ADB:Ottokar aus der Gaal
Albrechts I. Söhne, im Herbste dieses Jahres, am Schluße seiner Chronik erzählt. Der ihm von Wolfgang Lazius († 19. Juli 1565) in seinem Werke „Commentariorum in Genealogiam Austriacam libri duo“, (Basel 1564) S. 233 bescheerte Beiname von Horneck, durch welchen er einem namhaften steiermärkischen Ministerialengeschlechte beigesellt wurde, beruht auf einer ganz bodenlosen Conjectur, wie schon Hieronymus Pez, der bekannte Melker Benedictiner und verdienstvolle Herausgeber der „Scriptores rerum austriacarum“ in seiner ersten und bisher einzigen Ausgabe der Reimchronik Ottokars (III. Bd. 1745) in zurückhaltender Weise bemerkt, ein Forscher, dessen Untersuchungen über die Lebens- und Zeitumstände unseres Chronisten durch Schacht, insbesondere aber durch die sorgfältigen kritischen Arbeiten eines Th. Jacobi und Ott. Lorenz nur in wenigen Einzelheiten ergänzt und berichtigt [773] werden konnten. Pez hat die beiden Stellen, auf welche etwa Lazius seine nicht näher begründete Conjectur stützen mochte: Cap. 50 (S. 64) und 714 (nicht 704, was in der Pez’schen Ausgabe S. 667 ein Druckfehler ist) als eine Begründung derselben durchaus nicht gelten lassen können. Denn dort (S. 64) ist „von Harnekch herr Albrecht“ eben nur erwähnt und hier (S. 666) „Fridrich was er genannt, geporn von Harnegk“ (= Horneck) als Krieger in der Heerschaar Ulrichs von Walsee im Kampfe Kaiser Albrechts I. wider die rheinischen geistlichen Fürsten auch nur angeführt, ohne daß sich irgend ein Wink auf einen Familienzusammenhang zwischen diesen beiden Horneckern und unserem Reimchronisten daraus ergeben würde“. Pez begnügt sich daher, die Laz’sche Conjectur mit der Bemerkung abzulehnen: „Nachdem ich die ganze Dichtung auf das fleißigste durchgearbeitet, kann ich mich nicht bejahend aussprechen“ (integro poemate diligentissime expenso affirmate pronuntiare non possum). Denn, daß er ihr nicht Glauben schenkte, beweist auch seine weitere Untersuchung. Wenn Lazius meine, O. sei ein „adeliger Ritter der Steiermark (nobilis eques Styriae) gewesen, so möchte er von Herzen gern dem zustimmen; wenn dies nur durch irgend ein taugliches Zeugniß des Chronisten selbst oder eines andern Schriftstellers dargethan würde“. Er glaubt jedoch (S. 4 der Praefatio) eher annehmen zu sollen, daß O. kein Ritter, sondern der Client eines Ritters oder edeln Grafen war und in dieser Eigenschaft der Iglauer Verlobungsfeier zwischen den Kindern Rudolfs I. und des gefallenen Böhmenkönigs Ottokar (Spätjahr 1278) beiwohnte. Allerdings schwächt er seine eigene, richtige Anschauung (S. 5) durch den Ausspruch ab: „Ich möchte nicht schlechterdings läugnen, daß er edler Geburt war, indem ich dahin durch verschiedene Conjecturen, die hier einzeln anzuführen, ich für überflüssig erachte, darauf geführt wurde“. Pez erkannte auch, daß O. ein Steiermärker gewesen sein muß, oder sich mindestens, während er seine Reimchronik schrieb, im Lande aufhielt, wie dies beispielsweise aus den Capiteln XI (S. 29) und 664 (S. 609) hervorgehe, indem an erster Stelle sich der Ausdruck „hie ze Steyer“, an zweiter „dicz lant“ (Steiermark unter der Herrschaft König Bela IV. und dessen Sohnes Stefan V.) vorfinde. Desgleichen konnte ihm sein dienstlicher Verband mit dem angesehenen Ministerialen der Steiermark, Herrn Otto v. Liechtenstein (s. A. D. B. XVIII, 618–620, † wahrscheinlich am 14. November 1311), Sohn des bekannten ritterlichen