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ADB:Vollmar, Ludwig

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Artikel „Vollmar, Ludwig“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 249–251, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Vollmar,_Ludwig&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 19:36 Uhr UTC)
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Vollmar: Ludwig V., Genremaler, geboren am 7. Januar 1842 in dem durch Scheffel’s „Trompeter“ weltberühmt gewordenen Rheinstädtchen Säckingen; genoß den ersten Unterricht bei seinem Vater Joseph V., welcher als städtischer Bauzeichner, Zeichnungslehrer und Bildhauer eine vielseitige Thätigkeit übte. Mit guten Vorkenntnissen ausgestattet kam der Jüngling 1858 an die Münchner Akademie, besuchte den Antikensaal und die Malschule unter Prof. Hiltensperger [250] und Anschütz und 1862 die sogen. Componirschule bei Philipp Foltz, welcher als guter Lehrer eine ganze Reihe von jüngeren Kräften zu erfreulicher Reife bildete. Hier componirte V. zwei Cartons „Petrus vom Engel aus dem Gefängniß befreit“ und „Paulus vor Damaskus“, malte dann eine „Samariterin am Brunnen“ und ein Altarbild für die Pfarrkirche zu Frick im Aargau, besuchte ein Semester lang die Kunstschule zu Karlsruhe und ging wieder nach München, wo er bei Professor Arthur v. Ramberg Aufnahme fand (1866–70). Ein 1865 gemaltes „Gretchen im Schmuck bei Frau Marthe“ war noch ganz nach dem Recepte der Foltz-Schule behandelt, während eine „Kahnfahrt“ mit städtischen Insassen den Einfluß Ramberg’s bekundete. Man sieht daraus, wie hart dem jungen Maler der Uebergang von der stelzenden Phrase der Historie zum ungesuchten Genre wurde. Bald aber hatte sein gesunder Sinn mit den Scenen aus dem echten Volksleben den ihm zusagenden Weg gefunden, auf welchem V. mit sicherer Freudigkeit rasch vorwärts schritt. Auf vielen Ausflügen nach dem Schwarzwald und nach Tirol sammelte er einen Schatz von trefflich gemalten Studien, von Köpfen und Interieurs, die ihm wol für eine doppelte Arbeitszeit immer noch neues Material geboten hätten. So wurde er der Maler selbsterfundener Dorfgeschichten, womit V., ohne je Defregger’s Unterweisung genossen zu haben, doch ganz in dessen Fußstapfen trat. Zu den frühesten Proben dieser Art gehört ein Mädchen, welches über der Pflege ihres jüngsten Brüderchens im Großvaterstuhle eingenickt ist und nun mit dem ihr zu Füßen in der Wiege liegenden beschwichtigten Liebling im süßen Bewußtsein treuerfüllter Pflicht um die Wette schlummert; die warme Sommerluft spielt über das holde Paar im lauschig stillen Stübchen; man könnte bei etwaiger Uebersetzung in mittelalterliches Costüm an „Gretchen“ denken, welches in der Gartenscene dem Faust ähnliche, wonnige Empfindungen und Erinnerungen aus ihrer stillen Pflegethätigkeit erzählt. Dann führte der Maler in eine bäuerliche Krankenstube, wo die auf Besuch gekommene Freundin dem treuen Liebchen eine Botschaft aus dem Briefe liest, welche die arme Dulderin mit neuem Lebensmuthe beseelen dürfte. Die Vorlesende wie die Zuhörende sind beide mit jenem innigen Ausdrucke des Mitgefühls gegeben, welches Vollmar’s Bilder für den Beschauer so anziehend und fesselnd macht. Es dauerte nicht lange bis der Maler die goldne Regel vom Hineingreifen ins volle Menschenleben erfaßte und bewährte. Gleiche Sympathie erregte „Die Freundin“, das erste Bild Vollmar’s, welches der Münchener Kunstverein erwarb. Dann folgten 1868 die „Altersfreuden“, wo ein am schwäbischen Kachelofen sitzender Großvater in Abwesenheit der gerade zurückkehrenden netten Schwiegertochter den drallen Enkel füttert, ferner 1871 ein „Daheim“ und 1873 das „Still-Leben“ mit einem in ihre Näharbeit gedankenvoll vertieften Mädchen; obwol man das treuherzige, zudem theilweise durch eine Schleierhaube schimmernde Gesichtchen nur von der Seite sieht, so wird doch in uns sogleich der Wunsch rege, die emsig Nadelnde möchte an der eigenen Ausstattung arbeiten. Dazu kommt, daß die Damen immer rühmten, wie schön V. das Weißzeug behandle! – Wer so in die unscheinbare Alltäglichkeit eine Seele zu legen versteht, der ist ein Dichter und Künstler und begründet damit in nachhaltiger Weise einen ehrlichen Namen. Die Anerkennung ließ nicht lange warten, Kunsthändler fanden sich ein; Wiederholungen wurden gewünscht, welche der Maler immer in verbesserter Umarbeitung leistete; sie fanden den Weg nach England und Amerika. Unter den folgenden Bildern sei nur der „Freier“ erwähnt (vgl. Illustrirte Welt 1873, S. 517), die Scene „Vor der Schule“ (1875), die heitere, in ihrer dramatischen Lebendigkeit, Wärme und Lebenswahrheit an Vautier erinnernde „Ueberraschung“ (1876), „Der kleine Citherspieler“ (1877), womit V. der erzählenden Vortragsweise Defregger’s am [251] nächsten kam, die „Briefleserin“, „Großmutters Liebling“, das „Bilderbuch“ (1881), der „Schwester Räthselschatz“ (1882), die „Strickstunde“, der an die unrechte Adresse abgelieferte „Liebesbrief“, das hübsche, strickende „Bärbele“ – ein wirklich holdseliges Schwarzwaldmädchen, von Anmuth, Fleiß, Selbstvergessenheit und einem sanften Reiz kindlicher Unschuld umspielt. V. trug sich noch mit vielen, seine ganze Thätigkeit für lange Jahre vollauf beanspruchenden Entwürfen (Zigeuner, italienische Dudelsackbläser, der erste Gang zur Schule, eine Schaudergeschichten-Erzählerin) als ein früh entwickeltes Lungenleiden schon am 1. März 1884 seiner Thätigkeit ein rasches Ende bereitete. Daß sein prachtvolles Talent noch der Steigerung und weiteren Entwicklung fähig gewesen wäre, zeigt der frische Gang seiner Ideen und Projecte. Schüler hatte er keine. Am nächsten unter seinen Bekannten standen ihm der liebenswürdige, sinnige Rudolf Epp und der heitere Karl Kronberger. Zu Vollmar’s Eigenthümlichkeiten gehörte, daß er kein Freund sogenannter Skizzenbücher war. Wo er etwas Brauchbares fand, griff er lieber gleich zu Pinsel und Palette. Das meiste hielt er mit seinem photographisch treuen Gedächtniß in der Erinnerung fest. Als ein Beispiel dieser Art reproducirte V. nach einmaligem Beschauen Salmson’s „Arrestation“ mit einer Sicherheit, so daß man dieses Farbenproblem für die Originalskizze des Autors halten konnte. Wie ein Componist seine Melodieen für sich hinsummt, so kritzelte V. seine Einfälle mitten im Lärm seiner Familie auf den häuslichen Ahorntisch; was ihn dann brauchbar dünkte, bauste er durch. Zahllose „Ideen“ verschwanden unausgenützt unter der Bürste des scheuernden Hausmädchens. Seine besten Schöpfungen wurden durch Photographie, Holzschnitt und Stahlstich verbreitet.

Vgl. Nr. 98 Allgem. Ztg., 7. April 1884. – Kunstvereinsbericht für 1884, S. 68. – H. Holland, Illustr. Erinnerungen an Münchener Künstler. 1884, 1. Heft.