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ADB:Braun, Alexander

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Artikel „Braun, Alexander“ von Ernst Wunschmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 186–193, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Braun,_Alexander&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 21:11 Uhr UTC)
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Band 47 (1903), S. 186–193 (Quelle).
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Braun: Alexander Heinrich B., Botaniker, geboren zu Regensburg am 10. Mai 1805, † zu Berlin am 29. März 1877. Wol selten ist der künftige Beruf eines Forschers durch Neigung und Veranlagung schon in der allerfrühesten Jugend in dem Maaße vorherbestimmt gewesen, wie bei B. Als Sohn eines ursprünglich Thurn und Taxis’schen Postbeamten, späteren badischen Postdirectionsrathes, der sich auch für Naturwissenschaften interessirte und einer geistig hoch veranlagten Mutter, wurde Braun’s Neigung zur Botanik schon so früh geweckt, daß er als sechsjähriger Knabe bereits anfing, sich ein Herbarium anzulegen, welches er, elf Jahre alt, schon auf nahezu 4000 Arten, worunter allein 200 Kryptogamen, gebracht hatte. Der wiederholte Wohnungswechsel des Vaters, welcher in kurzer Zeit von Regensburg nach Karlsruhe, nach Freiburg in Baden und wieder nach Karlsruhe versetzt [187] wurde, gab dem jungen Botaniker Gelegenheit, verschiedene Florengebiete kennen zu lernen. Besonders anregend und fördernd für die Kenntniß der Natur wirkte auf B. der Freiburger Professor der Chirurgie J. Al. Ecker, der ihn auf seinen Streifereien in den Schwarzwald und auf den Kaiserstuhl mitnahm, wobei dann alles gesammelt wurde, was an Pflanzen, Insecten und Mineralien zu haben war. Im J. 1816 kam B., durch Privatunterricht vorbereitet, auf das Lyceum in Karlsruhe, machte auch in vorschriftsmäßiger Zeit alle Classen desselben durch, ohne jedoch eine tiefere Anregung für die Wissenschaften seitens der Schule erfahren zu haben. Selbst der naturwissenschaftliche Lehrer, der Director des großherzoglichen Naturaliencabinets Karl Christian Gmelin zog ihn durch die trockne Vortragsweise wenig an, nutzte ihm aber durch Ueberlassung seiner Bibliothek. Das wichtigste Förderungsmittel für seine botanische Ausbildung bildeten seine zahlreichen botanischen Excursionen, die er meist allein, nur mitunter von einzelnen auserwählten Mitschülern begleitet, an allen freien Nachmittagen unternahm. Sehr bald beherrschte B. gründlich die Phanerogamenflora des badischen Landes und wandte sich dann dem Studium der Moose, Farne, Flechten und Pilze zu, bei deren Bestimmung ihn ein kleines Nürnberger Mikroscop und der freundliche Beirath der Apotheker Märklin in Wiesloch, Funk in Gefrees im Fichtelgebirge und Bruch in Zweibrücken unterstützten. Gestützt auf seine ungewöhnlichen Kenntnisse trat B. noch als Schüler mit vielen der angesehensten Botaniker des In- und Auslandes in Tauschverkehr und Briefwechsel und manche neue, damals von ihm entdeckte Art trägt seinen Namen, wie Chara Braunii, Orthotrichum Braunii, Aspidium Braunii. Auch seine erste litterarische Veröffentlichung, der 1821 in der „Flora“ erschienene Aufsatz: „Bemerkungen über einige Lebermoose“, fällt noch in seine Lyceumszeit, desgleichen ein im folgenden Jahre ebendort abgedruckter: „Ueber Oxalis corniculata und stricta“, sowie eine Correspondenz über Pflanzen des badischen Landes, so daß dem sechzehnjährigen jungen Manne bei seinem ersten Eintreten in die Oeffentlichkeit von dem Herausgeber der Flora, Dr. H. Hoppe, ein außerordentlich günstiges Prognostikon ausgestellt werden konnte. Im October 1824 bezog B. die Universität Heidelberg, um, dem Wunsche des Vaters folgend, Medicin zu studiren. Dem äußeren studentischen Leben abhold, concentrirte B. seine ganze Kraft auf seine Studien, in welchen nach wie vor Botanik die erste Stelle einnahm. Seine Lehrer