Zum Inhalt springen

ADB:Wegelin, Jakob

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Wegelin, Jakob“ von Johannes Dierauer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 423–424, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wegelin,_Jakob&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 21:28 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Wegelin, Adolf
Nächster>>>
Wegelin, Karl
Band 41 (1896), S. 423–424 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Jakob Wegelin (Historiker) in der Wikipedia
Jakob Wegelin in Wikidata
GND-Nummer 121644111
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|41|423|424|Wegelin, Jakob|Johannes Dierauer|ADB:Wegelin, Jakob}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=121644111}}    

Wegelin: Jakob W. (Weguelin), Historiker und Philosoph, geboren am 19. Juni 1721 in St. Gallen, † am 7. September 1791 in Berlin. Das seit dem Jahre 1586 in St. Gallen eingebürgerte, ursprünglich schwäbische Geschlecht der Wegelin zählte im 17. und 18. Jahrhundert eine Reihe gelehrter Theologen, Geographen und Juristen. Daniel W. († 1783) galt als ein guter Kenner des Arabischen. Ein älterer Verwandter dieses Namens hatte sich der Rechtswissenschaft zugewendet und suchte in städtischem Dienst emporzukommen, starb aber noch in jungen Jahren (1722). Er war der Vater des Historikers Jakob W. Dieser durchlief das Gymnasium und den sich anschließenden theologischen Curs in St. Gallen, machte nach seiner Aufnahme in den geistlichen Stand mit Unterstützung des Kaufmännischen Directoriums einen längern Aufenthalt in Vevey und übernahm nach seiner Rückkehr zuerst die Stelle eines Predigers an der französischen Kirche (1747), dann die Professur der Philosophie und der lateinischen Sprache an der höhern Lehranstalt (1759). Schon in St. Gallen begann die litterarische Thätigkeit des mit umfassenden Sprachkenntnissen und mit seltener Gedächtnißkraft ausgerüsteten Mannes. Während er im Schoße der Bibliothekgesellschaft historisch-politische Vorlesungen hielt, wählte er für die Veröffentlichung mit Vorliebe Gegenstände, an welche sich moralische oder auch religiöse Betrachtungen anknüpfen ließen. Er übersetzte Rousseau’s Brief an D’Alembert über die Einführung eines Lustspieltheaters in Genf und fügte dieser Arbeit ein „Schreiben an Herrn Bodmer von den wahren Angelegenheiten einer kleinen, freien, kaufmännischen Republik“ (St. Gallen) bei (Zürich 1761). Die eingehende Beschäftigung mit Sokrates veranlaßte ihn, in dem Buche: „Die letzten Gespräche Socrates und seiner Freunde“ „den Geist und das Herz eines Weisen in der Person des größten Mannes zu schildern, den uns das Alterthum aufweisen kann“ (Zürich 1760). Seine von der herrschenden Orthodoxie abweichenden, freien Anschauungen legte er in den „Religiosen Gesprächen der Todten“ (Lindau 1763) nieder, in denen er sich bestrebte, kirchliche Einrichtungen und religiöse Dogmen „in ihrem rechten und von allen Vorurtheilen unabhängenden Gebrauch vorzustellen“, u. s. f. Diese Schriften waren etwas breit angelegt und an manchen Stellen schwer verständlich; sie zeugten indeß von einem selbständigen speculativen Geiste, von universaler Gelehrsamkeit und ungewöhnlicher Beherrschung der Sprache.

