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ADB:Musäus, Karl

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Artikel „Musäus, Karl“ von Franz Muncker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 85–90, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mus%C3%A4us,_Karl&oldid=- (Version vom 6. Oktober 2024, 15:57 Uhr UTC)
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Musäus: Johann Karl August M. wurde am 29. März 1735 zu Jena als einziger Sohn des Amtscommissärs und Landrichters Joseph Christoph M. geboren, der jedoch bald darauf als herzoglicher Rath, Justiz- und Oberamtmann nach Eisenach versetzt wurde. Das Haus des Vaters vertauschte er schon in seinem neunten Jahre mit dem seines Pathen und Oheims, des Superintendenten Dr. Johann Weißenborn († 1761) in Allstedt bei Weimar. Auch als dieser ein Jahr darnach (1744) zum Generalsuperintendenten in Eisenach befördert [86] wurde, blieb ihm die Erziehung des Knaben anvertraut. Sein Haus verließ M. erst, als er 1754 nach mehrjährigem Besuche des Eisenacher Gymnasiums die Universität Jena bezog, um Theologie zu studiren. Inscribirt war er schon am 13. Juli 1747 honoris causa worden. Um 1754 wurde er auch in die deutsche Gesellschaft daselbst aufgenommen. Nach vierthalb Jahren kehrte er, zum Magister der freien Künste promovirt, nach Eisenach zu seinen Eltern zurück. Die nächste Zeit widmete er praktischen Vorbereitungen auf den geistlichen Beruf. Seine Predigten fanden Beifall; auch war ihm schon die Pfarrstelle in dem Dorfe Farnroda bei Eisenach bestimmt: da wurde seine theologische Laufbahn durch die Weigerung der Bauern unterbrochen, welche es ihm verübelten, daß er sich von den harmlosen Vergnügungen der Jugend nicht frömmelnd fern gehalten hatte. Das verleidete ihm den geistlichen Stand für immer; er wandte sich ernstlich philologischen Studien zu. 1763 wurde er zum Pagenhofmeister in Weimar, 1769 zum Professor am Gymnasium daselbst ernannt. Nun konnte er (am 24. April 1770) seine Braut Elisabeth Magdalena Juliane Krüger (geb. am 3. März 1742) heimführen, um die er schon manches Jahr geworben hatte. In glücklicher Ehe schenkte sie ihm zwei Söhne. Um seine schmalen Einkünfte zu vergrößern, nahm M. Jahre lang Kostgänger (meist junge Livländer) ins Haus und ertheilte an adelige Herren und Damen Privatstunden. Später überhoben ihn die Honorare für seine Schriftstellerei, so kärglich sie auch in der Regel ausfielen, dieser Einschränkung in seiner häuslichen Freiheit und Muße. Er konnte sich sogar auf der Altenburg bei Weimar auf eignem Grund einen Garten anlegen und ein Sommerhäuschen bauen; die Herzogin Anna Amalia, seine Gönnerin, die ihn auch gewöhnlich zu ihren Gesellschaften und Theatervorstellungen beizog, übernahm, dasselbe im Innern auszustatten. Obwol ihn oft die Arbeit drückte und mancherlei Krankheiten heimsuchten, bewahrte er fast immer seine Heiterkeit. Diese liebenswürdige Eigenschaft, dazu seine einschmeichelnde, dienstfertige Höflichkeit gegen alle und seine harmlos-witzige Laune gewannen dem bescheidnen, aber in seinem Aeußern mitunter absonderlichen, komisch-originellen Manne die Herzen aller seiner Mitbürger. Zu seinen Freunden durfte er die litterarischen Koryphäen Weimars und viele der bedeutendsten Köpfe im übrigen Deutschland rechnen. Seine Schüler hingen mit inniger Liebe an dem wohlwollenden und anregenden, von Pedanterie und mechanischem Formalismus vielleicht nur allzu freien Lehrer. Als ihn ein jedem unerwarteter, doch von ihm selbst vorausgeahnter Tod am 28. October 1787 frühzeitig den Seinen entriß, gab Herder dem schmerzlichen Empfinden Aller Ausdruck, indem er in seiner Schulrede am Begräbnißtage die Humanität, die „gefällige, friedfertige und fröhliche Seele“ des Verstorbenen warm rühmte, „der an Einfalt des Charakters und an Güte des Herzens ein Kind, an unverdrossenem Fleiß und an Liebe zum gemeinen Besten ein Mann, ein redlicher Mann war“. Ein ungenannter Verehrer errichtete ihm kurz darnach ein einfach-schönes Denkmal auf dem Weimarer Friedhof.