darin waren Bischoff, Dierbach und Schelver. Allmählich sammelte er einen Kreis gleichstrebender Freunde um sich, unter denen vor allen der Schweizer Louis Agassiz und der Badenser Karl Friedrich Schimper auf Braun’s Entwicklungsgang bestimmend eingewirkt haben. Beide waren hochbegabte Männer. Agassiz, mit vorzüglichen Kenntnissen, namentlich in der Zoologie ausgestattet, nur wenig jünger wie B., war eine liebenswürdige, sich allen Verhältnissen leicht anpassende Persönlichkeit, deren fröhliches Wesen auf den mehr stillen und in sich gekehrten B. einen vortheilhaften Einfluß übte. Später wurde er durch seine Verheirathung mit einer Schwester Braun’s dessen Schwager. Karl Schimper, ganz ungewöhnlich für naturwissenschaftliche Betrachtungen begabt und auch philologisch tüchtig geschult, war von sprühendem Geist und äußerst redegewandt. Leider war sein Charakter nicht zuverlässig und stetig, so daß der zuerst innige Freundschaftsbund mit B. später zu einem Bruche führte, unter dem letzterer nicht nur persönlich litt, der auch nachtheilig für die botanische Wissenschaft geworden ist. Mit Beginn des Wintersemesters 1827 siedelte B. zusammen mit Agassiz nach München über, durch Oken’s und Schelling’s Ruf angezogen. Karl Schimper folgte den Freunden in Begleitung seines jüngeren Bruders Wilhelm im [188] folgenden Jahre nach und nun begann hier ein wissenschaftliches Leben unter den drei Genossen, die man bald das Kleeblatt nannte, wie es selten unter so jungen Studenten zum zweiten Male gefunden werden dürfte. Sie beschränkten sich nicht darauf, unter Ausnützung jeder verfügbaren Zeit, die verschiedensten naturwissenschaftlichen Vorlesungen zu hören – für B. waren Martius und Zuccarini die besuchtesten botanischen Lehrer –, sondern veranstalteten auf Grund ihrer selbständigen Forschungen regelmäßige Vorträge in ihrer Behausung, in welchen sie die Resultate ihrer Beobachtungen sich gegenseitig mittheilten und ihre Litteraturkenntniß zu fördern suchten. Nicht nur befreundete Studenten zogen sie in ihren kleinen Kreis, selbst Professoren hatten sie zu Zuhörern, so besonders den Anatomen Döllinger, in dessen Hause sie wohnten. B. beschäftigte sich damals, durch Schimper’s morphologische Forschungen angeregt, vorzugsweise mit Untersuchungen über Blattstellungsverhältnisse und trug darüber vor. Die Ergebnisse seiner Studien brachte er unter dem Titel: „Vergleichende Untersuchung über die Ordnung der Schuppen an den Tannenzapfen, als Einleitung zur Untersuchung der Blattstellung überhaupt“, in den Acten der Leopoldina, deren Mitglied er am 24. Mai 1830 geworden war, in demselben Jahre zum Druck. Schon vor Vollendung dieser Arbeit hatte sich B. 1829 durch eine Dissertation über Orobanche in Tübingen den Doctortitel erworben. Die Arbeit erschien nicht selbständig, ist aber ihrem wesentlichen Inhalte nach von Koch in seiner Flora Deutschlands (1833) benutzt worden. Das Jahr 1831 verlebte B. zunächst im väterlichen Hause in Karlsruhe, mit dem Ordnen seiner Sammlungen und mit einzelnen botanischen Untersuchungen beschäftigt. Die Medicin war allmählich ganz in den Hintergrund getreten. Auch als B. im folgenden Jahre mit seinem jüngeren Bruder Max, der sich dem Bergfach widmete, nach Paris ging, war es ausschließlich die Botanik, welche ihn hier fesselte. Unter den französischen Vertretern dieser Wissenschaft waren es besonders Decaisne und J. J. Gay, mit denen er verkehrte; ferner machte er die Bekanntschaft von Adolphe und Alexandre Brogniart und Adrien de Jussieu, welche er öfter auf Excursionen begleitete und von Mirbel, Turpin u. A. Daneben hatte sich um ihn und Agassiz, der dem Freunde schon vorausgeeilt war, ein Kreis deutscher jugendlicher Forscher geschaart, der, ähnlich wie in München einen lebhaften wissenschaftlichen Verkehr unterhielt. Während B. noch in Paris weilte, erging an ihn der Ruf, eine Lehrerstelle für Pflanzen- und Thierkunde an der neu gegründeten