ADB:Wiese, Georg Walter Vincent von

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Artikel „Wiese, Georg Walter Vincent (von)“ von Heinrich Klenz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 429–430, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wiese,_Georg_Walter_Vincent_von&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 08:41 Uhr UTC)
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Wiese: Georg Walter Vincent (von) W., Kanonist, Staatsmann und Wohlthäter der reußischen Lande, geboren am 2. April 1769 zu Rostock, † am 22. November 1824 zu Gera. W. stammte aus einer alten Rostocker Bürgerfamilie, die das Schneidergewerbe betrieb. Sein Vater, Walter Vincent W., war der erste, welcher von diesem Herkommen abwich und sich einem gelehrten Berufe zuwandte. Derselbe widmete sich den Rechtswissenschaften, heirathete eine Verwandte des Rostocker Bürgermeisters Dr. Joh. Geo. Burgmann und gelangte zu einer juristischen Professur, welche vom Rathscollegium der Stadt zu besetzen war, sowie zu dem einträglichen Nebenamte eines bürgerschaftlichen Syndikus. Von den Eltern, denen er nach mehrjähriger kinderloser Ehe geschenkt war, auf das sorgfältigste erzogen, saß W. schon mit 14 Jahren in der ersten Classe der Rostocker Stadtschule (Gymnasium), die unter der Leitung des mit der alten wie neuen Litteratur gleich vertrauten Professors der griechischen Sprache Hermann Jakob Lasius einen erfreulichen Aufschwung nahm. Im J. 1786 ließ sich W. an der dortigen Universität immatriculiren und hörte hauptsächlich Civilrecht bei seinem Vater und Staatsrecht bei Johann Christian Eschenbach, dem verdienstvollen Verfasser der Annalen der Rostockschen Akademie. Dann setzte er seine Studien in Göttingen fort, wo die berühmten Professoren Georg Ludwig Böhmer (Civil-, Kirchen-, Lehnrecht), Johann Stephan Pütter (Staatsrecht) und August Ludwig Schlözer (Geschichte) seine Lehrer waren. In Rostock vertheidigte er öffentlich unter dem Vorsitze seines Vaters im J. 1789 seine Disputation „De concursa creditorum lites alibi pendentes non turbante“. In Göttingen erhielt im J. 1790 seine „Commentatio de obligatione liberorum ad praestanda facta parentum“ das Accessit und im folgenden Jahre seine Untersuchung „De differentia comitiorum Sacri Imperii Romani Germanici vivo imperatore et durante interregno“ den Preis von 25 Ducaten; die letztere erwarb ihm die besondere Zuneigung des großen Pütter. Michaelis 1791 ließ er sich dann als Privatdocent in Göttingen nieder und las über Civilrecht und Kirchenrecht. Zu seinen Vorlesungen lud er ein durch eine Schrift „Ueber das System des canonischen Rechts“ (Göttingen 1792), welcher er bald „Grundsätze des gemeinen, in Teutschland üblichen Kirchenrechts“ (Göttingen 1793) folgen ließ.

