt sah, einen Anciennetäts-Turnus einzuführen, ja, daß die Facultät ihr Ketzerrichteramt in die Hände des Bischofs zurücklegte.

Im Spätherbst 1521 kam Paul Speratus als beweibter Priester und Universitätsdocent nach Wien und predigte in der Stephanskirche wider das Cölibat, die Mönchsgelübde und die guten Werke. Der geplanten Untersuchung entzog er sich unter dem Schutz einflußreicher Protectoren durch die Flucht. Ein Jahr darauf vertheidigte ein Mitglied der Universität, Johann Eckenberger, von der Kanzel der Bürgerspitalkirche das wittenbergische Evangelium und auch er entging durch die Hülfe des Statthalters Grafen Dietrichstein den Verfolgungen des Ketzergerichtes. Zu gleicher Zeit predigten Jakob Peregrinus, Pfarrer an dem Bürgerspitale und der Priester der Passauer Diöcese, Johannes Voyßler, die Rechtfertigung allein durch den Glauben, eiferten gegen die Heiligenverehrung, gegen Fasten, Fegfeuer und Mönchsgelübde. Sie kamen mit einem Widerruf davon.

Kaiser Karl V. nahm erst zu Worms eine feste Stellung in der Kirchenfrage ein; aber das Edict von Worms vom 25. Mai 1521, welches Luther und seine Anhänger ächtete u. s. w., fand nirgends Vollstreckung. Der Druck ketzerischer Bücher nahm seinen ungestörten Fortgang. Die gesammte Litteratur, das deutsche und lateinische Drama, die Fastnachtspiele, Predigt und Kirchenlied breiteten die Opposition gegen Rom immer weiter aus. Erst als 1524 angesichts des geplanten Speierer Reichstags der päpstliche Legat Campeggi alle Mittel aufbot, um den Kaiser und seinen Bruder, den Erzherzog Ferdinand, zu energischem Vorgehen anzutreiben, verständigte sich der Letztere mit Baiern über eine Zusammenkunft in Regensburg, an der außer den Genannten und dem päpstlichen Legaten Trient, Regensburg, Bamberg, Augsburg, Speier, Straßburg, Constanz, Basel, Freising, Passau und Brixen theil nahmen. Man beschloß, in den durch die Versammlung vertretenen Landen das Lesen, Drucken und Verbreiten lutherischer Bücher neuerlich energisch zu verbieten, allen Unterthanen den Besuch der Universität Wittenberg zu untersagen u. s. f.

Nun berief Erzherzog Ferdinand’s Rath, Dr. Faber (s. A. D. B. XIV, 435), am 29. Juli 1524 den Rector der Wiener Universität und Abgesandte der Facultäten und beauftragte sie, auf Grund der Regensburger Beschlüsse, durch gewählte Doctores der Universität ein Verzeichniß und eine Widerlegung der lutherischen Häresien für den Erzherzog zu verfassen. Die weltlichen Facultäten wußten sich indessen durch Ausflüchte und Hinhalten dem Auftrag zu entziehen; die theologische verhieß die baldige Ausführung und beglückwünschte den Erzherzog für seinen Eifer. Kurz darauf kam Ferdinand mit dem neuen Bischof von Revellis (Slatkonia war am 26. April 1522 gestorben) selbst nach Wien. Sofort begannen nun die Verfolgungen. Unter dem Vorsitz des Bischofs ward ein geistliches Ketzergericht eingesetzt; zu seinen Mitgliedern wurden ernannt: Dr. Joh. Faber, kaiserl. Rath, Dr. Michael, Ceremonienmeister des päpstlichen Legaten, Max Wolfg. Kranecker, Decan der theol. Facultät, Dr. Joh. Camers, Prior der Minoriten, Valent. Kraler und Valent. Külber, Doctores der Theologie, Joh. Klein, Mitglied des Augustinerordens und Dr. Petrus, erzbischöfl. Kanzler als Beisitzer. – Vor dieses Gericht wurden im August 1524 die schon genannten Jak. Peregrinus und Joh. Voyßler und als dritter Kaspar T. gezogen. Er war dem Magistratsgerichte wegen Verbreitung ketzerischer Ansichten, besonders inbetreff der Abendmahlslehre und wegen Lesens lutherischer Bücher denuncirt. Nach der Sitte der damaligen Zeit hat er seinen geistlichen Angebern gegenüber seine Thesen in einer öffentlichen Disputation vertheidigt und zwar nach Ansicht des Magistrates siegreich. Trotzdem ließ ihn Ferdinand verhaften. [426] Eine Beschwerde des Magistrats bei dem in Nürnberg versammelten Reichstage über solches Verfahren gegen einen unbescholtenen Bürger blieb ohne Erfolg.

