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ADB:Tscharner, Niklaus Emanuel von

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Artikel „Tscharner, Niklaus Emanuel von“ von Otto Hunziker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 702–704, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tscharner,_Niklaus_Emanuel_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 09:36 Uhr UTC)
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Tscharner: Niklaus Emanuel v. T., aus einer von Graubünden her in Bern eingewanderten und dort regimentsfähig gewordenen Familie stammend, ist 1727 in Bern geboren. Von einem Hauslehrer, dem nachmaligen Prof. Stapfer, welchem er denn auch Zeit seines Lebens treu befreundet blieb, trefflich erzogen, vollendete er seine Ausbildung durch Reisen im Inland, und seit 1750 im Ausland gemeinschaftlich mit seinem jüngeren Bruder Vinzenz Bernhard T. (geb. 1728, s. u., Verfasser einer französ. Uebersetzung der Gedichte Haller’s und einer Geschichte der Eidgenossen [3 Bde. Zürich 1756–1758], Landvogt zu Aubonne 1769, † 1778) und trat dann wiederum mit diesem Bruder zusammen 1764 in den bernischen großen Rath ein, im nämlichen Jahr auch in die Helvetische Gesellschaft, der sein Bruder als Mitstifter angehörte; 1767 ward er Obervogt der Herrschaft Schenkenberg (am linken Aarufer von Aarau abwärts). Hier kam er auch in Beziehungen mit Pestalozzi auf dem Neuhof; und schon die Zeitgenossen, glaubten mit Sicherheit in dem Junker in „Lienhard und Gertrud“ den benachbarten Obervogt auf Schloß Wildenstein („Arner“ – Tscharner) gezeichnet zu finden. In der That waltete T. 1767–1773 als ein Vater seiner Unterthanen, denen er in jenen Hungerjahren seine Kornspeicher öffnete und aus Privatmitteln über die schwere Zeit hinweghalf. Seine „physisch-ökonomische Beschreibung des Amtes Schenkenberg“, die er 1771 in den Verhandlungen der bernischen ökonomischen Gesellschaft (s. Tschiffeli) herausgab, verräth nach competentem Urtheil (Fetscherin) „eine solche Kenntniß dieser Gegend in allen ihren Verhältnissen, daß es wirklich fast unbegreiflich ist, wie eine so eindringende Forschung nach kaum vierthalb Jahren seiner Amtsverwaltung möglich war“. Der Einsicht folgte auch die praktische That; wol auf seine Empfehlung hin gestattete die Regierung den sämmtlichen Gemeinden der Vogtei, ihre Güter einschlagen und die Gemeindetrift und zwar um den zehnten Pfennig des Bodenwerthes aufheben zu dürfen, und dieser, die Auslösungssumme, wurde ihnen sodann zu Handen ihrer Armengüter geschenkt. Auch den Schulen wandte er seine Aufmerksamkeit zu; unter Tscharner’s Schriften nennt Holzhalb eine 1772 erschienene „Anleitung für Landschulmeister“. Sein Walten als Landvogt schildert der älteste Nekrolog (von Stapfer) folgendermaßen: „die schlechte Beschaffenheit des Landes in ökonomischer und moralischer Hinsicht und die daraus entstehende Armuth seiner Bewohner waren so auffallend, daß sie auch ein minder tief blickender Beobachter als er bald entdeckt hätte. Aber nicht ein [703] Jeder hätte mit dem richtigen Scharfblick auch die Quellen des Elendes entdeckt und mit der unermüdlichen Thätigkeit und ausharrenden Geduld sie zu verstopfen gesucht und wirklich verstopft wie er. Keine Schwierigkeiten, weder Betrügereien von Unterbeamten, noch Eigennutz von Schreibern, noch Gewinnsucht von elenden Advocaten, noch Starrsinn und Unwissenheit von Bauern, selbst nicht schwerer zu besiegende Hindernisse konnten ihn ermüden, an der Ausführung des menschenfreundlichen Plans unablässig zu arbeiten, den er sich zur Beglückung des Volks, das seiner Vatersorge anvertraut war, entworfen hatte. Kein Mittel blieb unversucht; aber Belehrung durch Unterricht und Beispiel, öftere Besuche in den Häusern, traulicher Umgang des Menschen mit Menschen, Zurechtweisung der Fehlenden mit Sanftmuth, Ueberzeugung der Irrenden durch Vernunft, Geldvorschüsse den nicht ganz Armen, und diesen freie Geschenke, wurden mehr gebraucht als Gefangenschaft, Schläge und Geldstrafen. Bei solchen Mitteln genoß er dann oft das Seelenvergnügen, seinen Endzweck, glückliche Menschen zu machen, erreicht zu haben. Ja, er hat während seiner wohlthätigen Amtsverwaltung manches von dem gethan und realisirt, was die Welt einige Jahre nachher in dem herrlichen „Lienhard und Gertrud“ an dem edeln Arner bewunderte, aber weil sie zu verdorben ist, für Roman hielt.“

