ADB:Wirtgen, Philipp
Friedrich Nees v. Esenbeck und Goldfuß näher getreten. Beide Männer wünschten die strebsame Kraft für Bonn zu gewinnen und suchten zunächst ihn am botanischen Garten zu beschäftigen. Wirtgen’s Eltern aber erklärten sich gegen diesen Plan, und der Sohn fügte sich ihren Wünschen. Zehn Jahre später, 1833, bot ihm, dem in der wissenschaftlichen Welt bereits rühmlichst bekannt Gewordenen, der preußische Cultusminister v. Altenstein seine Hülfe an behufs Gewinnung einer angemessenen Stellung zunächst durch den Besuch einer Hochschule. Als sorgsamer Gatte und Vater konnte sich W. jedoch auch in diesem Falle nicht entschließen, sein zwar karges, aber sicheres Amt einer immerhin ungewissen Aussicht gegenüber aufzugeben, zumal der Vorstand der Coblenzer Schulgemeinde es ablehnte, ihm seine Stellung auf ein Jahr offen zu halten. So verblieb er denn in einer Lebensstellung, welche seinem rastlos vorwärts strebenden Geiste manche Schranken setzte und bei der Kärglichkeit der Mittel, die ihm zur Erhaltung seiner zahlreichen Familie zu Gebote stand, die Bitternisse des Lebens nicht ersparte. Dennoch waltete er mit musterhafter Treue seines Amtes, in welchem er viele Beweise von Liebe und Anhänglichkeit empfing. Auch sonst ist seinem wissenschaftlichen Wirken die Anerkennung nicht versagt geblieben. Die Universität Bonn verlieh ihm 1853 die Ehrenwürde eines Dr. phil. und eine große Reihe gelehrter Gesellschaften zählte ihn zum Mitgliede. A. v. Humboldt ehrte in ihm den unermüdlichen Sammler und suchte ihn in jeder Weise zu fördern und die angesehensten Naturforscher, darunter L. v. Buch, Alex. Braun, v. Dechen, Schulz-Bipontinus lohnten sein redliches Streben mit ihrer Freundschaft. Durch Vermittlung der deutschen Kaiserin Augusta, welche bei ihrem Aufenthalte in Coblenz den naturkundigen Lehrer wiederholt heranzog, wurden ihm zu einem Besuche [526] des Schwarzwalds und der internationalen Gartenbauausstellung in Hamburg, sowie von befreundeter Seite zu einer zweimaligen Reise nach den Alpen und Norditalien in den Jahren 1844 und 1851 die Mittel gewährt. Ein Herzschlag endete plötzlich das arbeitsreiche Leben Wirtgen’s in einem Alter von 64 Jahren.
Wirtgen: Philipp W., Botaniker, geboren zu Neuwied am 4. September 1806, † zu Coblenz am 7. September 1870. Als Sohn eines unbemittelten Tischlers besuchte W. die Elementarschule seines Heimathortes und sollte nach deren Absolvirung das väterliche Handwerk ergreifen. Allein schon früh regte sich in dem begabten Knaben eine ausgesprochene Neigung zur Naturbeobachtung und eine Vorliebe für die Pflanzenwelt, zu deren Studium ihm die Unterweisung eines Apothekergehülfen in Morphologie und Systematik zu gute kam. Mit 14 Jahren sollte er bei seinem Vater in die Lehre treten. Es gelang aber dem Einflusse und der thätigen Hülfe des Kirchenrathes Meß, den jungen W. aus dieser ihm widerstrebenden Sphäre zu befreien, ihm eine Stelle als Präparanden an der evangelischen Elementarschule in Neuwied zu verschaffen und ihm damit die Lehrerlaufbahn zu eröffnen. Zeitlebens gedachte W. in pietätvoller Dankbarkeit seines Wohlthäters, der den für sein Leben entscheidenden Schritt herbeigeführt hatte. Nach drei Jahren bestand er am Seminar seiner Vaterstadt das Lehrerexamen und wurde im Frühjahr 1824 an der Elementarschule in Remagen angestellt. Noch in demselben Jahre trat er in eine günstigere Stelle zu Winnigen a. d. Mosel ein, von wo er nach siebenjähriger Thätigkeit nach Coblenz in die zweite Lehrerstelle der evangelischen Elementarschule berufen wurde. Im J. 1835 kam er an die ebendaselbst neu errichtete evangelische höhere Stadtschule. In dieser Wirksamkeit verblieb er bis zum Tode. Zwei Mal winkte ihm die Aussicht, einen freieren Standpunkt für die Pflege seines wissenschaftlichen Lieblingsfaches, der Botanik, wofür er unausgesetzt thätig war, zu gewinnen. Durch rege Correspondenz über botanische Fragen, sowie durch fleißige Benutzung des botanischen Gartens in Bonn war W. den dortigen ProfessorenW. hat sich um die naturwissenschaftliche Erschließung der Rheinlande in Bezug auf Floristik, Pflanzengeographie und Bodenkunde nennenswerthe Verdienste erworben. Im J. 1833 veröffentlichte er zuerst in der Regensburger Bot. Zeitung ein Verzeichniß der zwischen Bingen und Bonn wild wachsenden Pflanzen, welcher Arbeit 1841 eine Flora des Regierungsbezirkes Coblenz folgte. In der richtigen Erkenntniß von der Abhängigkeit der Pflanzenwelt von der Bodenbeschaffenheit vertiefte er sich in das Studium der geognostischen und geologischen Verhältnisse der von ihm untersuchten Gegenden. Dabei dehnte er planmäßig seine Forschungen auf immer weitere Gebiete aus. Er zog, vom Coblenz-Neuwieder Becken ausgehend, allmählich Eifel, Hundsrück, Westerwald, und zuletzt den Taunus in den Bereich seiner Untersuchung. Als Ergebnisse derselben erschien außer zahlreichen kleineren Aufsätzen in verschiedenen Zeitschriften, eine Reihe größerer Werke. 