Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen I. Section/H05
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Auf einem schroffen Felsen des Zschopauthales, da wo der Strom in rascher Eile gegen die engen Steinwände seines Bettes anschäumt, erhebt sich mit ihren Thürmen und Zinnen die alte ehrwürdige Burg Kriebstein. Dieselbe ist noch völlig bewohnbar und gehört zu den wenigen Schlössern unseres Vaterlandes, welche durch die Stürme der Zeiten unberührt blieben. Von Kriebstein geniesst man eine unbeschreiblich reizende Aussicht auf das Thal der Zschopau und die romantischen Bergeshöhen, auf deren einer man die stattlichen Gebäude des Schlosses Ehrenberg erblickt. Zwischen Kriebstein und Ehrenberg zwängt sich die Zschopau in mannigfachen Krümmungen durch das enge Thal, wo die rasche Fluth durch ein Wehr, den Kriebsteiner Felsen und einen Brückenpfeiler gebrochen, schon manches Floss zerriss und manchen Schiffer verschlang. Scherzte die Bemannung eines Flosses auch noch so heiter, sobald das Schloss Kriebstein hervortritt, wird jeder ernst. Der Steuermann zieht die Mütze und betet, die Burschen thun schweigend dasselbe, und schon beginnt der Kampf mit den Wellen, wobei Alles nur auf den Meister sieht und horcht. Bei der gefährlichsten Stelle zwischen dem Brückenpfeiler und Felsen reisst der Strom so heftig, dass auch bei völliger Windstille ein unaufhörlicher Luftzug herrscht. Legt sich das Floss vor den Pfeiler, so wird es zerschellt oder überströmt und die Mannschaft heruntergeschwemmt, wenn sie nicht an den desshalb eingegossenen eisernen Ringen schwebend sich erhalten kann, bis Hülfe kommt. Ist die Gefahr vorüber, dankt man dem Himmel mit entblösstem Haupte und schenkt Kindern, die gewöhnlich am Ufer stehen und für glückliche Fahrt gebetet haben wollen, ein Stück Holz. Verunglückt jedoch ein Floss, dann ziehen die eifrigen Beter nicht selten die Trümmer an das Ufer und üben so eine Art Strandrecht, gegen welches freilich die Flösser protestiren.
Kriebstein, in Urkunden auch Crywenstein genannt, war einst der Stammort der Herrschaft Kriebstein, zu der auch die Stadt Waldheim gehörte. Bei dem Schlosse stehen bloss einige Häuser und eine schöne Mühle. Es hat eine Kapelle, in welcher der Pfarrer zu Bärnwalde bei Anwesenheit der Herrschaft Gottesdienst zu halten verpflichtet ist, und eine mit alterthümlichen Waffenstücken gefüllte Rüstkammer, worunter sich auch merkwürdige Geschütze aus dem fünfzehnten Jahrhundert befinden. Zum Schlosse Kriebstein gehören die Dörfer Bärnwalde, Gilsberg, Heiligenborn, Höschen mit Moritzfeld, Rauschenthal, Reinsdorf, Neuschönberg, Richzenhain, Tanneberg und Neumilkau mit fast zweitausend Bewohnern. In der Nähe Kriebsteins und bei Ehrenberg bricht Amethyst und Krystall.
Die Burg Kriebstein erbaute in den Jahren 1392 bis 1407 Ritter Dietrich von Bärnwalde, einer der reichsten Edelleute des Landes, dem die ganze umliegende Gegend unter dem Namen der Herrschaft Kriebstein angehörte. Kaum hatte jedoch Ritter Dietrich auf der neuen Burg seinen Wohnsitz aufgeschlagen, so wurde er in eine Fehde mit Staupitz von Reichenstein verwickelt, der Kriebstein belagerte und am Fastnachtsdienstage des Jahres 1415 mit stürmender Hand eroberte. Dietrich von Bärnwalde war der Gefangenschaft entgangen und wandte sich an den Landesherrn, Markgrafen Friedrich, mit der Bitte um Schutz und Hülfe. Der Markgraf zog darauf mit den Bürgern der Städte Freiberg, Rochlitz und Mittweida vor das Schloss und forderte den Ritter Staupitz zur Ergebung auf; dieser aber hatte sich mit Vorräthen aller Art und Mannschaft so wohl versehen, dass er dem Fürsten Trotz bot. Die Belagerung dauerte eine geraume Zeit, denn Staupitz war endlich gezwungen aus Mangel an Lebensmitteln um Gnade zu bitten, und that es in derselben Stunde, wo der Markgraf, an der Einnahme des Schlosses verzweifelnd, bereits Anordnungen zum Abzuge traf. Der erbitterte Fürst wollte an dem ungehorsamen Vasallen strenge Vergeltung üben, desshalb forderte er Oeffnung des Schlosses auf Gnade und Ungnade, der Gemahlin des Ritters Staupitz sicherte er dagegen auf ihre Bitte mit ritterlicher Artigkeit freien Abzug zu „mit Allem, was ihr lieb und theuer wäre.“ – Und als das Thor der Burg sich dem Markgrafen öffnete, erschien – gleich den Weibern von Weinsberg – die Edelfrau mit ihrem Eheherrn auf dem Rücken, von welcher Deutung seines Versprechens Friedrich allerdings anfänglich nichts wissen wollte, sich jedoch endlich beruhigte und die treue Gattin mit ihrem Gemahle in Frieden ziehen liess. Die Burg Kriebstein empfing indessen der Ritter von Bärnwalde nicht zurück, der Markgraf beschuldigte ihn der Verletzung gewisser Lehnspflichten und benutzte die gute Gelegenheit, ihn dafür zu strafen, indem er die schöne feste Burg für sich behielt. In einem Zimmer des Schlosses befindet sich ein altes Bild, welches den Auszug der Frau von Staupitz mit ihrem Gemahle auf dem Rücken darstellt. In der Folge kam Kriebstein, vermuthlich durch Kauf, an den bekannten Rath des Herzogs Wilhelm von Thüringen, Apollonius oder Apel von Vitzthum, welchem es Churfürst Friedrich der Sanftmüthige als gerechte Strafe für die gespielte Kabale während des Bruderkrieges (1446) abnahm und nebst Schweikershain, Ehrenberg und noch einigen nahen Gütern an den Ritter Kunz von Kaufungen verlieh, dessen Thüringische Güter durch die Truppen Herzog Wilhelms verwüstet oder eingenommen worden waren. Kaufungen musste einen Revers ausstellen, [42] dass er die Vitzthumschen Güter ohne Widerrede zurückgeben wolle, sobald der Churfürst ihm zu seinen in feindlicher Hand befindlichen Thüringischen Besitzungen verholfen haben würde. Dies geschah nach erfolgtem Frieden im Jahre 1451; Kaufungen aber, der noch eine bedeutende Entschädigungsrechnung aufstellte, wollte nunmehr die Güter nicht ausliefern, und als ihn der Churfürst mit Gewalt daraus verdrängte, führte er bei dem benachbarten Adel bittere Klage über die ihm gewordene Ungerechtigkeit und begann zugleich mit Apel von Vitzthum, der sich nach Böhmen geflüchtet hatte, einen lebhaften Briefwechsel. Bald darauf schlossen Kaufungen und Vitzthum einen Vergleich, worin dieser jenem seine in Meissen gelegenen Güter förmlich abtrat, so dass Kaufungen nunmehr das Recht besass, seine Ansprüche auf Kriebstein, Schweikershain und Ehrenberg auf gerichtlichem Wege geltend zu machen.