polytechnischen Schule in Karlsruhe anzunehmen. Er folgte demselben und trat nach seiner Rückkehr im December 1832 die Stelle an. Sehr bald erhielt B. den Professortitel, wurde Assistent am Naturaliencabinet und 1837 nach Gmelin’s Tode dessen Nachfolger. Im folgenden Jahre übertrug man ihm behufs Aufbesserung seiner ziemlich kärglichen Einnahmen die Stelle eines dritten Bibliothekars an der Hofbibliothek. Inzwischen hatte B. auch seinen Hausstand gegründet. Vierzehn Jahre hindurch, bis Mai 1846, verwaltete B. die ihm anvertrauten Aemter mit großer Pflichttreue und trotz zahlreicher Amtsgeschäfte und mancher trüben Schicksalsschläge in seiner Familie, wie sie der Tod seiner Frau, seiner Eltern und eines Kindes ihm brachte, lag er mit unendlicher Ausdauer seinen wissenschaftlichen Forschungen ob. Es war besonders die Morphologie der Characeen, Equisetaceen, Rhizocarpeen neben den fortgesetzten morphologischen Studien der höheren Gewächse, sowie floristische und systematische Arbeiten, die ihn jetzt aufs eingehendste beschäftigten. Im J. 1845 wurde B. der durch Perleb’s Tod erledigte Lehrstuhl der Botanik an der Universität Freiburg i. Baden angetragen und im Mai des folgenden Jahres siedelte er mit seiner Familie – er hatte sich zum [189] zweiten Male verheirathet – dahin über. Die 4½ Jahre ungetrübter Schaffenskraft, welche B. hier verlebte, hat er stets als die glücklichsten seines Lebens bezeichnet. Die zu genußreichen und ergiebigen Excursionen einladende herrliche Natur, der Umgang mit bedeutenden Collegen, unter denen der Zoologe Th. v. Siebold in erster Linie stand, brachten ihm reichen geistigen Gewinn. Freilich fehlte es auch hier nicht an Störungen. Die tiefgreifendsten brachten die Stürme der Revolution in Baden, während welcher er, im Jahre 1849, Prorector der Universität war. In dieser Eigenschaft gelang es ihm, das bedeutende Vermögen der Universität der ihm drohenden Beschlagnahme seitens der revolutionären Regierung durch Ueberführung nach Basel zu entziehen. Seine wissenschaftlichen Arbeiten in Freiburg galten vornehmlich den Characeen und Algen. Gleichzeitig erschien um diese Zeit sein berühmt gewordenes Buch: „Betrachtungen über die Erscheinung der Verjüngung in der Natur“, welches zunächst als Prorectoratsprogramm 1849 veröffentlicht wurde, dann zwei Jahre später als selbständiges Werk im Buchhandel herauskam und auch eine Uebersetzung ins Englische (1853) und Französische (1851) erfahren hat. Auf Veranlassung von Justus v. Liebig nahm B. im October 1850 die Berufung als Professor der Botanik und Director des botanischen Gartens an der Universität Gießen an, woselbst er indessen nur ein Wintersemester verblieb; denn schon im Frühjahr 1851 folgte er einem ehrenvollen Ruf in die gleiche Stellung als Nachfolger Link’s nach Berlin, zu dessen Annahme ihn der berühmte Geologe Leopold v. Buch durch persönlichen Besuch in Gießen veranlaßt hatte. Am 15. Mai 1851 traf B. mit seiner zahlreichen Familie in Berlin ein und vier Tage später hielt er seine erste Vorlesung an der Universität, womit er eine 52 Semester hindurch fortgesetzte, nur selten unterbrochene, an Erfolgen reiche Lehrthätigkeit eröffnete. Noch in demselben Jahre wählte ihn die Akademie der Wissenschaften zu ihrem Mitgliede und übergab ihm der interimistische Director des botan. Gartens, der Zoologe Lichtenstein die Leitung dieses Institutes. Obwol die Verhältnisse der Großstadt einer so anspruchslosen Natur wie derjenigen Braun’s wenig sympathisch waren, und obwol die mit seinem Amte verbundenen Verwaltungssgeschäfte ihm wenig behagten, so hat er doch sehr bald durch Anspannung aller Kräfte auf allen Gebieten seines weitverzweigten Arbeitsfeldes sich ein Wirkungsgebiet geschaffen und einen Erfolg errungen, der seinem Namen in der botanischen Wissenschaft eine dauernde Stätte sichert. Nach nur kurzer Krankheit endete der Tod Braun’s reich gesegnete Thätigkeit im 72. Jahre seines Lebens.