Das geistliche Ketzergericht hat nun in erster Linie seine Bemühungen darauf gerichtet, T. zum öffentlichen Widerruf zu bewegen. Eine noch im J. 1524 erschienene Flugschrift (s. u.) berichtet glaubwürdig, während seiner Gefangenschaft haben der Bischof und sein Beichtiger oft heimlich mit ihm verhandelt. Das Urtheil des Ketzergerichtes, welches ihm den Widerruf auferlegte, behauptet, er habe sich dazu bereit erklärt, sogar eine ihm vorgehaltene gedruckte Revocation unterschrieben. Tauber’s Gesinnungsgenossen stellen dies entschieden in Abrede, er selbst jedoch nur mit Einschränkungen, sodaß man wol annehmen muß, er habe von seinen Richtern gedrängt und gepeinigt während seiner Untersuchungshaft einen öffentlichen Widerruf wenigstens einiger der ihm zur Last gelegten Ketzereien in Aussicht gestellt. Es waren aber folgende Irrthümer, deren ihn das Ketzergericht schuldig erkannte: 1) Nach der Consecration sei im Brot und Wein keineswegs der wirkliche Körper und das körperliche Blut Christi enthalten, denn Christus sei vom Vater nur im Geiste ausgegangen; 2) die in der katholischen Kirche geübten Segnungen (benedictiones) und Gebräuche (luminum accensio) seien zu verwerfen; 3) an die Existenz eines Fegfeuers glaube er nicht; 4) er selbst sei nicht weniger Priester als alle diejenigen, welche vom Bischofe geweiht sind; 5) die Ohrenbeichte sei überflüssig; es genüge, wenn ein Bruder dem andern seine Sünde bekennt; 6) von der Fürbitte Mariens und der Heiligen sei nichts zu halten; 7) die Schlüssel der Kirche seien Allen gemeinsam, Mann und Weib hätten daran Theil. Diese Glaubensartikel sind deshalb besonders interessant, weil sie sofort erkennen lassen, daß sie nicht die Frucht gelehrten Studiums, nicht die Lehre eines speculativen Theologen, sondern das Erzeugniß der Reaction eines frommen Laiengemüthes gegen die in der katholischen Kirche herrschenden Mißbräuche, gegen die Formalisirung des Glaubens, gegen die Aufdrängung unverständlicher und unvernünftiger Lehrsätze, gegen die äußere Werkthätigkeit sowie die Ueberhebung des Clerus bei stets zunehmender Sittenlosigkeit sind. Das, was alle Welt damals dachte und fühlte, was Luther zum Reformator, was Deutschland protestantisch gemacht hat, hat der schlichte Wiener Bürger in eine seinem Denken und seiner Auffassung entsprechende Form gebracht. Es ist das Evangelium des deutschen Städters zu Beginn des 16. Jahrhunderts, das Resultat zweier Componenten, der aus dem Mittelalter überkommenen Mystik und der Unzufriedenheit mit den herrschenden kirchlichen Zuständen, dasselbe Evangelium, das um dieselbe Zeit seine weitere vielfach extreme Ausbildung in den Kreisen der Täufergemeinden gefunden hat. Dasselbe Urtheil nun, welches dem Kaspar T. die eben erwähnten 7 Artikel zur Last legt, erkannte zu Recht, daß Kaspar T. von wegen etlicher seiner gottlosen, ketzerischen, verkehrten und irrigen Sentenzen und Opinionen, die er hält in unserem Glauben, zur Verdammniß seiner Seele und zu großem Aergerniß seiner Mitbrüder und weil er wider das Gesetz Gottes, die Wahrheit der Schrift und die Liebe des Nächsten gesündigt hat, mit einer genugsamen Strafe, die ihm zum Heile, den Anderen aber zu einem guten Beispiele gereichen soll, nach geistlicher Auffassung gestraft wird.