Als Schriftsteller war M. ein ausgesprochener Gegner jeglicher Schwärmerei. Er bekämpfte die Empfindsamkeit des Richardson’schen Familienromans so gut wie die physiognomischen Phantasieen der Genieperiode. In den Anschauungen der rationalistischen Philosophie aufgewachsen, blieb er ihnen in der Hauptsache zeitlebens getreu. Die Führer der deutschen Aufklärung zählten fast alle zu seinen persönlichen Freunden; an ihrem kritischen Organe, der „Allgemeinen deutschen Bibliothek“, arbeitete er seit 1766 eifrig mit. Er besprach vornehmlich Romane und ähnliche Werke der schönen Litteratur. In energischem Tone, freimüthig und ohne Schonung griff er auch hier beständig Schwulst und falsche Sentimentalität an, besonders wenn dieselbe sich als undeutsche Nachäfferei ausländischer [87] Muster zu erkennen gab. Eine gründliche, ins Einzelne eindringende Kritik durfte er sich nur ausnahmsweise bei bedeutenderen Werken gestatten; meistens beschränkte er sich auf wenige, herb verurtheilende Worte. Den Ernst und die Würde des Kritikers wahrte er immer; doch ließ er, wo es die Sache erlaubte, auch gern in seinen Recensionen die satirisch-humoristische Laune spielen, mit welcher er seine selbständigen Schriften würzte.

Nachdem er sich schon an der Universität mit den neueren Werken der deutschen Litteratur vertraut gemacht und auch selbst gelegentlich ein Gedicht geschmiedet hatte, trat er 1760–1762 anonym mit dem dreibändigen Roman „Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn v. N.“ hervor. Weniger gegen Richardson selbst, obwol auch die Schwächen seiner Darstellung nicht ungerügt blieben, als vielmehr gegen seine deutschen Bewunderer und Nachahmer im litterarischen wie im praktischen Leben kehrte M. seine Parodie. Er schilderte einen ältlichen deutschen Landedelmann, der sich durch sein Entzücken über Richardson’s tugendseligen Rührroman hinreißen läßt, als ein neuer Don Quixote Grandison’s Thun und Gebahren sclavisch nachzuahmen, während sein Hauslehrer, halbgebildet, dünkelhaft und durch seine phantastischen Einfälle seinem derben, geistig beschränkten Gebieter verwandt, sich in Dr. Bartlett’s Rolle einlebt. Spottlustige Verwandte bestärken sie in dem Wahne, daß die Personen des englischen Romans wirklich lebende Menschen seien, und bestimmen sie, mit diesen eine Correspondenz anzuknüpfen, die zusammen mit jener kleinlichen Nachäfferei zu komischen Verwicklungen und lächerlichen Situationen aller Art führt. Die drastische Wirkung der Parodie wurde leider durch die langweilige Breite der Erzählung abgeschwächt; auch schadete ihr der eintönige, nirgends individuell gefärbte, aber vielfach mit alltäglichen Reflexionen und Moralbetrachtungen ausgeputzte Briefstil, den M. ebenso gut nach Gellert’s wie nach Richardson’s Musterbeispielen gebildet hatte. Der Aufbau der Geschichte war ziemlich locker und episodenhaft, die Handlung überdies nicht zu Ende geführt. Gleichwol erwarb sich das Werk als Deutschlands erster komisch-satirischer Roman, dem bald, zum Theil direct von ihm abhängig, ähnliche Versuche von Wieland, Wetzel und Johann Gottwerth Müller folgten, den Beifall der Leser und, wenn auch mit manchen Beschränkungen, das verdiente Lob der Kritik (Thomas Abbt im 314. Litteraturbrief). Zwanzig Jahre darnach (1781–1782) arbeitete M., der die Mängel seiner Erzählung klar erkannte, dieselbe mit gutem Geschick von Grund aus zu einem vollständig neuen Werke um, zog sie in zwei Theile zusammen, jetzt unter dem Titel „Der deutsche Grandison, auch eine Familiengeschichte“, vertauschte die Briefform wenigstens in der Hälfte des Buches mit einfacher epischer Darstellung und vermied dadurch mehrmals die frühere Monotonie des Vortrags, faßte sich durchweg kürzer und fügte nicht nur den zuvor vermißten Abschluß, sondern auch eine längere Vorgeschichte des Romans bei, in welcher der phantastisch schwärmende Landjunker in derselben Weise den Robinson Crusoe wie hernach den Grandison copirt.

