ADB:Weisflog, Karl

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Artikel „Weisflog, Karl“ von Georg Ellinger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 372–375, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Weisflog,_Karl&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 16:18 Uhr UTC)
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Weisflog *): Karl W. wurde am 27. December 1770 zu Sagan geboren, wo sein Vater Cantor war. Unterstützungen von Verwandten und Freunden ermöglichten es ihm, 1774 das Gymnasium zu Hirschberg zu besuchen. 1790 bezog er die Universität Königsberg, wo er, entgegen dem Wunsche seiner Familie, die ihn zum Theologen bestimmt hatte, die Rechte studirte. Nach Abschluß seiner Studienjahre war er längere Zeit Hauslehrer, dann Referendar in Tilsit und Memel und kehrte 1802 in seine Heimathstadt als Stadtrichter zurück. Seine Theilnahme an den Befreiungskriegen, auf die er hinzudeuten scheint, läßt sich nicht mit Sicherheit nachweisen. Trotz frühzeitig auftretender und sich immer mehr steigernder Kränklichkeit genoß der in glücklicher Ehe lebende Mann die kleinen Lebensfreuden, die sich ihm boten, und pflegte eine heitere Geselligkeit. Am 14. Juli 1828 ist er in Warmbrunn gestorben.

Erst als Fünfzigjähriger hat W. zu schriftstellern angefangen. (Die ersten Arbeiten sandte er am 15. November 1821 an Theodor Hell.) 1819 wurde er während eines Badeaufenthaltes in Warmbrunn mit E. T. A. Hoffmann und dessen Freund Contessa bekannt, und nach Weisflog’s Angabe ist es Hoffmann gewesen, der die schlummernde Erzählergabe in ihm geweckt hat. „Sie waren der Prosper Alpano, der ihn mit dem Zauberstabe berührte“, so apostrophirt W. den todten Hoffmann, der freilich dagegen keinen Einspruch mehr erheben konnte. Selbstverständlich wollte er nicht für einen Nachahmer Hoffmann’s gehalten werden, und so suchte er den Unterschied zwischen seiner und Hoffmann’s Art grundsätzlich festzulegen. In Hoffmann’s „anmuthigsten Darstellungen und Späßen“ taucht nach seiner Ansicht „immer etwas Bitteres, Unheimliches und Grimmiges auf, was tief verborgenen Hohn, Verachtung des Menschen und Spott seiner heiligsten Interessen (so!) verräth.“ Im Gegensatz urtheilt er, daß in seinem eigenen Schaffen „alles möglich heiter, mild und wohlwollend hervortritt, das klare Bewußtsein nie untergeht in [373] grauenvoller geistiger Vernichtung, der Spaß zwar neckt und zwickt, aber niemals bis zum wirklichen Schmerze, und jedermann wohl mitlachen, dabei aber auch die Thräne der Wehmuth weinen muß, daß all dieses Fröhliche nur der kurze Silberblick eines Lebens voll menschlicher Unvollkommenheiten und Erdensorgen ist, daß er noch lachen und sich unter seinen Gestalten für den Glücklichsten halten kann auf der weiten Welt, der die Schattenseiten des Lebens kennt, wie Wenige, der aber allen Menschen so gern die Falte des Unmuthes glätten und alle ebenso glücklich machen möchte, wie er selbst ist, wenn auch nicht in der Wirklichkeit, doch in der Idee“.