„Nachdem er, fährt das Urtheil fort, vor aller Litis contestatione willig und frei und mit keiner Gewalt noch Zwang gedrungen und wie er selbst bekennet aus keiner Furcht der Bewerung seines Gefälls oder Strafe bewegt, solche seine Meinung zu widerrufen und in den Schooß der Kirche und ihrer wahren Nachfolgung wieder zurückzukehren bereit ist und die Mutter der Kirchen vor einem Bekehrten ihren Schooß nicht verschließt etc., so gestatten wir dem Caspar Tauber, seinen Irrthum nach gewohntem Brauch zu widerrufen.“

[427] Er sollte demnach an 3 Sonn- oder Feiertagen nach einander nach der Predigt in St. Stephan auf die Kanzel steigen und seine Irrthümer (folgen die 7 Artikel) widerrufen.

„Nachdem wir erfahren haben, heißt es im Spruche des Ketzergerichtes weiter, daß Tauber lutherische Bücher gehabt und einen eigenen Traktat geschrieben hat, und nachdem dieser Traktat voll ist von unbilligem Bezicht und lästerlichen Scheltworten, auch mit mannichfachen Ketzereien und gefävlten Irsavlen so verschaffen wir sie (die lutherischen Bücher und den Traktat) auf’s Feuer und verurtheilen sie zu ewigem Fluch, Tauber aber soll nach ihm deutsch vorgeschriebenen Zetteln zu Folge des wider die Ketzer jüngst ausgegangenen Rechtes (die Edikte des Kaisers und des Erzherzogs) widerrufen.“ Dieses Recht brachte es mit sich, daß den zum Widerrufe Zugelassenen auch eine Buße auferlegt werden mußte.

An 3 aufeinanderfolgenden Sonntagen sollte er vor der Kirchenthür zu St. Stephan während des Gottesdienstes kläglich gekleidet, mit einem Strick um den Hals, bedeckten Hauptes und barfuß mit einer brennenden Kerze in der Hand stehen. An jedem zunächst vorhergehenden Freitag soll er bei Wasser und Brot fasten und 3 arme Personen speisen. Auch soll er ein ganzes Jahr in einem Kerker (es ist wol nur ein selbst gewählter, abgesonderter Ort gemeint) seine Sünden bereuen. Zeit seines Lebens hat er ein Kreuz an das Oberkleid geheftet zu tragen und die gesammten Proceßkosten zu ersetzen. An die weltliche Obrigkeit sei der Antrag zu leiten, den Schuldigen mit einer Strafe an seinen zeitlichen Gütern zu Gunsten des Türkenfonds zu bedenken, doch ohne Nachtheil seines Lebens und ohne Proscription. Für den Fall als T. den öffentlichen Widerruf verweigern oder rückfällig werden sollte, soll er als ein Ketzer geachtet und gehalten werden.

Die Anstalten zum öffentlichen Widerruf wurden getroffen. In dem die Kirche von St. Stephan umgebenden Friedhofe wurden der mehrerwähnten Flugschrift zufolge zwei Tribünen aufgeschlagen; die eine bestieg T., die zweite der Chormeister von St. Stephan. Dieser forderte T. auf, eine gedruckt vorliegende und mit seiner (Tauber’s) Unterschrift versehene Widerrufsformel nachzusprechen. Nun aber geschah das Unerwartete: T. verweigerte den Widerruf. Er wolle, sagte er u. A., vor unparteiischen und unverdächtigen Richtern seine Sache vertheidigen, nicht aber vor solchen, die Ankläger, Verhörer und Richter in einer Person seien; er appellire an das römische Reich. Werde er durch die Schrift überwunden, so wolle er leiden, was ihm das Recht auferlege.