Anstatt nun ruhig das Ende des Prozesses abzuwarten, liess Kunz von Kaufungen es sich eifrig angelegen sein, dem Churfürsten auf alle Art wehe zu thun. Er wiegelte den Adel zu Trotz und Ungehorsam gegen den Landesherrn auf und war sogar verwegen genug, den König von Böhmen – natürlich mit Vitzthums Hülfe – zu einem Einfalle in das Meissnerland aufzufordern, welches Unternehmen dem König Ladislaus aber nicht die beanspruchten sechszig, angeblich zu Böhmen gehörigen Sächsischen Ortschaften, sondern eine blutige Niederlage in der Nähe des Städtchens Pirna einbrachte. Der Prozess Kaufungens mit dem Churfürsten nahte nunmehr seinem Ende. Die Rechtssprüche mehrerer Universitäten erklärten die Forderung des Ritters für nichtig, und dieser empfing darauf eine gerichtliche Ladung am 25. Juni 1455 zu Altenburg, der Residenz des Churfürsten, zu erscheinen und dort mit der Gegenpartei vorzustehen. Am Abend vor dem gesetzten Tage langte Kaufungen wirklich in Altenburg an, erschien auch am nächsten Morgen im Termine, blieb aber trotz des ausgesprochenen Urtheils bei seinen Forderungen. Als nun der Churfürst mit seinen Räthen in ein inneres Zimmer ging, um zu überlegen, wie man den trotzigen Ritter zufrieden stellen möchte, wanderte dieser im Schlosse umher, besah dessen Aus- und Eingänge, berechnete die Höhe der Fenster, erkundigte sich nach dem Schlafzimmer der Churfürstlichen Prinzen und stieg alsdann, ohne sich weiter um den Churfürsten und seine Räthe zu kümmern, aufs Ross und ritt gerades Weges auf sein Schloss Eisenberg, um dort mit seinen Freunden, den Rittern von Mosen und von Schönfels, den kühnen Plan des Prinzenraubes zu überlegen.
Da es nun nöthig war, dass auch im Altenburger Schlosse ein Helfershelfer hauste, hatte Kaufungen einen schlauen verschmitzten Kerl, den er kürzlich kennen gelernt, in sein Vertrauen gezogen und ihn beredet, im churfürstlichen Schlosse einen Dienst anzunehmen. Mit des Ritters Empfehlungsschreiben versehen ging Hans Schwalbe, so hiess der Bube, nach Altenburg und überreichte sein Schreiben dem Ritter und Hofmarschall Hildebrand von Einsiedel, Kaufungens Schwager, der auf diese Empfehlung Schwalben in der churfürstlichen Küche das Amt eines Küchenjungen verschaffte. Hier beobachtete der schlaue Bursche Alles, was im Schlosse vorging, und da er des Schreibens kundig war, so berichtete er Ritter Kaufungen treulich, was für diesen von Wichtigkeit sein konnte. Etwa zehn Tage nach Kaufungens Abreise von Altenburg empfing dieser von Schwalben einen noch jetzt im Altenburger Schlossarchiv vorhandenen Brief folgenden Inhalts:
- Mein willig Dinst sammt alles Lybs vnndt Guts zuuor
- Ehrbar Strenger lyber Jungker
- Mein willig Dinst sammt alles Lybs vnndt Guts zuuor
- Als der Curförst vestiklich peschlossen hat uf morgen Sundages nach der Frümess gein Lypzk tzu wegfahrten mit den meresten Hofelüten, ah Montag ufen Abendt der Cantzyler yn er gelebete in synen Huse usrichden wirdet so mer mügen dehrby mannigfaltige Hofelinge gewesen vnndt ufs Schloss pflegt daczumalen allyn der alt Essmus Drabanten Dynst, wellicher vest yngeschlefert magk werden, der Pfortyner ist lagerisch krank, kan ich uch nicht pergyn yn gelubener truwe uch selber gewertiglich zu dynen vnndt ewer Anstaltungk gewartin. Darnach ihr uch tzu richten. Datum Altenburgk am Samstag nach vnnserer Frawentage a. L. V.
Die Nacht vorher, ehe der Churfürst nach Leipzig abreiste, hatte seine Gemahlin Margarethe einen Traum, der sie höchlich beunruhigte. Es schien ihr, als befände sie sich in einem herrlichen Garten, in welchen plötzlich ein wilder Eber eindrang, die Gewächse niedertrat und namentlich einen jungen schönen Rautenstrauch auszuwühlen versuchte. Fast war dem Eber dies gelungen, als plötzlich ein Bär herzueilte und das muthwillige Schwein mit einem Schlage seiner Tatze zu Boden warf. In jener Zeit des Aberglaubens hielt man Träume für göttliche Weisungen, und so erzählte die Churfürstin am nächsten Morgen den Traum ihrem Gemahle und bat ihn, die Reise noch um einige Tage zu verschieben; dieser aber suchte sie zu beruhigen und zog am 8. Juli mit einem zahlreichen Gefolge nach Leipzig.
Kaum hatte Kunz von Kaufungen Schwalbens Brief empfangen, so liess er unverzüglich in einer Scheune seines Bruders Dietrich, eines reichen Osterländischen Ritters, Strickleitern verfertigen und bestellte seine Vertrauten nach dem Schlosse Kahlenberg. Am späten Abend des Tages, wo der Churfürst nach Leipzig reiste, ritten die Verschwornen, bestehend aus Kunz von Kaufungen, Wilhelm von Schönfels, Nickel Forst, Wilhelm von Mosen, Bernhardt von Strebin, Russwurmen, Wenzel Trebis Söhnen, Hensel Herdin und Hans Gevellern nebst einem Haufen bewaffneter Knechte, etwa fünfunddreissig Pferde stark nach Altenburg, wo sie Nachts zwischen 11 und 12 Uhr vor dem Schlosse anlangten. Sogleich wurden die Strickleitern, welche nahe bei Altenburg in einem Walde versteckt waren, von Kunzens vorausgeschicktem Knappen, Johann Schweinitz herbeigeschafft und von Hans Schwalben an einem Schlossfenster befestigt. Kunz von Kaufungen aber erstieg unerschrocken die hohe Mauer und gelangte glücklich durch das Fenster ins Schloss, während seine Begleiter am Berge Wache hielten.