Bei der Vielseitigkeit, welche Braun’s Schaffen charakterisirt, ist es schwer, seiner Bedeutung ganz gerecht zu werden. Eine in sich harmonisch abgeschlossene Natur, muß er als Gelehrter, als Lehrer und als Mensch gleichmäßig beurtheilt werden. Innerhalb der Botanik gibt es, die Experimentalphysiologie ausgenommen, keinen Zweig, den er nicht durch eigene Beobachtungen gefördert hätte. In erster Linie aber war sein Forschungsgebiet die Morphologie. Die schon erwähnte 1830 veröffentlichte Untersuchung über die Ordnung der Schuppen an den Tannenzapfen, das Resultat eingehender, mit Schimper zusammen betriebener Studien, war grundlegend für die Ausbildung der Lehre von der Blattstellung. Zum ersten Male wurde hier in consequenter Durchführung bei meisterhaft klarer Darstellungsform die Gesetzmäßigkeit der Aufeinanderfolge seitlicher Axenorgane festgelegt. Es wurde nachgewiesen, daß das Wachsthum am Stengel in der Richtung einer Schraubenlinie emporsteigt, daß die wesentlichen Verschiedenheiten in der Blattstellung durch das Maaß der seitlichen Abweichung oder Divergenz der Blätter bedingt sind und sich durch einfache mathematische Formeln, die Partialwerthe des Kettenbruches [190] u. s. w. ausdrücken lassen. Auch die Blattquirle bestehen aus Blättern, welche in schraubiger Folge angelegt sind und bei Aufeinanderfolge von Cyklen verschiedener Blattstellung geschieht dies in gesetzmäßiger Weise. Wenn auch spätere Forscher, wie Hofmeister und zum Theil Nägeli im einzelnen begründete Ausstellungen gegen die Schimper-Braun’sche Theorie erhoben haben, so ist deren Grundlage doch dadurch unberührt geblieben, ihr wissenschaftlicher Werth jedenfalls nicht geschmälert worden. In allem, was sich auf die Sproßfolge des Pflanzenstocks und die morphologischen Verhältnisse der Blüthe bezieht, ist B. erste Autorität geblieben. Leider war er nicht mehr dazu gekommen, eine Fortsetzung seiner Hauptarbeit in den Druck zu geben. Zum größten Theil wurde er daran gehindert durch das eigenthümliche Verhalten Schimper’s ihm gegenüber. Letzterer hatte auf der Naturforscherversammlung in Stuttgart 1834 einen Vortrag über die Theorie der Blattstellung gehalten, einen Bericht darüber aber nicht verfaßt. Als endlich B. in seiner klaren Weise in der Flora 1835 über diese Frage referirte, fühlte sich Schimper in falschem Prioritätsgefühl dadurch verletzt. Er veranlaßte B. zu einer Erklärung, in welcher dieser dem Freunde selbstlos den Hauptantheil an der Ausbildung der Blattstellungslehre zuerkannte. Obwol nun Schimper später nie etwas Morphologisches publicirt hat, so duldete er doch auch keine Veröffentlichung Braun’s, die sich auf ihre gemeinsame Arbeit bezog, da er darin eine Verletzung der Freundschaft erblickte. So bleibt es denn zu bedauern, daß das überreiche Material, welches zum Theil durch beide Forscher, zu einem sehr großen Theil aber durch B. allein zusammengetragen war, nie seitens des letzteren der Oeffentlichkeit übergeben worden ist. Ueberhaupt ist es eine, den Forscher wie den Menschen Braun gleichmäßig kennzeichnende Erscheinung, daß er in seinen Untersuchungen sich nie genug thun konnte und schwer zur Veröffentlichung schritt, daß er aber die Früchte seines Schaffens Collegen, Freunden, Schülern mit seltener Uneigennützigkeit zur Verfügung stellte. Andere morphologische Fragen, über die B. in Vorträgen auf den Naturforscherversammlungen in Freiburg (1838) und Mainz (1842) berichtete, handeln über gesetzmäßige Drehung im Pflanzenreich (Flora 1839), über die Stellung der Fruchtblätter (ebendort), über die Wachsthumsverhältnisse der Pflanzen in ihrer Anwendung auf Unterscheidung und Gruppirung der Spezies (Bericht d. Mainzer Naturforschervers. 