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ADB:Weyprecht, Karl

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Artikel „Weyprecht, Karl“ von Friedrich Ratzel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 763–774, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Weyprecht,_Karl&oldid=- (Version vom 5. Dezember 2024, 17:42 Uhr UTC)
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Weyprecht *): Karl W., Polarfahrer, geboren zu König im Odenwald am 8. September 1838, † am 29. März 1881 zu Michelstadt im Odenwald. Weyprecht’s Vater, früher Hofgerichtsadvocat in Darmstadt, war aus Gesundheitsrücksichten nach König übergesiedelt, wo er die Erbach’schen Güter verwaltete. Der Knabe wuchs im schönen Odenwald auf, empfing den Unterricht im Elternhaus und trat 1852 in das Darmstädter Gymnasium ein. Als sein Plan reifte, zur See zu gehen, trat er in die Gewerbschule über, um eine bessere Ausbildung in den mathematischen Fächern zu gewinnen. 1856 ging er zur österreichischen Kriegsmarine. Als Cadett machte er die üblichen Fahrten, auch transatlantische, und wurde am 26. Februar 1861 Schiffsfähnrich. Daß er 1860/62 auf der Fregatte „Radetzky“, unter dem Commando Tegetthoff’s, eingeschifft war, wurde für seine Zukunft von großer Bedeutung. Tegetthoff lernte ihn schätzen und ist später mit Ueberzeugung für ihn eingetreten, als es sich um die Wahl des Führers einer österreichischen Polarexpedition handelte. Von 1863–1865 war W. Instructionsofficier an Bord des Schulschiffes „Hußar“ und 1866 nahm er als Navigationsofficier an der Seeschlacht bei Lissa theil. Die ganze Schlacht stand er auf der Commandobrücke der Panzerfregatte „Drache“, wo sein Platz neben dem Schiffsführer war. Als dieser tödtlich verwundet wurde, führte W. das Commando, bis der dazu berufene Officier die Commandobrücke erreichte. Er zeigte dabei Eigenschaften, die ihm den Orden der eisernen Krone brachten, eine in seiner Stellung seltene Auszeichnung. 1867 ging er mit der „Elisabeth“ nach Mexiko, wurde 1868 Schiffslieutenant und nahm in den beiden folgenden Jahren hervorragenden Antheil an den Küstenaufnahmen unter Oesterreicher im Adriatischen Meer; 1870 war er einer Abtheilung zugewiesen, die mit den Astronomen Weiß und Oppolzer in Tunis Sonnenfinsternißbeobachtungen machte. In demselben Jahr lernte er den eben von der deutschen Polarexpedition zurückgekehrten Julius Payer kennen, der im Winter 1870/1 W. ein gemeinsames Unternehmen ö. von Spitzbergen vorschlug, worauf W. sogleich einging; er ergriff mit Leidenschaft den schon früher gehegten Wunsch, an einer deutschen oder österreichischen Polarexpedition theilzunehmen. Er hatte schon seit Jahren in seinen geographischen und erdmagnetischen Studien die so viele Geister bewegenden Polarprobleme kennen gelernt und eine nicht gewöhnliche Kenntniß der Litteratur darüber gewonnen. W. war unter den ersten Freiwilligen gewesen, die sich 1865 für die projectirte deutsche Nordpolexpedition meldeten, und entwickelte schon damals in einem Schreiben an Petermann (Mitth. 1866, S. 33), daß magnetische Beobachtungen [764] ihn hauptsächlich beschäftigen würden. Indem er die Idee einer Nordpolexpedition Jahre mit sich herumtrug, befestigte sich immer mehr in verhängnißvoller Einseitigkeit ein ganz bestimmter Plan, der aber doch immer auf rein theoretische Erwägungen gegründet war. Nicht nördlich und nordwestlich von Grönland lag für ihn das offene Eismeer, wie für Petermann, Hayes u. v. A., sondern nördlich von Sibirien. Das Kap Tscheljuskin von Westen her zu umschiffen, also der alte, schon im 16. Jahrhundert mit so großen Opfern von den Niederländern gesuchten Weg der „nordöstlichen Durchfahrt“, war und blieb sein Ziel. Als es Nordenskiöld Jahre nach der Rückkehr der österreichischen Expedition unter ungewöhnlich glücklichen Verhältnissen gelang, diese Fahrt zu vollenden, tröstete sich W., daß das wenigstens ein Triumph seines Planes sei. Wesentlich ermunternd wirkte auf W. die Rückkehr des österreichischen Seeofficiers v. Becker, der eine englische Expedition auf der „Pandora“ begleitet hatte. An seinen fesselnden Erzählungen fing die polare Begeisterung des jungen Seeofficiers neue Flammen, wenn etwa seine Kameraden ihm seinen Plan auszureden versuchten. Tegetthoff, der W. seit Lissa freundlich geneigt war, bestärkte ihn nicht in seinen Ideen, widersprach ihm aber auch nicht.

Am 28. März 1866 schrieb der k. k. Schiffsfähnrich K. Weyprecht aus Pola an Petermann, daß er bereit sei im nächsten Sommer, den er wegen des vorausgegangenen heißen Sommers und gelinden Winters für besonders günstig hielt, eine Recognoscirungsfahrt auf einem norwegischen Lootsenboote von Tromsö oder Hammerfest aus zu unternehmen. Sein näher dargelegter Plan war: Mitte Juni mit einem Officier und vier Matrosen und Lebensmitteln für fünf Monate direct nach dem spitzbergischen Eisfjord gehen, dort die Kohlenlager auf ihre Geeignetheit prüfen, einer größeren Expedition zur Basis zu dienen, dann um das Südcap auf etwa 76° bis 40° ö. L. ostwärts und nun direct nach Norden vordringen, um die Strömungen und Eisverhältnisse in dem Gebiete zu untersuchen, wo die warmen und kalten Strömungen, aufeinandertreffend, ein verhältnißmäßig ruhiges, aber eisreiches Wasser zwischen sich lassen. Die Kosten der Expedition veranschlagte er auf 3000 Gulden. Er fürchtete nur, daß, wenn im Mai keine Entscheidung getroffen sei, das günstige Jahr ungenützt verfließen könne. Daß ihm dieses Jahr 1866 ganz andere Aufgaben stellen könnte, ahnte er damals noch nicht, wo er meinte, Urlaub zu dieser Fahrt zu erlangen, sei für ihn und einen anderen älteren Officier der österreichischen Kriegsmarine jedenfalls nicht schwer, wenn erst der Kriegslärm verstummt sein werde. Die politischen Verhältnisse wirkten noch über den Kriegslärm hinaus. W. konnte nicht daran denken, unmittelbar nach dem Krieg sich in ein deutsches Unternehmen einzureihen. Petermann bezeichnete zwar ausdrücklich Weyprecht’s Plan als den besten, bot aber die Führung der Expedition im Frühling 1868 dem damaligen Obersteuermann Koldewey in Göttingen an, der sie dann im Sommer in das Meer zwischen Spitzbergen und Ostgrönland bis 81° 5′ n. B. führte. Ihr Führer selbst hat sie als unglücklich und mißlungen bezeichnet, was zuviel gesagt ist. Sicher hat sie den Weyprecht’schen Plan zu sehr erweitert, ihre kleinen Mittel allzusehr zersplittert und daher allerdings in keiner Richtung Bedeutendes erreicht.