1842 gab er im Auftrage des botanischen Vereins am Mittel- und Niederrhein unter Mithülfe von Bach, Bogenhard, Fingerhuth u. a. Botanikern einen Prodromus der Flora der preußischen Rheinlande heraus, worin die Phanerogamen des bezeichneten Gebietes behandelt werden. Eine speciellere Bearbeitung desselben Gegenstandes erschien, von ihm allein verfaßt, 1857 als „Flora der preußischen Rheinprovinz und der zunächst angrenzenden Gegenden“, während den Abschluß seiner Studien über die rheinische Flora ein umfangreiches, auf 4 Bände bemessenes Werk bilden sollte, das auch seine Specialarbeiten über die Pflanzengattungen Rosa, Rubus, Verbascum, Mentha u. a. enthielt. Unter dem Titel: „Flora der preußischen Rheinlande, oder die Vegetation des rheinischen Schiefergebirges und des deutschen niederrheinischen Flachlandes“ erschien noch im Todesjahre des Verfassers, 1870, der erste, die Thalamifloren umfassende Band. Das Werk gilt als mustergiltig in der floristischen Litteratur hinsichtlich der Reichhaltigkeit der Beobachtungen und der kritischen Sichtung des behandelten Materials. Zwischendurch schrieb W. noch kleinere Localfloren wie „Florula Bertricensis“, 1849 publicirt in den Verhandl. des naturhistor. Vereins für Rheinland und Westfalen, als Ergänzung der schon 1847 veröffentlichten kleinen Schrift; „Das Bad Bertrich im Nasbachthale an der Mosel“, wozu A. v. Humboldt die einleitenden Worte und H. v. Dechen eine geognostische Uebersicht schrieben. Sodann erschien 1857 eine „Rheinische Reiseflora“ und 1865 eine Arbeit; „Ueber die Vegetation der hohen und der vulcanischen Eifel“. Dem praktischen Bedürfniß trug W. Rechnung durch Herausgabe einer Reihe von Herbarien der ökonomisch-technischen Pflanzen Deutschlands, der Forst- und Holzgewächse, der Arzneipflanzen, der wichtigsten Giftpflanzen und der seltneren und weniger bekannten Pflanzen aus der Flora der Rheinprovinz. Diese Jahre hindurch fortgesetzten Sammmlungen, zweckmäßig ausgewählt und sorgfältig bestimmt, haben Wirtgen’s Namen zumal auch im Auslande vortheilhaft bekannt gemacht, besonders auch zur Controlle gedient über bestimmte Pflanzengenera, wie Rubus und Mentha. Als Erläuterung zu jenen Pflanzengattungen schrieb er 1855 eine kleine Schrift: „Herbarium Mentharum rhenanarum“. Den Zwecken des Unterrichts in der Botanik suchte W. ebenfalls zu dienen. Er veröffentlichte 1839 einen Leitfaden für den botanischen Unterricht an höheren Schulen, der nach 7 Jahren in einer zweiten Auflage erschienen ist und gab 1857–1860 eine „Anleitung zur landwirthschaftlichen und technischen Pflanzenkunde für Lehranstalten und zum Selbstunterricht“ in 2 Cursen heraus. Endlich ist noch Wirtgen’s rege Thätigkeit auf dem Gebiete [527] des wissenschaftlichen Vereinswesens hervorzuheben. Zusammen mit F. Nees v. Esenbeck gründete er 1834 den Botanischen Verein am Mittel- und Niederrhein, welcher sich 1841 zum Allgemeinen naturhistorischen Verein der preußischen Rheinlande und Westfalens erweiterte unter Oberleitung von H. v. Dechen, während W. bis an sein Lebensende das Directorium der botanischen Abtheilung desselben beibehielt. Aus der 1852 zu Wiesbaden tagenden Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, beschloß deren botanische Section auf Wirtgen’s Antrag, die pflanzengeographischen Untersuchungen nach natürlichen Grenzen, insbesondere die Aufstellung der Floren nach Flußgebieten zu empfehlen. Zu diesem Zwecke constituirten sich die damals anwesenden rheinischen Botaniker zu einem Verein, dessen Leitung sie W. anvertrauten. In demselben Jahre gründete er in Coblenz einen naturhistorischen Localverein, in welchem er wie gleichfalls in dem von ihm schon früher ins Leben gerufenen landwirthschaftlichen Localverein, in dem Gewerbeverein und in dem zu Winnigen begründeten Winzerverein das treibende und fördernde Element war. Seine durch mühevolle Arbeit erworbenen wissenschaftlichen Kenntnisse war er stets bereit durch Vorträge wissenschaftlicher und populärer Art, sowie durch praktische Demonstrationen auch weiteren Kreisen zu gute kommen zu lassen.
- Verhandl. des naturwiss. Vereins für Rheinland und Westfalen 1870. – Ph. Wirtgen, Notice nécrologique par F. Crépin. Extrait du Bulletin de la société royale de Botanique de Belgique 7. V. 1871. – Verhandl. der Schles. Gesellsch. für vaterländ. Cultur 1871. – Pritzel, thes. lit. bot.