Hatte er durch diese Arbeiten, sowie durch seine mit vielem Beifall aufgenommenen Vorlesungen über das Kirchenrecht seine Befähigung zu einem akademischen Lehrer in kurzer Zeit dargethan und berechtigte er zu der Hoffnung, einst als ordentlicher Professor die Zierde einer Juristenfacultät zu werden, so konnte er doch einem Rufe in eine Beamtenstellung, der schon zwei Jahre nach seinem Eintritt in die akademische Laufbahn von Reuß aus an ihn erging, nicht widerstehen. Am 17. September 1793 wurde er als zweiter Hof- und Justitienrath bei der gemeinschaftlichen Regierung und als Beisitzer des Consistoriums zu Gera eingeführt. Da er sich als tüchtiger Beamter bewährte, rückte er im J. 1800 in die Stelle des ersten Hofrathes auf. Auch als Schriftsteller fuhr er fort zu wirken. Außer einigen Abhandlungen, die er in der Allgemeinen Literatur-Zeitung zu Jena veröffentlichte, gab er des gleich ihm aus Rostock gebürtigen berühmten Criminalisten Johann Christian v. Quistorp „Rechtliche Bemerkungen aus allen Theilen der Rechtsgelahrtheit“ aus dessen hinterlassenen Papieren in zwei Theilen (Leipzig 1795) heraus, und erweiterte seine eigenen „Grundsätze“ zu einem zweibändigen „Handbuch des gemeinen, in Teutschland üblichen Kirchenrechts“ (Leipzig 1799 f.). Dieses Werk brachte ihn [430] in Erinnerung bei der Vacanz verschiedener akademischer Lehrstühle. In Halle suchte man ihn für die erste juristische Professur zu gewinnen, und der Herzog seines Heimathlandes bot ihm die (durch Posse’s Abgang Ostern 1805 erledigte) Professur für Staats-, Lehn- und deutsches Recht in seiner Vaterstadt an. Doch W. schlug alles aus und blieb in Gera. Daß ihm die reußischen Lande als ein zweites Vaterland galten, bewiesen schon damals seine gemeinnützigen Bestrebungen mancherlei Art, seine Fürsorge für Hebung der Schulen u. s. w. Ja der Herr Hofrath wurde selbst zum Schulmeister, indem er die beiden obersten Classen der Gelehrtenschule wöchentlich einmal in juristischer Encyklopädie unterrichtete. Dazu erfreute er sich der besondern Gunst des Fürsten Heinrich LI. von Reuß-Ebersdorf.

Im J. 1806 wurden Wiese’s mannichfache Verdienste von seinen Landesherren anerkannt durch Ernennung zum Vicekanzler, von Kaiser Franz durch Erhebung in den Adelstand. In demselben Jahre feierte sein greiser Vater das 50jährige Doctorjubiläum; drei Jahre darauf (16. Dec. 1809) starb derselbe als erster juristischer Professor und Syndikus der Rostocker Universität, nachdem er mehrmals das akademische Rectorat bekleidet hatte. Im J. 1815 wohnte W. als Bevollmächtigter des fürstlich reußischen Gesammthauses dem Wiener Congreß und am 1. October 1816 der Eröffnung des Bundestages zu Frankfurt a. M. bei. Die in diesem Jahre durch Theurung entstandene Noth suchte er aus allen Kräften zu lindern und das wiedergenesene Land durch Besserung der Straßen, Bepflanzung derselben mit Obstbäumen, Aufführung von Bauten und andere zweckmäßige Einrichtungen der inneren Verwaltung, sowie durch Erweiterung der Schulen aufs neue zu kräftigen und zu heben. Am 21. Mai 1822 trat er als Nachfolger des verstorbenen Herrn v. Eychelberg, als Geh. Rath, Kanzler und Consistorialpräsident an die Spitze der fürstlich reußischen Regierung und wirkte in diesen Stellungen noch 21/2 Jahre, bis an seinen Tod. Der Großherzog von Hessen ehrte ihn durch Verleihung des Commandeurkreuzes seines Verdienstordens.

W. hinterließ den Ruf eines tüchtigen Juristen, der besonders auf dem Gebiete des Kirchenrechtes zu Hause war, sowie den eines geschickten Staatsmannes, dessen Geist und Herz gleich gebildet waren. Er war zwei Mal verheirathet, zuerst mit einer Tochter des Geraer Bürgermeisters Semmel, seit 1806 mit einem Fräulein v. d. Lancken aus Rügen; hatte jedoch keine Nachkommen. Einen beträchtlichen Theil seines Vermögens vermachte er zu wohlthätigen Zwecken und sicherte dadurch seinem Namen ein dankbares Andenken, das seinen Ruf als Kanonist und Staatsmann überdauern wird. Die v. Wiese’schen Stiftungen in Gera, die nun schon über 70 Jahre ihren Segen verbreitet haben, bestehen aus einem Bürgerrettungs- und Industriebeförderungs-Institut sowie einem Schulverbesserungsfonds. Das erstere dient zur Unterstützung arbeitsamer Bürger bei Gründung eines Gewerbes und zur Rettung unverschuldet in Bedrängniß gerathener Handwerker; aus dem letzteren werden Lehrer mit Zulagen, Schüler mit Prämien u. s. w. bedacht.

Neuer Nekrol. d. D. 1824 (1826), S. 1219 ff. – Vgl. das Freimüthige Abendblatt (Schwerin 1825), Nr. 344, Beilage.