Der Name des Schiffslieutenants K. Weyprecht taucht im Juniheft 1871 der Geographischen Mittheilungen neuerdings auf in Verbindung mit dem Julius Payer’s. Beide sollen eine „Deutsche Expedition“ führen mit der besonderen Aufgabe König Karl-Land zu erreichen und näher zu erforschen. Die Aufgabe lag ganz in der von W. schon früher ins Auge gefaßten Richtung. Wahrscheinlich hat Payer zuerst, noch Ende 1870, dem Gedanken eine feste Gestalt gegeben. Und dann sind auch sofort in Oesterreich, „in ganz kurzer [765] Zeit und unter der Hand“ die Mittel reichlich geflossen, an deren Zeichnung sich der Kaiser, einige Ministerien und die Akademie der Wissenschaften in hervorragender Weise betheiligten. Die Akademie stellte auch werthvolle Instrumente zur Verfügung. W. war am 21. April in Gotha, um mit Petermann die Vorbereitungen zu besprechen. Am 19. Mai hatte er in Tromsö das Schiff „Isbjörn“ gechartert. Bei der Anwerbung der Mannschaften fand er Schwierigkeiten, da die besten Leute schon in See waren. Als Payer am 10. Juni nach Tromsö kam, hatte W. soviel Erkundigungen eingezogen als nur möglich und sich besonders mit allen Eis-Autoritäten in Verbindung gesetzt. In seinen Briefen an Petermann vertrat W. damals Ansichten über Strömungen und Eislagerungen des nördlichen Polarmeeres, die ganz unter der Herrschaft der vorwaltenden Theorien stehen. Er macht sich zwar gar keine Illusionen über die Unvollkommenheit unseres Wissens von der physikalischen Geographie dieser Gebiete. Betont er doch selbst die Fehlerhaftigkeit der bisherigen Tiefentemperaturmessungen, die ebensowol die Ansicht möglich erscheinen ließen, daß die Temperatur des Eismeeres nach der Tiefe zunehme, als daß sie abnehme. Aber auch er war noch 1871 vor der Abfahrt im Isbjörn der Meinung, daß das von Norden continuirlich südwärts treibende Eis – über die treibende Kraft spricht er sich nicht aus – beim Zusammentreffen mit dem Golfstrom aufgehalten und aufgestaut werde, wodurch sich eine schwer zu passirende Eisanhäufung bilde. In dieses „äußere schwere Eis“ vermögen wol zwischen Spitzbergen und Nowaja Semlja die Arme des Golfstromes eine Bresche zu schlagen. Es komme darauf an, sie zu finden, um in das dahinter liegende, nicht offene, aber schiffbare Wasser zu gelangen. Petermann übertrieb diese ganz hypothetische Auffassung nach seiner Gewohnheit ins Phantastische, indem er aussprach, der Eisgürtel müsse um so schwerer sein, je weiter im Norden man auf ihn treffe, „weil er je höher desto mehr von dem aus Süden kommenden Strom zusammengepackt und zusammengeschoben sein wird“. Die von ihm überschätzten Ergebnisse der Rosenthal’schen „Albert“-Expedition von 1869 mit Bessel’s Temperaturmessungen zwischen Cap Nassau und dem Südcap schienen dafür zu sprechen. Die Petermann’sche Karte „Der Golfstrom im Sommer“ in den Geographischen Mittheilungen von 1870, die mit raschen Generalisationen gefüllt ist, galt offenbar für W. damals noch als eine sichere Grundlage für die Beurtheilung der die Eislagerung bestimmenden Kräfte. Man sieht mit Erstaunen, wie der Gedanke ganz ausfällt, daß die vorherrschenden Winde die Eislagerung und die vermeintlich festen Strömungsverhältnisse bestimmen. Diese von Petermann am mächtigsten gestützte Hypothese von der Allmacht des Golfstroms, geht hinter Scoresby’s viel natürlichere Ansichten (Scoresby, Voyage to the N. Wale Fishery 1823) zurück. Die sichere Kraft der Luftströmungen vernachlässigt, ersetzt durch eine mechanisch unmögliche und nie beobachtete Kraft des Golfstromes: das war der unsichere Boden, auf dem Petermann und Genossen ihre Polarpläne aufbauten. Entsprechend war denn auch Weyprecht’s Plan ganz den Petermann’schen Ansichten angepaßt: von Norwegen direct nach der Hope-Insel (25° ö. L.) und an der Eiskante hin bis 45° ö. L., um eine günstige Stelle zum Eindringen zu finden; wenn dies nicht gelänge, an der Westküste nordwärts, um Spitzbergen zu umfahren; im Falle des Verbleibens im Norden müßte die Aufsuchung im darauf folgenden Sommer sich nach der Tymenstraße zu richten haben. Die Erforschung des mehrfach gesehenen, jetzt in den Vordergrund des Interesses tretenden Gillis-Landes war im günstigen Falle in Aussicht genommen. Der Verlauf dieser kleinen Expedition schien zunächst nur geeignet, jene Hypothesen zu bekräftigen. Die Anfänge waren nicht gerade günstig. Bei Tromsö reichte Mitte Juni noch Schnee bis ans Meer. Widrige Winde hielten das Schiff, als es [766] den Hafen am 21. Juni verlassen hatte, noch fünf Tage in den Schären zurück. Am 30. Juni wurde schon in 73° 40′ n. B. das Eis erreicht, das nach der Theorie lockeres, umhertreibendes Eis sein sollte, sich aber beim Vordringen als so compact erwies, daß das Schiff vom 30. Juni an im festgepackten Eis festlag. Am 10. Juli kam es frei und nun wurde das mit dem fortschreitenden Sommer lockerere Eis nach Ostnordosten zu verfolgt. Am 29. Juli wurde die Hope-Insel erreicht. Da das Schiff voraussichtlich beim geplanten Vordringen nach Gillis-Land bald wieder vom Eis besetzt werden würde, sollte der Weg nach der durch Graf Zeil und Heuglin 1870 bekannter gewordenen Tymenstraße eingeschlagen und von dort der Versuch gemacht werden, im Boot nach Gillis-Land überzusetzen. Im Süden der Tausend Inseln wurde in 76° 10′ das erste schwere Packeis aus verkitteten Eisbergen getroffen, aber die Eisverhältnisse machten das Vordringen im Stor Fjord unmöglich. Damit war auch der Plan mit Gillis-Land aufgegeben. Ein Versuch von der Hope-Insel aus es zu erreichen, mußte bei 77° 17′ n. B. und 26° ö. L. aufgegeben werden. Dagegen wurde am 1. September in 42° 30′ ö. L. die höchste Breite dieser Expedition mit 78° 49′ erreicht. Treibholz, Algen, Eiderenten ließen die Nähe von Land vermuthen. Leider hinderte an einem energischen Vordringen nach