Auf die Erwiderung des Chormeisters, daß er die Revocations-Urkunde doch selbst unterschrieben habe, soll T. geantwortet haben: „Es wird sich erfinden und man wird es noch wol sehen, wie ich mich unterschrieben habe. Den 6. Artikel habe ich überhaupt niemals gelehrt, denn kein Mensch hat jemals gehört, daß ich von der Mutter Gottes nichts gehalten habe, auch lutherische Bücher sind bei mir niemals gefunden worden.“ Als alles Zureden umsonst war, erzählt die Flugschrift weiter, wurde T. ins Gefängniß, den Kärtnerthurm, zurückgebracht. Am 10. September fand sodann die letzte Verhandlung vor dem Ketzergerichte statt. In Gegenwart des Bürgermeisters, des Stadtrichters und der meisten Räthe der Stadt Wien, auch etlicher Doctores wurde auf Antrag des Procurators Kaufmann zu Recht erkannt: „Weil Caspar Tauber den Widerruf vor aller Welt zugesagt und mit eigener Hand unterschrieben, er aber auf seinen Ketzereien bestanden und nicht widerrufen hat, wird er als ein öffentlich verdammter Ketzer und als ein der heiligen Schrift Ungehorsamer erkannt und der weltlichen Obrigkeit zur Justificirung übergeben.“ Diese hat sohin über ihn die durch das Gesetz auf das Verbrechen der Ketzerei gesetzte Strafe [428] der Hinrichtung durch das Schwert und Verbrennung des Leichnams verhängt. Sie wurde am 12. September 1524 auf der allgemeinen Richtstätte vor dem Stubenthor am Gries (dem heutigen Erdberg) vollzogen. Heimlich führten sie ihn des Morgens früh 6 Uhr hinaus. T. bestieg freudigen Muthes den Wagen. Er bat den Henker, ihm die Hände frei zu machen, damit er beten könne, was ihm verweigert wurde. Er beschwor sodann die Umstehenden, sie möchten seiner Peiniger nicht gehässig sein, denn so, wie es geschehen, habe es Gott gewollt.

Aufgefordert zu beichten erklärte er: „Ich habe bereits meinem Gott gebeichtet und habe meine Seele versorget und wenn ich 80 000 Seelen hätte, sie wären durch meinen Glauben versorgt!“ Dann dankte er Gott, daß er ihn erwählt habe, um des Glaubens willen zu sterben, machte mit dem Fuß ein Kreuz, kniete nieder, riß sich selbst das Hemd auf, um den Hals frei zu machen, empfahl seine Seele Gott und bot sein Haupt dem Henker dar. Haupt und Rumpf wurden auf einem bereit stehenden Scheiterhaufen verbrannt. Kaum 100 Menschen sind Zeugen gewesen.

Es ist allerdings aus der Quelle nicht zu ersehen, ob diese dramatische Schilderung der Hinrichtung Tauber’s von einem Urzeugen oder nur nach den in der Stadt umlaufenden Gerüchten verfaßt ist. Eine zweite Flugschrift ohne Druckort und Jahr (s. u.) sicher bald nach 1524 erschienen und auch aus lutherischen Quellen schöpfend, erzählt, T. habe, nachdem ihm das Urtheil des Ketzergerichtes verkündet worden war, im Gefängniß einen Selbstmordversuch gemacht, indem er sich in einem Anfall menschlicher Blödigkeit und Anfechtung drei Stiche in die Brust versetzt habe. Die erstere der von uns benutzten Quellen bezeichnet diesen Selbstmordversuch als von seinen Feinden erdichtet. Auch eine bald nach 1524 erschienene dritte Broschüre eines gewissen Leopold Gutmann (s. u.) bekämpft mit keineswegs überzeugenden Gründen die Erzählung von solchem Selbstmordversuch. Von der katholischen Seite wurde er als Motiv zur Verkleinerung des evangelischen Märtyrers benützt.

Wer möchte es heute nicht begreiflich und glaubhaft finden, daß der Gedanke, dem Leben gewaltsam ein Ende zu machen, dem wol aufsteigen mochte, den Noth und Verzweiflung, der Kampf zwischen seiner Ueberzeugung und der Rücksicht auf Ehre, Vermögen und Familie, dann aber auch die Aussicht auf schwere Gefangenschaft und die Qualen der Folter um sein klares Denken gebracht haben.

Tauber’s Hinrichtung hat weit über die Grenzen Wiens hinaus gewaltige Erregung hervorgerufen. Dreier Flugschriften, welche bald nach seinem Tode erschienen sind, haben wir bereits Erwähnung gethan. Auch ein Lied aus dem J. 1525 (s. u.) besingt den evangelischen Märtyrer. Es folgt in der Schilderung des Processes und der Hinrichtung im wesentlichen der Erzählung der Flugschriften. – Als eine im J. 1525 ausgebrochene Feuersbrunst den größten Theil der Dorotheergasse eingeäschert, die Tauber’sche Behausung aber verschont hatte, sah das evangelische Volk hierin den Finger Gottes.

