ADB:Wurmbrand, Johann Wilhelm Graf von

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Artikel „Wurmbrand, Johann Wilhelm Graf von“ von Hans von Zwiedineck-Südenhorst in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 335–338, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wurmbrand,_Johann_Wilhelm_Graf_von&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 04:32 Uhr UTC)
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Wurmbrand: Johann Wilhelm Graf v. W., Staatsmann und Historiker, wurde am 18. Februar 1670 zu Steyersberg in Niederösterreich geboren und gehört somit der österreichischen Linie der Familie Wurmbrand-Stuppach an, die dem österreichischen und steierischen Uradel beigezählt wird. Ihr ältester nachweisbarer Besitz war nämlich im Semmeringgebiete gelegen, das als Theil der Püttener Mark bis 1254 zum Herzogthum Steyer gehört hatte, durch die Theilung zwischen Bela von Ungarn und Ottokar von Böhmen jedoch mit Oesterreich u. d. Enns verbunden wurde. Sie erlangten 1607 den Freiherrn-, 1682 den Grafenstand und erwarben von den Stubenberg die Herrschaft Steyersberg zwischen Aspang und Neunkirchen, von den Neudegg die Herrschaft Stickelberg an der niederösterreichisch-ungarischen Grenze, welche gegenwärtig das niederösterreichische Fideicommiß der Familie bilden. Johann Wilhelm’s Vorfahren hatten sich zum evangelischen Glauben bekannt. Ehrenreich v. W. war ein hervorragendes Mitglied der protestantischen Stände in Niederösterreich gewesen und in nahen Beziehungen zu König Mathias gestanden. Sein Sohn Johann Ehrenreich und sein Enkel Johann Eustach verstanden es, sich bei Hofe in Gnaden zu erhalten und doch dem evangelischen Glauben treu zu bleiben, zu dessen Ausübung sich viele niederösterreichische Herren auf ungarischen Boden begaben. Die Wurmbrand hatten zu diesem Zwecke sogar ein Besitzthum in Oedenburg erworben. So wurde denn auch Johann Wilhelm als Protestant erzogen. Seine Mutter Maria Isabella, aus der freiherrlichen Familie Speidel, zog nach des Vaters Johann Eustach frühzeitigem Tode nach Altenburg, um geeignete evangelische Lehrkräfte für ihre Kinder erhalten zu können, und ließ [336] Johann Wilhelm zuerst auf der Universität zu Leipzig, dann aber in Utrecht studiren. Dieser widmete sich vorzugsweise historischen und staatsrechtlichen Untersuchungen, von deren Gründlichkeit die schon 1692 bei Franz Halma in Utrecht gedruckte Dissertation „Forum S. Imperii Romano-Germanici Principum“ Zeugniß gibt. Sie behandelt in drei Capiteln die rechtliche Stellung des Kaisers, dessen Gerichtsstand, die Bedeutung der Wahlcapitulation, die Frage der Absetzbarkeit des Kaisers, dann die Fürstengerichte, die Competenz des Papstes und der Consistorien in geistlichen und Eheangelegenheiten, endlich die Austrägalgerichte, Acht und Bann und die kaiserliche Gerichtsbarkeit über italienische Fürsten. W. bemüht sich, wie die meisten Staatsrechtslehrer seiner Zeit, die Eigenschaften der Souveränetät zu bestimmen und deren göttlichen Ursprung nachzuweisen, er betont jedoch nachdrücklich die freiwillige Beschränkung der höchsten Gewalt durch die Anerkennung und eidliche Bekräftigung der in der goldenen Bulle und den Wahlcapitulationen niedergelegten Verfassung. – Ob mit dem Erscheinen der Dissertation, der ein pomphaftes Glückwunschschreiben seines Bruders Christian Sigismund W. und eine überschwenglich lobende Kritik des Utrechter Professors J. G. Graevius (Graefe aus Naumburg) beigedruckt ist, die Erwerbung eines akademischen Grades verbunden war, läßt sich aus den Familienacten nicht nachweisen. Schon damals stand W. mit namhaften deutschen Gelehrten, wie Carpzov in Leipzig, Imhof in Nürnberg und Struve in Jena in vertrautem Briefwechsel, aus welchem hervorgeht, daß man in diesen Kreisen über die litterarischen Bestrebungen des jungen Grafen gut unterrichtet war und seine Fähigkeiten schätzte. Nachdem W. sich sieben Jahre in den Niederlanden aufgehalten hatte, wurde er vom Kurfürsten von Brandenburg für eine evangelische Stelle im kaiserlichen Reichshofrathe in Wien vorgeschlagen und auch bereits am 2. October 1697 in denselben introducirt, am 27. April 1701 mit einer Pension von 1000 Gulden ausgestattet. Der Reichshofrath wurde nunmehr der Mittelpunkt seiner politischen und wissenschaftlichen Thätigkeit, die sich immer weiter ausbreitete, da ihm die schwierigsten staatsrechtlichen Processe, namentlich in italienischen Lehenssachen, zur Bearbeitung zugewiesen wurden.