Der Ritter von Kaufungen war vor Jahren Hauptmann im Altenburger Schlosse gewesen und kannte aus dieser Zeit die sämmtlichen Lokalitäten. Im Schlosse angekommen schraubte er an einem Fenster, das er früher selbst mit Eisenwerk verwahren lassen, eine kurze hölzerne Leiter an, um im Falle der Noth sich darauf zu retten. Hierauf verwahrte er alle Ausgänge, legte vor das Schlafzimmer der Churfürstin und ihrer Hofdamen Anwürfe und konnte nunmehr ungestört an sein verbrecherisches Unternehmen denken, denn die ganze männliche Bewachung des Schlosses bestand aus dem alten Trabanten Asmus, der von Schwalbe mit Wein angefüllt gänzlich betrunken im Zimmer des kranken Thürhüters schnarchte. Die männliche Bevölkerung des Schlosses, [43] welche den Churfürsten nicht nach Leipzig begleitet hatte, befand sich in der Stadt beim Kanzler zum Schmause, und so war es am Ende kein Wunder, dass Kaufungens verwegenes Unternehmen gelang.
Jetzt begab sich der Ritter nach dem Schlafzimmer der Prinzen, das er zwar verschlossen fand, aber mit einem Dietrich öffnete. Durch das Geräusch erwachte Prinz Ernst und rief nach der alten Kammerfrau, welche im Gemach schlief: „Bule, Bule, Kunz Kaufungen ist da und will uns morden, ruft die Frau Mutter, dass sie uns helfe!“ Kunz aber drohte Jeden zu erstechen, der es wagen würde, nach der Thür zu gehen und forderte dann die zitternden Prinzen auf, ihm zu folgen, er wolle ihnen nichts zu Leide thun, sondern bloss ihren Herrn Vater zwingen, ihm seine Güter wiederzugeben. Für den Fall aber, dass, sie Lärm machen würden, schwur er, sie ohne Barmherzigkeit mit seinem Dolche zu erstechen.
Während dieser Zeit waren noch einige der Verschworenen in das Schloss gestiegen und traten in das Schlafgemach der fürstlichen Söhne. Jetzt hob Kaufungen den ältesten Prinzen, Ernst, aus dem Bette, warf ihm die Kleider über und ging mit ihm fort, nachdem er Wilhelm von Mosen den Auftrag ertheilt hatte, das andere Herrlein nachzubringen. Dieser ergriff jedoch in der Eile anstatt des Prinzen Albrecht einen jungen Grafen von Barby, der mit den churfürstlichen Kindern erzogen wurde. Kaufungen erkannte sofort den Irrthum; er übergab Mosen und Schönfels den Prinzen Ernst mit dem Befehle, sogleich mit ihm davon zu reiten, während er selbst durch das mittlerweile von Schwalbe geöffnete Schlossthor mit dem kleinen Barby zurückging und den jüngern Prinzen, der sich unter das Bett verkrochen hatte, hervorzog.
Das Alles hatte nun freilich nicht ohne einiges Geräusch abgehen können und so waren mehrere Hofdamen und endlich auch die Churfürstin wach geworden. Letztere gedachte sogleich des gehabten Traumes, und als sie die Thür verrammelt fand, ahnte sie, was vorging und eilte hülferufend nach dem Fenster. Hier sah sie, wie Kaufungen eben ihren kleinen Sohn über den Hof führte und lautaufschreiend jammerte die verzweifelnde Mutter: „Lieber Kunz, thut nicht so übel an mir und meinem lieben Herrn, alle Eure Sachen sollen gut werden!“ Kunz aber hörte nicht auf den Wehruf der angstvollen Mutter, er zog den widerstrebenden Prinzen mit sich fort, setzte ihn auf ein Pferd und nach wenigen Augenblicken war der Hufschlag der davoneilenden Pferde verklungen.
Die Frauenzimmer erhoben nunmehr im Schlosse einen heillosen Lärm, sie sprengten eine Thür und liefen jammernd hinab nach der Stadt, wo Alles in die furchtbarste Bestürzung gerieth. Die Hofherren rannten wie unsinnig nach dem Schlosse, Alles schrie und lief wild durcheinander, und es dauerte geraume Zeit, ehe man an Verfolgung der Räuber dachte und die Sturmglocken läutete.
Kunz von Kaufungen hatte die Absicht, den geraubten jungen Fürsten nach seinem Schlosse Eisenberg in Sicherheit zu bringen, desshalb ritt er mit ihm durch die Waldung Leine und den Rabensteiner Forst und kam gegen Morgen in der Gegend des Klosters Grünhain, nicht weit von Elterlein an. Nach kurzer Rast im Walde ritt der Zug bis Wiesenthal, wo die Flüchtlinge bereits das Läuten der Sturmglocken und das ferne Geschrei der Verfolger vernahmen. Aber der tollkühne Kunz, der wegen der nahen Böhmischen Grenze sich schon in Sicherheit wähnte, kümmerte sich wenig um den Lärm und erlaubte sogar dem Prinzen, welcher über Hunger und Müdigkeit klagte, abzusitzen und Waldbeeren zu suchen, ja er war unbesonnen genug, fünf seiner Begleiter vorausreiten zu lassen, so dass blos sein Knappe Schweinitz und ein reisiger Knecht bei ihm blieb. Die Vorsehung wollte indessen nicht, dass der Kinderraub vollständig gelingen sollte. Ein Hund witterte den Ritter Kunz und den Prinzen im Dickicht, wo sie Erdbeeren suchten, und bellte so lange, bis sein Herr, ein Köhler Namens Georg Schmidt von Grünhain hinzukam. Diesem fiel es auf, drei bewaffnete Männer mit einem zarten vornehm gekleideten Knaben im dicken Walde zu finden und so fragte er den Ritter trotzig, wohin er mit diesem Kinde zu ziehen willens sei? – Kunz antwortete unbefangen, es sei ein böser ihm entlaufener Bube, und vielleicht hätte sich der ehrliche Köhler durch Kaufungens Harmlosigkeit täuschen lassen, wenn nicht ein glücklicher Zufall dem Prinzen zu Hülfe gekommen wäre. Kunz blieb nämlich mit einem seiner langen Sporen im Haidekraut hängen und stürzte zu Boden, und diesen Augenblick benutzte der Prinz, dem Köhler eilig zuzuflüstern: „Ich bin ein Prinz von Sachsen, mache mich wieder los, mein Herr Vater soll dirs vergelten!“
Der Knappe Schweinitz sah, dass der Prinz dem Köhler etwas zuraunte, und zog wüthend das Schwert, um dem fürstlichen Knaben das Haupt zu spalten, dazu liess es aber der rüstige Köhler nicht kommen. Aus Schweinitzens Wuth schloss der Waldmann, dass Kunz ihn belogen, desshalb schlug er dem Knappen das Schwert aus der Hand und hetzte den grossen Hund auf ihn, während er selbst mit seinem Schürbaum unbarmherzig auf den noch immer hülflos daliegenden Ritter losprügelte und ihn todtgeschlagen haben würde, wenn nicht der Prinz selbst um Schonung gebeten hätte. – Durch das Gebell des Hundes und das Geschrei der Menschen war auch des Köhlers Weib herbeigekommen, und weil sie ihren Mann von Räubern angefallen wähnte, gab sie durch Schläge mit einer Holzaxt das bei den Köhlern übliche Hülfssignal, worauf von allen Seiten russige Gestalten mit Aexten und Schürbäumen bewaffnet herbeistürzten und Kunzen nebst seinen beiden Gefährten trotz aller Versprechungen gefangen nahmen. Den Prinzen aber führten sie in eine Köhlerhütte und traktirten ihn hier mit schwarzem Brod und frisch geschöpftem Quellwasser. Einer aus ihrer Genossenschaft musste sofort nach Grünhain laufen und den Abt des dortigen Klosters von dem frohen Ereigniss unterrichten, der den Prinzen und die Gefangenen abholen und den vorausgerittenen fünf Reisigen nachsetzen liess, die auch wirklich noch auf Sächsischem Boden angetroffen und verhaftet wurden. Darauf schickte der Abt die sämmtlichen Gefangenen an den Oberamtshauptmann von Schönburg in Zwickau, der sie in feste Kerker warf, den Prinzen aber begleitete er nach Altenburg zu seiner betrübten Mutter. Am 10. Juli traf der Prinz unter Begleitung vieler Edelleute daselbst ein, vor dem Zuge aber, seinen mächtigen Schürbaum auf der Schulter, trabte Georg Schmidt, der tapfere Köhler.
