ADB:Viglius von Aytta von Zuychem
Albrecht und Georg und später des Kaisers Karl V. gewesen war, und seinem schon angesehenen Geschlecht zu Ehren und Reichthum verhalf. Der Onkel war es auch, der Viglius’ Erziehung leitete und den frühreifen Knaben, der die ihm zugewandte Sorge durch Fleiß und Anstelligkeit reichlich lohnte, nachdem er die niederen geistlichen Weihen erhalten hatte, auf die Löwener Universität schickte. Doch war es nicht die Theologie, sondern die Jurisprudenz, welche den jungen Student anzog und ihn für immer fesselte, auch nachdem er die Löwener Hochschule mit der zu Dôle in Burgund vertauschte.
Viglius (friesisch Wigle oder Wiger) von Aytta von Zuychem (oder Zuichem), niederländischer Staatsmann und Jurist, wurde am 19. October 1507 auf Barra-haus, einem Landgut zu Wirdum, unweit Zuychem in Friesland geboren. Sein Vater, Folkert, war ein Bruder des berühmten Gelehrten Bucho v. Aytta, der nacheinander Rath der sächsischen HerzögeDort bildete er sich zu einem der ersten Juristen seiner Zeit aus, der sich schon einer gewissen Bekanntheit erfreute, als er, nachdem er 1529 in Valence den Doctorhut erhalten hatte, nach Bourges zog, um die Vorlesungen des berühmten Alciatus über römisches Recht zu hören. Denn als der Lehrer bald nachher nach Italien abging, wurde ihm gleich seine Stelle angeboten und ein paar Semester lehrte V. dort die Institutionen. Nach der Art der Zeit war seines Bleibens nicht lange und er verließ 1531 seine Professur um, einem Ruf Anton Fugger’s folgend, nach Deutschland zu gehen. Hier besuchte er mehrere Universitäten, studirend, lehrend und disputirend, und knüpfte überall Verbindungen an mit den Gelehrten. Die Empfehlungen Erasmus’, eines Freundes seines jetzt verstorbenen Onkels, und die Protection Fugger’s brauchte er kaum mehr, war er ja schon mit 25 Jahren ein berühmter Mann, der in der Mitte des geistigen Lebens seiner Zeit lebte und dem guten Namen der niederländischen und namentlich der friesischen Gelehrsamkeit alle Ehre machte. Dann ging es 1532 Italien zu, wo er in Padua unter großem Zulauf seine Vorlesungen über [700] die Institutionen hielt, welche er nachher in seinen bekannten Commentarii in decem Institutionum titulos umgearbeitet herausgab. Schon damals trat er in Beziehungen zum Kaiser Karl, der ihm die Ausbildung seines Sohnes, des späteren Königs Philipp, anvertrauen wollte. Doch schlug er dieses Amt, wie viel andere, die ihm angetragen wurden, aus, um sich der Lehrthätigkeit und der Herausgabe seiner Institutionen zu widmen, und erst, als ihn das Verlangen nach der Heimath ergriff, ließ er sich vom Bischof von Münster überreden, die Stelle seines Officials anzunehmen. Dort aber waren eben die Unruhen der Wiedertäufer ausgebrochen und erschwerten die Ausübung seines Amts derart, daß er es 1535 gerne mit einer Assessorstelle am Reichskammergericht vertauschte. Allein schon nach zwei Jahren erging an ihn ein Ruf nach Ingolstadt, der mächtig aufblühenden bairischen Universität, dem Hort des Katholicismus in Süddeutschland. Hier blieb er fünf Jahre, fortwährend von aller Art Anträgen von den verschiedensten Seiten bestürmt, denn jeder Fürst wollte den berühmten Juristen für seinen Rath oder seine Universität gewinnen. Allein er fand sich in Ingolstadt, wo ihm die Ehre des Rectorats widerfuhr und er von Jedermann fast übertrieben verehrt wurde, zu wohl, um sich von dort ablocken zu lassen, bis er zuletzt dem Drängen seines Kaisers und Landesherrn und der Regentin der Niederlande, der Freundin Erasmus’, Maria von Ungarn, nachgab und 1542 die Stelle eines Mitglieds des Geheimen Raths in Brüssel annahm. Kaum war er im Amt, als er beauftragt wurde, die Uebertragung Gelderns an Kaiser Karl juristisch zu begründen und die Verhandlungen darüber mit den Geldernschen Ständen und dem jülichschen Herzog mit abzuschließen. Zum Lohn seiner Dienste erhielt er die Stelle eines Mitglieds des obersten niederländischen Gerichtshofs, des Großen Raths in Mecheln, während er als Honorarrath seinen Sitz im geheimen Rath behielt. Hier in Mecheln wohnte er sieben Jahre und ließ er