ADB:Werther, Heinrich Freiherr von

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Artikel „Werther, Heinrich Freiherr von“ von Hermann von Petersdorff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 111–113, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Werther,_Heinrich_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 17:55 Uhr UTC)
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Werther: Heinrich August Alexander Wilhelm Freiherr v. W., preußischer Diplomat, geboren am 7. August 1772 zu Königsberg i. P., † am 7. December 1859 zu Berlin, gehörte einer neumärkischen Familie v. W. an, die im 18. Jahrhundert auftaucht und angeblich aus Thüringen stammt. Von der bekannten thüringischen Familie der Freiherrn und Grafen von Werthern unterscheidet sie sich jedoch nicht nur durch die Schreibweise des Namens und das Wappen, sondern auch durch den Titel, indem sie anfänglich nicht freiherrlich war. Heinrich v. W. war der Sohn Philipp August’s v. W., der 1802 als preußischer Generallieutenant und Chef des 6. Dragonerregiments starb. Er widmete sich anfänglich gleich seinem Vater dem Militärdienst, bis er 1807, wol infolge der Herabsetzung der preußischen Heeresstärke, als Capitän den Abschied nahm. In dieser Zeit ernannte ihn König Friedrich Wilhelm III. zu seinem Kammerherrn. Wenige Jahre darauf (1810) ging er zum diplomatischen Dienst über und nannte sich seitdem Freiherr v. W. Er trat zuerst mehr in den Vordergrund, als 1819 der Gesandtschaftsposten in London neu besetzt werden sollte. Nominell Gesandter in Madrid, weilte er fortgesetzt in Berlin und betrieb seine Versetzung nach England. Nachdem seine Ernennung für die Posten in [112] Cassel, Stuttgart und Frankfurt in Erwägung gezogen worden war, setzte Bernstorff endlich im October 1821 seine Entsendung nach London gegen den Willen des alternden und an Einfluß einbüßenden Hardenberg durch. W. galt den liberalen Kreisen Varnhagen’s als Ultra, doch lernten diese ihn zugleich als angenehmen, umgänglichen Mann kennen, der Sinn für Kunst und Litteratur besaß. In London blieb er bis zum Sommer 1824. Dann ging er als Gesandter nach Paris. Diesen Posten hat er fast 14 Jahre (1824–1837) versehen und sozusagen in ihm seinen Hauptwirkungskreis gefunden. Er erwies sich als einen klugen Beobachter, der durch conciliantes Wesen die langen Jahre seiner Gesandtschaft hindurch die besten Beziehungen zwischen Preußen und Frankreich zu vermitteln wußte. Freilich entging ihm 1828 das verdeckte Spiel Frankreichs gegen die preußische Handelspolitik. Mit allen Kräften kämpfte er gegen das Aufkommen der Ultramontanen in Frankreich an, von dem er den Ausbruch einer Revolution befürchtete, worin er gegenüber dem neben ihm nach Berlin berichtenden Alexander v. Humboldt Recht behielt. Dem Ministerium Polignac begegnete er mit großem Mißtrauen und warnte es, mit den Vertretern der andern Großmächte, dringend vor dem Verfassungsbruch. Freilich konnte er auch die Haltung der Kammern nicht billigen. Als ihn König Friedrich Wilhelm III. im Frühjahr 1831 an die Seite des kranken Bernstorff zur Leitung der Geschäfte berufen wollte, lehnte W. in richtiger Erkenntniß seiner Fähigkeiten ab, da er sich nicht zum Befehlen geschaffen fühlte. In jener Zeit hatte er auch mit dem „Flüchtling“ Heine zu thun, der ihn zu überzeugen suchte, daß er nichts böses gegen Preußen im Schilde führe. 