Norden die knappe Ausrüstung und die Unlust der Mannschaft, auch die Schwäche des Segelschiffes, das im Eis zu schwer zu manövriren war. Der „Isbjörn“ kreuzte aber unverdrossen südlich vor dem über den 78. Grad hinaus zusammengedrängten Eis und maß in Sicht von Cap Nassau am 8. Septbr. +4,5° Wasserwärme. Am 14. September lag Matotschkin Schar vor den Reisenden, aber ein Schneesturm aus Nordost machte das Landen unmöglich und da an Bord Scorbut ausgebrochen war, wurde die Heimreise angetreten und am 4. October Tromsö erreicht. W. hat, auf die Ergebnisse der in dem nebelreichen Sommer mühseligen Fahrt zurückblickend, folgende Erfahrungen als die wichtigsten bezeichnet: Das kleine Segelschiff hat östlich von Spitzbergen fast den 79. Grad erreicht, eine Breite, die außer auf der Westseite Spitzbergens im ganzen arktischen Gebiete nicht zu Schiff erreicht worden war. Das Eis war lockerer als das classische Packeis, wie es ganz besonders nördlich von Spitzbergen zu liegen pflegt. Ueber die bestimmende Wirkung der Winde auf die Eislage und Eisbeschaffenheit war W. jetzt nicht mehr im Unklaren, zog aber noch nicht die daraus sich ergebenden Schlüsse. In seinem Bericht tritt das an mehreren Stellen deutlich hervor: „Großen Einfluß auf die Fahrbarkeit üben natürlich die Winde aus, die gerade vorherrschen. Bei Nordwind lag das Eis gut vertheilt, bei Südwinden setzte es dicht zusammen und bildete eine feste Eiskante“. Und: „So oft der Wind gegen das Eis steht, liegt dasselbe gegen außen am dichtesten“. Den Zusammenhang der in diesem Sommer 1871 vorherrschenden Nordwinde mit der günstigen Eisvertheilung hat er noch nicht klar eingesehen. Er ahnt vielmehr einen Zusammenhang dieses bis 79° offenen Meeres mit der halbmythischen sibirischen Polynia und nennt in seinem Bericht vom 7. Decbr. 1871 an die Wiener Akademie die Wasserströmungen die wahren Regulatoren der Eisverhältnisse in den Eismeeren. Für ein weiteres Vorgehen mit größeren Mitteln glaubte er den Schluß bestätigt gefunden zu haben, daß zwischen Spitzbergen und Nowaja Semlja ein leichteres Vordringen gegen Norden und bis an die sibirische Küste möglich sein werde als an der grönländischen Küste, die vor kurzem erst wieder die deutsche Expedition von der ungünstigsten Seite kennen gelernt hatte. Im Gegensatz zu deren Erfahrungen standen die damals neuen Beobachtungen der Norweger über das unerwartete Freiwerden des Meeres nördlich von Nowaja Semlja und der Karasee, sowie die Ergebnisse mehrerer kurzer Vorstöße östlich von Spitzbergen, wie die Bessels, v. Heuglin’s u. A. Gerade wegen der [767] Strömungsverhältnisse mußten diese Meerestheile auch wissenschaftlich höchst interessant sein.

W. richtete aber sein Augenmerk in noch höherem Maße auf die noch östlicher gelegenen Theile des Eismeeres vor der sibirischen Küste. Mit diesen hatte er sich schon früher viel beschäftigt. Die sibirische „Polynia“ Leontiew’s, Hedenström’s u. A. war ihm sehr vertraut und gern sann er den „mystischen unbekannten Ländern im Norden von Sibirien“ nach. Seine Voraussetzung einer eisfreien Rinne in der Wirkungssphäre der großen sibirischen Ströme sah er durch die Ergebnisse der Fahrt des Norwegers Mack in unverhoffter Ausdehnung bestätigt, als dieser unter 81° ö. L. ganz offenes salzarmes Wasser mit nordöstlicher Bewegung traf. Cap Tscheljuskin zu umfahren und in das unerforschteste arktische Gebiet von hier bis zur Beringsstraße vorzudringen, wo noch nie ein Schiff einige Seemeilen über den Rand Sibiriens hinausgedrungen war, nie eine Winterstation bestanden hatte, wurde mehr und mehr sein Lieblingsgedanke; oder, wie er es im Frühling 1872 in einer Eingabe an die Triester Handelskammer aussprach: Die Verfolgung des im vorigen Sommer getroffenen Eismeeres gegen Ost und Nord und die weitere Erforschung des arktischen Meeres im Norden von Sibirien, der erste Winter auf Cap Tscheljuskin, der zweite Sommer im „centralen Polarmeer“, im dritten in den Stillen Ocean. So lautete der nähere Plan, den nun Payer in Bausch und Bogen annahm. Payer galt die Erforschung irgend einer hocharktischen Region als Ziel; gerade die Idee der n. ö. Durchfahrt war ihm nicht sympathisch. 1871 bestimmte Graf Wilczek 40 000 Gulden zu einer Polarexpedition und diese Summe wuchs durch Beisteuern des Kaisers, vieler Körperschaften, des Grafen Edmund Zichy, des Barons Todesco, des Bankiers Ladenburg u. v. A. in kurzer Zeit auf 200 000. Abzüglich der kleinen Summe für die Vorexpedition Payer’s und Weyprecht’s im Sommer 1871 auf dem „Isbjörn“ und der beträchtlicheren (8000 Guld.) für das Proviantdepot auf Nowaja Semlja, genügten die Mittel reichlich für eine Fahrt mit einem wohlausgerüsteten, für drei Jahre verproviantirten Schiff. Während Payer in Wien binnen drei Monaten das Geld zusammenbrachte, wurde in Bremen unter Weyprechts Aufsicht der „Tegetthoff“ gebaut, ein Holzschiff mit eisernem Vordersteven, 35 m lang und 8 m breit, mit einer Maschine von 25 Pferdekräften, in Hamburg der größte Theil der Vorräthe beschafft. Der Oesterreichische Nordpolverein stellte sich unter das Protectorat des Erzherzogs Rainer. Die Theilnahme der Akademie der Wissenschaften wurde besonders durch Ferdinand Hochstetter und den Commodore v. Müllerstorf gewonnen; die Geographische Gesellschaft, der Alpenverein, die Handelskammern von Triest und Wien u. a. Körperschaften unterstützten das Unternehmen. Petermann konnte rühmen, daß noch nie „ein großes Unternehmen der Art so schnell zu Stande gekommen sei als die jetzige Expedition“. Alles Formale war leicht zu ordnen gewesen. W. und Payer theilten das Commando selbst in ein Commando zu Schiff und zu Land (bezw. Schlittenreise) und hatten sich schriftlich verpflichtet sich wechselseitig unterzuordnen. An Bord wurden beide „Commandant“ genannt.