Minnesängers Ulrich († 1275 oder 1276, s. Art. Schönbachs a. a. O. S. 620 bis 623) nicht entgehen, da denselben die maßgebende Stelle der Reimchronik (Cap. 68, S. 81, z. J. 1261) klar bezeugt: „ … Wann mein herr Ott von Liechtenstein – Der tugenthaft vnd rain – Den ich mit dinst mein – Vnd mit trewen pin holt“ – … Auf Grundlage der Codices der Reimchronik sprach sich Pez in Bezug der Entstehung des weitschichtigen Reimwerkes, insbesondere mit Bezug auf die Capitel 28 und 34 (S. 37 und 48) dahin aus, daß der erste Haupttheil desselben, mit welchem der eine Codex Vindobonensis abschließt, um 1295 geschrieben sein müsse, da er in dem erstangeführten Capitel von den Kämpfen der arragonesischen Fürstensöhne Friedrich und Peter (richtiger: Jakob) um Neapel handle, die 1295 ihr Ende durch den Frieden derselben mit König Karl von Neapel (aus dem Hause Anjou) gefunden hätten, und an der zweiten Stelle von Ulrich v. Heunburg als Lebendem spreche, dessen Wittwe Agnes jedoch in (dritter) Ehe mit Herzog Meinhard v. Kärnten verbunden gewesen wäre, der bekanntlich 1295 (1. November) starb. Jacobi konnte nun leicht den Nachweis führen, daß Pez in seinen Schlußfolgerungen geirrt habe, da jene Kämpfe um Neapel bis 1302 währten; andererseits Ulrich v. Heunburg seine Gattin überlebte, und diese somit (11. Januar 1295 verstorben) unmöglich eine neue Ehe mit dem Görzer Meinhard eingehen konnte, was auch [774] außer Pez Niemand quellenmäßig behaupten wird; wir kennen eben nur eine einzige Gattin dieses Görzers, Elisabeth, Witte Kaiser Konrads IV. († 1273). (Wenn Jacobi den Tod Ulrichs v. Heunburg als unbekannt voraussetzt, so muß dies dahin berichtigt werden, daß der Heunburger noch 1302 urkundet, und 1308 als sein Todesjahr ziemlich feststeht.) Es läßt sich somit für die Abfassungszeit jenes Haupttheiles aus den angezogenen Stellen der Reimchronik für die Zeit um 1295 keineswegs ein stichhaltiger Anhaltspunkt gewinnen. Wie eingehend und scharfsinnig auch Jacobi die Ergebnisse eines Pez zu ergänzen und richtig zu stellen bemüht war, so hat er doch mehr negative als positive Ergebnisse für die fragliche Abfassungszeit gewinnen können, und seine damit gegründete Ansicht unterliegt manchen gegründeten Bedenken. Jacobi ist nämlich der Meinung, daß vor 1290 überhaupt gar nichts von dem großen Reimwerke vorhanden war, sondern daß es höchst wahrscheinlich nach 1300 unter die Feder kam und in einem ausgiebigen Stücke des ersten Haupttheiles (Cap. 1–651) sogar nach 1308 abgefaßt erscheint, während der zweite Haupttheil (Cap. 652 bis 814) um die gleiche Zeit begonnen wurde und jedenfalls vor 1317 geschrieben sein müsse, da der von O. im 755. Cap. als noch lebend erwähnte „Meister Frauenlob“ (Heinrich v. Meißen) 1317–18 starb. Ott. Lorenz trat dieser Ansicht mit gewiegten Bedenken entgegen und hat mit besonderem Hinweise auf den eingeschalteten Bericht über die Belagerung von Accon, der nicht vor 1303 geschrieben sein kann (Cap. 405–465, S. 388–467 bei Pez), und an ein zum Jahre 1291 gehörendes Ereigniß (Cap. 404) unmittelbar angereiht wird, richtigen Blickes die wahrscheinliche Genesis des weitschichtigen Werkes erkannt. Nach ihm hat „der Dichter bald nach dem Sturze König Ottokars, nach der Ankunft der Habsburger in Oesterreich zu seinem Werke aufgefordert, dasselbe bis zum Jahre 1291 gefördert. Hierauf behandelte er nur in Absätzen und wie ihm aus der Fremde der Stoff zukam, vielleicht unter