1833 wurde er zum Wirklichen Geheimen Rathe mit dem Prädicat Excellenz ernannt. Nach dem Tode Ancillon’s (19. April 1837) berief ihn der König von Paris ab, um ihm an Stelle des Verstorbenen die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten zu übertragen. Diesmal wagte W. nicht abzulehnen. Er wurde mit Patent vom 13. Januar 1837 zum Staats- und Cabinetsminister der Auswärtigen Angelegenheiten ernannt. Zu diesem schwierigen Posten war er nicht der rechte Mann, weil er nichts Gebieterisches hatte. Auch neue Gedanken vermochte er nicht in die Regierung hineinzutragen. Indes verstand er es, ihr eine größere Selbständigkeit zu bewahren als es Ancillon gethan hatte. Ihm waren in Paris die Schliche Oesterreichs und Rußlands zur Genüge bekannt geworden, um vor ihnen auf der Hut zu sein. Auch verdankt ihm Preußen, daß der Bau der wichtigen Köln-Antwerpener Bahn durchgesetzt wurde. Als Heine sich ihm abermals durch Vermittlung Varnhagen’s zu nahen suchte und seine Unterstützung für ein Zeitungsunternehmen begehrte, mußte dieser Verhöhner des Preußenthums erfahren, daß er von W. nichts zu erwarten habe. Jedoch geschah in der Politik vieles gegen Werther’s Willen, weil ihm nicht die Gabe verliehen war, sich Einfluß zu verschaffen. Bald lastete die Bürde des neuen Amtes schwer auf ihm. Hatten die Berliner schon früher gewitzelt: „W. sei der Gesandte; Humboldt aber der Geschickte“, so spotteten sie jetzt über „Werther’s Leiden“. Immerhin vermochte es sein ausgleichendes, vermittelndes Wesen noch einige Jahre ein ungetrübtes Verhältniß mit Frankreich aufrecht zu erhalten. Als Czar Nikolaus stürmisch strenge Maßregeln gegen die polnischen Flüchtlinge in Paris verlangte, versagte er ihm rundweg seine Unterstützung und legte dem Könige dar, daß jede Nachgiebigkeit den russischen Kaiser zu neuen ungemessenen Forderungen veranlassen würde. Recht mißlich war seine Lage bei dem Kölnischen Bischofsstreit insbesondere durch die Thorheit der preußischen Vertreter beim Vatican. Am 2. Februar 1838 verlangte er endlich kategorisch Bunsen’s Abberufung aus Rom. Seine schon früher aufgetretene Abneigung gegen die Ultramontanen verschärfte sich in dieser Zeit. Er hoffte jedoch, daß sie sich durch ihren Eifer selbst zu Grunde richten würden. In der orientalischen Krisis von 1840 verfolgte er unentwegt eine [113] friedliche Politik im Gegensatz zum Drängen Rußlands, indem er die Ansicht vertrat, daß bei der Schwäche Oesterreichs und der kleinen Staaten die ganze Last eines Krieges gegen Frankreich auf Preußen fallen würde. Als Ziel Preußens bezeichnete er die Erhaltung des osmanischen Reichs unter Mitwirkung Frankreichs. Schon bald nach dem Regierungsantritte Friedrich Wilhelm’s IV. hatte man von Werther’s Rücktritt gemunkelt. Jedoch erst im August 1841 reichte er seinen Abschied ein. Am 6. October 1841 meldete die Staatszeitung seinen Rücktritt. Er trat, nachdem er kurze Zeit darauf infolge der Erkrankung seines Nachfolgers, des Grafen Maltzan, noch einmal provisorisch mehrere Monate die Geschäfte geführt hatte, mit dem Range eines Oberstmarschalls in den Ruhestand. Schon unter dem 6. Februar 1841 hatte der König durch Werther’s Erhebung in den Freiherrnstand die Führung dieses Titels gutgeheißen. Einige Jahre hat W. auch die Sinecure eines Chefs des Departements für die Angelegenheiten des Fürstenthums Neufchatel und Valengin versehen. Als dies Amt arbeitsreicher wurde, gab er es wieder ab. Politisch trat er nicht mehr hervor. Eine Gunstbezeugung des Königs war noch die Verleihung des Schwarzen Adlerordens. Nach Alexander v. Humboldt’s Tode figurirte er als der älteste Kammerherr. Als er am 7. December 1859 starb, war er als politische Person fast völlig vergessen. Seiner Beerdigung wohnte u. a. der Prinzregent bei. W. war seit dem 18. September 1797 mit Josephine Gräfin von Sandizell verheirathet, die ihm am 8. November 1853 durch den Tod entrissen wurde.

Freiherrnkalender 1875. – Varnhagen’s Tagebücher und Blätter aus der preußischen Geschichte. – (Varnhagen) Briefe von Heine. Leipzig 1865. – v. Canitz, Denkschriften, 2. Band. Berlin 1888. – Treitschke’s Deutsche Geschichte, Band 3–5.