Am 13. Juni verließ der „Tegetthoff“ Bremerhaven. Außer W. und Payer waren an Bord die österreichischen Marineofficiere Brosch und Orel, der Arzt Kepes, zwei Tiroler Bergführer aus dem Passeier und 16 Seeleute, zumeist Quarneroli. Die Wahl der Mannschaften rief lange Erörterungen hervor. Merkwürdigerweise wurde in Oesterreich selbst die Wahl von Dalmatinern und Italienern angefochten. Mit gelehrten Gründen wurde nachgewiesen, daß sie das Polarklima nicht aushalten würden, man müsse Nordländer nehmen. Dagegen machte W. geltend, daß man „Begeisterung für eine solche Expedition nicht [768] unter jenen Leuten finden wird, die die Mühseligkeiten jener Meere aus eigener Erfahrung und Erinnerungen kennen, die sie in schaudererregenden Erzählungen nur zu gerne mittheilen und dadurch entmuthigen, statt anzueifern“. Für die Matrosen des Küstenlandes führte er ihre bekannte Ausdauer und Unerschrockenheit an und daß sie gesunde, kräftige, findige und, was das Kostbarste, heitere Menschen seien. „Sie werden ihren Humor auch in mißlicher Lage nicht verlieren, sie werden fluchen und beten, schimpfen und singen, aber sie werden arbeiten und die Flügel nicht hängen lassen.“ Weyprecht’s Wahl hat sich glänzend bewährt. Gerade die im Blut liegende Elasticität hat die Bemannung des „Tegetthoff“ leichter Mühe und Gefahren ertragen lassen, als so manche nordische Mannschaft. W. schrieb 1875: Als wir endlich nach sechsundneunzig Tagen unsern Retter, den russischen Schoner fanden, da kletterten nicht abgemattete, sieche Schiffbrüchige über die Bordwände, sondern eine abgehärtete, wohldisciplinirte Schiffsbemannung, und von Freudenthränen und ähnlichen nur in der Einbildung sentimentaler Naturen existirenden Ausbrüchen zurückgehaltener Verzweiflung war keine Spur zu sehen. Bei den Festtafeln, die in Bergen und Hamburg der Mannschaft gedeckt waren, die seit 2½ Jahren alle Genüsse der Civilisation entbehrt hatte, kam kein Fall von Trunkenheit vor. Mit der Mäßigkeit im Genuß geistiger Getränke hing die Widerstandskraft dieser Südländer gegen den Scorbut, den schlimmsten Feind der Polarreisenden, zusammen. Was ihr Ertragen der Kälte anbelangt, so hatte W. richtig vorhergesagt, daß Leute, die ohne Winterkleider Bora und Schneesturm aushalten, auch der arktischen Kälte gewachsen sein werden. Ertrugen die Quarneroli, aus denen die Mehrzahl der Matrosen bestand, die Kälte mit Leichtigkeit, so waren sie doch keine Eiskenner und gerade das machte sie lenksamer, daß sie der überlegenen Eiskenntniß ihrer Führer vertrauen mußten. Für die Schlittenreisen waren 7 Zughunde mitgenommen. In Tromsö, dessen Hafen am 17. Juli verlassen wurde, kam noch der Harpunirer und Lootse an Bord. Die Fahrt ging bei widrigen Winden langsam unter Segeln von statten. Der Kohlenvorrath wurde für die äußersten Fälle gespart. Schon unter 74° 15′ wurde am 25. Juli das Eis erreicht, also viel südlicher als man zu erwarten hatte, und zwar war das, wie der weitere Verlauf zeigte, der lockere Rand des zusammenhängenden arktischen Eisgebietes. Die Temperatur der Luft und des Wassers waren in den folgenden 14 Tagen anhaltend unter Null. In den letzten Julitagen konnte das Eis vor dem an 20 Seemeilen breiten Landwasser Nowaja Semljas nur mit Dampf durchbrochen werden. In der Nähe der Admiralitäts-Halbinsel am 6. August Schneefall. Als das Schiff am 8. August vor einer undurchbrechbaren Eisschranke an einer Scholle festgemacht war, schrieb Payer: „Allenthalben beginnt das Eis stärker zu werden, doch noch ist es weit entfernt, schwer zu sein“. Aber am 10. entkamen sie nur durch eifriges Warpen der Gefahr des Besetztwerdens. An der Nordwestküste von Nowaja Semlja hinfahrend nahm W. durch Peilungen jene Kartenskizze auf, die dann Petermann in den Geographischen Mittheilungen von 1875 veröffentlicht hat. Am 12. August erschien unerwarteterweise der „Isbjörn“ mit Wilczek, Sterneck und dem Geologen Höfer. Mit dem „Isbjörn“, der sich am 20. August vom „Tegetthoff“ trennte, gelangten dessen letzte Nachrichten nach Europa. Er konnte bereits von den ersten Proben der Eispressungen berichten, die seit dem 14. August bedrohlich wurden. Als die letzten Nachrichten an die Außenwelt durch den „Isbjörn“ gegeben wurden, lag der „Tegethoff“ bereits vom Packeis umschlossen. W. schreibt in seinem Tagebuch: Am 22. August um Mitternacht hatte uns das Eis erfaßt; vergeblich war jegliche Bemühung uns aus den Banden zu befreien, mit denen es uns umschlungen hielt; willenlos und machtlos waren [769] wir ihm von da anheimgegeben, unser Schiff war ein bloßer Klotz inmitten der treibenden Masse. Bei fallendem Wind hatten sich zuerst einfache Treibeisschollen um das Schiff zusammengedrängt, die der Frost und der Schnee dann bei fast völliger Windstille innerhalb 14 Tagen so zusammenkitteten, daß sie ein fast unbewegliches Feld bildeten, das von einem 70 Fuß hohen Standpunkt das Bild der größten Einförmigkeit gewährte. Von da an war das Schiff 425 Tage das Spiel der Wellen, bis das gewaltige, indessen viel veränderte Eisfeld bei Franz Josefs-Land strandete. Am 7. September traten die ersten großen Eissprünge und damit das später so oft und manchmal mit Schrecken gehörte Geräusch der Eispressungen auf. Am 5. October hatten Eispressungen das Feld bis 60 m vom Schiff zertrümmert. Die Eingeschlossenen glaubten den Rest des Eises zersägen und noch einen Winterhafen an der bereits dem Blick entschwundenen Küste von Nowaja Semlja finden zu können, als ein Südweststurm an der Eiskante solche Verwüstungen anrichtete, daß sie froh waren, im Eise eingeschlossen