In der That wird man ihm zugestehen können, daß irgendwelche geistige Gemeinschaft zwischen ihm und Hoffmann nicht besteht; alles, was er von Hoffmann entlehnt hat, weist sich als äußerlich aufgeheftet, niemals als innerlich verarbeitet aus. Ein Stück Kreisler sucht er in seinem Bratschisten Fidelius festzuhalten (Bd. 5); der Karottenkönig Daukus Carotta bei Hoffmann gibt den Anstoß zu der Erfindung von Weisflog’s „Zwiebelkönig Egs“ – (Bd. 1), obwohl der Autor wiederholt mit Stolz seine Unabhängigkeit betont und die Erzählung „ein Phantasiestück in meiner Manier“ nennt. Auch die geschichtliche Erzählung mit romantischem Einschlage hat er nach Hoffmann’s Vorbilde wenigstens einmal versucht; allein sein „Sebastian, König von Portugal“ (Bd. 2), worin dem Könige ein Freundschaft heuchelnder satanischer Verführer an die Seite gestellt ist, der das Dämonische der Handlung ausmacht, während für die Rührung durch die Einführung des Camoëns und das Geschick des Königs selbst gesorgt wird, weist so viel unverarbeitetes und aufdringlich dargestelltes Material auf, daß auch nur von einem entfernten Vergleich mit Hoffmann’s entsprechenden Arbeiten nicht die Rede sein kann. Auch wenn er Hoffmann’s diabolische Grazie zu erreichen strebt, wie in der Erzählung „Der Teufel und sein Liebchen“ (Bd. 1), wo dem satanischen Stadtschreiber Hinzelmann die Junge, die er sich erkoren, abspenstig gemacht und er mit der Alten genarrt wird, bleibt er weit hinter seinem Vorbilde zurück. Wie im „Phantasiestück“, so hat er sich nach Hoffmann’s Muster auch im „Nachtstück“ versucht. Ziemlich genau copirt er Hoffmann’s Weise in dem Nachtstück „Der Doctor Verber“ (Bd. 7), ohne irgendwelche tiefere Wirkung zu erzielen; „Der Nautilus“ (Bd. 5) stellt Schiffs- und Inselabenteuer dar, gelegentlich Situationen kräftig erfassend; als sein Bestes überhaupt wird das Nachtstück „Der Herr von Rumpelmeier“ (Bd. 9) zu bezeichnen sein, wo der Tod sich in seinen wechselnden Gestalten, je nach der Aufgabe, die er zu erfüllen hat, dem Erzähler offenbart. Auch die Künstlergeschichte nach Hoffmann’schem Vorbilde fehlt nicht ganz, aber gerade auf diesem Gebiete macht sich der ungeheure Abstand des künstlerischen Werthes auf das augenscheinlichste geltend.

Es ist sicher für W. nicht vortheilhaft gewesen, daß gerade Hoffmann – wahrscheinlich ohne es zu wollen – ihn zu selbständiger schriftstellerischer Thätigkeit angeregt hat. Denn seine ganze Entwicklung wies ihn auf ein Gebiet, auf dem er zwar auch im einzelnen von Hoffmann hätte lernen können, das aber doch im ganzen von dessen Weise fernab lag. Den Druck, der auf seiner Jugend- und Jünglingszeit lastete, hat er während seines ganzen Lebens nicht verwinden können; die Spuren machten sich in seiner Haltung, in der Art seines Auftretens auf das deutlichste geltend. Andererseits aber hatten ihn die Demüthigungen, die er hinnehmen mußte, doch keineswegs verbittert, und wenn er selbst den gedrückten linkischen Candidaten schilderte, so erkennt man aus dem Tone der Erzählung, daß in ihm kein Groll mehr nachklang. Durch diese eigenen Erlebnisse und durch die Milde, mit der er auf sie zurückblickt, wurde er ganz naturgemäß dazu veranlaßt, die Leiden [374] und Freuden der Kreise, aus denen er selbst hervorgegangen war, in den Mittelpunkt seines Schaffens zu rücken. Wo er die vornehme Welt schildern will wie in der „Quellnymphe“ (Bd. 6), scheitert er vollständig, aber für die Lebensgewohnheiten und Anschauungen, für das Leben und Treiben des kleinen Mannes und des Mittelstandes hat er einen guten Blick und versteht manchen bezeichnenden Zug festzuhalten, wenn er sich auch zuweilen im Tone vergreift.

Indessen weit mehr als auf Erzielung der Lebenswahrheit war sein Augenmerk auf die Erweckung gefühlvoller Antheilnahme gerichtet. So gestaltet sich denn der Gang der Handlung meist so, daß Kummer und Unglück über die Helden seiner Erzählungen kommen, und das die ausführliche Darstellung der so hervorgerufenen Leiden zu rührenden Situationen und Betrachtungen reichlich Gelegenheit bietet. Schließlich laufen die vom Geschick Heimgesuchten aber doch immer noch glücklich in den Hafen ein, und der Erzähler weiß so den Wunsch des eigenen guten Herzens mit den Bedürfnissen des Publicums, auf das er rechnete, zu vereinigen (vgl. z. B. die Erzählungen „Die Pudelmütze“, Bd. 1, „Die Fahrten des Forstrathes von Elben“, Bd. 2, „Wohlthun trägt Zinsen“, Bd. 4, „Kunst- und Bettelfahrt des Bratschisten Fidelius“, Bd. 6, „Die Fichtelberger“, Bd. 8, und „Die Mühle der Humoristen“, Bd. 11. „Der Beruf“, Bd. 12). Mit besonderer Vorliebe zeichnet er, hier sicher ebenfalls Hoffmann’schen Anregungen folgend, wunderliche Käuze, Sonderlinge, hinter deren bärbeißigem Aeußeren sich ein weiches Herz verbirgt, und auch bei der Bevorzugung derartiger Figuren schwebt ihm eine ähnliche Absicht wie bei der Anlage seiner Erzählungen vor; denn es ist sicher sein eigenes dichterisches Verfahren, das er darlegen will, wenn er das Wesen des wahren, gemüthlichen Humors auseinanderzusetzen sucht: „Wer das Lächerliche guter Menschen wie eine Schattirung zu brauchen versteht, die ihre Lichter noch mehr erhebt, wer es versteht zu zeigen, wie diese Trefflichen ohne diese kleinen Menschlichkeiten gar nicht Menschen sein könnten, wer es versteht, durch das Wunderliche und Contrastirende den klaren Grund einer reinen Seele durchschimmern zu lassen und die Thräne der Wehmuth darüber ins Auge zu locken, daß diese Herrlichen dennoch nur Menschen und keine Engel sind, der greift ans Herz und erhebt und befriedigt“ (Bd. 4, S. 178).