sich häuslich nieder, denn durch Vermittlung Granvella’s erhielt er die Hand einer reichen Dame, Jacqueline Damant. Seine geistliche Weihe war dabei kein Hinderniß; die Ehe war kinderlos und wurde 1552 durch den Tod der Gattin gelöst. Viel wird V. sich derselben nicht haben widmen können, denn eben jetzt wurde er fortwährend vom Kaiser in Gesandtschaften und Aufträgen aller Art gebraucht und hatte er demselben namentlich in den Schmalkaldischen Krieg zu folgen, über welchen er ein Tagebuch aufsetzte, das 1877 von August v. Druffel herausgegeben, unter den wichtigsten Quellen jener Zeit seine Platz erhalten hat, da es mitten im Lager geschrieben, Tag für Tag die Ereignisse aufzeichnet und nachher nicht umgearbeitet ist. Ueberhaupt liebte V. es, die wichtigen Begebenheiten, quarum pars magna fuit, und namentlich die Schicksale seines eigenen wechsel- und ereignißvollen Lebens zu notiren, und wenn er es auch nicht weiter als zu einer autobiographischen Skizze, die nicht einmal bis zu seinen letzten Jahren reicht, gebracht hat, er ging immer mit Entwürfen um, eine Geschichte des eigenen Lebens zu schreiben. Schon so fragmentarisch wie sie sind, sind diese autobiographischen Skizzen, ergänzt durch von Gouda verfaßte Lebensgeschichte, welche auch die späteren Jahre umfaßt, mit seinen Briefen an Joachim Hopper, welche zusammen von Hoynack v. Papendrecht in seinem bekannten Werke Analecta Belgica herausgegeben sind, die sicherste Quelle über ihn, wenn auch dort seine Verdienste etwas breit bemessen sind, ohne jedoch je in den Ton einer Panegyrie zu verfallen. Es ist nicht möglich, hier alle die Geschäfte aufzuzählen, welche V. in den Jahren 1542 bis 1549 im Dienste seines Herrn versah. Er war so zu sagen dessen juristischer Vorkämpfer, der juristische Vertreter seiner Interessen, namentlich als Landesherr. So ist ihm namentlich die definitive Regulirung des Verhältnisses der Niederlande zum Reich und ebenso die pragmatische Sanction zu verdanken, welche 1548 zuerst [701] die Einheit des niederländischen Staats vertrat. Als er 1549 Vorsitzender des Geheimen Raths geworden war, der als oberste Justizbehörde wirksam war, wogegen der Große Rath als Gerichtshof höchster Instanz wirkte, widmete er sich auch der inneren Verwaltung der Niederlande, wobei er nach Kräften eine Milderung der Religionsedicte verfocht. Denn wenn auch ein treuer Katholik, dem die Ketzerei, wie jede Auflehnung gegen die Regierung von Herzen zuwider war, konnte er doch die Härte der Edicte nicht gutheißen, die ihm selbst einigermaßen gefährlich erschien, namentlich bei einem Volke, das so starr an seinen Privilegien hing, wie die Niederländer. Denn wie streng monarchal er wie alle damaligen Juristen auch war, ein Vorkämpfer des Absolutismus wie z. B. Granvella ist er nie gewesen. Er blieb immer ein Humanist, der sich in den harten Kämpfen der Zeit nicht wohl fühlte. Er liebte die Ruhe und war immer auf Mehrung seines unaufhörlich anschwellenden Vermögens bedacht. Denn Aemter und Würden wurden ihm in Hülle und Fülle aufgetragen, namentlich auch jene einträglichen Sinecuren, wie sie die reichen geistlichen Stifter so viele boten. Und freilich, in jenem arbeitsvollen Leben fühlte er sich bald altern, und als sein kaiserlicher Gönner die Herrschaft niederlegte, wollte er, wenn auch erst 48 Jahre, dessen Beispiel folgen. Doch weder Karl noch sein Sohn wollten dieses erlauben und er konnte der Lockung nicht widerstehen, mit welcher Letzterer ihn köderte. Freilich war dies eine der einträglichsten Pfründen der Niederlande, die Stelle eines Coadjutors des Abtes von Sanct Bavo in Gent, mit der Anwartschaft der Nachfolge. Ja ihm zu Gefallen wurde die Abtei in eine Propstei umgeändert, damit er sein Amt in Vertretung führen lassen konnte. Zugleich wurde er Mitglied des Staatsraths und nachher Kanzler des Vließordens, um anderer, weniger wichtiger Aemter nicht zu gedenken; denn Monsieur de Saint Bavon, wie V. von jetzt an meistens genannt wurde, war einer der ärgsten Pluralisten der Zeit, der auch keineswegs für die Satzungen des Tridentiner Concils schwärmte.