zu sein. Mit zunehmender Kälte verstärken sich aber die Pressungen und das Schiff war um die Zeit des Verschwindens der Sonne (28. Oct.) täglich vom Zerdrücktwerden bedroht, so daß wiederholt auf augenblicklich sicheren Schollen Häuser aus Kohlen gebaut und Proviant für den Fall des Verlassens des Schiffes herausgeschafft wurde. W. hat in den zwei Aufsätzen über Eispressungen in den Geographischen Mittheilungen von 1875 und 1876 diese Neubildungen von Eisüberschichtungen rings um das Schiff, das sie emporhoben, überragten und zu zertrümmern drohten, in ihrem ganzen Verlauf geschildert. Auf kurze Perioden der Ruhe folgen immer neue Brüche und Gefährdungen. „Am 20. December, als wir eben darüber berathen, wie wir das Kohlenhaus für die Weihnachtsfeier ausschmücken sollten, jagt uns ganz unerwartet das ominöse Krachen im Schiff auf Deck. Ein Sprung ist mitten durch das Kohlenhaus gegangen, wir müssen es abbrechen.“ Fast ununterbrochene Bewölkung hielt in dieser Zeit jede Spur von Licht ab. „Es ist ein häßlicher Anblick, dieses Aufthürmen des Eises so dicht beim Schiffe, bei stockfinsterem Tage, wo man im Schnee nicht unterscheiden kann, wohin man tritt, und jeden Augenblick bis zum halben Körper in eine Spalte stürzt.“ Erst Ende Januar brachte die Mittagsdämmerung Erleichterung und vom 11. Februar ab lag das Schiff in Eisklötze eingemauert regungslos. So trieb es nun den Frühling und Sommer hindurch vor-, rück- und seitwärts, aber endlich doch vorwiegend nach Norden, bis am 30. August aus einer zerreißenden Nebelwand rauhe Felszüge im Norden hervortauchten, die sich binnen wenig Minuten zu dem Anblick eines strahlenden Alpenlandes entwickelten. Zwar trieben Nordwinde das Schiff wieder nach Süden, aber Ende September wurde es wieder nach Nordost geführt und es erreichte am 30. September seine höchste Breite mit 79° 58′, etwa 12 Seemeilen von den Hochstetter-Inseln. Das Land konnte noch nicht erreicht werden. Unter beständiger Verkleinerung trieb die Scholle wieder nach Süden und Westen und kam endlich am 31. October dem Lande bei der Wilczek-Insel nahe, wo am 1. November die Reisenden zum ersten Mal wieder festen Boden unter den Füßen fühlten. Hier unter 79° 5′ n. B. hat das Schiff den Winter 1873/4 verbracht und hier wurde es im darauffolgenden Mai verlassen. Als am 24. Februar die Sonne wieder über den Horizont stieg, wurden Schlittenexpeditionen in nördlicher Richtung veranstaltet, die Payer führte. Die erste, vom 10. bis 14. März, die zweite, die eigentliche Entdeckungsreise, vom 26. März bis 23. April, die bis 82° 5′ n. B. führte und in der Ferne, etwa in 83° das Cap Wien zeigte, die dritte vom 29. April bis 3. Mai nach Westen. Es waren im ganzen 540 Meilen zurückgelegt. Das Eis war schon an vielen Stellen aufgegangen, die Rückkehr zum Schiff schon bei der zweiten Reise bedroht, [770] der „Tegetthoff“ lag unbefreibar im Eis und Proviant war nicht mehr für ein Jahr vorhanden. Von Mitte Mai an begannen die Vorbereitungen zum Verlassen des Schiffes, die Payer in seinem Buche „Die österreichisch-ungarische Nordpol-Expedition“ (1876) in dem Capitel: ‚Die letzten Tage auf dem Tegetthoff‘ ergreifend und erheiternd geschildert hat. W. ließ am 14. Mai alle meteorologischen und magnetischen Beobachtungen in eine Blechkiste löthen. Ebenso verfuhr Payer mit seinen Aufnahmen, Skizzen und Tagebüchern. Am 20. Mai wurde der Rückzug begonnen, auf dem Schlitten und Boote durch den zum Theil schon weichen Schnee geschleppt werden mußten. Die Lasten waren zu groß, um auf einmal fortgeschafft werden zu können, vielmehr mußte jede Wegstrecke drei Mal zurückgelegt werden und an manchem Tag wurde noch nicht eine halbe Meile gewonnen. In der ersten Woche kehrte Payer nach jeder Tagereise zum Schiff zurück, um den Proviant zu ergänzen. Am 28. Mai wurde die flache Lamont-Insel entdeckt und von ihr aus eine Wacke wahrgenommen, zu der aber der Zugang für die Boote durch Wälle von Eistrümmern verbaut war. Da eine Recognoscirung Weyprecht’s auch die Unthunlichkeit weiteren Vordringens mit Schlitten ergeben hatte, wurde nun am 3. Juni ein Lager bezogen, von wo aus noch eine der Jollen des „Tegetthoff“ nachgeholt und der Proviant ergänzt wurde. Als am 3. Juni der erste Regen gefallen war, wurde der Schnee immer weicher und ungangbarer und da die offenen Stellen zu klein waren, mußte auf die Bildung größerer Wacken gewartet werden. Am 18. Juni wurden der erste Versuch einer Einschiffung gemacht, aber nach drei Meilen Fahrt schlossen sich die Schollen vor dem Südwind. An den folgenden Tagen wurden bald über Eis, bald im Wasser unbedeutende Strecken zurückgelegt. Am 30. Juni wurde zum ersten Mal Schmelzwasser in einer Grube gefunden. Vom 27. Juni bis 1. Juli betrug der Fortschritt genau 4 Breiteminuten. Erst vom 15. Juli an ging das Eis weiter auseinander und wurden die Fortschritte regelmäßiger. Die letzten Spuren von Franz Josefs-Land versanken am Horizont. Als am 27. Juli 78° 48′ erreicht waren, wurden die Eisfahrer am 29. wieder auf 78° 50′ zurückgetrieben. Nach der ersten Augustwoche nahm das Eis den Charakter des Treibeises an, am 8. August umschloß es noch einmal die Boote. Am 14. August endlich war bei 77° 49′ der letzte Eissaum erreicht. „Wie die Stimme des Lebens schlug das rhythmische Brausen der Meereswogen wieder an unser Ohr.