Adolf Strodtmann todt
[258] Adolf Strodtmann todt. Am 17. März, eine Woche vor seinem fünfzigsten Geburtstage, erlöste der Tod den in Steglitz bei Berlin lebenden Dichter von schwerem körperlichen Leiden, das ihm in kaum minder schmerzlicher Weise als Heinrich Heine, dessen Leben und Wirken er uns so vortrefflich geschildert, die letzten Jahre seines Lebens getrübt hat. Er erlag einem Nierenleiden. In Adolf Strodtmann ging wieder Einer hin von jenen opferfreudigen, kampfesfrohen Geistern, welche in trüber Zeit, meist unter Hingabe ihres Lebensglückes, mit der Feder und, als es galt, mit dem Schwerte für die Ideale politischer Freiheit und Einheit in Deutschland eintraten. Er war Einer von jenen Dichtern, die „den einsamen Botenläufern gleichen, welche des Morgens in aller Winterfrühe, wenn noch kaum die Hähne gekräht haben, auf den des Nachts [259] vom Schnee verschütteten Wegen die ersten Fußstapfen wieder eindrücken müssen“. „Ihr habt Mittags gut spazieren wandeln,“ ruft Gutzkow aus, von dem dieses Bild stammt. „Gedenkt der Botenläufer, die zwischen Feld und Wald im ersten Morgengrauen auf unübersehbarer Schneefläche die Wege wieder aufsuchen müssen!“ In diesem Sinne sei auch unseres Dichters gedacht, der mit vielen Gleichstrebenden in seiner Jugend das Geschick zu theilen hatte, auf solch muthvoll angetretene Wanderung in einen Lebenspfad voller Enttäuschungen, Mühen und Bitterkeiten gelockt zu werden, und der trotzdem den Glauben an seinen Leitstern, an seine Ideale niemals aufgegeben hat. Die Erfahrung lehrte ihn nur, daß das Licht in weiterer Ferne geleuchtet hatte, als seine jugendliche Begeisterung gemeint.
Am 24. März 1829 zu Flensburg, als Sohn eines ebenfalls um die Literatur verdienten Geistlichen geboren, ward er schon als Gymnasiast von der radikalen Bewegung der Zeit erfaßt. Zunächst wandte sich sein oppositioneller Unabhängigkeitssinn gegen das dänische Joch, unter dem sein deutsches Geburtsland stand. Als Kieler Student folgte er im Frühjahr 1848 der Fahne des Aufstandes, schon im Treffen bei Bau (9. April) traf ihn jedoch eine feindliche Kugel, die ihn schwer verwundete und so in dänische Gefangenschaft brachte. Auf einem dänischen Kriegsschiffe wurde er eingekerkert; die Gefühle, welche ihn dort theils quälten, theils erhoben, schildern seine „Lieder eines Kriegsgefangenen auf der ,Dronning Maria’“. Ausgewechselt, bezog er die Bonner Universität. Das nahe Verhältniß, in das er hier zu Professor Kinkel und Karl Schurz trat, entzog ihn bald auch dort dem ruhigen Studium. Wie er bei des Ersteren Verhaftung dessen zurückbleibende Frau, die berühmte Johanna Kinkel, in der Redaction von Kinkel’s Zeitung unterstützt, wie er auf die Nachricht, daß sein verehrter Lehrer im Zuchthaus zu Naugard Wolle spinnen müsse, sein leidenschaftliches „Lied vom Spulen“ verfaßt hat, welches seine Relegation veranlaßte, hat er uns selbst in seiner Biographie Kinkel’s angedeutet, die er im elterlichen Hause zu Hadersleben schrieb. Im Herbste 1850 suchte er Paris auf, woselbst er den Winter zubrachte.
Nach Hamburg zurückgekehrt wurde er leider in die Verhältnisse der Baronin von Bruiningk verwickelt, deren Flucht er vermittelte und der er als Erzieher ihrer Kinder nach England folgte. In London traf er mit seinen Freunden wieder zusammen, doch den in seinen schönen Liedern ersehnten stillen Hafen ruhigen Glückes ließ ihm das Schicksal auch hier nicht zu Theil werden. Der Sommer 1852 sah ihn nach Amerika übersiedeln. Nicht zu seinem Heile. Eine von ihm in Philadelphia gegründete Buchhandlung sowie die von ihm herausgegebene Zeitschrift gingen, nachdem sie sein Vermögen verschlungen, nach zwei Jahren ein. Zwei weitere Jahre hindurch – wohl die trübsten seines Lebens, welchen jedoch seine glänzende Dichtung „Rohana“ entstammte – führte er ein romantisches Wander- und Schriftstellerleben im Westen. Erst nach seiner Rückkehr nach Hamburg (Herbst 1856) ordneten sich seine Verhältnisse wieder, wenn sie auch fast niemals glänzende geworden sind. Er, in dessen Gedichten ein so inniges Liebesbedürfniß sich ausspricht, hatte in seinem Liebesleben kein Glück. Sein „hohes Lied der Liebe“, die mit Mädchennamen überschriebenen Liedercyclen in seinen „Gedichten“ (die dritte Auflage erschien soeben bei Reclam) sprechen es aus. Auch sein späteres Leben wurde durch eine bittere Erfahrung in dieser Hinsicht getrübt; Ruhe fand er erst an der Seite seiner nun zur Wittwe gewordenen letzten Gattin.
Bis 1870 in Hamburg, dann, nach Beendigung des großen Kriegs, den er als Correspondent mehrerer größerer Zeitungen miterlebte, in Steglitz bei Berlin wohnend, ist er unermüdlich im Dienste der Literatur und ihrer hohen Aufgaben thätig gewesen, selbst dann noch, als ihm sein Leiden bereits jede Anstrengung eigentlich verbot. Seine Gesammtausgabe der Werke Heine’s, die Briefe Bürger’s, vor Allem die vorzügliche Biographie des Sängers des „Buchs der Lieder“, „Das geistige Leben in Dänemark“ und seine jüngst erschienenen „Dichterprofile“, eine Sammlung tiefgreifender und geistvoller literarischer Essays, sind die Früchte der einen Seite seiner Thätigkeit, der literarhistorischen. Nicht mindere Verdienste hat sich Strodtmann als Uebersetzer, oder sagen wir besser Uebersetzungskünstler erworben. Denn die Kunst des Dichters ist es, der Technik nach wie nach der dabei aufgewandten Empfindung, welche sich in seinen Uebersetzungen von Shelley’s, Byron’s, Tennyson’s und den Gedichten Anderer, von Engländern, Skandinaviern, Franzosen offenbart hat. Viel haben wir seinem Geist, seinem rüstigen Fleiß zu danken. Uns raubte ihn der Tod, ihn trat er als Erlöser an. Sein Andenken sei uns theuer! Ein selten weiches und dabei tiefes Dichtergemüt ging mit ihm zu Grabe.