Eine Frucht seiner Forschungen im Archive der niederösterreichischen Stände, denen er als Mitglied des Herrenstandes angehörte, und in verschiedenen Privatarchiven war das wegen seiner Gründlichkeit noch jetzt hochgeschätzte Werk „Collectanea genealogico-historica“, das bei J. B. Schönwetter in Wien 1705 erschien. Es enthält Abrisse der Familiengeschichte von 71 österreichischen Adelshäusern und eine Abhandlung in 20 Capiteln über die Landeserbämter. Der Abdruck der darin aufgenommenen Urkunden zeigt diplomatisches Verständniß, das Ganze weist auf eine außergewöhnliche Kenntniß der historischen Litteratur hin, die W. durch den Ankauf von Handschriften und seltenen Werken, die er aus Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden bezog, stets zu ergänzen bemüht war. Diese wissenschaftliche Thätigkeit hat W. während seines ganzen langen Lebens eifrig fortgesetzt, der Verkehr mit hervorragenden Fachmännern blieb ihm Bedürfniß, und je größer sein Einfluß am Kaiserhofe wurde, desto bereitwilliger wurde derselbe von den Gelehrten selbst aufgenommen. Unter der umfangreichen Correspondenz, die zum größten Theile erhalten ist, findet sich auch eine besondere Sammlung von Briefen bekannter Publicisten und Historiker, darunter von Böhmer, Cyprianus, Duellius, Köhler, Mascov, Pez, Schannat u. A. Seine eigene litterarische Production war jedoch mit den Collectanea abgeschlossen, er beschränkte sich darauf, Ergänzungen zu denselben zu sammeln und Notizen zu machen, für die er jedoch keine Verwendung mehr fand, da ihm sein richterliches Amt und seine Verwendung zu politischen Geschäften keine Zeit zur Herausgabe neuer Werke übrig ließ.

[337] Die politische Laufbahn Wurmbrand’s begann bei der Kaiserkrönung Karl’s VI., zu welcher er den Bevollmächtigten des Kaisers, den Grafen Ernst Friedrich von Windisch-Grätz, begleitet hat. Mit diesem verband ihn sehr vertraute Freundschaft, die wohl auch auf dem Umstande beruhen dürfte, daß Windisch-Grätz sich als Vicepräsident des Reichshofrathes auf die gediegenen Kenntnisse Wurmbrand’s im deutschen Staatsrechte zu verlassen gewohnt war und sich in allen Fragen von Bedeutung seines Rathes bediente. Als Windisch-Grätz 1714 zur Präsidentenwürde emporstieg, kann W. bereits als die Seele der mit dem Reichskammergerichte an Macht erfolgreich wetteifernden Körperschaft und als ihr geistiges Haupt angesehen werden. In allen Streitfällen, die beim Reichshofrathe anhängig gemacht wurden, suchte man seine Intervention nach, alle Reichsstände, die auf ein günstiges Referat ihre Hoffnung setzten, bemühten sich um seine Gunst. Dies steigerte sich, seitdem W. am 7. November 1722 zum Vicepräsidenten vorgerückt und am 22. December d. J. in das Geheimrathscollegium aufgenommen worden war. Als solcher wohnte er allen unter dem Vorsitze des Prinzen Eugen von Savoyen abgehaltenen Sitzungen des deputirten Geheimen Rathscollegiums bei, in welchen deutsche oder italienische Angelegenheiten verhandelt wurden, und wurde wiederholt mit Gesandtschaften an deutsche Höfe und zu Wahlen