besonderem Titel zeitgenössische Ereignisse. Endlich aber scheint er später einen neuen Anlauf genommen, das letzte Jahrzehnt des XIII. und das erste des XIV. Jahrhunderts aus mancherlei gelegentlichen Arbeiten zusammengefügt und mit der ursprünglichen Reimchronik vereinigt zu haben. Auch sei nicht unmöglich, daß diese Zusammenstellung, die Auffindung der Capitelüberschriften und die Einfügung der fremden Berichte Sache eines späteren Schreibers war“ (da sämmtliche bekannte Codices und auch Bruchstücke von der Abfassungszeit ziemlich weit abliegen). „Der Charakter der späteren Capitelüberschriften möchte vielleicht eine solche Annahme begünstigen. Wann O. durch den Tod in seiner Arbeit unterbrochen wurde, lasse sich natürlich in keiner Weise feststellen, doch werde er kaum das Jahr 1309 lange überlebt haben. Da er zur Zeit König Rudolfs bereits ein größeres Werk, wie er sagt, verfaßt hatte“ (es ist das verschollene „Puch der Kaiser“, das er im 383. Cap. mit den Worten „Als ich vor han geseit – An dem Puch der Kaiser“ anführt), „seine Lehrzeit in der Dichtkunst demnach um 1270 fällt, so müsse er zur Zeit der Marchfelderschlacht, doch wol bei dreißig Jahre und in der Zeit, wo er sein Werk schloß, über sechzig gewesen sein“. Daß in dieser brennenden Frage und in manchen andern das letzte und entscheidende Wort noch lange nicht gesprochen ist und überhaupt nicht leicht fallen dürfte, begreift jeder, der Gelegenheit nahm, sich mit dem gewaltigen Reimwerke eingehender zu beschäftigen. Das Steiermärkerthum unseres Ottokar scheint durch den großen Antheil des Werkes, welchen er ihren Ereignissen zuwendet, durch seine genaue Kenntniß – namentlich des Oberlandes, – durch sein Dienstverhältniß zum Liechtensteiner, durch die warme Parteinahme für die Geschicke des Landes und auch sprachlich erwiesen, da schon Altmeister Grimm (Grammatik, 1. A. I, 447 u. a. a. O.) auf Ottokars [775] steierischen Dialekt hinwies. Immerhin könnte, dies alles etwas im und durch das Leben Angeeignetes, Erworbenes sein. Für das Land Oesterreich unter der Enns als Heimat unseres O. möchte ich nicht vorschnell eine Lanze brechen. Immerhin ist er auch da zu Hause, und bemerkenswerth, daß er bei der ungemein farbenreichen Schilderung des prunkvollen aber schließlich arg gestörten Wiener Festes zur Feier der Vermählung des ungarischen Königssohnes (Béla) und der brandenburgischen Base Ottokars (1260) – Cap. 66–68, S. 78 (bei Pez) die Kirche von Salhenaw (d. i. Solenau im Wiener-Neustädter Bezirke) als Vergleichsmaßstab für die Höhe der fünf Futterhaufen zur Verpflegung der Pferdemassen anführt („Es was geschubert vber einander – Fünff hauffen von fueter – Niemant ist so vngueter – Der ez dort hat gesehen – Er muest sein mit sampt mir jehen – Wer jch im halt unmer – Daz jegleich hauff groesser wer – Denn dew Chirch zu Salhenaw).“ Sollte dies nicht etwa mit einer besonderen Vorliebe Ottokars für diesen, mit einer alten Kirche versehenen Ort oder mit lebendigen Jugenderinnerungen zusammenhängen? Allerdings stand Solenau auf altsteierischem Boden, auf dem der Püttner Mark, die erst seit 1254 größtentheils zum Lande Niederösterreich geschlagen wurde. Daß nur dieser Ort gemeint sein kann, dessen älteste Namensform stets so lautet (Salhenow, Salchenow), geht schon aus dem Umstande hervor, daß wir sonst in den deutschösterreichischen Landen keinem gleichnamigen begegnen. (An die obersteierische Thalgegend, die „Salchau“, kann nicht gedacht werden.) Für die Lebenszeit Ottokars hat man stets mit gutem Grunde jene Stelle angezogen (Cap. 4), in welcher unser Reimchronist von der sangesfreundlichen Hofhaltung des Königs Manfred v. Neapel (gefallen am 26. Februar 1266 in der Schlacht bei Benevent) spricht, eine Reihe von „Meistern“ und „Fiedlern“ anführt, welche allda gastliche Aufnahme fanden und unter diesen einen: Konrad v. Rothenburg, seinen Lehrmeister nennt (Meister Chunrat von Rotenburch – Der nach des Prinzen hinevart – Lang hernach mein Maister ward). Die betreffende Stelle besagt nämlich, daß unser Ottokar diese Schulung in der edeln Reimkunst lange nach der verhängnißvollen neapolitanischen Heerfahrt Konradins des letzten Staufen (1268), – denn nur an diesen läßt sich da denken – genoß. Wie unbestimmt auch das Zeitausmaaß angegeben ist, so viel ist sicher, daß diese Lehrzeit zwischen die Jahre 1268–1278 fallen muß, in welchem letzteren O. als Augenzeuge die Iglauer Verlobungsfeier mitmachte (Cap. 173, S. 165 … do stund ich und masz – In mein gedancken – ..) und wohl schon in den Diensten Herrn Otto v. Liechtenstein war, von dem wir wissen, daß er sich seit der Dürnkruter Entscheidungsschlacht (1278) im Heergefolge des Habsburgers befand. Wir müssen uns den Reimchronisten da jedenfalls bereits in den besten Jahren, in der Vollkraft des Mannesalters denken. Ja eine andere Stelle scheint darauf zu weisen, daß der Reimchronist eine ganz bestimmte, wenn auch vielleicht chronologisch ungenaue Jugenderinnerung an den berühmten Prediger und Landfahrer, den Franziskanermönch, Bruder Bertold von Regensburg in vorgerückten Jahren auffrischte; – in jener Stelle seines Werkes nämlich, wo das unvorgesehene Erlöschen des mächtigen Königshauses der böhmischen Přemysliden mit Wenzel III. (ermordet zu Olmütz im August 1306) unsern O. an eine Prophetie des genannten Wanderpredigers zurückdenken läßt. (Cap. 776, S. 770: Do man nach Christes gepurt – Der Jarzal spurt – Zwelfhundert Jar – Und funf und funzig furwar – Do fuer er hie durch die Lant – Prueder Perchtold was er genannt, – von dem Ich han vernomen – Do er hincz Pehem was chomen – Do trueg gewaltigleich – In demselben chunigreich – Wol schon – Zepter vnd chron – Der chunig mit dem einen Augen (Wenzel I. gen. der „Einäugige“, „luscus“). Diese Jugenderinnerung [776] muß sich an Thatsachen knüpfen, welche sich spätestens 1260 ereigneten, wenn wir 1255 als Jahr der Wanderpredigten Bruder Bertolds in Oesterreich *) nicht gelten lassen wollen. Wahrscheinlich lebte König Wenzel I. († am 22. September 1253) nicht mehr, als Bruder Bertold Böhmen betrat, da nicht leicht anzunehmen ist, der Franziskaner, der erst 1250 seine enge Klosterzelle verließ, und wohl zunächst in Niederbaiern und dann in den westlichen Nachbargebieten Deutschlands predigte, habe in seiner frühesten Epoche (1250–53) bereits Böhmen, das zweisprachige Land, betreten. Absolut undenkbar wäre es allerdings nicht, und dürften wir die Worte des Reimchronisten „von dem ich han vernomen“ … – unter der Voraussetzung der Richtigkeit der Jahresangabe 1255 für Bertolds Wanderpredigt im Lande Oesterreich und der Jahre 1250–53 als Zeitpunkt einer ersten Mission des Mönches aus Regensburg in das benachbarte Böhmen – auf den Eindruck einer gehörten Predigt beziehen, so böte dies einen willkommenen Anhaltspunkt einerseits für die Lebenszeit, andererseits für den damaligen