Nach dem Antritt seines Weimarer Lehramtes ließen die Berufsgeschäfte lange M. zu keiner größern poetischen Arbeit kommen. Künstlerisch werthlos und in der Geschichte unserer Litteratur ohne Bedeutung war die dreiactige Oper „Das Gärtnermädchen“, die er nach dem französischen Roman „La jardinière de Vincennes“ unter dem unmittelbaren Einfluß der Singspiele Christian Felix Weiße’s verfaßte (1771 gedruckt): seinen Bühnenerfolg verdankte das weitschweifige, uninteressante und oft platte Stück nur der musikalischen Composition des Weimarer Capellmeisters E. W. Wolf[WS 1]. Ein Vorspiel mit Gesang „Die vier Stufen des menschlichen Alters“, welches M. zur gleichen Zeit schrieb und Johann Adam Hiller componirte, wurde gar nicht durch den Druck veröffentlicht.

[88] Erst 1778 verlockte ihn eine neue „Modeschwärmerei“ wieder zu einem humoristischen Roman „Physiognomische Reisen, voran ein physiognomisch Tagebuch“ (in vier Heften 1778–1779 anonym herausgegeben). Wie bei seinem „Grandison“, so waren auch hier Cervantes und Fielding seine Muster. Nach ihrem Beispiel schilderte er die Erfahrungen eines gläubigen Anhängers der Lavater’schen Physiognomik zu Hause und auf einer abenteuerlichen Reise, die derselbe unternimmt, um seinen Sinn für die neue Wissenschaft auszubilden und seine Kenntnisse darin zu vermehren; aber er erlebt eine Enttäuschung um die andere, fühlt sich dadurch zu manchen Bedenken und Widersprüchen gegen Lavater’s Lehre angeregt und gelangt trotz allen Sträubens schließlich zu der Einsicht, daß dieses System auf falsche Grundsätze gebaut ist, weil es das individuelle, subjectiv verschiedne, unsichere Gefühl und nicht den Verstand, der nach zuverlässigen, für alle Menschen gleichmäßig gültigen Regeln entscheidet, zum Richter seiner Urtheile macht. M. bestritt keineswegs den Werth oder die Berechtigung der Physiognomik überhaupt, sondern nur Lavater’s Methode, seine und seiner Anhänger übertriebne Ansichten und Erwartungen von jener Wissenschaft und die einseitig philanthropischen Tendenzen, welche er mit ihr verfolgte. Persönlich schätzte er den „herzguten, lieben Schwärmer“ Lavater ungemein und machte auch in seinem Buche kein Hehl daraus; aber er bezweifelte, daß es für den Physiognomisten genüge, die Eigenschaften und Kräfte des menschlichen Geistes und Herzens zu enträthseln, wenn er nicht zugleich erkenne, ob der einzelne sie zu guten oder bösen Zwecken anwenden werde. Nicht blos Menschenliebe, sondern Menschenkunde sei darum der Hauptzweck der Physiognomik; daraus würde jedoch oft Menschenhaß folgen. Aber M. leugnete überhaupt die Möglichkeit, in den Gesichtszügen allein, ohne daß wir von den Handlungen eines Menschen Kenntniß haben, seine einzelnen sittlichen und geistigen Eigenschaften zu entdecken; nur Thatkraft oder Passivität könne man in ihnen unterscheiden. So waren die „Physiognomischen Reisen“ nach ihrem Inhalt keineswegs eine unbedingte Satire auf Lavater’s „Fragmente“; sie waren auch der Form nach keine rein durchgeführte Parodie. Die ironische Darstellung war öfters durch directe Polemik unterbrochen. Auch im Stil carikirte M. bald die alterthümelnde, familiäre und burschikose Sprache der Kraftgenies und parodierte glücklich Ausdrücke oder ganze Abschnitte des Lavater’schen Werkes, bald aber fiel er in seinen eignen, einfacheren und ruhigeren, auch doctrinäreren Ton zurück. Seiner Schilderung fehlte es nur zu oft an Witz im Einzelnen; vor Allem aber hätte sie umfassender und tiefer sein sollen. M. hätte sich genauer an Lavater anschließen und demnach ein wohlgeordnetes, erschöpfendes Abbild des gesammten physiognomischen Treibens zeichnen, nicht aber blos einzelne wenige Scenen daraus, die er wieder kunstlos episodenhaft an einander reihte, unendlich breit ausmalen sollen. Die gleichzeitigen Leser erkannten diese Mängel des Buches nur unvollkommen. Das zeitgemäße Thema, wol auch die gelegentlichen Anspielungen auf andere Modethorheiten oder litterarische Lächerlichkeiten jener Tage (Gaßner’s Wundercuren, Karl Friedrich Cramer’s Klopstockcultus u. dgl.) machten den humoristischen Roman schnell überaus beliebt. Er erlebte in dritthalb Jahren drei starke Auflagen; an lobenden Recensenten fehlte es nicht; auch Nachahmer stellten sich ein.