“ Die beflaggten Boote stachen mit Hurrah ins Meer und zielten mit Süd zu West nach den Barents-Inseln. Am 16. August kam Nowaja Semlja in Sicht. Am 18. August wurde am Schwarzen Cap gelandet. Am 22. August war nur für 10 Tage Proviant vorhanden und noch keines der ersehnten Schiffe war in Sicht gekommen. Da endlich am 24. August tauchten Boote und ein russisches Schiff auf, auf dem die gastfreundlich aufgenommenen Reisenden am 3. September Vardö erreichten. Der Dampfer „Finmark“ brachte sie nach Tromsö. Vom 12. September 1874 ist Weyprecht’s amtlicher Bericht an das Comité datirt, dem ein ausführlicherer Payer’s folgte. – Für W. waren die rauschenden Empfänge und die enthusiastischen Reden und Zeitungsartikel eine Last. Schon die Reise durch Deutschland mit ihrer Reihe von Empfängen hatte ihn ermüdet. Er kam stimmlos in Wien an und mußte wegen eines Halsleidens seine Meldung beim Kaiser verschieben. Sobald als möglich zog er sich in die Einsamkeit des Odenwaldes zurück. Unangenehm berührten ihn die raschen Schlüsse, die aus den nur in den allgemeinsten Umrissen bekannt gewordenen Ergebnissen dieser Reise gezogen wurden. Er betonte besonders die Ungültigkeit aller Schlüsse auf ein offenes Polarmeer und auf die Wirkungen des Golfstromes im nördlichen Eismeer und betonte, daß durch den Verlauf der „Tegetthoff“-Expedition die Möglichkeit der [771] Umschiffung Sibiriens nicht im mindesten widerlegt sei. Vor der Verarbeitung der wissenschaftlichen Beobachtungen wollte er nur kleinere populäre Aufsätze und vielleicht eine billige, nichtillustrirte Reisebeschreibung veröffentlichen; dem Drängen auf größere Mittheilungen widerstand er entschieden.

Die enttäuschenden Erfahrungen von der Unberechenbarkeit der arktischen Eisjahre und der Schwierigkeit der Verbindung wissenschaftlicher Beobachtungen mit den Aufgaben der Führung einer Schiffsexpedition ließen jetzt in W. den Plan eines neuen Vorgehens reifen. Wenige Tage nach dem Verlassen Vardös schrieb er (am 16. September 1874) an H. v. Littrow: Meine Ansichten über Polarexpeditionen, besonders mit dem phantastischen Ziel den Pol zu erreichen, werde ich später öffentlich kundgeben und zu beweisen versuchen, daß die Polarexpeditionen in den Dienst der physikalischen Forschungen treten und wissenschaftlich behandelt werden müssen. Das allein betrachte ich als ein werthvolles Resultat unserer mühevollen Reise. Schon bald nach der Rückkehr hat er in den wenigen Vorträgen, die er über die Expedition hielt, und in einigen Zeitungsaufsätzen seine neuen Ansichten über Polarforschung deutlich ausgesprochen. Auch in dem von Payer herausgegebenen Werk „Die Oesterreichisch-ungarische Nordpol-Expedition in den Jahren 1872–74“ klingt die Auffassung schon durch, daß die Erreichung des geographischen Poles nicht das Hauptziel der Polarforschung sein könne und solle. W. bezeichnet jetzt als die weit wichtigere Aufgabe die Pflege physikalischer, meteorologischer und erdmagnetischer Studien im hohen Norden. Dafür zu wirken, sah er jetzt als seine Lebensaufgabe an. Fernerstehende mochte die begeisterte Vertretung einer rein wissenschaftlichen Aufgabe durch den eben erst von der gefährlichsten Unternehmung Zurückgekehrten befremden. Im Grund brachte sie doch nur die eigenste begeisterte Forschernatur Weyprecht’s zu Tage. W. verkleinerte absichtlich den Werth seiner Landentdeckung. „Das Glück, sagte er, ein neues Land entdeckt zu haben, wiegt das Mißgeschick, das Pech nicht auf, willenlos getrieben worden zu sein.“ Als Nordenskiöld von seiner Umschiffung Nordasiens zurückkehrte, traten ja allerdings die polaren Errungenschaften der Oesterreicher in den Schatten. W. gab öfters seinem Bedauern Ausdruck, daß er nicht den ursprünglich ins Auge gefaßten Weg durch die Karasee eingeschlagen hatte. Damals war eben der Bann noch nicht gebrochen, der über dem „Eiskeller des Nordpolarmeeres“ lag. Am 13. April 1880 brachte die Neue Freie Presse einen Artikel aus seiner Feder über die Umschiffung Sibiriens, in dem die schwedischen Erfolge als eine Bestätigung der Voraussetzungen bezeichnet werden, unter denen die österreichische Expedition geplant worden war. W. hatte das Vorhandensein eines eisfreien Streifens vor der sibirischen Küste infolge der Erwärmung durch das Wasser der großen sibirischen Ströme immer vertreten. Möglicherweise, meint er, hätte der „Tegetthoff“ auch in dem abnorm ungünstigen Eisjahr 1872 den Weg durch die Karasee offengefunden, ebenso wie 1879 Nordenskiöld bei dem abnorm günstigen Eisstand nördlich um Nowaja Semlja herum noch früher nach der Taimyr-Halbinsel gekommen wäre als an der nordasiatischen Küste hin. In seinem Wiener Vortrag vom 18. Januar 1875 „Ueber die von ihm geleiteten wissenschaftlichen Beobachtungen“ sprach W. seine völlige Bekehrung von der Hypothese des bestimmenden Einflusses der Meeresströmungen auf die Eisbewegung in den Polarmeeren aus. Die 14monatliche Eistrift hatte ihm den unbedingt vorwaltenden Einfluß der Winde außer Zweifel gestellt. Der Golfstrom, der dort nur durch die Temperaturerhöhung des Meerwassers, nicht mehr als Strom nachzuweisen ist, regulirt nicht die Grenzen des Eises, sondern das durch die Winde in Bewegung gesetzte Eis regulirt vielmehr die Grenzen des warmen Golfstromwassers. „Gegenüber dem Einfluß der Winde verschwinden alle anderen Einflüsse [772] und sind höchstens noch in ihrer allerallgemeinsten Wirkung zu bemerken.