Aufenthalt unseres Ottokar, abgesehen davon, daß wir darin eine nicht unwichtige Ergänzung des Itinerars Bruder Bertolds gewännen. Aber auch bei der Annahme eines chronologischen Irrthums unseres Reimchronisten bleibt die Stelle immerhin von Belange. Jedenfalls dürfte Allem zufolge die Geburt Ottokars noch in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts – etwa um 1240 – fallen, und sein früher Aufenthalt im Lande Oesterreich angenommen werden können, da von einer Wanderung Bruder Bertolds in die Steiermark nichts bekannt ist.
Ottokar, der österreichische Reimchronist, geb. um die Mitte des 13. Jahrhunderts, in den letzten Decennien der ersten Hälfte desselben, † nach 1309, da er noch Ereignisse dieses Jahres, so die Empörung der Wiener gegen die österreichischen Herzöge, KaiserOttokars Reimchronik – eine Versmasse, die, mag man nun nach Quinternionen oder Quaternionen der Codices rechnen, nicht leicht von einem andern Werke dieses Schlages übertroffen wird, ist ein mit warmer patriotischer Empfindung abgefaßtes Werk eines Laien, der als Chronist seiner Zeit entschieden schwerer wiegt, denn als Dichter. Henrici hat jüngst in seiner dankenswerthen Abhandlung nachgewiesen, wie viel unser O. beim Iwein Hartmanns von Aue borgte, zumeist im ersten Viertel seiner Chronik, vom 200. bis 600. Capitel nur wenig, stärker wieder im Schlußtheile, wie er, mit großen Unterbrechungen arbeitend, seine poetischen Vorbilder wechselte, wie O. „zur Ausfüllung der leeren Räume und zur Befruchtung des dürren Bodens nicht seine eigenen Kräfte anstrengte, sondern die poetische Litteratur seiner Zeit ausschrieb“, aber Henricis etwas zugespitztes Endurtheil, – „die Bedeutung der Chronik als Geschichtswerk sinkt dadurch erheblich, der dichterische Werth verschwindet völlig“ – schwächt sich nicht unerheblich dadurch ab, daß fast alle Spätlinge der mittelhochdeutschen Epik und Lyrik die Reigenführer und Vorgänger mit der gleichen Gewissensruhe zu plündern pflegten, welche den Chronisten des Mittelalters und der Folgezeit bei ihrer „Geschichtsklitterung“ – um das gute Wort Fischart’s zu gebrauchen – in gleicher Richtung eigen war, und daß es auch den Forschern unserer Zeit, welche die Bedeutung der Reimchronik anerkennen, nicht beifiel, ihren poetischen Werth hochzustellen. – Sie gewahren dieselbe vielmehr in der Bewältigung eines massenhaften Stoffes, in der Gestaltung lebendiger Zeitbilder, in dem unläugbaren Geschick Ottokars, bedeutende Situationen plastisch zu gestalten und vorzuführen, die Hauptträger einer historischen Handlung redend einzuführen, [777] ihre Eigenart zu kennzeichnen. O. lieh dazu oft fremdes Gut, – was alles müßte aber beispielsweise Suetonius zurückfordern, wenn er Eginhard’s Vita Karoli und Anderes zur Hand nehmen könnte! Andererseits hat der vollberechtigte kritische Kreuzzug der Gegenwart wider die Glaubwürdigkeit und Verläßlichkeit der Reimchronik im einzelnen, im Anschluße an das, was schon Jacobi und O. Lorenz über die Anlehnung Ottokars an andere zeitgenössische Quellen sagten, als beachtenswerthes Moment die Bekanntschaft desselben mit einer Reihe von gleichzeitigen oder nahestehenden Quellen klargelegt, die er gleichwol nicht mehr oder minder als andere vor und nach ihm benutzte. Schränkt sich nun aber solchergestalt der Kreis des Miterlebten und Gehörten in der Reimchronik ein, so bleibt er doch noch immer bedeutend genug, und selbst wenn es gelang, auch