Nach dem Ablauf seiner Amtszeit kehrte T. auf sein Landgut in Kehrsatz (zwischen Bern und Belp) zurück und lebte daselbst eine Reihe von Jahren seiner Familie, der Landwirthschaft und der Pflege der humanen Ideen in Briefwechsel und Schriftstellerei (Beiträge in Iselin’s Ephemeriden, Schweizerisches Museum, Verhandlungen der ökonomischen Gesellschaft, Bürkli’s Blumenlese). Als Präsident der Helvetischen Gesellschaft 1774 benutzte er die Gelegenheit, in seiner Eröffnungsrede über „die Bildung der patriotischen Jugend durch eine tüchtige Auferziehung“ zu sprechen, und zwei Jahre später veröffentlichte er in den Ephemeriden 17 „Briefe über Armenanstalten auf dem Lande“, die schon vom 2. Briefe an sich mit der Armenerziehung befassen; die Darstellung der Vision einer Armenerziehungsanstalt und diejenige einer Schule, wie sie nach der Idee Tscharner’s sein sollten, (letztere im 16. und 17. Brief) sind noch heute lesenswerth. An Tscharner’s Briefe anknüpfend setzte dann Pestalozzi in der nämlichen Zeitschrift 1777 in den (drei) „Briefen über die Erziehung der armen Landjugend“ die Idee seiner Erziehungsanstalt auf dem Neuhof auseinander.

T. war einer der Mitbegründer und langjähriger Präsident der ökonomischen Gesellschaft zu Bern, die sich um die theoretische und praktische Hebung der Landwirthschaft große Verdienste erworben hat; er ist der Stifter der zweitältesten Volkssparcasse in Europa, der bernischen Dienstenzinscasse (1786); segensreich wirkte er im bernischen Schulrathe, in der Korn- und Salzverwaltung, als Staatsmann bei der Genfer Vermittlung 1781; als Mitglied des Großen und seit 1789 des Kleinen Rathes, in welcher Stellung er namentlich die Wiedereröffnung des bernischen Bürgerrechtes betrieb, das die Engherzigkeit seiner Zeit ein für allemal als abgeschlossen erklärt hatte. In rascher Folge stieg er 1793 zum zweiten Amt des alten Bern empor, indem ihm die Stelle des Deutschsekelmeisters anvertraut wurde. Aber seine unausgesetzte Thätigkeit hatte die Kräfte seines Körpers untergraben; im Frühjahr 1794 zog er sich, sein nahes Ende fühlend, auf seinen Landsitz in Kehrsatz zurück, wo er am 5. Mai 1794 allgemein betrauert starb.

J. J. Stapfer’s Nekrolog auf Tscharner in den Verhandlungen der helvet. Gesellschaft 1794. – Holzhalb, Supplement zu Leu’s schweiz. Lexikon, Bd. VI. (Zürich 1795) S. 112–113. – Lutz, Nekrolog denkwürd. Schweiz (Aarau 1812) S. 533–534. – Biographie Tscharner’s im Berner Taschenbuch [704] 1852 (von R. Fetscherin). – Hunziker, Geschichte der schweiz. Volksschule (Zürich 1881 ff.) Bd. I S. 195–200.