Doch war mit Karl’s Abdankung das Glück seines Lebens vorbei; wie schon gesagt, er paßte nicht mehr in die harte Zeit, welche jetzt herannahte. Das verspürte er erst recht, als 1560 der König Philipp nach Spanien abreiste und seiner Halbschwester Margarethe von Parma die Verwaltung der Niederlande auftrug. Freilich gehörte V. neben dem Grafen Barlaymont, dem Haupte des Finanzraths, zu jener verrufenen Consulta, die unter Granvella’s Führung die eigentliche Geschäftsleitung besorgte, oder besser gesagt, die eigentliche Regierung bildete. Doch so gut königlich er auch gesinnt war, das rechte Herz für Philipp’s und Granvella’s Politik konnte er nicht fassen und mit der neuen Gouvernante stand er nicht auf so intimem Fuß wie mit ihrer, wie er selber, humanistisch gebildeten Vorgängerin. Als sich unter Oranien’s Führung die Opposition erhob, wurde ihm bange, und er rieth immer zu Nachgiebigkeit. Selbst Granvella’s Abtretung schien ihm erwünscht, wenn er auch wußte, wie steuerlos die Regierung dann den Gegnern gegenüber stehen würde. Freilich war er der neuen kirchlichen Organisation und der Einführung der Trienter Decrete sehr zuwider, nicht am wenigsten weil er schon jetzt einen Theil der Einkünfte seiner Propstei dem neuen Genter Bisthum abtreten mußte. Doch waren es wol nicht allein solche egoistischen Motive, die ihn bestimmten, den König zu bitten, ihn seines Amtes zu entheben. Denn überhaupt waren ihm fast ebenso sehr dessen absolutistische Grundsätze, oder besser gesagt, die Art und Weise, wie der König dieselben durchführen wollte, zuwider, wie der jetzt bald ein religiöses Gepräge annehmende Widerstand der Niederländer. Er war ein Conservativer, und die beiden sich bekämpfenden Mächte, die Regierung und die Opposition, verfuhren beide revolutionär. Nach langem Warten erhielt er die Erlaubniß, seine Präsidentenwürde [702] an Tisnacq abzutreten, doch behielt er seinen Sitz im Staatsrath, und die Wirren der Zeit gestatteten ihm nicht, die Regentin zu verlassen, die den Rath des erfahrenen Dieners ihres Vaters nicht vermissen konnte. So blieb er dem Haß und Spott der sich immer mehrenden revolutionären Elemente der Nation ausgesetzt, ohne daß er hoffen durfte, das einzig mögliche Mittel, das er kannte, den Sturm zu beschwören, das persönliche Erscheinen des Königs, zu erwarten. Es würde zu weit führen, hier Viglius’ Verhalten bei dem Compromiß des Adels und allen sonstigen Begebenheiten der niederländischen Revolution zu betrachten; in seinen Briefen an Hopper, seinen Freund und Gesinnungsgenossen, der Staatssecretär für die niederländischen Angelegenheiten in Madrid war, hat er es ausführlich dargethan.
Endlich kam die Entscheidung, die Regierung siegte, und dann kam der Herzog von Alba mit seiner spanischen Armee ins Land. V. sah seinem Kommen mit Sorge entgegen, denn er versprach sich nichts Gutes von seiner gewaltsamen Art. Allein seine schlimmsten Erwartungen wurden übertroffen, die Errichtung des Rathes der Unruhen empörte und verletzte den Mann der strengen juristischen Begriffe und Formen und als 1570 der Zehnte Pfennig eingeführt werden sollte, ermannte er sich zu einem Widerstand, welchen er wol nicht gewagt hätte, wenn er nicht eingesehen hätte, wie sehr die Stellung des Herzogs schon erschüttert war. Von jetzt an aber fühlte er sich bedroht vom Zorn der Mächtigen und versuchte sich so viel wie möglich im Hintergrund zu halten. Er athmete auf, als angekündigt wurde, der Herzog von Medina-Coeli komme, denselben abzulösen, und schmerzlich war seine Enttäuschung, als dieser freilich erschien, 1572 jedoch der Umstände wegen zurückkehrte, ohne die Regierung angetreten zu haben. Doch sah er ein, daß Alba’s Bleiben nicht lange währen konnte, namentlich seitdem es ihm nicht gelang, die Rebellion Hollands und Seelands zu bewältigen. Als aber Tisnacq gestorben war, wagte er es nicht, sich dem Auftrage des Herzogs zu entziehen und trat er dessen Stelle wieder an; wie sehr er seine sehr schwache Gesundheit und sein Alter (er war damals 65 Jahre, was in jener Zeit ein hohes Alter genannt wurde) auch