Nach getroffener Verabredung sollten Mosen und Schönfels mit dem Prinzen Ernst durch das Voigtland nach Franken flüchten, das Stürmen der Glocken und das Getöse der Streifpatrouillen, namentlich aber die Schreckenskunde von Kaufungens Gefangenschaft trieben sie nach einem vergeblichen Versuche sich bei dem Pfarrer in Hartenstein einzuquartiren in den Wald zurück, wo sie in einer nahe am Muldenstrome gelegenen Höhle drei Tage lang blos von Wasser [44] und Waldbeeren lebten und sich dann entschlossen, um Gnade zu bitten. Zu diesem Behufe schrieben sie an den Oberamtshauptmann von Schönburg zum Hartensteine einen Brief, worin sie das Versprechen gaben, gegen Zusicherung völliger Straflosigkeit den fürstlichen Sohn gesund und unversehrt auszuliefern; würde man aber auf sie anziehen, wollten sie sich wehren bis zum letzten Blutstropfen, vorher aber den Prinzen erstechen. Der Oberamtshauptmann sicherte ihnen in einem Briefe sofort im Namen des Churfürsten Freiheit des Leibes und Gutes sowie Erlass aller Strafe zu, und nun begaben sich die halbverschmachteten Flüchtlinge mit dem Prinzen nach dem Schlosse Hartenstein. Hier gab ihnen der Oberamtshauptmann einen derben Verweis und entliess sie mit der Warnung, sich nicht wieder auf Sächsischem Boden blicken zu lassen. Beim Abschiede schenkte der Prinz dem Ritter von Schönfels, dessen Pferd lahm geworden war, ein schönes Ross mit den Worten; „Nun reitet hin und kommt in meines Vaters Land nimmer wieder!“
Noch an demselben Tage wurde der Prinz nach Chemnitz gebracht, wo bereits der Churfürst mit seiner Gemahlin und dem befreiten Prinzen Albrecht eingetroffen war. Die Freude der Eltern, als sie den geliebten Sohn wiedersahen, theilte das ganze Volk. Am 12. Juli reiste die churfürstliche Familie nach Ebersdorf zu dem dortigen berühmten Marienbilde, um Gott für die wiedergeschenkten Kinder zu danken, auch wurden die Kleider der Prinzen zum Andenken an deren Rettung in der dasigen Kirche aufgehängt. Am nächsten Tage traf der Churfürst mit den Seinen in Altenburg ein, im ganzen Lande aber wurde ein Dankfest gefeiert.
Der Ritter von Kaufungen lag zu Freiberg, wohin man ihn von Zwickau gebracht, in einem tiefen Kerker des Rathhauses. Als nun die Glocken der Stadt das Dankfest verkündeten wegen der Prinzen Rettung, da fragte Kunz den Gefangenwärter nach der Ursache des ungewöhnlichen Läutens, und als er dieselbe vernommen, schlug er die Hand vor die Stirn und rief schmerzlich bewegt: „Das walte der Teufel, nun gilt es mein Leben!“ Und er hatte sich nicht geirrt. Das Gericht verurtheilte ihn zum Tode, obgleich der unglückliche Mann sich auf die Sitte der damaligen Zeit berief, nach welcher jedem Ritter das Recht zustand, seinen Gegner bis zum Vergleiche gefangen zu halten und obgleich er anführte, dass ja den Prinzen kein Leid zugefügt worden sei. Am 14. Juli 1455, Nachmittags halb vier Uhr, bestieg Kunz von Kaufungen das Schaffot. Noch bezeichnet auf Freibergs Marktplatze ein breiter Stein die Stätte, wo des Prinzenräubers Haupt fiel. Man sagt, der Churfürst habe ihn auf Bitten seiner Familie begnadigen wollen, weil aber die Thore Freibergs geschlossen waren, konnte der Gnade bringende Reiter nicht eher in die Stadt, bis die Hinrichtung vorüber war.
