ADB:Wehner, Paul Matthias

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Artikel „Wehner, Paul Matthias“ von Johann August Ritter von Eisenhart in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 433–435, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wehner,_Paul_Matthias&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 12:17 Uhr UTC)
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Wehner: Paul Matthias W., Consulent und juristischer Schriftsteller, geboren zu Heldburg bei Meiningen am 24. Februar 1583, † zu Kitzingen am 24. December 1612. W., der Sohn eines herzoglich sächsischen Amtmanns, erhielt eine sorgfältige häusliche Erziehung, und bezog nach dem Besuche des Coburger Gymnasiums die Universitäten Jena und Ingolstadt – letztere um den Pandectisten Fachinäus zu hören, dann wegen Rittershausen Altdorf, ferner Straßburg und Basel. Er unternahm eine wissenschaftliche Reise nach Italien und Frankreich, und wurde in Orleans, wo er längere Zeit verweilte, am 15. Januar 1605 zum Dr. utriusque juris feierlich promovirt. Hierauf nahm er Praxis beim Reichskammergericht in Speyer, wo namentlich Assessor Petrus Danaisius (Denais), ein Jurist von seltener Schärfe und vielen Kenntnissen die praktische Ausbildung Wehner’s förderte. Letzterer gründete dann seinen Hausstand, indem er sich mit Barbara Kummer v. Prixenstadt im Ansbachischen verheirathete, worauf er Kitzingen in Franken zu seinem Wohnorte wählte. Aus erwähnter Ehe gingen eine Tochter und zwei Söhne hervor, über deren Lebensgang nichts Näheres bekannt ist. Da er keine Lust hatte, eine feste Stellung anzunehmen, wurde er Advocat und Consulent, indem er als „Rath von Haus aus“ die Rechtsangelegenheiten von Fürsten und hohen Herrn – des Herzogs von Braunschweig, des Markgrafen von Ansbach, der Grafen von Erbach, Limburg, Leiningen und Anderer besorgte. 1610 ernannte ihn Kaiser Rudolf II. während eines vorübergehenden Aufenthaltes in Prag zum Comes Palatinus. Mit den Vertretungen waren sehr häufige und oft beschwerliche Reisen verbunden; so ersehen wir aus einem Briefe Wehner’s an den ihm befreundeten Melchior Goldast in Frankfurt a. M., daß er während zehn Monaten nur 30 Tage zu Hause gewesen. W. unterstützte Goldast bei dessen umfassenden Sammlungen kostbarer Bücher, Manuscripte und Miniaturen, und pflog außerdem mit dem Historiker Hortleder in Jena und dem Juristen Marquard Freher in Heidelberg regen Briefwechsel … Die Mühseligkeit des Berufes verbunden mit angestrengten Geistesarbeiten untergruben Wehner’s ohnedies schwächliche Gesundheit. Er suchte im Bade zu Schwalbach Genesung, kehrte jedoch ungebessert [434] zurück, und starb bald darauf am 24. December 1612 noch vor vollendetem 30. Lebensjahre.