Luther selbst zählte T. zu den vornehmsten Blutzeugen des reinen Evangeliums. Die Wiedertäufer reclamiren ihn in ihren Geschichtsbüchern zwar nicht als den ihrigen, sie rühmen aber seinen standhaften, christlichen Glaubensmuth, während man sich von katholischer Seite bemühte, ihn zum Wiedertäufer zu stempeln. Sicher mit Unrecht, denn die oben angeführten Punkte der Anklage wider ihn lassen den Zusammenhang mit den von Wittenberg ausgehenden Ideen deutlich erkennen. Was aber den Erfolg der gegen T. geübten Justiz betrifft, so hat die grausame Maßregelung eines schlichten Bürgers, dem nur der nöthige Einfluß fehlte, um seinen Glauben gegen alle behördlichen Anfechtungen sicher [429] zu stellen, nicht Schrecken und nicht Umkehr, sondern nur Erbitternng und Wuth erzeugt und aus dem Scheiterhaufen Tauber’s holten sich die Anhänger des „reinen Evangeliums“ nur neue Begeisterung.

Eyn wahrhafftig geschicht wie Caspar Tauber, Bürger zu Wien in Oesterreich, für ein Ketzer und zum Todt verurthaylt und ausgeführt worden ist. Wien 1524. – Sententiae lata contra Casparum Tauberum civem Viennensem olim Lutheranae sectae imitatorem. Widerruf etlicher verdambter yrtung mit Urtail u. rechtaufgelegt u. erkannt zu Wien, in Oesterreych (o. O. u. J.). – Ein erbermlich Geschicht so an dem frommen christlichen man Tauber von Wien in Osterreich geschehen ist. Auff den dag der geburt Mariae Anno 1524 umb des Evangelium willen von der geystlichkeyt verdampt u. verurteylt (o. O. u. J.). – Verantwortung Caspar Tauber’s der zu Wien verprant ist worden. Und ein kurzer unterricht wer Gottes Wort verfolgt. Leopold Gutmann (o. O. u. J.). – Ain christlich lied des bewainlichen todes Caspar Taubers genannt, Burgers zu Wien. Brúder Veitenthon 1525. – Dr. Martin Lutheri Epistolae. Eisleben 1565, vol. 2. – Rabus I, historien der märtyrer, 2. Thl. 1572. – Conspectus historiae Universitatis Viennensis. Wien 1722. – B. Raupach, Evang. Oesterreich. Hamb. 1741, Bd. I u. Ergänz.-Bd. – P. J. Lambacher, Bibliotheca antiqua Vindobonensis. Viennae 1750, I. Thl. – P. X. Schür, Die Bischöfe u. Erzbischöfe v. Wien. Gratz 1777. – Michael Denis, Wiens Buchdruckergesch. bis MDLX. Wien 1782. – G. E. Waldau, Gesch. d. Protestanten in Oesterreich. Anspach 1784, I. Bd. – Joh. Frhr. v. Hormayr, Wiens Gesch. u. seine Denkwürdigkeiten. Wien 1823, IV. Bd. – Rudolf Kink, Gesch. d. kaiserl. Universität zu Wien. Wien 1854. – Dr. Th. Wiedemann, Beiträge z. Gesch. d. Bisthums Wr. Neustadt in Oesterreich. Vierteljahrsschr. f. kathol. Theol. III. Jahrg. 1864. – Dr. Birk, Verzeichniß alter Häuser i. d. inneren Stadt Wien u. ihrer Besitzer in d. Jahren 1522-1587 in Berichten u. Mittheil. d. Alterthumsvereines zu Wien. Bd. III, 1869. – Th. Wiedemann, Gesch. der Reformation u. Gegenreformation im Lande u. d. Enns. Prag 1879, Bd. I. – Carl Weiß, Gesch. d. Stadt Wien. Wien 1872. - Dr. Joseph Beck, Die Geschichtsbücher d. Wiedertäufer in Oest.-Ung n. fontes rer. aust. XLIII. Bd., Wien 1883. – Dr. Carl Ritter v. Otto, Tauberiana i. Jahrbuch d. Gesch. d. Protestantismus in Oesterreich. 4. Jahrg. 1883 u. 7. Jahrg. 1886. – Jos. Ritter v. Aschbach, Die Wiener Universität u. ihre Gelehrten 1520–1565. Wien 1888. – Dr. F. S., Caspar Tauber, im Wiener Communalkalender u. städt. Jahrb. 1891. Wien 1891.