Am 22. Juli wurden Kaufungens Knappe, Johann Schweinitz nebst zwei Knechten gefänglich in Altenburg eingebracht und am 28. Juli sammt Hans Schwalben zu Zwickau mit glühenden Zangen gerissen und alsdann geviertheilt. Kunzens Bruder, Dietrich von Kaufungen, in dessen Scheune die Strickleitern verfertigt worden waren und der nach vollführtem Raube höhnisch ausgerufen: „Das Nest würden sie wohl finden, aber die Vögel wären ausgeflogen!“ verlor zu Altenburg das Haupt und sein Knecht Franz musste am Galgen sterben. Wohin Mosen und Schönfels gekommen hat Niemand erfahren. –
Die Uebelthäter hatten nun alle ihren gebührenden Lohn empfangen und jetzt forderte Churfürst Friedrich den wackern Köhler Georg Schmidt auf, für seine wichtige That sich eine Gnade zu erbitten. Der schlichte Waldmann aber war sehr bescheiden, er bat nur um die Erlaubniss, in dem Walde, wo er den Prinzen befreit, soviel Kohlen frei brennen zu dürfen, als er zum Unterhalte seiner Familie verkaufen müsse. Lächelnd gewährte der Churfürst des Köhlers Wunsch, schenkte ihm aber in Eckersbach bei Zwickau auch ein hübsches Freigut nebst einem aus dem Amte Zwickau zu liefernden Deputat an Getreide. Und als Georg Schmidt ein Greis geworden war, nahm der Churfürst Ernst den alten Mann nach Altenburg an den Hof, wo er gute Tage hatte und den Leuten unaufhörlich von dem Prinzenräuber erzählte und wie er denselben mit seinem Schürbaum weidlich „getrillt.“ Durch diesen Ausdruck erhielt er bald den Namen „der Triller,“ welchen auch seine Nachkommen beibehielten, von denen später einige in den Adelstand erhoben wurden und zu hohem Ansehen gelangten; sie führten einen Schürbaum und in Bezug auf der Churfürstin Traum einen Bären im Wappen. Den alten Triller hielt der Churfürst gar hoch und behandelte ihn stets mit der freundlichsten Güte und Herablassung, ja er liess sogar einmal mehreren jungen zierlichen Höflingen, die den alten Triller wegen seines grauen Zottelbartes verhöhnt hatten, zur Strafe einen Bartzwickel wegrasiren, dass sie zu aller Leute Spott und Gelächter herumliefen.
Bald nach Kunz von Kaufungens Tode kam das Schloss Kriebenstein in Besitz der Familie von Schleinitz, von der es um 1515 an die von Ende überging. 1529 gehörte es Herzog Georg dem Bärtigen, der das Schloss mit Zubehör an Ernst von Schönberg für 20,000 Gulden verpfändete, 1537 es aber wieder einlösste und der verwittweten Prinzessin Elisabeth, einer gebornen Landgräfin von Hessen zum Leibgedinge gab. Von dieser kam es in Besitz des Churfürsten Moritz, welcher dasselbe gegen Schönfeld, ein Gut des als Staatsmann und Gelehrten gleich berühmten Grafen von Carlowitz vertauschte, der die Herrschaft bedeutend vergrösserte und nach seinem Tode vier Söhnen hinterliess, welche dieselbe in vier Hauptgüter, Waldheim, Kriebstein, Ehrenberg und Schweikershain theilten. Der älteste Sohn, Nikolas von Carlowitz, erhielt Kriebstein mit Bärnwalde, Gilsberg, Heiligenbein, Höschen, Gauschenthal, Reinsdorf, Richzenhain, Tanneberg und Theile von Erlau und Frankenau. Später verkaufte derselbe Kriebstein an Wolf von Schönberg auf Sachsenburg, von dem es 1583 Churfürst August für 40,000 Gulden erwarb, aber schon im nächsten Jahr an Loth von Ponickau gegen Ebersbach und Lauterbach im Amte Colditz vertauschte, dem er noch 9517 Gulden herauszahlte. Später kam Kriebstein an die Familie von Milkau und von dieser an die Pflugke, deren einer, der geheime Kriegsrath von Pflugk, es den Arnims überliess. Der jetzige Besitzer des Schlosses Kriebstein ist Herr H. C. Freiherr von Arnim.
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An dem Flüsschen Parthe, welches in einer Unzahl von Krümmungen durch fette Triften und üppiges Gesträuch seiner Vereinigung mit der Pleisse entgegenrinnt, liegt auf einer sanften Abdachung das Dorf Abtnaundorf, dessen elegante Villen und hübsche Bauerhäuser aus dichten Obstpflanzungen und hochgewipfelten Buchen einladend hervorschauen. Das wohlhabende schmucke Dörfchen enthält fünfunddreissig Behausungen mit ungefähr dreihundert und dreissig Bewohnern, die grösstentheils ihren Broderwerb in dem nahen Leipzig finden. Das hiesige Wirthshaus ist ein sehr besuchter Belustigungsort der Bier und Kuchen liebenden Leipziger, die namentlich an Sonntagen schaarenweise durch die grünen Parthenwiesen nach dem freundlichen Abtnaundorf pilgern, um dort im grossen wohlgepflegten Garten des Wirthshauses sich von den Mühen und Sorgen des geschäftlichen Lebens zu erholen, oder den herrschaftlichen Garten, welcher mit freundlicher Bewilligung des Rittergutsbesitzers jeder anständigen Person offen steht zu besuchen. Die westliche Seite des Dorfes umschliesst ein reizendes Wäldchen mit einfachen aber recht angenehmen Anlagen, das sich bis an die Parthe und ihre grünen Wiesenufer erstreckt. Die Fluren Abtnaundorfs rainen mit Schönfeld, Mockau, Neutzsch, Plösen und Cleuden.
Auf der nördlichen Seite des Dorfes liegt das Rittergut mit einem stattlichen in neuerer Zeit erbauten Herrenhause. Dieses ist durch ein Eisengitter vom Oekonomiehofe getrennt und mit den herrlichsten Gartenanlagen umgeben. Eine äusserst liebliche Ansicht bietet sich von der Höhe des Gartens auf die Parthe und ihre Aue, zu welcher letzteren zwei über den Fluss gestreckte Brücken führen. Die Parkanlagen haben einen bedeutenden Umfang und sind nach einer Seite von dem ebenfalls sehr ausgedehnten Gemüsegarten begrenzt, welchen eine Reihe zu ökonomischen Zwecken verwendete Gebäude umschliessen. Die Oekonomie zeichnet sich durch vorzüglichen Feldbau und tüchtige Viehzucht aus. Zum Rittergute gehört das Vorwerk „der heitere Blick oder das neue Haus“ bei Taucha, dessen Oekonomie indessen durch Zusammenkauf von Feldern bedeutender ist als die zu Abtnaundorf. Auch „der heitere Blick,“ obgleich eine und eine halbe Stunde von Leipzig entfernt, wird von dieser Stadt aus fleissig besucht, denn das mit dem Vorwerk verbundene Gasthaus geniesst weit umher einen trefflichen Ruf.