vorschützte, er mußte bis zu seinem Ende im Amt bleiben, ein ruhiges Alter war ihm, der Nichts mehr wünschte, nicht vergönnt. Und wenn auch endlich der Alp der Alba’schen Herrschaft von ihm und dem Lande abgewälzt wurde und des Herzogs Nachfolger Requesens mehr in der Richtung, welche ihm erwünscht schien, steuerte, er war überzeugt, es sei zu spät; selbst das Kommen des Königs, so lange als eine Panacee von ihm und vielen Gesinnungsgenossen angesehen, schrieb er damals, würde vielleicht nicht mehr im Stande sein, den Frieden wieder herzustellen. Und es kam noch schlimmer als er erwartet hatte. Requesens starb, der Staatsrath mußte die Regierung führen und so wurde er selber in den Vordergrund gedrängt. Und jetzt ging Alles außer Rand und Band. Zuerst brach die Meuterei der spanischen Armee aus, und dann fing die nationale Bewegung an, welche die schwache Regierung keineswegs zu meistern wußte. Am 14. September 1576 wurde V. mit den meisten andern Mitgliedern des Staatsraths verhaftet vom Brüsseler Stadtcommandanten. Das war die letzte Begebenheit seines Lebens. Wenn auch bald in Freiheit gesetzt, nahm er keinen Antheil mehr an den Geschäften. Er siechte dahin und starb nach langen Leiden am 8. Mai des Jahres 1577, ein völlig gebrochener Mann. In seinem geliebten Sanct Bavo wurde er begraben. Er möchte sich glücklich preisen, nicht noch länger gelebt zu haben, denn jetzt konnte er noch hoffen, seinem geliebten Neffen Bucho eine Nachfolge gesichert zu haben. Und wie schrecklich wäre er enttäuscht gewesen, hätte er erlebt, was bald eben in Gent geschah. Und eigentlich hatte er schon zu lange gelebt. Die letzten 20 Jahre standen im grellen Widerspruch mit den [703] 50 ersten, wenn er auch äußerlich in Glanz und Würde verblieb. Freilich es konnte nicht anders sein. Für Männer, wie er war, gab es keinen Raum in der niederländischen Revolution.
Als Staatsmann hat V. sich den anfänglichen Ruf nicht zu erhalten gewußt; was er als solcher geleistet im Dienst Karl’s V. wurde völlig verdunkelt vom Mißgeschick der späteren Jahre. Doch als Gelehrter und Jurist stand er oben an in der Reihe der vielen gelehrten Niederländer seiner Zeit und namentlich sein engeres Vaterland Friesland, dem er immer die treue Anhänglichkeit bewahrte, hat ihn geehrt als einen seiner berühmtesten Söhne. Als Mensch hat er es vielleicht nicht verdient, so verläumdet zu werden, wie ihm von seinen protestantischen Zeitgenossen geschehen ist; auch Motley hat einigermaßen eine Caricatur aus ihm gemacht. Dennoch ist es gewiß, daß ihn wie so viele seiner Standesgenossen, die hohen Beamten und Geistlichen der Niederlande, und überhaupt viele humanistisch gebildete Gelehrte Eigennutz und Nepotismus zu sehr kennzeichneten, um jene Charakterstärke zu besitzen, ohne welche in schwierigen Zeiten kein Mensch, der im Vordergrund steht, sich die Achtung von Freund und Feind erwerben kann. V. wurde immer als ein brauchbares Werkzeug angesehen, das, wenn es nur gehörig gelohnt oder gehörig in Furcht gesetzt wurde, alle Arbeit verrichtete, welche man von ihm erzwang, ob er dieselbe billigte oder nicht. Es mangelte ihm an Muth, namentlich an moralischem. So starb einer der fähigsten Niederländer des 16. Jahrhunderts, ohne selbst von den eigenen Gesinnungsgenossen betrauert zu sein oder vermißt zu werden.
Die vornehmste Quelle über sein Leben bleibt immer seine oben schon angeführte Biographie. Weiter alle Quellenwerke des Zeitraums; über seine Thätigkeit nach Anfang der Unruhen theilen fast alle etwas mehr oder weniger mit. Außer den zeitgenössischen Historikern Burgundius, Haraeus u. s. w., und den späteren wie Bor, van Meteren, Strada, namentlich die Correspondance de Philippe II. und die von Margaretha (von Reifenberg und Gachard herausgegeben), die Papiers d’état und namentlich die Correspondance von Granvella, die Archives de la maison d’Orange u. s. w. So ist es auch mit der historischen Litteratur. Specielle Nachrichten und Abhandlungen über ihn findet man bei de Wal, De claris Frisiae jurisconsultis und in Star Ruman, Over de verdiensten van Viglius v. A. v. Z.