“ W. hatte die vorwaltende Westbewegung des Eises aus den sibirischen Gewässern an Franz Josefs-Land vorbei genau studirt und war überzeugt, daß ohne das Stranden am Landeis der Wilczek-Inseln die Expedition im Norden von Spitzbergen herausgekommen oder vorbeigetrieben wäre. Er verneinte nicht die Möglichkeit, in einem günstigen Eisjahr zu Schiff bis Franz Josefs-Land vorzudringen. Die außerordentliche Unberechenbarkeit der nie ruhenden Eisausbreitung hatte er genügend kennen gelernt. Die Bewegung der großen und kleinen Eismassen im Winter und Sommer durch die Winde läßt selbst die Qualität des Eises von Jahr zu Jahr verschieden sein. Die Eisbildung und -umbildung, die Salzausscheidung, die Abschmelzung, die Eispressungen, das Eistreiben, die Wirkung der Schneedecke hat W. sorgsam wie kein Polarforscher vor ihm untersucht. Das Buch „Die Metamorphose des Polareises“ (1879) ist aus Vorträgen und Aufsätzen entstanden, unter denen die Reihe der „Bilder aus dem hohen Norden“ in den Jahrgängen 1875 und 1876 der „Geographischen Mittheilungen“ besonders zu nennen ist. Daß W. dann die Absicht aufgab, seine Eisbeobachtungen in den Schriften der Wiener Akademie niederzulegen und dafür die Form eines gemeinverständlichen Buches wählte, zeigt, daß ihm an der Wachhaltung des allgemeinen Interesses an Polarsachen gelegen war. W. hat zahlreiche Nordlichtbeobachtungen angestellt und den Beweis geliefert, daß unabhängig von der Breite die Intensität der Nordlichter in der Arktis variirt. Sobald im November 1873 das Schiff festlag, ließ er drei Schneehütten bauen, in denen die Variationsinstrumente, der magnetische Theodolit und das Inclinatorium, endlich die astronomischen Instrumente aufgestellt wurden. Von den bisherigen Beobachtungsmethoden unbefriedigt, ließ W. alle 3 Tage von 4 zu 4 Stunden eine Stunde lang Minutenablesungen an allen drei Apparaten und zwei Mal im Monat alle 5 Minuten Beobachtungen durch 24 Stunden anstellen. Es sind auf diese Art 32 volle Tagesbeobachtungen gewonnen worden. Gleichzeitig fanden entsprechende Nordlichtbeobachtungen statt und die drei einander entsprechenden Beobachtungen der drei Konstanten – im ganzen 30 000 Lesungen an den verschiedenen magnetischen Instrumenten – hatte vorher nur eine schwedische Expedition in ungleich kleinerem Maßstab gebracht. Wenn W. auf der einen Seite enttäuscht war, daß das Lamont’sche Erdstrom-Galvanometer, auf welches er das größte Vertrauen gesetzt hatte, gar keine Resultate ergab, da es wegen der Eisumschließung des Schiffes nicht mit dem Lande unmittelbar in Verbindung gebracht werden konnte, wußte er durch einen eigens construirten Apparat die Deflectirung der Skalen über das Gesichtsfeld hinaus nachzumessen. Die meteorologischen Beobachtungen der Expedition haben nicht bloß ein vorher unbekanntes, zwischen dem spitzbergischen und dem des nordsibirischen Meeres in der Mitte stehendes Klimagebiet neu erschlossen, sondern besonders über Temperatur-, Wind- und Wolkenverhältnisse neue Aufschlüsse gebracht. Den Werth der Tiefenmessungen lernt man aus Weyprecht’s Veröffentlichung (Geogr. Mittheil. 1878) kennen. In ihnen erscheint vor allem der Nachweis geringer Tiefe, die Zufuhr warmen Wassers von außen in schwankenden Mengen und die vorher nie eingehender behandelte Wirkung des sommerlichen Schmelzwassers. Am Schluß seines Berichtes entrollte W. zum ersten Mal das Programm seines neuen Planes systematischer wissenschaftlicher, d. h. besonders magnetischer und meteorologischer Erforschung der Polargebiete, vor der „die rein geographische Erforschung, die arktische Topographie“, der er bisher gedient, nun zurücktreten müsse.

Die im Laufe des Jahres 1875 der Geographischen Gesellschaft zu Wien, der Grazer Naturforscher-Versammlung und gleichlautend dem 2. Internationalen [773] Geographen-Congreß in Paris vorgelegten Ansichten über das weitere Vorgehen faßte W. selbst in folgende Sätze zusammen: 1. Die arktische Forschung ist für die Kenntniß der Naturgesetze von höchster Wichtigkeit. 2. Die geographische Entdeckung in jenen Gegenden ist nur insofern von höherem Werth, als durch sie das Feld für die wissenschaftliche Forschung im engeren Sinn vorbereitet wird. 3. Die arktische Detailgeographie ist nebensächlich. 4. Der geographische Pol besitzt für die Wissenschaft keinen höheren Werth als jeder andere in höherer Breite gelegene Punkt. 5. Die Beobachtungsstationen sind, abgesehen von der Breite, um so günstiger, je intensiver die Erscheinung, deren Studium angestrebt wird, auf ihnen eintritt. 6. Vereinzelte Beobachtungsreihen haben nur relativen Werth. Er gab ins Einzelne gehende Rathschläge für die Vertheilung und Anlage der Stationen und konnte bereits mittheilen, daß die Begründung einer österreichischen Station durch Privatmittel gesichert sei. Schon in der deutschen Polarconferenz (im September 1875 vom Bundesrath berufen) zeigten sich die Weyprecht’schen Anregungen. Die Forschung wurde im Gegensatz zur Entdeckung in den Vordergrund gestellt. Die früheren Polarexpeditionen wurden wie populäre Unternehmungen von geringem wissenschaftlichem Werth hingestellt. Noch schroffer wurde diese Auffassung auf der internationalen Meteorologenconferenz 1879 in Hamburg vertreten. In dem Bericht darüber sagte Capitän v. Schleinitz 1880 in der Berliner Gesellschaft für Erdkunde: Geographische Entdeckungsfahrten haben heutzutage ja ohne Frage ihr Ziel verloren. (!) Die Hamburger Conferenz unterschied scharf zwischen der systematischen Beobachtung periodischer Erscheinungen und der Feststellung einfacher Thatsachen oder zwischen Beobachtung und Entdeckung. Der Einfluß des Oesterreich dabei vertretenden W. macht sich sowol darin als auch in der sehr starken Betonung der erdmagnetischen Beobachtungen geltend. W. und Graf Wilczek legten der Conferenz einen Plan zur Schaffung eines Gürtels von festen Beobachtungsstationen rings um den Nordpol vor und erklärten sich sofort bereit, eine Station auf Nowaja Semlja zu besetzen.