1843) und über Symmetrie im Pflanzenreiche (ebendort), worin er zuerst den Begriff des Zygomorphismus feststellte. Eine Schrift Braun’s, welche wegen der in ihr enthaltenen neuen und allgemeinen Gesichtspunkte großes Aufsehen erregte, war die in den Abhandlungen der Berliner Akademie 1853 abgedruckte: „Das Individuum der Pflanze in seinem Verhältniß zur Spezies. Generationsfolge, Generationswechsel und Generationsvertheilung der Pflanze“. Er kommt hierin zu dem Ergebniß, daß das pflanzliche Individuum die Knospe oder der Sproß sei. Die Arbeit ist aber noch darum von erhöhter Bedeutung, weil sich in ihr der besondere wissenschaftliche Standpunkt Braun’s, die ihm eigne Art zu beobachten und aus dem Beobachteten Schlüsse zu ziehen, ausspricht, eine Art, welche in seiner philosophischen Durchbildung wurzelt. Als Schüler Schelling’s, den er zwar schätzte, ohne jedoch dessen naturphilosophischer Richtung blindlings zu folgen, hielt B. daran fest, daß die Natur von dem göttlichen Geiste, dessen schöpferischer Kraft Alles sein Entstehen verdankt, in ihrem Entwicklungsgange planmäßig geleitet werde. Zwar müssen alle Aeußerungen des Lebens nach mechanischen Gesetzen erfolgen, seine Aufgaben und Ziele aber gehören einem höheren Gebiete an. Die Entwicklungsgeschichte ist wohl ein werthvolles [191] Mittel zur Deutung morphologischer Thatsachen, sie darf aber, da sie alle Stadien der Entwicklung umfassen muß, nicht bloß insofern maßgebend sein, als der Anfang die nachfolgenden Schritte beleuchtet, sondern auch umgekehrt, insofern das Ziel einen Schluß auf die vorausgehenden zuläßt. Diese Grundgedanken kehren wiederholt in seinen Schriften und seinen zahlreichen Vorträgen und Reden wieder. So beispielsweise in der Rede: „Ueber die Bedeutung der Morphologie“ und „Ueber die Bedeutung der Entwicklung in der Naturgeschichte“, beide zur Feier des Stiftungstages der militärärztlichen Bildungssanstalt der heutigen Kaiser Wilhelms-Akademie 1862 und 1872 gehalten, ferner in der Rede bei seinem Eintritt in die philosophische Facultät zu Berlin vom 14. März 1855 „Ueber den Zusammenhang der naturwissenschaftlichen Disziplinen unter sich und mit der Wissenschaft im allgemeinen“. Damit bekennt sich B. als ein entschiedener Gegner der physikalisch-mechanischen Naturauffassung und stimmte auch der Lehre Darwin’s nur in bedingter Weise bei. Er nahm zwar mit derselben die Variation der Arten im Laufe der Zeit an, glaubte aber deren Ursache nicht in äußeren Zufälligkeiten oder im Kampfe ums Dasein, sondern in einem inneren Triebe nach fortschreitender Vervollkommnung suchen zu müssen. Von philosophischem Geiste durchdrungen ist auch eine andere bedeutende Schrift Braun’s, welche zu seinen physiologischen Arbeiten hinüberleitet. Es ist dies das ebenfalls schon erwähnte Werk: „Ueber die Verjüngung in der Natur u. s. w.