Dieser Erfolg bewog den Autor, nunmehr sein litterarisches Talent fleißiger auszubeuten. 1782–1787 veröffentlichte er in fünf Theilen sein verbreitetstes Werk „Volksmärchen der Deutschen“. Auch hier griff M. unmittelbar in die litterarische Bewegung seiner Zeit ein. Zachariä, Bürger, Wieland, Voß u. a. hatten bereits in mehr oder weniger freier Weise alte deutsche oder ausländische Märchen übersetzt, modernisirt, dichterisch umgestaltet. Aehnliche Bestrebungen waren seit Jahrzehnten in Frankreich hervorgetreten; die großen Sammlungen [89] von Märchen und mittelalterlichen wunderreichen Romanen, die dort gerade damals veranstaltet wurden, wirkten mannigfach nach Deutschland herüber. M. schöpfte aus verschiednen dieser Quellen, aus den fabelhaften Berichten mittelalterlicher Chronisten, aus den Feenmärchen und Sagensammlungen der Ausländer, aus gedruckten altdeutschen Mythen; namentlich aber ließ er sich von Leuten des Volks erzählen, was sich von Wunder- oder Spukgeschichten in der mündlichen Ueberlieferung des Volks erhalten hatte. Wirkliche alte Volksmythen boten ihm viel weniger den Stoff zu seinen Märchen als relativ späte Localsagen. Die historischen Ereignisse und Persönlichkeiten, an welche diese anknüpften, suchte er möglichst bestimmt, fast wissenschaftlich genau darzustellen und zerstörte dadurch sowie durch seine sonstigen wissenschaftlichen, ja geradezu rationalistischen Erklärungen und Bemerkungen oft die poetische Stimmung und den kindlich-gläubigen Ton des Märchens. In gleicher Weise schadeten die zahlreichen Anspielungen auf Vorgänge im modernen Leben und in der modernen Litteratur der Naivität des Vortrags. Reflexion und moralische Didaxis drängte sich überhaupt zu stark hervor. Mit Recht hat man daher diesen Erzählungen den Namen Volksmärchen abgesprochen und sie vielmehr als Märchennovellen bezeichnet. Der festere Aufbau der Handlung, die sorgfältige Charakteristik, das reiche, geschmackvolle Colorit waren das Verdienst des Novellisten, welcher die ihm überlieferten Märchen pragmatisch zu motiviren, psychologisch zu vertiefen und malerisch auszuschmücken strebte. Seine Sprache, welche die Leser ebenso durch Einfalt und Leichtigkeit wie durch Anmuth und phantastischen Reichthum an Farben und Bildern bezauberte, hatte M. namentlich an Wieland’s Stil gebildet. Ihren Vorzügen verdankte er großentheils den außerordentlichen Erfolg des Werkes, das wiederholt (nach dem Tode des Verfassers 1806 von Wieland) aufgelegt und alsbald von zahlreichen Schriftstellern fortgesetzt oder nachgeahmt wurde.