Das war der Anfang der Verwirklichung des Weyprecht’schen Planes, der 1880 auf einer zweiten Polarconferenz in Bern weiter berathen und 1881 durch eine internationale Vereinigung in St. Petersburg vollkommen gesichert wurde, an der außer Oesterreich und Deutschland auch England, Dänemark, Norwegen, Finland, Rußland und die Vereinigten Staaten von Amerika sich betheiligten. Daraus gingen die gleichzeitigen Beobachtungen auf circumpolaren Stationen hervor, die 1882 ihre Arbeit begannen. W. konnte nichts mehr dafür thun als in einem kleinen Schriftchen eine „Praktische Anleitung zur Beobachtung der Polarlichter“ geben, die zu Wien in seinem Todesjahr erschienen ist. Es wird als ein Muster gemeinverständlicher Darstellung gerühmt. Als 1882 nicht weniger als 12 Polarstationen auf der Nord- und Südhalbkugel eingerichtet waren, konnten die Geographischen Mittheilungen mit Recht hervorheben, daß ein macht- und mittelloser Mann allein durch seine Begeisterung und seine Leistung soviel Mittel und Kräfte in Bewegung gesetzt habe. Der vorzeitige Tod Weyprecht’s hielt die einmal in Gang gebrachten Unternehmungen nicht auf. Die österreichische Expedition ging mit am frühesten, schon im April 1882 in See, und gründete ihre Station in Jan Mayen. Graf Wilczek, der die Kosten allein trug, begleitete sie, Leiter der Beobachtungen wurde der Linienschiffslieutenant Wohlgemuth. Die am 1. August 1883 abgeschlossenen Beobachtungen haben nicht alle die Erwartungen erfüllt, die W. gehegt hatte. Es erhob sich denn schon bald nach Weyprecht’s Hingang der Widerspruch gegen das Einseitige seines Planes, zuerst schon 1883 auf dem Frankfurter Geographentag. Auch hat die geographische Polarforschung besonders durch Nordenskiöld [774] seitdem viel mehr geleistet, als W. in seinen letzten pessimistischen Urtheilen ihr zutrauen wollte. Aber schwerlich wird noch einmal ein einzelner Mann eine so großartige Unternehmung wie diese Doppelkette von Beobachtungsstationen um den Nord- und Südpol ins Leben zu rufen vermögen. In der Geschichte der Polarforschung erhöht sich der dem Leiter der österreichisch-ungarischen Polarexpedition unter den großen Entdeckern gebührende Platz durch das Verdienst dieser merkwürdigen Schöpfung.

Für Weyprecht’s Charakter ist ebenso bezeichnend das ruhige Zurücktreten nach gethaner Arbeit als die energische und ganz sachliche Aufnahme und Vertretung der neuen Aufgabe. Er war bescheiden, zurückhaltend, nach außen herb und einsilbig. Payer schreibt: W. war ein begeisterter Forscher und antiker Charakter. Hätte man ihn vor die Wahl gestellt, sich in ein Fautueil zu setzen oder auf eine Bank, er hätte sich unzweifelhaft auf die Bank gesetzt. Seine Briefe an Freunde zeigen ihn von einer ganz anderen Seite; sie enthüllen eine wohlthuende Herzenswärme und einen kernigen Humor. Er sprach in der Oeffentlichkeit nicht gern, aber wenn er es that, gelang es ihm über Erwarten. Sein Verhältniß zur Mannschaft wird am besten durch die Thatsache illustrirt, daß er in den denkbar schwierigsten Verhältnissen, wie sie das Umhergetriebenwerden im Eis und ein Rückzug vom Schiffe mit sich bringt, die Disciplin aufrecht erhielt. Und wie auf der Reise sorgte er nachher für das Wohlergehen der früheren Untergebenen, die ihn trotz seiner Strenge verehrten. W. bezeugte 1875 (in einem Aufsatz in der N. F. Presse), daß kein einziger Fall ernstlicher Insubordination an Bord des „Tegetthoff“ vorgekommen sei; über eine Androhung der Strafe sei es an Bord des „Tegetthoff“ nicht hinausgekommen. Er wies viel davon der guten Natur seiner Leute zu, mit Recht hebt er aber auch sein System hervor, das Ehrgefühl der Mannschaft aufs höchste zu spannen. Weyprecht’s Stil ist klar und sachlich. Seine wissenschaftlichen Berichte und Vorträge nach der großen Reise zeichnen sich durch Gedrängtheit und durch die Folgerichtigkeit aus, mit der wesentliche Gedanken entwickelt werden. Die früher ans Licht getretenen leiden an der Unklarheit der unerprobten theoretischen Anschauungen. Die Einseitigkeit, womit in den späteren die wissenschaftlichen Polarstationen den geographischen Polarexpeditionen entgegengestellt werden, ist begreiflich. Als naturschildernder Reisebeschreiber steht er weit hinter seinem Genossen Payer, dem geborenen Künstler, zurück. Doch hat er in den „Bildern aus dem hohen Norden“, die seit 1875 in den Geographischen Mittheilungen erschienen, sehr schöne Schilderungen des Nordlichts, der Eisbildung, des Packeises u. s. w. gegeben. Der Aufsatz „Eispressungen“ gehört mit seinen Ausschnitten aus Weyprecht’s Tagebuch zu den lebendigsten Schilderungen aus der Polarwelt. Vielfach erweitert und bereichert sind die Abschnitte über Schnee und Eis, später gesammelt u. d. T. „Die Metamorphosen des Polareises“ erschienen. Dieses Buch, ein Muster edler Popularisation, ist leider nicht nach Verdienst gewürdigt worden.

Die Schriften Weyprecht’s und Payer’s, vorzüglich das Werk über die österreichisch-ungarische Polarexpedition (1876) und die Beiträge Weyprecht’s in den Geographischen Mittheilungen. – Weyprecht’s und Payer’s Berichte an das Comité. Mittheil. d. K. K. Geogr. Ges. Wien 1874. – Denkschriften der K. K. Akademie, Bd. XXXV. – Wilczek, Die österreichische Nordpol-Expedition. Mittheil. d. K. K. Geogr. Ges. Wien 1874. – H. v. Littrow, Karl Weyprecht. Mit Bild. 1884. – Persönliche Mittheilungen J. von Payers.

[763] *) Zu S. 283.