in dieses Kernstück specifisch österreichisch-ungarisch-böhmischer Angelegenheiten das Messer der Kritik nicht blos zur Berichtigung des Irrthümlichen, sondern auch zur Darlegung der Anleihe aus Fremdem einzusetzen, wie dies bereits geschehen, so müßte man immerhin der Geltung der Reimchronik als großes, vielumfassendes Ganzes Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ohne sie besäßen wir ein buntes und nichtsweniger als lückenfreies Stückwerk chronistischer Nachrichten verschiedenster Herkunft, mit ihr bleibt uns eine breite Grundlage für Erkenntniß des Ganzen und, was sie bietet, ist ebenso wichtig an sich, denn als Antrieb zur kritischen Forschung. Die Reimchronik war nicht blos als Gedenkbuch einer bewegten Zeit, geschöpft aus einer Fülle von Erinnerungen, Notizen, aus Gelesenem, Gehörtem und Miterlebtem zur Belehrung, sondern auch zur Unterhaltung bestimmt; ihr Verfasser hat sie sicherlich ruckweise, in gemessenen Abschnitten und nach längeren Pausen, nach Vormerken und oft nur aus dem Gedächtniß, aus oft treuer, oft schwankender, verblaßter Erinnerung, nachholend, erweiternd, wiederholend, herausgearbeitet. – Diese Genesis und jener Zweck erklären am besten die chronologischen Verworrenheiten, die Widersprüche, Irrthümer und Ungleichheiten des Werkes, das Ueberwuchern der breiten, häufig willkürlich eingeschobenen Episoden, das Zusammenschweißen verschiedenartiger Thatsachen, gleichwie aus seiner Lebensstellung und Gesinnung die Charakteristik Ottokar II. von Böhmen, Heinrich, Abtes von Admont, P. Aspelt, Erzbischofs von Mainz u. A., die Ausfälle gegen Böhmen, Ungarn, das wechselnde Urtheil über Albrecht I. u. s. w. erhellen. Die Reimchronik beginnt (Cap. I–X) mit einer Erzählung der Geschichte Italiens seit dem Tode Kaiser Friedrich II. bis zur Annexion Neapels durch den Angiovinen Karl (1250–1266). – Dann aber greift der Chronist, willens, dort anzuheben, von wo jene Epoche Deutschösterreichs beginnt, deren Wechselfälle er selbst durchlebte, auf den Tod des letzten Babenbergers († 1246) zurück, und schildert das „Interregnum Oesterreichs und Steiermarks“ von 1246 bis zur Besitzergreifung Oesterreichs durch Ottokar (1252) in der Capitelgruppe 11–29, um dann wieder mit warmer Empfindung den Zug des letzten edlen Sprossen der Staufer nach Neapel (1268) zu erzählen und daran eine Todtenklage zu knüpfen, die am besten zeigt, wie gut staufisch die Gesinnung unseres Ottokars war (Cap. 29–44). – Die nächste Capitelreihe (45–142) gliedert sich in vier Gruppen, deren erste (45–79) die Epoche der ottokarischen Herrschaft in Oesterreich und Steiermark bis zur Scheidung von Margaretha (1261), beziehungsweise bis zum Tode dieser babenbergischen Prinzessin, die der Reimchronist von K. Ottokar vergiftet („vergeben“) werden läßt, – behandelt, während die zweite (80–83) von den Sarrazenen Siciliens, Spaniens und Afrikas erzählt, die dritte (84–99) den Höhepunkt der Herrscherzeit Ottokars II. umfaßt und von der vierten (Cap. 100–142) abgelöst wird, in welcher das deutsche Interregnum von 1250 bis zur Wahl Rudolfs von Habsburg (1273) und die Verwicklungen mit Ottokar [778] bis zur Entscheidung von 1278 ihren Platz finden. Die Schlacht bei Dürnkrut oder auf dem Marchfelde, wie sie gemeinhin benannt wurde, umfaßt in ihrer typisch gebliebenen Schilderung die Cap. 142–64 und bildet den Ausgangspunkt einer immer mehr ins Breite schießenden Darstellung. Die Chronik