“ Unter dem Gesichtspunkte einer stetigen Verjüngung im organischen Reiche bespricht er darin die Erscheinung des Vergehens und der Neubildung nicht nur von Blättern, Sprossen und Verzweigungsformen, sondern auch im Wachsthum der Zelle selbst, wofür er zahlreiche neue Thatsachen, namentlich in der Entwicklungsgeschichte von Algen beibringt und selbst auf paläontologische Formen zurückgreift. B. gab hier zuerst von zwei Spirogyra-Arten eine genauere Darstellung der Zweitheilung einer kernhaltigen Zelle, präcisirte überhaupt erst streng den Zellbegriff und stellte alle bis dahin bekannt gewordenen Modalitäten in der Zellbildung systematisch und übersichtlich zusammen. Ueberhaupt haben seine Forschungen über niedere Algen, namentlich über deren Schwärmsporenbildung wesentlich zur Begründung der modernen Zellenlehre beigetragen und auf den Entwicklungsgang der Thallophyten neues Licht geworfen. Zu den wichtigsten hierhin zu rechnenden Veröffentlichungen Braun’s gehört auch seine ursprünglich als Dissertation bei seinem Eintritt in die Berliner philosophische Facultät am 17. März 1855 verfaßte, später als selbständiges Werk erschienene Arbeit: „De algis unicellularibus nonnullis novis vel minus cognitis praemissis observationibus de algis unicellularibus in genere“, der 6 Tafeln beigegeben sind. Die Kryptogamen sind ein bevorzugtes Arbeitsfeld Braun’s geblieben und auch in systematischer Beziehung Gegenstand zahlreicher Abhandlungen geworden. Seine Bearbeitungen der Characeen, Equisetaceen, Marsiliaceen, der Isoëten und Ophioglosseen, die in den verschiedensten Publicationen von den dreißiger Jahren an bis an sein Lebensende hin zerstreut sich vorfinden, zeigen durch die Schärfe in der Charakterisirung der Spezies und der Umgrenzung der natürlichen Verwandtschaftsbeziehungen den hervorragenden Systematiker. Auch an der Herausgabe von Sammlungen getrockneter und richtig bestimmter Pflanzen, deren Werth er stets betonte, betheiligte er sich gern und reichlich, so an Klotzsch’s Herbarium mycologicum, an Rabenhorst’s Algen Sachsens und Algen Europas. Für letztere lieferte B. 1876 die Dekaden 246–48, die Algen der Gewächshäuser enthaltend. Mit Rabenhorst und Stitzenberger gab er 1867 die Characeae europaeae heraus. In uneigennützigster Weise stellte er sein reiches Material und seine zahlreichen morphologischen Beobachtungen [192] Döll zur Verfügung für dessen rheinische Flora (1843) und Flora von Baden (1857–62) und überließ Ascherson für die Flora von Brandenburg seine Bearbeitung des natürlichen Systems, welches er selbst sonst nirgends veröffentlicht hat. Die merkwürdige, im Thierreiche längst bekannte Thatsache der Parthenogenesis lenkte Braun’s Aufmerksamkeit auf ähnliche Erscheinungen in der Pflanzenwelt. Er trug im October 1856 in der Berliner Akademie über Parthenogenesis der Pflanzen vor (Monatsberichte 1857), ausgehend von Beobachtungen, welche er an Caelebogyne ilicifolia und Chara crinita gemacht hatte. Seine zuerst von einigen Forschern angezweifelten Funde wurden durch spätere Untersuchungen de Bary’s bestätigt und durch neue von Pringsheim an Saprolegnia–Arten constatirte Fälle erweitert. Als Nachtrag zu seiner Abhandlung über Parthenogenesis lieferte B. im März 1859 eine Arbeit „Ueber Polyembryonie und Keimung von Caelebogyne“ (Abh. d. Berliner Akad.). Auch der Geologie und Paläontologie, zu deren Studium ihm schon seine Karlsruher Stellung Gelegenheit bot, hat B. sein Interesse stets bewahrt. Seine Untersuchungen über die Tertiärconchylien des Mainzer Beckens (Bericht d. Naturforschervers. in Mainz 1843) und über die Tertiärflora von Oeningen (Leonhard u. Braun, Neues Jahrbuch 1845) fanden allgemeine Anerkennung. Viele seiner in dieses Gebiet einschlagenden Beobachtungen ruhen aber auch noch unveröffentlicht in seinen hinterlassenen Manuscripten. Für die Virchow-Holtzendorff’sche Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge (IV. Serie, Heft 94, 1870) schrieb er einen Artikel über die Eiszeit der Erde.