W. gehört zu den tüchtigsten Praktikern seiner Zeit; er gelangte früh und rasch zu hohem Ansehen, und es ist aufrichtig zu beklagen, daß er in so jungen Jahren seinem Berufe und der Wissenschaft entrissen wurde. Mit Vorliebe der praktischen Jurisprudenz zugethan, fand er wenig Geschmack an rechtsantiquarischen Untersuchungen oder an juristischen Spitzfindigkeiten; für ihn hatte die Rechtswissenschaft nur Werth und Bedeutung in ihrer unmittelbaren Beziehung zum täglichen Leben. Dieser Richtung gab er auch bestimmten Ausdruck in der epistola dedicatoria seines Tractates „de modo appellandi in camera Imp.“; Wir brauchen weder alte Märchen (Fabulae) zu lernen, noch das zu wissen was nutzlos und längst abgeschafft. Was ist unsere Rechtswissenschaft, wenn sie der Anwendung auf das tägliche Leben, wenn sie des richtigen Gebrauches entbehrt, – eine Glocke ohne Klöppel (campana sine pistillo!) „Was vermöchte die Wissenschaft ohne Anwendung auf die Praxis! (Tolle usum quid poterit scientia!)“ Diese Verfolgung praktischer Ziele kehrt auch in Wehner’s Schriften wieder; sein Hauptwerk sind die „Observationes“, welche unter dem Titel erschienen „Practicarum juris observationum selectarum liber singularis“ (Francof. 1608). Das Werk fand sofort großen Beifall, sodaß der Verleger den Autor schon im folgenden Jahre bat, eine neue, um das Vierfache vermehrte Auflage auszuarbeiten. W. war hiemit beschäftigt, als er vom Tode ereilt wurde. Weitere Auflagen erschienen 1624, 1661, 1674, 1701, die letzte ist von 1735. Die Auflage von 1701 besorgte Schilter in Straßburg „cum novissimis diversorum ICtorum accuratissimis additionibus“, worunter hauptsächlich die Zusätze des Straßburger Juristen Peter Bitsch gemeint sind, zugleich fügte Schilter die in 4 Centurien getheilten „Observationes Joannis Rüdingeri“ an, welche 1611 und 1654 in Straßburg selbständig erschienen waren. Wehner’s Werk ist als juristisch-publicistische Encyklopädie zu betrachten, welche ähnlichen Arbeiten, wie dem bekannten thesaurus von Besold als Vorbild diente, und werden in demselben deutsche Worte und Formeln, welche sich auf das Rechtsleben, den Proceßgang, auf publicistische oder finanzielle Verhältnisse beziehen, näher erörtert. Bisweilen wachsen einzelne Artikel zu förmlichen Abhandlungen an. Dies gilt namentlich vom Artikel „Justiciwesen, de litibus abbreviandis. Justitia“, welcher bei Schilter von Seite 235–360 reicht, somit 123 Seiten in kl. folio einnimmt, und hauptsächlich die Mängel des Justizwesens, sowie die Mittel zu dessen Besserung bespricht. Der kammergerichtliche Schriftsteller Deckherr rühmt von diesem Excurse: „Quoties legimus, toties miramur, toties commendamus.“ Unter „Goldgulden, Müntz, Pfund etc.“ erhalten wir näheren Aufschluß über die Währungsfrage und das Münzwesen; unter „Kosten, Schäden, expensae“ über die Taxen der Procuratoren, Advocati, Commissarien, Kammerboten, Lectoren und Inventare; unter Matrikel über die alte Reichs-Matrikel u. s. f. … Die Observationen sind vorwiegend in deutscher Sprache abgefaßt, doch bedient sich W. bisweilen auch der lateinischen, und geht ab und zu wie z. B. im „Justiciwesen“ unvermittelt von der einen zur anderen über. Das Werk ist ohne tiefere wissenschaftliche Bedeutung aber von entschiedenem praktischen Werthe. Es erscheint als eine etwas flüchtig zusammengestellte Materialiensammlung, welche jedoch lange und vielfach im Gebrauch stand wegen des großen Stoffreichthums und der Besprechung von Gegenständen, über die man anderwärts nicht leicht näheren Aufschluß findet. Ernst erwähnt in seiner Biographie Wehner’s „die observationes seien dato (1735) noch so usuel, daß sie fast in eines jeden Rechtsgelehrten Bibliothek getroffen“ würden.

Eine weitere Arbeit Wehner’s ist der 6. Bd. zu Gylmann’s Symphoremata [435] supplicationum, T. 1–6, 1601–8. Reimann hat in seiner hist. liter. German. (S. 116 ff.) den aus 27 Capiteln bestehenden Band in einer für den Verfasser sehr ehrenvollen Weise besprochen. W. beabsichtigte auch eine Sammlung von 100 Frankfurter Consilien zu veröffentlichen, starb jedoch ohne das Werk druckfertig zu bringen. Aus diesem Grunde ist der Werth der einzelnen Consilien, welche 1615 in Frankfurt unter dem Titel „Consilia Franconica“ in fol. anonym erschienen, ziemlich ungleich; Summarien und Register hat ein Ungenannter geliefert.

Leben des berühmten Cti. M. Wehner beschrieben von M. Chr. Ernsten mit Anmerkungen u. Vorrede v. Franken. Nürnb. 1735 (eine ziemlich dürftige Biographie). – J. P. Niceron’s Nachrichten etc. herausgeg. v. Fr. E. Rambeck, 19. Thl., S. 66–74. – Fahnenberg, Litteratur des kaiserlich. R. K. Ger. S. 74. – Stintzing, Gesch. der deutschen Rechtswissenschaft I, 730–32.