ADB:Wernher der gartnaere

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Artikel „Wernher der gartenære“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 77–80, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wernher_der_gartnaere&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 14:29 Uhr UTC)
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Wernher: Wernher der gartenære (Gärtner), mittelhochdeutscher Dichter, ist uns nur als Verfasser des, 1934 bez. 1908 Reimverse umfassenden Gedichts vom „Meier Helmbrecht“ bekannt. Ihn irgendwie bestimmter zu localisiren, ist deswegen unmöglich, weil unsere einzige Quelle seine eigene Namensnennung in dem Dativ ‚tihtære, Wernher der gartenære‘, den Schlußworten seines Werkes, nebst den innerhalb des letzteren und durch es gelieferten fraglichen inneren Indicien sind. Kein Zweifel besteht darüber, daß W. bajuvarischen Stammes und am untern Inn beheimathet und wohl auch längere Zeit ansässig war. Sollte er, wie manche annehmen und wofür allerdings Form und Ausdruck seines dichterischen Schaffens sprechen, ein ‚fahrender Mann‘ gewesen sein, also nie einen ausgedehnteren festen Aufenthalt besessen haben, dann müßte man unbedingt die Gegend, die als Schauplatz der Handlung nunmehr unbestritten bleibt, als die seiner Geburt und Kindheit betrachten. Sehr viel hat aber die schöne, auch genug begründete Vermuthung Keinz’ für sich, daß Wernher der gartenære, für dessen Vereinigung mit ‚Bruder Wernher‘ auch gar nichts direct spricht, nicht, früherem Ansatze gemäß, einen ‚Wanderer‘ (von mhd. ‚garten‘) d. h. einen Spielmann, oder den aus ‚Garten‘ = Garda stammenden meine, sondern einen ‚Gärtner‘ und zwar den Pater Gärtner aus der Zahl der Klosterbrüder des Klosters Ranshofen unweit der Stadt Braunau am Inn. Denn dort, im sogenannten Inn-Viertel, das ehemals bayerisch, seit dem 18. Jahrhundert österreichisch ist, spielt das in dem Gedichte erzählte Drama auf jeden Fall, wie die ungemein sorgfältigen Nachforschungen von Keinz unwiderleglich festgestellt und bis in allerlei Einzelheiten der Oertlichkeiten-Benennung dargethan haben. Es würde dabei sehr wenig verschlagen, wenn Schlickinger’s neuerliche Verschiebung der Scenerie um ein kleines Stück nach Norden – nicht die Bauerngüter Lenz-Nazl, sondern die Höfe Bauer und Hartl wären danach dem Helmbrechtanwesen gleichzusetzen – richtig wäre; jedoch liegt kein Grund vor, sie angemessener als jene seit dreißig Jahren fast allseitig angenommene Fixirung erscheinen zu lassen. Der Weilhartswald, der sich östlich von dem bairischen Grenzstädtchen Burghausen in einem Bogen um die Salzach bis an deren Mündung in den Inn hinzieht, ist gewissermaßen der Mittelpunkt der Localität und unmittelbar in wie an ihm liegen mehrere der für die Ereignisse in Betracht kommenden Punkte. Stimmt man nun Keinz’ Identificirung des Verfassers mit dem Pater Gärtner des Ranshofener Klosters zur Zeit, da die sichtlich wirklichen Ereignissen ohne wesentliches Andere nacherzählte Geschichte sich begab, bei, so braucht man über die genaue Kenntniß der ganzen Gegend, der herrschenden Lebensverhältnisse und Volksanschauungen und die hervorragende epische Kleinkunst wie sie Zug um Zug sich verrathen, nicht verwundert zu sein. Denn, wie Keinz bemerkt, der genannte Functionär hatte „auch die Obliegenheit, alljährlich das ganze Gebiet des Klosters zu durchwandern und die Bauern in der Obstbaumzucht und Küchengärtnerei zu unterrichten. Noch jetzt wissen die Leute von den drei letzten Patres, welche diese Stelle inne hatten, besonders von einem Pater Theobald, hübsche Anekdoten zu erzählen“, und ein noch heute fortlebendes Schnaderhüpfel als typische Eingangsstrophe zum Trutzliedsingen hebt an: „meinst frei, du kannst singen wie ein Gartner Pfaff?“, was leicht eine Reminiscenz an einen dichterisch berufenen Mönch jenes Amts sein mag. Die Zeit der Entstehung ist nach alledem für das Gedicht nicht genau bestimmbar: nach Neidhart’s von Reuenthal (s. A. D. B. XXIII, 395[WS 1]) Tode (V. 217) gewiß, vor Rudolf’s von Habsburg Ordnung der durch das Faustrecht und Raubritterthum des Interregnums eingerissenen Wirren höchst wahrscheinlich. Den ersteren terminus hat man zum Ausgang gewählt, auf letzteres Factum aber noch nicht geachtet: man wird um 1250 oder kurz danach ansetzen können, andere freilich capriciren [78] sich auf ein paar Jahre vorher und zwar ohne jeden positiven Anhalt auf ganz bestimmte; von Belang ist das nicht.

