ADB:Wernher (Spruchdichter)

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Artikel „Bruder Wernher“ von Richard Moritz Meyer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 74–76, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wernher_(Spruchdichter)&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 17:02 Uhr UTC)
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Werner, Zacharias
Band 42 (1897), S. 74–76 (Quelle).
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Wernher: Bruder W., hervorragender Spruchdichter aus der Zeit des Minnesangs. Er war ziemlich sicher ein Oesterreicher und seine Sprüche lassen sich in nahezu lückenloser Reihe von 1217–50 datiren; und da er den Kreuzzug Leopold’s VII. von Oesterreich 1217 (an dem auch Neidhart von Reuenthal theilnahm) mitmachte, da ferner auch seine frühesten Gedichte schon eine feste [75] Manier zeigen, so mag er etwa 1190 geboren sein. Noch in der Zeit zwischen August 1241 und Juni 1243 nennt er sich einen Laien; auch scheint er verheirathet gewesen zu sein und Kinder gehabt zu haben. Schwerlich darf man (mit Burdach und Schulte) annehmen, daß er schließlich noch geistlich ward. Vielmehr bezeichnet der Titel „Bruder“ ihn wohl nur als Genossen der Bruderschaft von Wallfahrern zum heiligen Grabe. W. war ein Spielmann, der den Vortrag lehrhafter und besonders auch politischer Sprüche zum Lebensberuf hatte und damit auf die Gunst der großen Herren angewiesen war. Allzureich ist sie ihm wohl nicht zu Theil geworden: er schilt fortwährend über die Kargheit der Reichen und klagt, sogar von dem vielgepriesenen Friedrich von Oesterreich unbeschenkt geblieben zu sein. Doch lobt er verschiedene Herren: König Heinrich, den Gönner Neifen’s und Winterstetten’s[WS 1], Poppo VII. von Henneberg, den Bruder des Minnesängers Botenlauben, den Grafen Wilhelm von Hunenburg († vor 1249), den mit Lichtenstein befreundeten Hartnit von Ort († 1244) und Andere. Sein politisches Interesse wendet sich vorzugsweise den österreichischen Angelegenheiten zu. Friedrich den Streitbaren, den er nach dem Tode lobte, und noch Ottokar ging er mit Mahnworten an. Aber er nimmt auch an dem großen Kampf zwischen Kaiser und Papst theil, anfangs als Anhänger Friedrich’s II., später (wie mehrere seiner Genossen, auch Walther von der Vogelweide selbst) von ihm abtrünnig, übrigens im Ganzen mit merkwürdiger Unabhängigkeit der Gesinnung: er tadelt den Kaiser, der den gelobten Kreuzzug nicht leistete, aber auch den Papst, der Böses mit Bösem vergelte. Eine gewisse Selbstständigkeit des Urtheils darf man dem ernsten Mann schon zutrauen, wenngleich sie schwerlich ganz frei von der Rücksicht auf die politische Stellung seiner Gönner blieb. Um solche zu finden, durchzog er Oesterreich, Schwaben, die Rheinlande; weitere Reisen scheint er (von seinem Kreuzzug abgesehen) nicht unternommen zu haben. Diese Wanderzeit fällt hauptsächlich in die Jahre 1237–43, vielleicht auch noch in die von 1219–29. Ottokar’s Wahl zum Herzog von Oesterreich 1251 scheint W. nicht mehr erlebt zu haben. Er erntete nicht geringen Ruhm, wie die Zahl der erhaltenen Gedichte (78 Strophen) zeigt, wird unter den berühmten Sängern wenigstens in Einer litterarhistorischen Stelle (von Meister Robin) aufgezählt und ging in die Zwölfzahl der legendarischen Gründer der Singschule über.