Aber in den engen, von einer zahlreichen, strenggläubigen Geistlichkeit beherrschten Verhältnissen seiner Vaterstadt konnten sich seine Kräfte nicht ungehindert entfalten. Gern folgte er deshalb einer durch den Aesthetiker Joh. Georg Sulzer (s. A. D. B. XXXVII, 144) vermittelten Berufung als Professor der Geschichte an die durch Friedrich den Großen neu gegründete Ritterakademie (Académie royale des gentilshommes) in Berlin, die ihm ein freies, großes Arbeitsfeld und eine gesicherte Existenz eröffnete. Am 16. April 1765 verließ er mit seiner Frau (Sabina Elisabetha Täschler) und sechs Kindern St. Gallen; am 7. Mai langte er in dem neuen Wirkungskreise an, dem er dann bis an sein Ende treu blieb. Er war an der Ritterakademie für wöchentlich 10–11 Stunden verpflichtet; daneben hielt er universalhistorische Privatcollegien; im J. 1766 wurde er ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften und deren Archivar. Von allen Seiten fand er reiche Anregung und Unterstützung, und so war es ihm vergönnt, sich seinen wissenschaftlichen Neigungen mit ganzer Seele hinzugeben. [424] Die meisten Werke seiner Berliner Zeit, vor allem auch seine für die Publicationen der Berliner Akademie bestimmten Arbeiten sind französisch geschrieben. Schon 1766 erschienen die „Considérations sur les principes moraux et caractéristiques des gouvernemens“ und die „Mémoires historiques sur les principales époques de l’histoire d’Allemagne“ (auch deutsch in Zürich 1766). Zwei Jahre später folgte ein zweibändiges Werk über römische Kaisergeschichte: „Caractères historiques de empereurs depuis Auguste jusqu'à Maximin“, dem sich 1769 ein „Plan raisonné d’une histoire universelle et diplomatique de l’Europe depuis Charlemagne jusqu'à l’an 1740“ anschloß, der Vorläufer seiner großen „Histoire universelle et diplomatique“, von der in den Jahren 1776 bis 1780 drei starke Bände (zugleich in einer Quart- und in einer Octavausgabe) gedruckt wurden. Dieses Werk war das Resultat jahrelanger Forschungen und mächtiger Gedankenarbeit; aber unter der Ueberwucherung „einer sich bisweilen allzu weit wagenden Speculation, eines allzu freigebig mitgetheilten Reichthums politisch-moralischer Maximen“ (Fels) litten die Uebersichtlichkeit und der sachliche Gehalt der Darstellung. Das Publicum schenkte dem Werke, dessen Einleitung (vom Zerfall des römischen Reichs bis zur Erhebung Pippin’s) schon einen ganzen Band in Anspruch nahm, nicht die erwartete Theilnahme. W. mußte mit dem bis zum Antritte der Capetinger reichenden dritten Bande abbrechen und auf eine Fortsetzung verzichten. Das Ganze ist um so rascher der Vergessenheit anheimgefallen, als der Verfasser es verschmäht hat, die von ihm benutzten Quellen anzuführen. Dagegen haben seine historisch-philosophischen Untersuchungen auch in der Folge Beachtung gefunden, ganz besonders seine in den Schriften der Berliner Akademie (1770–1776) niedergelegten „Mémoires sur la philosophie de l’histoire“. Tiefer gehend, als sein unmittelbarer Vorgänger auf diesem Gebiete, Isaak Iselin, erkannte er, daß die äußern Thatsachen von geistigen Kräften und leitenden Ideen durchdrungen und beherrscht werden und daß das Wesentliche und Bleibende in der Geschichte durch die Natur und Entwicklung der Ideen bedingt ist. Immer betrachtete er die Erscheinungen von hohem, universalhistorischem Standpunkt. Diesen umfassenden Charakter trägt noch sein letztes größeres Werk: „Briefe über den Werth der Geschichte“ (Berlin 1783), in welchem er in geistvoller Weise die Kunst der Geschichtschreibung erörterte.

Vgl. Biographie des Herrn Jacob v. Daniel Wegelins, Professors der Geschichte auf der K. Ritterakademie und Mitglieds der K. Akademie der Wissenschaften in Berlin. St. Gallen 1792 (von Pfr. J. M. Fels). – Fr. Schlichtegroll, Nekrolog auf das Jahr 1791, II. Gotha 1793 (nach Fels). – K. Rosenkranz, Das Verdienst der Deutschen um die Philosophie der Geschichte. Königsberg 1835 (mit einer Beilage, in welcher ein Theil der ersten Wegelin’schen Abhandlung über die Philosophie der Geschichte in deutscher Uebersetzung mitgetheilt ist). – F. X. v. Wegele, Geschichte der deutschen Historiographie (München und Leipzig 1885). – Ein Porträt Wegelin’s, von B. Rode gemalt, besitzt die Stadtbibliothek in St. Gallen.