Der Inhalt der „Meier Helmbrecht“-Novelle – so ist sie weit eher zu betiteln als, wie meist, als „älteste deutsche Dorfgeschichte“ – ist häufig wiedererzählt bez. resumirt worden, klar und fein von Gustav Freytag, Bilder aus der deutschen Vergangenheit, II, 1, S. 51–63. Hier wiederholen wir die geschickte Herausschälung des sachlichen und ethischen Kerns, die L. Speidel an wenig beachteter und nachträglich schwer zugänglicher Stelle gab: „Die Dichtung, der ein wirkliches Geschehniß zu Grunde liegt, erzählt, wie der Sohn des Bauers Helmbrecht, von Uebermuth geplagt, unter die Raubritter geht, viele Schandthaten vollbringt und schließlich als geblendeter Bettler schmählich endet. In den Gesprächen zwischen Vater und Sohn liegt das Mark der Dichtung. Schöner, herzlicher, eindringlicher ist der Ackerbau nie gepriesen worden, als von dem alten Helmbrecht. Er sagt das seinem Sohne, der dem Alten den Rücken kehren will. Die Arbeit der Bauern, meint er, nützt dem Armen und dem Reichen; manche Frau wird durch sie schön, mancher König durch ihr Erträgniß gekrönt; ja, von deiner Arbeit genießt Wolf und Adler und alles lebendige Geschöpf auf Erden. Wie schön, wie im besten Sinne menschlich ist die Wendung, daß auch die Thiere und unter diesen selbst die ärgsten Feinde des Landmannes des Ackerbaues froh werden. Mit den Thieren zu theilen, ist alte deutsche Sitte. Dem jungen Helmbrecht schlagen indessen die wärmsten Worte des Vaters nicht ans Gemüth; er geht eigensinnig seinem Schicksale entgegen. Nach einem Jahre spricht er wieder bei seinem Vater vor und wird gastlich aufgenommen. Ein zweites Mal, als ihn das Gericht ereilt hatte und er, verstümmelt an Fuß und Hand, als blinder Bettler von einem Knaben geführt, am Helmbrechtshof anpochte, wies ihn der Alte unbarmherzig von der Schwelle. So wehe es ihm auch thut – denn er ist doch sein Kind und steht blind vor ihm – so ruft er doch seinem Knechte zu: ‚Knecht, sperre, stoße den Riegel vor; eher behielte ich Einen, den ich nie gesehen, bis zu meinem Tode bei mir, als daß ich Euch ein halbes Brot gäbe.‘ Aber die Mutter – im gap diu muoter doch ein brôt in die hant als einem kinde. Die Dichtung schildert neben einem kreuzbraven Landmann den Uebermuth der Bauern, die Entartung von an sich tapferen Eigenschaften. Ein Geistlicher hat sie geschrieben, dem der derbe Humorist in geschlechtlichen Dingen und der lehrhafte Moralist wiederholt ins Genick schlägt. Er gibt sich durchaus als einen Freund des Volkes.“ Die im vorletzten Satze geübte Kritik entspricht nicht dem Sinne des mittleren 13. Jahrhunderts und insbesondere den Schichten, aus denen das Gedicht hervorgegangen und für die in erster Linie es berechnet war.

Die Treffsicherheit, mit der die socialen und culturellen Zustände in die Handlung verflochten werden, muß schon in der Zeit des Bekanntwerdens gewirkt haben; Otacker’s österreichische Reimchronik (zwischen 1290 und 1318) und der czechische Schriftsteller Stitný im 14. Jahrhundert verwenden Helmbrecht’s Wesen bez. Namen zur Bezeichnung tadelnswerthen Betragens. Die Gesunkenheit des Adels, das großmannsüchtige Emporstreben des Bauernthums werden gleichmäßig unparteiisch gegeißelt, ohne didactischen Predigtton, sondern durch treu dem Leben abgelauschte Schilderung: so ist das Werkchen eine culturhistorische Quelle ersten Ranges und ein Juwel deutschvolksthümlicher realistischer Erzählungskunst, dessen sittliche Höhe auch seinen ästhetischen Werth hoch über die ihm am nächsten verwandten Dichtungen, Neidhart’s dörflerische Lieder und Heinrich Wittenweiler’s „Ring“, hinaushebt.