geistlicher Reichsfürsten betraut. Die wichtigste derselben fällt in die Jahre 1727 und 1728, in denen W. bei jenen deutschen Regierungen in geheimer Sendung vorsprach, auf welche sich der Kaiser bei der Durchführung der Anerkennung seiner pragmatischen Sanction im Regensburger Reichstage zu stützen gedachte. Er verkehrte im Juni 1727 auch mit Friedrich Wilhelm I. in Potsdam, von dem er mit großer Achtung aufgenommen wurde. W. und Graf Seckendorff, der kaiserliche Gesandte am preußischen Hofe, galten in den nächsten Jahren als die Stützen der preußisch-österreichischen Allianz, es wird sogar behauptet, daß W. den Plan einer Vermählung Maria Theresia’s mit dem Kronprinzen Friedrich zur dauernden Festigung derselben, ja zur endlichen Vereinigung der beiden Staaten zu befördern gesucht habe. Solange die Uebereinstimmung der österreichischen und preußischen Interessen anhielt, gehörte W. zu den führenden Geistern in der Wiener Geheimen Rathsstube. Die wichtigsten Reichsangelegenheiten, die Zwingenberg’sche, Mecklenburg’sche, Jülich’sche Frage wurden von ihm durch umfassende Rechtsgutachten behandelt und in seinem Sinne geführt. Mit der Wendung in der kaiserlichen Politik, die, durch England erzwungen, sich seit der Zusammenkunft Karl’s VI. und Friedrich Wilhelm’s I. 1732 in Prag den Ansprüchen Preußens auf das Jülich’sche Erbe abgeneigt erwies, sinkt der Einfluß Wurmbrand’s auf die Reichsangelegenheiten mehr und mehr. Obwol er seit dem 31. Januar 1728 als Präsident an der Spitze des Reichshofrathes stand und in seinen geschäftlichen Befugnissen nicht beschränkt wurde, hat er das Vertrauen des Kaisers doch nicht mehr in dem Maaße genossen als vorher und wurde seltener zu den Verhandlungen des Geheimen Rathes zugezogen. Noch immer war sein Ansehen und seine Stellung jedoch so hoch, daß W. nach dem Tode Karl’s VI. zum österreichischen Botschafter bei der Kaiserwahl in Frankfurt ausersehen war. Diese Sendung ist jedoch infolge der Aussichtslosigkeit für Oesterreich nicht zur Ausführung gekommen. Dagegen wohnte W. der Krönung Franz I. im Jahre 1745 bei und präsidirte am 7. October der ersten Sitzung des Reichshofrathes in Frankfurt, die nach altem Gebrauche im Namen des neugewählten Kaisers in der Krönungsstadt abgehalten wurde. Er starb am 17. December 1750 und hinterließ, obwol er fünfmal vermählt gewesen war, nur einen einzigen männlichen Erben, den Grafen Gundacker Thomas. Von allen Ehren, die ihm im Laufe seiner mehr als 50jährigen öffentlichen Thätigkeit [338] zu theil geworden waren, hat er es am höchsten geschätzt, daß ihn das fränkische Grafencollegium in seine Mitte aufgenommen hatte (24. Juni 1726 zu Rothenburg a. d. Tauber), womit seine Familie in die reichsständischen Grafenfamilien eintrat.

Urkunden und Arten des Steyersberger Familienarchives, worüber der Unterzeichnete in einer besonderen Veröffentlichung der Histor. Landes-Commission für Steiermark, Beitr. d. Hist. Ver. f. Steierm. 1896, sich ausführlich verbreitet hat. Der einschlägige Artikel bei Wurzbach enthält einige Ungenauigkeiten.