Abtnaundorf ist ein sehr alter Ort. Derselbe gehörte im dreizehnten Jahrhundert dem Ritter Ulrich von Friedenberg, welcher um 1260 starb. Dessen Wittwe Gertraud, eine Tochter des Ritters Hilpert von Scuditz oder Sceuditz, schenkte aus „frommen Bewegnissen“ das Gut, welches damals Naundorf hiess, dem Kloster St. Petri zu Merseburg, welches zwölf Hufen des dazu gehörigen Feldes 1271 veräusserte. Seit das Gut Eigenthum des Klosters war, wurde es „des Abts Naundorf“ genannt. - Das Petrikloster scheint oft in Geldverlegenheit gewesen zu sein, denn Abtnaundorf war häufig und auf lange Zeit verpfändet, namentlich viele Jahre an einen Leipziger Bürger, Woog oder Wogb genannt, wesshalb der Ort zu dieser Zeit immer unter dem Namen Woognaundorf vorkommt. Die zerrütteten Finanzverhältnisse des Klosters, die damalige ausserordentlich hohe Türkensteuer und wohl auch die Fortschritte der Reformation bestimmten Abt und Convent zu St. Petri, das Gut im Jahre 1539 zu verkaufen, wahrscheinlich an einen Herrn von Thümmel, dessen Familie das benachbarte Rittergut Schönfeld bereits seit dem Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts besass. Den Herren von Thümmel gehörte Abtnaundorf bis gegen 1615, wo es an die Krams gelangte, denen auch das naheliegende Plösen zustand. Friedrich Kram flüchtete 1632 vor der Wuth des Schwedischen Kriegsvolkes nach Leipzig. Um das Jahr 1696 gehörte Abtnaundorf einer Leipziger Patrizierfamilie, den Kregeln von Sternbach, die das Gut 1752 an den Consistorialassessor und Beisitzer der Juristenfacultät Dr. Traugott Thomasius verkaufte. Derselbe starb 1755 und hinterliess Abtnaundorf seinem Sohne, dem churfürstlich Sächsischen Rittmeister August Benedikt Emanuel von Thomasius, der jedoch das Gut sofort an die Buchhändler Breitkopf und Stopp in Leipzig veräusserte, von denen es 1789 der hochverdiente churfürstlich Sächsische Kammerath und Banquier Christian Gottlob Frege zu Leipzig erwarb.
Christian Gottlob Frege war der Sohn des Pfarrers M. Christian Frege zu Lampertswalde bei Oschatz und 1715 daselbst geboren. Seinem eigenen Triebe folgend widmete er sich im vierundzwanzigsten Jahre dem Handelsstande und gab sich nicht ohne Erfolg besonders mit Wechselgeschäften ab. Zur Zeit des siebenjährigen Krieges und der grossen Theurung des Jahres 1771 zeichnete sich Frege durch seine vielfachen Wohlthaten aus und leistete auch überdies dem Vaterlande wesentliche Dienste. Er starb zu Leipzig 1781 und hinterliess den Ruf eines bescheidenen, einsichtsvollen, arbeitsamen, unternehmenden und in der Erfüllung seiner Versprechungen höchst pünktlichen Mannes. Ihm folgte sein Sohn, der Kammerrath Christian Gottlob Frege II., ein ebenfalls trefflicher [46] Mann, der bei vielen Verdiensten sich auch die Verschönerung des durch die Schlacht bei Leipzig verwüsteten Abtnaundorfs und der dasigen Gärten angelegen sein liess. Er starb 1816 im 69. Jahre und sein Sohn, der noch jetzt lebende allgemein verehrte Kammerrath Christian Gottlob Frege III., Comthur des königlich Sächsischen Albrechtordens, Ritter des königlich Sächsischen Civilverdienstordens, des Russischen Annenordens II. Classe, des Schwedischen Ordens vom Nordstern und des grossherzoglich Weimarischen Ordens vom weissen Falken, ein rüstiger freundlicher Greis wurde Besitzer des väterlichen Gutes. Möge er es zum Wohle seines Abtnaundorfs noch recht lange bleiben! –
Abtnaundorf ist in die Kirche des nahen Dorfes Schönfeld eingepfarrt. Dieselbe brannte im Jahre 1526 nieder und wurde im nächsten Jahre wieder aufgebaut. Die Völkerschlacht bei Leipzig vernichtete auch diese Kirche. Am 18. October 1813 brannte sie sammt der Pfarre, einem Theile des Rittergutes, der Mühle und vielen anderen Gebäuden nieder, indem die Franzosen den Ort am unteren Ende, die congrevischen Raketen Bernadottes aber denselben am oberen Ende in Flammen setzten. Bei der Wiedererbauung des eingeäscherten Gotteshauses betheiligten sich die Kaiser von Oesterreich und Russland durch beträchtliche Unterstützungen, der König von Preussen aber schenkte der Kirche auch drei eiserne Glocken, die indessen nicht gebraucht werden konnten. Im Jahre 1820 wurde die neue Kirche eingeweiht; sie gehört zu den schönsten und freundlichsten Gotteshäusern der Leipziger Ephorie. Um das Jahr 1307 erhielten die Augustiner Chorherren des St. Thomasklosters zu Leipzig vom Markgrafen Dietzmann das Patronatsrecht über die Schönfelder Kirche und übten es aus bis zur Reformation, von welcher Zeit bis 1701 es dem Landesherrn zustand. Durch ein Rescript vom 15. November 1701 verlieh König August der Starke das Patronat dem damaligen Rittergutsbesitzer Georg Heinrich von Thümmel. Der älteste bekannte Pfarrer hiess Henricus und wird um das Jahr 1330 genannt. Gregor Strauss wirkte an hiesiger Kirche um 1498 und starb 1518 als Prior des Augustinerklosters zu Leipzig.
Ausser Abtnaundorf sind nach Schönfeld eingepfarrt: Stünz, Sellerhausen, Crottendorf, Anger, Reudnitz, Volkmarsdorf, die Strassenhäuser und Neusellerhausen mit einigen tausend Menschen. Das Pfarramt gehört zu den einträglichsten des Landes, aber wegen der vielen Amtsverrichtungen hat man in neuerer Zeit noch ein Diakonat gegründet.
Crostewitz ist eines der anmuthig gelegenen Dörfer, welche auf einer Seite von der Pleissenaue, auf der andern aber von fruchtbaren Feldern und Fluren eingeschlossen sind. Der Ort liegt zwischen den Städten Leipzig und Rötha, an der vormals sehr lebhaften alten Bornaischen Strasse und enthält ausser einem bedeutenden Rittergut neun Güter und dreissig Häuser mit ungefähr dreihundert Einwohnern, welche bei der Nähe Leipzigs reichlichen Erwerb finden, zum Theil auch im Orte selbst sich mit Handarbeit, Aufsuchen nutzbarer Pflanzen und Kräuter und Verfertigung hölzerner Pantoffeln beschäftigen. Nahe beim Dorfe vereinigt sich der Göselbach, welcher an den südlich gelegenen Gärten und Wiesen vorüberfliesst, mit der Pleisse und richtet bei hohem Wasserstande durch seine Ueberfluthungen nicht selten bedeutende Verheerungen an.