Aber es ist ihm nicht gelungen, die Charakteristik derartiger Gestalten scharf herauszuarbeiten; man vermag zwar meist zu erkennen, aus welchen Absichten heraus die Conception der dichterischen Figur erfolgt ist, aber diese Absichten treten nicht mit überzeugender Wahrheit ins Leben. Das Gleiche gilt von der Einkleidung und der Darstellung. Jene ist nicht selten gezwungen, auch Wiederholungen stellen sich ein; diese leidet unter einer Breite, die in keinem Verhältniß zu der Bedeutung des Vorwurfs steht. Dazu kommt die erkünstelte Sentimentalität, die sich zuweilen in ganz wunderlichen Bildern äußert; so wenn in der „Quellnymphe“ die junge Frau eines alten Mannes zu der Erkenntniß kommt, daß ein ihr gefährlicher Verführer ihrer Tugend nachstellt, und in die Worte ausbricht: „Die Luft ist schwül, drückend und still auf Isle de France, ehe der tobende Sturm hereinbricht, kein Hauch, kein Blatt regt sich in der Natur. Doch bald zittern die Blätter, fernher wirbelt der Staub, scheu fliehen die Thiere des Waldes in ihr sicheres Asyl, der Donner murmelt von weitem. – Bei Gott, das ist meine Angst, und was nun kommen könnte, Vernichtung und Verderben.“

Weist diese zuweilen faustdick aufgetragene Sentimentalität auf die Stimmung der zwanziger und dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts, so erinnern doch Stoffwelt und Darstellung vielmehr an die Erzählungtskunst der Aufklärungszeit. [375] Er selbst nennt als einen vollkommenen Humoristen in seinem Sinne Musäus, und an die Weise des Musäus und anderer Erzähler des 18. Jahrhunderts wird man auch bei W. mehrfach erinnert, während der Einfluß Jean Paul’s, auf den Goedeke hinwies, nicht allzugroß gewesen zu sein scheint. Durchaus dem Durchschnittsgeschmack des achtzehnten Jahrhunderts entsprechen auch seine Gedichte, poetische Erzählungen, parodistische Stücke, Gelegenheitsarbeiten; eine Hymne an die Natur: „Du warst die Freundin meiner frühern Jugend, – die dir mein liebend Herz geweiht, – du zeigtest lächelnd mir den Weg zur Tugend, – die Pfade zur Unsterblichkeit“ (Bd. 12).

Nach alledem ist es ganz unrichtig, W. zu Hoffmann zu stellen; er gehört vielmehr zu den Schriftstellern, in deren Mitte er zuerst öffentlich erschien, zu Theodor Hell und seinem Kreise, zu v. d. Velde, also zu jenen Erzählern, die ältere Elemente mit dem modischen, im wesentlichen der Romantik entlehnten Flitter verbrämten. Wer sich eine Vorstellung von dem, was W. zu erreichen im Stande war, verschaffen will, greift am besten zu einem von den kürzeren Werken, dem „Herrn v. Rumpelmeier“ oder dem archaisirenden Bericht: „Der wüthende Holofernes“ (Bd. 1); die Hauptmasse seiner Schriften ist weniger für die Litteraturgeschichte von Wichtigkeit als für den Culturhistoriker, der die Geschmacksrichtungen des Durchschnittspublicums in der Zeit nach dem Wiener Congreß feststellen will.

Die wichtigste Litteratur bei Goedeke, Grundriß, Bd. 8, 2. Aufl., S. 506 ff. – Hervorzuheben sind namentlich die Mittheilungen von C. von Wachsmann in Bd. 12 des Neudrucks der „Phantasiestücke und Historien“ von Weisflog, Dresden 1839, und der Briefwechsel Weisflog’s mit Th. Hell ebenda. – Die vorstehenden Citate nach den „Phantasiestücken und Historien“, Dresden 1824–29. Neudruck: 1839.

[372] *) Zu S. 24.