An poetischem Werth und an litterarischem Erfolge kam den „Volksmärchen“ keine von Musäus’ späteren Arbeiten gleich. 1785 schrieb er den erklärenden Text zu einem von J. R. Schellenberg mitunter mittelmäßig gezeichneten Totentanz, „Freund Hein’s Erscheinungen in Holbein’s Manier“, kleine Charakterbilder, unsäglich arm an Handlung, aber strotzend von nüchterner Alltagsmoral, fast regelmäßig von allgemeinen Sentenzen umrahmt, die, obwol weit hergeholt und mit dem eigentlichen Inhalt der Geschichte nur lose verbunden, doch meistens zu breiten Betrachtungen oder gar zu langen poetischen Phantasieen ausgesponnen sind. Durchaus sind unverträgliche Elemente gemischt: naive Vorstellungen des Todes mit einem Uebermaß von gelehrter Reflexion, ein ernster, ja schauriger Inhalt mit humoristisch-heiterer Form, ungelenke oder flüchtig tändelnde Verse mit schwülstiger Prosa; so wird nirgends eine einheitliche ästhetische Stimmung oder überhaupt ein reiner künstlerischer Eindruck erzielt. 1787 folgte ein Bändchen „Straußfedern“, d. h. Erzählungen, deren Stoffe M. fremden Autoren entlehnt, vielleicht auch zufällig am Weg aufgelesen und nun in seiner Weise bearbeitet hatte. Es waren vier künstlerisch unbedeutende Novellen, weder durch tiefe Probleme noch durch Kunst der Composition ausgezeichnet, breit erzählt und oft mit gezwungener Laune fade gewürzt, von derber, bisweilen sogar lüsterner Sinnlichkeit nicht frei, wenngleich niemals schmutzig oder schlüpfrig. Wenig interessante Liebesabenteuer bildeten hauptsächlich den Inhalt, plumpe Intriguen bewegten den Gang der Handlung; von feinerer Charakteristik konnte man wenig merken, dagegen waren weder äußerliche Motive noch selbst ein roher, aller Romantik entkleideter Spukapparat verschmäht. Noch schwächer waren allerdings die Erzählungen, welche nach Musäus’ Tode Johann Gottwerth Müller in den folgenden Bänden der „Straußfedern“ sammelte. Nur für Kinder interessant, [90] wenn auch mancher Ausdruck und besonders manche Anmerkung nur für Erwachsene verständlich war, von kindlichem, bisweilen kindischem Inhalt und eben solcher Moral war das von Friedrich Justin Bertuch 1788 herausgegebene Büchlein, an dessen Vollendung M. durch den Tod gehindert wurde, „Moralische Kinderklapper für Kinder und Nichtkinder“, frei nach Monget’s „Hochets moraux“ (1782) ausgearbeitet. Rhythmisch eintönige, fast durchweg jambische Prosa wechselte mit leicht gereimten Versen; aber kindlich-naive, gutmüthige Laune sprach sich überall nicht ohne Anmuth aus. Interessanter und zum Theil auch künstlerisch bedeutender waren die Aufsätze, welche gleichfalls nach dem Tode des Verfassers sein Zögling August v. Kotzebue in den „Nachgelassenen Schriften“ gesammelt hat (1791). Ein harmloser, fröhlicher Humor verlieh diesen kleinen Arbeiten ihren eigenthümlichen Reiz, den vortrefflich im einfachsten Plauderton geschriebenen, aber inhaltlich oft nichtigen Briefen sowol wie den culturhistorisch merkwürdigen, geschickt entworfenen autobiographischen Skizzen „Modischer Lebenslauf eines unmodischen Weltbürgers“ und „Lästige Polizeianstalten für Spaziergänger“; die Schilderung des Weimarer Schloßbrandes von 1774 dagegen zeichnete sich durch Lebhaftigkeit und Anschaulichkeit aus. Auch mehrere Gedichte theilte Kotzebue aus dem Nachlaß mit, fast ohne Ausnahme Gelegenheitsstücke, die M. großentheils zum Geburtstag seiner Gattin oder zur Hochzeit von Freunden verfaßt hatte, wie er denn überhaupt als Gelegenheitspoet (selbst gegen Bezahlung) mehrfach noch in seinen letzten Jahren thätig war. Künstlerisch unbedeutend, in der Form niemals streng correct, zeigten seine Reimereien meist den Einfluß der Gleim’schen Poesie und zwar sowol der Grenadierlieder als der tändelnden Anakreontik des Halberstädter Kreises; seine Knüttelverse, anfangs ganz regellos und ungehobelt, inhaltlich dürftig, platt und sinnlich derb, näherten sich später wenigstens äußerlich mehr dem von Goethe und den Genossen des Sturms und Drangs erneuten Hans Sachsischen Muster.

Kotzebue leitete die „Nachgelassenen Schriften“ mit einer liebevollen, kurzen Charakteristik seines ehemaligen Lehrers ein, die vorher im „Deutschen Mercur“ (December 1790) veröffentlicht worden war. Auf ihr hauptsächlich beruht der Artikel über M. bei Jördens, Lexikon deutscher Dichter und Prosaisten, III, 759–770 (Leipzig 1808). Aus Jördens wieder schöpfte, doch nicht ganz unselbständig, der Biograph in W. Hennings „Deutschem Ehrentempel“, III, 97 bis 113 (Gotha 1822). Endlich entwarf Dr. Moritz Müller 1867 zu Jena „ein Lebens- und Schriftstellercharakterbild“ von M., einfach und bescheiden, doch mit fleißiger Benutzung der älteren Hilfsmittel und neuer Quellen. Das litterarische Verdienst seines Helden hat Müller freilich ebenso wie alle seine Vorgänger überschätzt. Mittheilungen aus dem Kirchenbuch zu Jena und aus den Acten der dortigen Universität verdanke ich Herrn Professor Dr. Berthold Litzmann daselbst.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: C. W. Wolf