Das Gedicht ist in zwei Handschriften überliefert, der Ambraser in Wien aus dem Anfange des 16., und dem Anhange zu einer Titurel-Copie auf der Berliner Königl. Bibliothek aus dem 15. Jahrhunderte. Die jüngere ist sicher [79] originaler, da die Berliner Fassung die Oertlichkeiten auf allgemein bekannte in Oberösterreich zwischen Wels und Traunberg überträgt. J. Bergmann druckte die Wiener 1839, v. d. Hagen willkürlich die Berliner 1850 („Gesammtabenteuer“ III, 271–235, vgl. S. LXXIV ff.); kritische Ausgaben der ersteren mit Benutzung der andern von M. Haupt 1842 (Ztschr. f. dtsch. Altert. IV, 318–385), Keinz (1865; 2. Aufl. 1887), Lambel (1872 in „Erzählungen und Schwänke“, 2. Aufl. 1883), Piper (1889, in Kürschner’s „Dtsch. Nationalliteratur“ III), Bötticher (1891, in seinen mit Kinzel herausgegebenen Denkmälern d. älteren deutschen Literatur II 2, 69 ff.). Neuhochdeutsche Uebersetzungen von K. Schröder (1865), Pannier (1876), Oberbreyer (1879, in Reclam’s Universalbibliothek, meist aus beiden vorgenannten zusammengestoppelt und sonst werthlos), L. Fulda (1889, in Hendel’s Gesammtbibl. d. Literatur). Letztere ist musterhaft und auch mit einer ausgezeichneten Einleitung ausgestattet, die alle fachlichen Fragen selbstständig erledigt und das Gedicht ästhetisch schön würdigt. Das Hauptsächlichste der litterarhistorischen und topographischen Daten ergaben Friedrich Keinz’ Untersuchungen in den vier übersichtlichen Abschnitten vor seiner Ausgabe, den Sitzungsberichten der Münchener Akad. d. Wissensch. philol.-histor. Classe 1865, I, S. 316–331, dem Hefte „Ueber die Helmbrechtkritik in Pfeiffer’s Germania“ (München 1866) und der Anzeige und scharfen Abfertigung von M. Schlickinger, „Der Helmbrechtshof und seine Umgebung. Separatabdruck aus dem 51. Jahresbericht des museum Francisco-Carolinum in Linz“ (1893) im Anzgr. f. dtsch. Alterth. und deutsche Lit. XX, 258–266 (dagegen nun wieder Schlickinger, Ztschr. f. dtsch. Philol. XXIX, 218–223). Die Detailbeiträge zum Verständniß des Werkes bis 1884, bei Goedeke, Grundriß z. Gesch. d. dtsch. Dchtg.² I, S. 113 verzeichnet, sind bei Lambel und Keinz benutzt. Von diesen sind die Auslassungen K. Schröder’s, des Uebersetzers – nicht die rechtshistorischen R. Schröder’s – meist antiquirt (seine Verquickung unseres W. mit dem Bruder Wernher widerlegt außer andern auch F. Lamey’s Würzburger Dissertation über letzteren, 1880, S. 39 f.), ebenso die Pfeiffer’s in „Forschung u. Kritik auf dem Gebiete des deutschen Alterthums“ I, S. 5 ff., die die Localisirung der Berliner Handschrift im Traungau als echt (wie Guppenberger, Progr. des Gymns. Kremsmünster 1871) erwiesen zu haben wähnt. Bemerkenswerth bleiben A. Rudloff’s „Untersuchungen zu Meier Helmbrecht von W. d. G.“ (Rostocker Dissert. 1878), die W. engen Zusammenhang mit Neidhart und der höfischen Didaktik zuschieben. W. Stöwer, das Culturhistorische im Meier Helmbrecht von W. dem Gärtner (1891; Keinz, Dtsch. Ltrztg. 