Neben dem Forscher B. verdient aber auch der Lehrer vollste Würdigung, wie er denn auch selbst sein Lehramt in den Vordergrund seiner Thätigkeit stellte. Er las, seiner Zeit der einzige Ordinarius für Botanik, über das gesammte Gebiet dieser Wissenschaft. Stets sorgfältig vorbereitet, seinen Vortrag durch zahlreiche Demonstrationen erläuternd, wußte er nicht nur durch die Klarheit und Gedankentiefe seiner Rede, die aus dem Grunde eines selten reichen Wissens schöpfte, seine Schüler zu fesseln; es war vielmehr die ganze Persönlichkeit Braun’s, seine stets auf den allgemeinen Zusammenhang gerichtete ideale Auffassungsweise der Natur und nicht zuletzt auch der Eindruck seines liebenswürdigen Wesens und seiner sympathischen äußeren Gestalt, welche in Allen, die ihm zu Füßen gesessen, das Gefühl hoher Verehrung für den seltenen Mann erweckten. B. begnügte sich aber nicht damit seine Vorlesungen mit höchster Gewissenhaftigkeit, selbst unter Nichtachtung seiner in den letzten Jahren schwankenden Gesundheit abzuhalten, er war auch sonst seinen Freunden und Schülern und sei es dem jüngsten Studenten, ein treuer und wohlwollender Berather. B. besaß die Fähigkeit, naturwissenschaftliche Fragen im freien Vortrage allgemein interessant zu behandeln im hohen Grade. Er war deshalb in den zahlreichen naturwissenschaftlichen Vereinen und Gesellschaften, deren Mitglied und häufiger Leiter er war, ein sehr gesuchter und beliebter Redner. Obwol ihm die mit seinem Amte verbundenen Verwaltungsgeschäfte stets lästig waren, da sie ihm die Zeit für seine Untersuchungen kürzten, kam er ihnen doch mit peinlichster Gewissenhaftigkeit nach und ließ es dabei weder an praktischem Urtheil, noch, wo es nöthig war, an Festigkeit fehlen. Wie er der Freiburger Universität das bedrohte Vermögen zu erhalten wußte, ist schon erwähnt worden; ebenso kam er seinen directorialen Befugnissen, die besonders in Berlin einen erheblichen Umfang annahmen, mit Umsicht und Erfolg nach. Der Berliner botanische Garten ist während seiner Verwaltung fast um das Doppelte vergrößert worden und neue Gewächshäuser, darunter ein stattliches Palmenhaus sind erbaut worden. Freilich [193] konnte er für sich selbst die Erlangung einer Amtswohnung erst in seinen letzten Lebensjahren und auch nur in bescheidener Form durchsetzen. Den Bau eines botanischen Museums zur Aufnahme der umfangreichen Sammlungen, worauf er stets gedrungen und wofür die Pläne schon fertig vorlagen, hat er selbst nicht mehr erlebt. Der hochbegabte Lehrer und unermüdliche Forscher war auch ein edler Mensch. Selbst wissenschaftliche Gegner, deren er jedoch nicht viele hatte, machten Halt vor seiner sittlichen Persönlichkeit. Die schweren Leiden, welche sein Familienleben trafen, da er fünf von seinen elf Kindern aus zwei Ehen, die erste Gattin und den Schwiegersohn, den Botaniker Mettenius, vor sich ins Grab sinken sah, und seine eignen zum Theil schweren Krankheiten ertrug er mit einer Fassung, wie sie nur wahre Philosophie und tiefes religiöses Gefühl geben können. Reiche wissenschaftliche Schätze hat B. bei seinem Tode hinterlassen. Sie wurden sämmtlich vom preußischen Staate erworben und zwar ein morphologisches Herbar von 43 Mappen, welches die von B. gesammelten, morphologisch interessanten Objecte sammt den von Professor v. Leonhardi zu Prag hinterlassenen Sammlungen gleichen Charakters umfaßt, ferner das eigentliche Pflanzenherbar von 303 Fascikeln Phanerogamen und 136 Fascikeln Kryptogamen, unter welchen letzteren die Characeen von seltener Vollständigkeit sind. Sie sind später von Nordsted bearbeitet worden. Außerdem wurden Braun’s wissenschaftliche Manuscripte im J. 1879 von der Akademie der Wissenschaften erworben und dem Berliner Königl. Herbarium mit der Verpflichtung übergeben, dieselben gesondert aufzubewahren und den Fachgelehrten zugänglich zu machen.

Nekrologe: C. Mettenius in Abhandlungen d. Leopoldina XIII. – R. Caspary, Flora 1877. – L. Kny, Virchow u. Holtzendorff’s Samml. XIII. Serie, Heft 301. – Ascherson, Nationalzeitung, Berlin, 13. April 1877. – C. Mettenius, A. Braun’s Leben. – Sachs, Gesch. d. Botanik.