Der Ruhm war nicht unverdient. W. bewährte auf einem allerdings beschränkten Gebiet ein hervorragendes Talent und durfte wohl von Roethe „der Meister des Spruchstils“ genannt werden. Mit Benutzung älterer, rein gnomischer oder rein bettelhafter Muster hatten die Fahrenden seit Walther’s großem Beispiel sich in dem „Spruch“ ein Gefäß für jegliche Art allgemeinerer Meinungsäußerung hergestellt, welches (trotz häufigen Wechsels in der äußeren Form, der aber doch auch einen gewissen Durchschnittscharakter nicht antastete) etwa dieselbe Rolle spielte wie das Sonett in dem Italien der letzten Jahrhunderte. W. besonders weiß diese poetischen Flugblätter mit sicherer Meisterschaft zu redigiren. Wie er etwa in einer nicht langen Klagestrophe über den Tod Ludwig’s von Baiern (1231) dessen politische Thätigkeit knapp vorzuführen versteht, wie er seine Sätze klar und doch ohne trockenen Schematismus (der dann bald einriß) gliedert, das verdient hohe Anerkennung. Gern geht er von einem Gleichniß aus und weiß Spannung auf die Anwendung zu erwecken. Gewisse Lieblingsmotive kehren dabei wieder: wie ein Haus gezimmert, eingerichtet, von den Flammen verzehrt wird; wie ein Blinder von einem Führer geleitet wird; wie der Wanderer sich einen Dorn in den Fuß tritt und hinkt; wie der arme Mann sich reich träumet – alles Gegenstände aus dem täglichen Leben des wandernden Spielmanns und doch mit Geist auf [76] die höchsten Fragen angewandt. Auch fehlt es seinen Sprüchen nicht an feiner Beobachtung: das böse Weib und der schwache Mann, die sittenlose Mutter, der die Tugend ihrer Tochter ein Vorwurf ist, treten im Gleichniß auf. Doch hat seine Menschenkenntniß einen stark pessimistischen Zug: nach drei Tagen ist der Freund oder der Gatte vergessen. Schelten ist überhaupt seine Leidenschaft, wie er selbst gesteht; die Verdrossenheit einer Verfallzeit, die Unzufriedenheit der aus der Mode kommenden Sänger, aber auch der Gegensatz eines ernsten Temperaments zu der Frivolität seiner Umgebung haben daran ihren Antheil. Er ist aufrichtig fromm; er hat ein bestimmtes Idealbild des rechten Ritters vor Augen und erklärt sich mit vereinzelten Tugenden nicht abspeisen lassen zu wollen; er denkt gern an die letzte Stunde und mahnt nicht blos zur Freigebigkeit, sondern auch zur Treue, besonders gegen alte Freunde. Immerhin sind die moralischen Nutzanwendungen seiner Sprüche weniger originell als die Einleitungen. Da gestattet er sich die kühnsten Bilder und vergleicht den Kaiser, der ein in der Noth gethanes Gelübde nicht halten will, mit dem Affen, der sich von dem Skorpion retten läßt und den Lohn schuldig bleibt; er findet für die Einsamkeit der ins Ungewisse fahrenden Seele den schönen, auf urgermanischer Anschauung beruhenden Ausdruck: „weh daß die Seele keine Sippe hat.“ Während er sonst die directe Apostrophe und die Personification mit Maß verwendet, wird das „Lob“, mit dem er sich Gönner wirbt, in immer neue Gleichnisse eingekleidet: es ist ein Haus, das man bewohnt, ein Pferd, auf dem man reitet, eine Fackel, die uns leuchtet. Man darf es ihm vielleicht glauben, daß er gern mehr loben würde; seine wiederholte Warnung vor Zweizüngigkeit erweckt umsomehr Zutrauen als er gern das Gefühl der Verantwortlichkeit betont.

Seine Form entbehrt höherer künstlerischer Ansprüche; sie ist dem inhaltlichen Bedürfniß angemessen und nähert sich gern modernen Gestaltungen, dem Alexandriner, der Stanze. Reminiscenzen, besonders an Walther, fehlen nicht ganz, tragen aber kaum einen andern Charakter als die gelegentliche Verwendung von Sprichwörtern und Volksglauben. Ebenso hält er sich auch, wie Roethe rühmt „wie kein Anderer von der schädigenden Freude an gelehrtem Krimskrams frei“; er bringt nur eben was er braucht. Aus dem gleichen Grunde scheint er die Sitte nicht mitgemacht zu haben, durch ein Minnelied sich als ganzer Dichter zu legitimiren. Es heißt aber, von allen andern Gegengründen abgesehen, die Grenzen seines Vermögens völlig verkennen, wenn man ihm des Vornamens wegen Wernheres Gärtners „Meier Helmbrecht“ zuschieben wollte; zu dieser Ruhe breit epischer Erzählung fehlte dem schwarzgalligen Schelter Alles, vor allem das Behagen am Detail. Aber auch ohne jenes Kleinod mittelalterlicher Lebensschilderung gedichtet zu haben, bleibt er eine ansehnliche Erscheinung in der Geschichte unserer Dichtung und unserer politischen Kämpfe.

Text: v. d. Hagen, Minnesinger 2, 227–35; 3, 11–20.
Biographisches: v. d. Hagen 4, 514. Bartsch, Liederdichter S. LII.; K. Meyer, Untersuchungen über das Leben Reinmar’s von Zweter und Bruder Wernher’s, Basel 1866, S. 76 f. Lamey, Bruder Wernher. Diss., Würzburg 1880. H. Doerks, Bruder Wernher, Progr. Treptow a. R. 1889. (Gegen Grimme Alemannia 22, 43 f. vgl. Schulte, Zs. f. d. Alterthum 39, 239). Für die Identification mit Bruder Wernher noch C. Schroeder, Pfeiffer’s Germania 10, 455 f.
Litterarhistorisches außer an den angeführten Stellen noch Burdach, Reinmar und Walther, S. 135; Roethe, Reinmar v. Zweter, S. 37. 194. 220. 223. 227. 269. 305. 309. 321. 339 auch Anm. 78 und 94.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Konrad von Winterstetten, vgl. den Artikel über seinen Enkel Ulrich Schenk von Winterstetten