Crostewitz lag in dem alten Sorbischen Gau oder Pagus Chutizi, welchen die ersten Sächsischen Kaiser im zehnten Jahrhundert nebst anderen Theilen des Slavengebietes mit Gewalt der Waffen unterwarfen. Nach der 968 durch Kaiser Otto I. stattgefundenen Gründung des Bisthums Merseburg wurde auch Crostewitz unter die geistliche Gewalt des ersten Bischofs, Boso, gestellt, und da man zur Belohnung für geleistete Kriegsdienste bewährten Kämpfern die Aufsicht über die Slavischen Ortschaften anvertraute, wofür sie von den Grundstücken gewisse Revenüen bezogen, so bauten diese Sassen zu ihrer Sicherheit feste mit Wall und Graben umgebene Häuser mit nahe daran liegenden Kapellen, auf welche Art auch das Rittergut Crostewitz entstand. Noch jetzt findet man in hiesiger Nähe bisweilen Urnen mit Asche, Gebeinen und kupfernen Geräthschaften als Ueberbleibsel der heidnischen Ureinwohner, die nur langsam und mit unendlicher Mühe zum Christenthume gezwungen werden konnten, wesshalb man auch womöglich die Kirchen in die schützenden Mauern der Burgen einschloss.
Wer die frühesten Besitzer von Crostewitz waren ist unbekannt, erst zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts werden die Herren von Ztemen oder Zehmen als solche genannt. Diese Familie sass auf ihrem Stammhause, dem nahen Schlosse Zehmen, bis zum Jahre 1552 und befand sich im Besitze mehrerer in [47] der Umgegend gelegenen Rittergüter, darunter Kötzschwitz, Magdeborn und Debitz. Nach einer noch vorhandenen Lehnsurkunde vom Jahre 1420 erkauften die Gebrüder Nikolas und Hans von Zehmen vom Bischof Nikolas zu Merseburg in hiesiger Gegend verschiedene Güter, darunter sich auch Kötzschwitz befand, wofür sie zweihundert Meissnische Gülden bezahlten. Rudolf von Zehmen verkaufte Crostewitz um 1554 an den Doctor juris und Ordinarius Georg von Breitenbauch zu Leipzig, der 1571 starb und das Gut seinem Sohne Cäsar von Breitenbauch hinterliess, welcher am 19. April die Lehn empfing. Dieser starb 1590 und Hans Jobst von Breitenbauch, sein Sohn, besass das Gut bis 1640, wo es sein einziger männlicher Nachkomme, Cäsar von Breitenbauch, erbte, jedoch schon um das Jahr 1651 an Johann Jacob Panzer auf Cröbern, Gehren und Sestewitz, Kreisamtmann zu Leipzig, verkaufte. Der Kreisamtmann Panzer starb zu Leipzig 1673 und das Gut kam an Johann Rupert Sulzberger, während dessen Herrschaft die zu Sestewitz befindlichen sieben Bauergüter zusammengeschlagen und aus dem Areal das noch jetzt zu Crostewitz gehörige Vorwerk gebildet wurde. Nach Sulzbergers 1725 erfolgtem Tode kaufte Crostewitz Peter Hohmann, Senator, Baumeister und Kaufherr zu Leipzig, Besitzer der Güter Hohenpriessnitz, Sestewitz, Gross- und Kleindeuben, Gehren, Cröbern, Oberglaucha, Meckern, Wallendorf, Gross- und Kleinstädteln und Oetzsch. Ausserdem besass er ein grosses Haus am Markte zu Leipzig, ein zweites in der Peterstrasse – den sogenannten Hohenthalschen, früher Bräunickeschen Hof – und ein drittes in der Katharinenstrasse. In seiner Biographie wird gesagt: „er sei bei Königen, Fürsten und Herren bekannt und wohl gelitten gewesen, und seine ausnehmenden Verdienste hätten Se. Majestät den Kaiser Carl VI. veranlasst, ihn und seine Descendenten aus eigener Bewegniss in den Freiherrenstand zu erheben und den Namen „von Hohenthal“ beizulegen, welcher Würde er sich aber während seines Lebens für seine Person geäussert habe.“ Er starb am 2. Januar 1732 und von seinen sechs Söhnen bekam Crostewitz der Freiherr Theodor August von Hohenthal. Die Familie von Hohenthal wurde gegen Ende des vorigen Jahrhunderts in den Reichsgrafenstand erhoben. 1802 besass Crostewitz nebst Knauthain und Städteln der Graf Friedrich Wilhelm von Hohenthal, von dem ersteres an die Fabrikbesitzer Gebrüder Meinert in Oelsnitz verkauft wurde. Von ihnen kam Crostewitz in Besitz eines Herrn Fiedler, dessen Frau Wittwe, Marie Fiedler, geborne Hartz, es noch jetzt besitzt.
Ausser dem Dorfe Crostewitz gehört zu dem Rittergute ein Theil des Dorfes Cröbern, Gehren und das schon erwähnte Sestewitz, sowie die Collatur über Pfarre und Schule zu Cröbern.
Die Kirche zu Cröbern, wohin ausser Crostewitz auch die Schäferei Auenhain mit sieben Familien eingepfarrt ist, ist ein geräumiges, helles, schönes Gebäude, welches an der Stelle des alten baufälligen Gotteshauses durch Mitwirkung der Gerichtsherrschaften und der Gemeinde im Jahre 1750 begonnen und 1755 von Dr. Stemler als Vikar des bald darauf verstorbenen Superintendenten Deyling feierlich eingeweiht wurde. Sie liegt nebst dem Schulgebäude und den Häusern der sogenannten Kirchgasse auf einem sanft abdachenden Hügel, an dessen Fuss die Pfarrwohnung erbaut ist, zu welcher neununddreissig Acker an Feld, Wiesen und Holz gehören. Der Kirchenbau und die hohe Brandkassenversicherung erschöpften das vormals nicht unbeträchtliche Vermögen des Gotteshauses dergestalt, dass es nur noch aus einigen hundert Thalern besteht. Die Armuth der Kirche bestimmte den Gerichtsherrn, Geheimrath Friedrich Wilhelm Grafen von Hohenthal, ihr 1820 ein Capital von zweitausend Thalern zu schenken, dessen Jahreszinsen ohne jede Einmischung der weltlichen Behörde zu den nöthigsten Reparaturen der geistlichen Gebäude, mit Ausschluss aller Beiträge zur Brandkasse, verwendet werden sollen. Für den Fall, dass man nicht die ganze Summe der Zinsen zu dem genannten Zwecke verbrauchte, sind die Kirchväter zu Crostewitz und Cröbern verpflichtet, den Rest unter die würdigsten und bedürftigsten Armen des Crostewitzer Gebietes zu vertheilen; unter keinem Vorwande darf dieses Geld zu irgend einem andern Zwecke benutzt werden. Für die Verwaltung dieses Legates erhalten die Pfarrer und die Kirchväter zu Cröbern jeder fünf Thaler, und ebensoviel empfängt der Superintendent in Leipzig für Durchsicht und Prüfung der abzulegenden Jahresrechnung. Ausserdem besitzt die Kirche noch einige Legate aus den Jahren 1698, 1712 und 1719, deren Interessen theils dem Kirchenärar, theils dem Pfarrer und Schullehrer zufallen. Die Schule besitzt ein Capital von dreihundert Thalern, wodurch den Kindern armer Eltern die Wohlthat eines freien Schulunterrichts soweit gesichert wird, als die Zinsen ausreichen. – Eine Schwesterkirche von Cröbern ist die zu Wachau.