der Ereignisse von 1278–1291 und 1291–1296, alle drei Ländergruppen, die österreichische, böhmische und ungarische, Deutschland und auch die Nachbarländer umfassend, wie z. B. den Venedigerkrieg um Triest (Cap. 342–352), auch weit in die Ferne greifend, wie dies eben aus der weitschichtigen Episode vom Kriege um Akkon (Cap. 405–465) erhellt, eine Episode die das eine Hauptstück des sog. ersten Theiles vom zweiten scheidet, begreift in sich die Capitel 166–651, also 485 Capitel, während der zweite Theil (im Pez’schen Abdruck S. 595 unter der Ueberschrift: „Hic incipit continuatio Chronici Ottocariani ex Codice Mscr. Bibliothecae Vindobonensis“) mit der Ermordung des Abtes von Admont, der Wahl Engelbrechts, Abtes von St. Peter zu Salzburg und mit dem Krönungsfeste König Wenzel II. von Böhmen anhebt (1296) und mit der bereits oben erwähnten Erhebung der Wiener gegen die Habsburger im Herbste 1309 schließt; es sind dies die Capitel 652–830 (also 178 Capitel), welche am besten für die Ausführlichkeit der Darstellung sprechen. So erscheint auch die Geschichte Ungarns unter Andreas III. und nach dessen Tode, in den Tagen der Parteiwirren, und noch reichlicher die Geschichte Böhmens unter den beiden letzten Přemysliden bis zu den Kriegsrüstungen Friedrichs des Schönen und dessen Verbindung mit Mathäus Csák von Trencsin (Cap. 804–809) gegen Böhmen, in den Wechselbeziehungen Beider zur Geschichte der Habsburger, die deutsche Reichsgeschichte vom Kampfe Adolfs von Nassau mit Albrecht I. bis zur Krönung und den ersten Maßregeln Kaiser Heinrich VII. mit allgemeinen und Detailzügen bedacht. Ottokars Reimchronik war und blieb unmittelbar und mittelbar eine Fundgrube von Geschichtsstoff für die Chronisten und Historiker der Folgezeit. Johannes Victoriensis (lange Zeit hindurch in dem sog. Anonymus Leobiensis verlarvt) liefert in den ersten Büchern seines Liber certarum notitiarum oder Chronicon großentheils einen lateinischen Prosaauszug der Reimchronik bis 1309, der sog. Gregor v. Hagen bzw. der Seffner, schrieb sie für die Zeit nach 1246 großentheils aus; Thomas Ebendorfer v. Haselbach, Veit Arenpeck und Unrest kannten wol unsere Reimchronik nicht, benutzten aber wieder die deutsche Prosachronik des sog. Hagen für den angedeuteten Zeitraum. Lazius kann dann aber als eigentlicher Wiederentdecker Ottokars gelten, denn bis auf ihn berichtet uns Niemand den Namen unseres Reimchronisten. – Wie ungünstig die Kritik der Gegenwart über den stofflichen Werth seines Werkes urtheilen darf, wenn sie an die Einzelheiten die Sonde legt, wie sehr auch der massenhafte Gehalt in der verderbten Sprache der vorliegenden Codices das Behagen an der ohnehin breitspurigen und oft rohen Darstellung noch mehr dämpft, so kann doch auch die moderne Geschichtsschreibung seiner als Gewährsmannes nicht entrathen, und schon als großes Zeitgemälde mit den echten Farben der[WS 1] Zeit, wie dies schon Schacht herausfühlte, mit einer oft ganz zutreffenden psychologischen Charakteristik der Persönlichkeiten und ihrer Handlungen, als Erzeugniß eines Mannes der bei den höfischen Sängern der Stauferzeit in die Schule ging und alles Denkwürdige seiner Epoche in sich aufspeicherte, behauptet die Reimchronik ihre wenn auch geschmälerte Bedeutung im Kreise der Quellen, die uns vom Schluße der Stauferzeit bis zu den Tagen des ersten Lützelburgers auf dem deutschen Throne begleiten. An Stoffmasse und eigenartigem Gepräge überragt sie sie alle.