1891, 1929; recs. von O. Zingerle, Anzg. f. dtsch. Alterth. XIX, 297–299; Seemüller, Ztschr. f. österreich. Gymn. 43, 527) ist viel reichhaltiger als die auf das Gedicht selbst beschränkte Breslauer Programmabhandlung A. Inowraclawer’s, „Meier Helmbrecht, von W. d. G., eine Quelle für deutsche Alterthumskunde“ (1882). Rich. Müller, Zum Meier Helmbrecht, Ztschr. f. Dtsch. Alterth. XXX, 95–103, ebenfalls für die österreichische Localisirung, bringt nichts erhebliches. Lambel besprach i. Ltrtbl. f. germ. u. röm. Phil. XIII, 369–374, Keinz’ 2. Ausgabe, Fulda und G. Bötticher’s Ausgabe. Letztere erfüllt ihren pädagogischen Zweck, nicht so die „für Schule und Haus“ bestimmte Kastration Wohlrabe’s (1884), dagegen die Bearbeitung in Ed. Niemeyer’s „Erzählungen u. Geschichten a. d. deutschen Mittelalter“ (1886). Der oben benutzte Aufsatz L(udwig) Sp(eidel)’s steht im Feuilleton d. „Neuen Freien Presse“ Nr. 10772 (19. Aug. 1894), „Aus Mattighofen“. Einige Kleinigkeiten bieten Edw. Schröder, Bewillkommnung von Keinz’ Neuauflage dtsch. Litrtrztg. 1887, 1271 (Textcorrecturen), ferner das Referat ebendarüber im Liter. Cntrlbl. 1887, 1633 (für vor 1250), R. Sprenger i. d. German. XXXVII, 414. Eine gutgerathene Uebersicht über „Metrik und Stilistik im Meier Helmbrecht“ spendete die Leipziger Dissertation [80] Joh. Helfig’s, die freilich nur schon gewürdigte Eigenthümlichkeiten belegte und an die verschiedenen Hypothesen-Probleme kaum einmal rührte: er tritt ohne weiteres auf Keinz’ Seite, zu dessen Text er eine Reihe Verbesserungsvorschläge gibt, und schließt sich an die akademische Auslegung Rud. Hildebrand’s an, deren Resultate schon dessen Freund Keinz mehrfach verwerthet. Zu den ungemein malerischen Namen von Helmbrecht’s Spießgesellen vgl. auch Grotefend i. d. „Mittheil. d. Vereins f. Gesch. u. Alterth. zu Frankf. a. M.“ VII, S. 369 f. über ähnliche Bildungen im Hessischen. Die maßgebenden Litterarhistoriker ziehen W. alle heran: Gervinus, Koberstein, Wackernagel citirt Pfeiffer u. a. O.; vgl. W. Scherer, G. d. d. L., S. 227 (ders. Klein. Schrft. I, 715 f.), Fr. Vogt in Paul’s Grundriß d. germ. Philol. ¹ II, 1, 289. Aber obwol auch die populären Handbücher (W. Menzel, G. d. dtsch. Dchtg, I, 433; H. Kluge, G. d. dtsch. Nat.-Lit. § 19; Oltrogge, Gesch. d. dtsch. Dchtg. S. 75) Inhalt und Bedeutung darlegen, ist das classische Erzeugniß längst nicht nach Gebühr bekannt. Will man diesen ältesten Dichter unverfälschten oberdeutschen Bauernlebens – der in K. Schröder’s nettem Aufsatze über „die höfische Dorfpoesie des deutschen Mittelalters“, in Gosche’s „Jahrbuch f. Literaturgesch.“ I, mit Recht nur für einzelne Eigenthümlichkeiten, S. 52–64 (S. 73 zur zeitlichen Datirung) herangezogen wurde, freilich vor Keinz’ grundlegenden Mittheilungen (vgl. Gosche ebd. S. IX) – neben einen Gestalter ähnlicher Situationen und Conflicte aus unseren Tagen stellen, so darf man nur an Ludwig Anzengruber, nicht aber an P. K. Rosegger oder gar erst an Berthold Auerbach und seine Schule denken: bei aller großartigen Objectivität der ‚Milieu‘-Schilderung verstehen es eben nur Wernher und Anzengruber, durch die Unmittelbarkeit der bäuerlichen Art zu packen und durch Zuspitzung der daraus entquellenden Conflicte zu erschüttern. Der vierte Aufsatz von Edward Tompkins Mc. Laughlin, Studies in mediaeval life and literature (New-York u. London, 1894) gibt eine englische Prosaübersetzung des „Meier Helmbrecht“.


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