Die Tage der Völkerschlacht im Jahre 1813 waren, wie für die ganze Umgegend, auch für Crostewitz und Cröbern Tage des Schreckens und der Gefahr. Namentlich am 16. October bereiteten die Truppen der Verbündeten in der Nähe mehrere Evolutionen vor und von hier aus machten die Russischen Garden den siegreichen Angriff auf das von Franzosen besetzte Auenhain. Nachdem der grösste Theil der Gemeinde sich in die Kirche und Pfarre geflüchtet hatte, boten zuletzt auch diese Orte keine Sicherheit mehr, und auf den Rath Oesterreichischer Offiziere zogen die angsterfüllten Landleute unter Anführung ihres Pfarrers, Magister Palm, über die Gösel und Pleisse nach den Nachbardörfern Städteln und Gaschwitz, bis endlich durch Leipzigs Einnahme die grösste Gefahr beseitigt war. Auf dem Kirchhofe zu Cröbern befindet sich ein kleines verfallenes Denkmal, welches Soldaten des Preussischen zehnten Infanterieregiments zu Ehren ihrer in der Nähe gefallenen Kameraden errichteten.
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Auch manche nicht durch Thäler und Hochland ausgezeichnete Gegend hat ihre vorzüglichen eigenthümlichen Reize, und wer durch Felsenhöhen und tiefe Schluchten ermüdet die freien fruchtbaren Ebenen unseres Vaterlandes betritt, hat die Empfindung, als vernehme er auf rauschende wilde Klänge den süssen Ton sanfter Harmonieen. Mit derartigen Gefühlen überschauen wir die anmuthige Ebene der Elster- und Pleisseniederungen, gesegnete Fluren, üppige von hellen Wellen durchströmte Wiesen, in frischem Grün prangende melodisch belebte Laubwaldungen, fruchtbare Obstbaumpflanzungen und freundliche wohlhabende Dörfer. Inmitten einer solchen anmuthigen Niederung liegt das Dorf Medewitzsch.
Medewitzsch ist ein alter von den Slaven gegründeter, am linken Ufer der Pleisse gelegener Ort, zwei Stunden von Pegau, vier von Leipzig, eine von Rötha und zwei von Borna entfernt. Es enthält fünfzig Feuerstätten mit etwa zweihundert fünfzig Einwohnern, darunter zwei Pferdegutbesitzer, dreiundzwanzig Häusler und vierundzwanzig Gartennahrungsbesitzer. Das Rittergut zeichnet sich durch schöne neue Gebäude und eine treffliche, sehr bedeutende Oekonomie aus.
Soweit die Nachrichten über Medewitzsch zurückgehen gehörte dasselbe in frühester Zeit den Herren von Ponickau, von welchen es zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts an die Familie von Uechtritz kam. Im Jahre 1537 ertheilte der Bischof Sigismund von Merseburg dem Ritter Götz von Uechtritz auf Hainichen, Lütschena, Freiroda und Medewitzsch und dem Pleban Conrad Kraft in Skeuditz auf bittliches Ansuchen ein kirchliches Unionsdekret für die Ortschaften Hainichen und Lütschena. 1550 gehörte Medewitzsch Margarethen von Uechtritz, 1584 Hannsen von Uechtritz, 1633 Wolf Rudolf von Uechtritz, der mit Sibyllen von Zschepplitz aus dem Hause Pomsen vermählt war, und 1674 Hans Christoph von Uechtritz. In neuerer Zeit gelangte Medewitzsch an die freiherrliche Familie von Streit, von der es im Jahre 1840 die verwittwete Frau Majorin von Streit, geborne von Wurmb besass. Der jetzige Eigenthümer von Medewitzsch ist der Freiherr Herr Ernst von Streit.
Die Kirche zu Medewitzsch ist ein altes, lange vor der Reformation errichtetes Gebäude, welches auf seinem Dache einen kleinen mit drei Glocken versehenen Thurm trägt. Die Glocken zeigen die Jahrzahl 1491 und eine von ihnen, die kleine, hat einen Sprung. Das Innere der Kirche ist für die Anzahl der Gemeindemitglieder völlig hinreichend und an den Emporen befinden sich bildliche Darstellungen aus der biblischen Geschichte. Mehrere alte Monumente aus den drei letzten Jahrhunderten erhalten das Andenken einiger längst in Staub zerfallenen Herren und Edelfrauen aus dem Geschlechte der Uechtritze, und ebenso hat sich das Bild eines 1602 hier gestorbenen Pfarrherrn, Friedrich Wenzels, erhalten, der von 1574 bis zu seinem Tode der hiesigen Parochie vorstand, die ersten noch vorhandenen Kirchenbücher anlegte und ein sehr geachteter Geistlicher gewesen zu sein scheint. Ausserdem besitzt die Kirche einen uralten, trefflich gearbeiteten und mit Schnitzwerk reich verzierten Altar, sowie eine 1680 erbaute Orgel, welche Hans Ulrich Petzschke, Bürger und geschworner Todtengräber zu Leipzig, hierher schenkte. Von den drei vorhandenen Legaten stiftete das von 200 Gulden 1674 Hans Christoph von Uechtritz und zwar der Art, dass von den jährlichen Interessen, welche das Rittergut zu zahlen hat, der Pfarrer die eine und der Schulmeister die andere Hälfte empfängt. Ein zweites Legat Zinsen von zwanzig Altschocken zahlt das hiesige Rittergut und das Vorwerk Lippendorf, jedes zur Hälfte unter dem Namen Seigergeld an den Schulmeister. Das dritte Legat, gestiftet 1708 von dem Bauer und Kirchenvorsteher Voigt zu Spansdorf, war ursprünglich zur Unterstützung armer Schulkinder bestimmt, hat aber in neuerer Zeit eine andere Verwendung gefunden. Es beträgt fünfzig Gulden und das Kirchenvermögen ungefähr tausend Thaler.
Die hiesige Pfarrkirche und Schule stehen unter der Inspection Pegau und Collatur des Rittergutsbesitzers. Eingepfarrt sind das Dorf Spansdorf und das nahe Vorwerk Lippendorf. Die Kirche zu Pulgar, eine halbe Stunde von hier entfernt, und Filial von Zwenkau ist zugleich als ein halbes Filial von Medewitzsch zu betrachten, indem der Pastor von Medewitzsch vermöge einer alten Stiftung in der Kirche zu Pulgar jährlich an gewissen Sonn- und Festtagen zusammen sechszehn Predigten zu halten hat. Die Parochie hat gegen hundert Schulkinder.
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