- Litteratur: Lazius, Commentariorum in Genealogiam Austriacam libri duo (Basel 1564). – Hieron. Pez, Scriptores rerum austriacarum veteres [779] ac genuini, Tomus III (1745, Abdruck mit erläuternder Praefatio und Wörtererklärung im Anhange). – Th. Schacht, Aus und über Ottokars von Horneck Reimchronik oder Denkwürdigkeiten seiner Zeit zur Geschichte, Litteratur und Anschauung des öffentlichen Lebens der Teutschen im dreizehnten Jahrhundert (Mainz 1821). – Theodor Jacobi, De Ottocari Chronico Austriaco. (Vratislaviae 1839; Dissert. Inaug.) – Ott. Lorenz, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter, 1. A. (1870) u. 3. A. (in Verbindung mit A. Goldmann, 1886) des I. Bandes; dazu als Commentar seine „Deutsche Geschichte im 13. und 14. Jahrhundert“, 1. 2. (Wien 1863, 1867) (zu vgl. mit Palacky, Gesch. v. Böhmen II. 1 und Kopp, Gesch. d. eidgen. Bünde I. II); desgl. Lorenz’ Abhandl. über die Wiener Stadtrechtsprivilegien in den Sitzungsberichten der k. Akad. d. W. 1865, XLVI, 72–111. – A. Huber in den Mitth. des Instit. f. oe. Geschichtsforschung IV, 41–74 (1883) u. d. T. „Die steierische Reimchronik und das oe. Interregnum“. – A. Busson’s Abh. über die Schlacht bei Dürnkrut oder auf dem Marchfelde, Arch. f. oe. G. LXV (1884), S. 298–305 (desgl. auch in s. Polemik mit Generalmajor Köhler). (Noch vor kurzem hat Busson im 101. Bde. der Sitzungsb. der Wiener Ak. d. W. (1886), S. 381–411 den Bericht der Reimchronik (c. 321–326) über den falschen K. Friedrich II. einer eingehenden Kritik unterzogen.) – Henrici, „Die Nachahmung des Iwein in der steierischen Reimchronik“ in Ztschr. f. deutsches Alterthum, N. F., XVIII. Bd., 2. H. (XXX. Bd.), Berlin 1886, S. 195–204. Zur Handschriftenkunde der Reimchronik die Beiträge von Karajan, Scherer, Schönbach, Dürnwirth, Jaksch (vgl. Lorenz, 3. A. I, 243, Anm.). Eine neue kritische Ausgabe der Reimchronik war schon in den ersten Jahren der Thätigkeit der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde geplant. (S. das Archiv derselben I, 362–363, wonach 1820 Primisser als wahrscheinlicher Herausgeber bezeichnet erscheint, und IX (1847), 468–69, woselbst von Karajan bereits als Uebernehmer der Arbeit genannt wird. Von diesem stammen namhafte Vorarbeiten für die Herausgabe). Diese Aufgabe wanderte dann in die Hände des Innsbrucker Germanisten Zingerle und schließlich wurde Fr. Lichtenstein hierfür ausersehen. Da jüngst diesen ein früher Tod dem schon weit vorgerückten Werke entriß – es schwebt nun einmal ein eigenthümlicher Unstern über dem ganzen Unternehmen, – so bleibt die Aussicht auf eine neue Ausgabe noch in die Ferne gerückt. Doch erscheint sie auf Grundlage umfassender Vorarbeiten für die Monumenta Germaniae in ihrer Vollendung gesichert.
[776] *) Bruder Bertold von Regensburg (s. Art. Hambergers in der A. D. B. II, 546–549) geb. um 1220, † am 13. Dezember 1272, begann seine Wanderpredigten in Niederbaiern 1250, 1253 Oberbaiern; in den östlichen Ländern bekanntermaßen s. 1260. Er ging dann nach Oesterreich, Mähren, Böhmen und Schlesien. (E. 1259 befand er sich noch am Rhein.) Immerhin wäre seine Mission nach Oesterreich im J. 1255 nicht unmöglich, da wir für das Jahr 1255 über das Ziel seiner damaligen Wanderungen nicht unterrichtet sind (1254 war er am Rhein und in der Schweiz, 1256 in der Ostschweiz).
Anmerkungen (Wikisource)
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