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Alexander der Erste und die Frauen

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Textdaten
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Autor: Arthur v. Loy
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Titel: Alexander der Erste und die Frauen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 336
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[336] Alexander der Erste und die Frauen. Alexander der Erste von Rußland hatte sich die weibliche Schönheit fast zum Studium gemacht. Er stellte einst scherzhaft sechs Grundtypen derselben auf; erstens: die absolute Schönheit; zweitens: die kokette Schönheit; drittens: die pittoreske Schönheit; viertens: die hausbackene Schönheit; fünftens: la beauté du diable, diesen unübersetzbaren Begriff der Franzosen von der schnell verfliegenden Schönheit, und sechstens: die herzgewinnende Schönheit.

Zwischen diesen sechs Grundtypen variirten nun wohl die schönen Frauengestalten, die dem mächtigen Selbstherrscher auf seiner bewegten Lebensbahn begegneten, in’s Unendliche! Alexander, wie meistens die feinsinnigeren Männer, stellte die Frauen sehr hoch und liebte vorzugsweise ihren Geist und ihren Umgang. Die wichtigsten Eingebungen, die Wandlungen in seinem Gemüth, die Richtung seiner religiös-romantischen Politik, kurz die hauptsächlichsten Seelenmomente entstanden unter weiblichem Einfluß. Auch er konnte sagen, was Lord Byron in sein Tagebuch schrieb: „Schon die bloße Anwesenheit einer Frau hat etwas Beruhigendes für mich, selbst wenn mich kein persönliches Gefühl beseelt; gewiß, ich bin zufriedener mit mir und aller Welt, wenn eine Frau in meiner Nähe ist.“

Die Vorliebe für die Frauen begleitete den Kaiser durch’s ganze Leben. Er hatte das Glück, echte Perlen des Geschlechtes kennen zu lernen und in den wichtigsten Augenblicken psychologischer Entwickelungen geist- und herzvollen Frauen zu begegnen.

Drei Kaiserinnen standen ihm nahe, Katharina die Zweite, seine berühmte Großmutter, Marie Feodorowna, seine Mutter, und Elisabeth, seine Gemahlin. Alle drei waren deutsche Prinzessinnen. Katharina erzog ihren Enkel sehr strenge. Sie hatte den weichen Sinn des Knaben erkannt und suchte seinen Charakter zu stählen. Kaiserin Marie überlebte ihren Sohn, der mit großer Pietät ihr während seiner ganzen Laufbahn eine gewisse Obervormundschaft gestattete.

Indeß war Alexander trotz seines Frauencultus doch kein guter Ehemann. In seinem sechszehnten Jahre bereits vermählt mit der gleichaltrigen Elisabeth, Tochter des Erbprinzen Karl Ludwig von Baden, gingen seine Wege und die seiner Gemahlin weit auseinander. Auf die Kaiserin Elisabeth läßt sich der geistreiche Ausspruch des atheniensischen Staatsmannes Perikles beziehen: „daß diejenigen Frauen die besten sind, von denen weder im Guten noch im Bösen öffentlich gesprochen wird.“ Sie liebte ihren Gemahl zärtlich, wenn auch ihr Herz sich dabei an Dornen ritzte.

Als Alexander 1805 nach Berlin kam, erschien seinem für das Höchste und Schönste empfindlichen Sinn die edle Königin Louise als das vollkommene Ideal der Weiblichkeit und königlichen Würde. Vom Zauber der Freundschaft und Verehrung hingerissen, machte er in Begleitung des Königs Friedrich Wilhelm des Dritten und der holden Königin jenen oft beschriebenen und besungenen Besuch am Grabe Friedrich’s des Großen zur Mitternachtszeit.

Bei der Zusammenkunft mit Napoleon in Erfurt 1808 zeigte sich der Kaiser dem ängstlich athmenden Europa als der eifrigste Bewunderer seines Nebenbuhlers in der Weltherrschaft und schien sich weit mehr für eine hübsche Schauspielerin vom Theatre Français zu interessiren als für die europäischen Angelegenheiten. Später fesselte ihn eine dauernde Neigung an die verwittwete Madame Narischkin, eine Dame aus jener stolzen russischen Familie, die den Adelstitel verschmäht und sich doch eines uralten Stammbaums und der höchsten verwandtschaftlichen Beziehungen rühmen kann. Diese Herzensangelegenheit griff tief in sein Leben ein. Madame Narischkin gebar ihm eine Tochter, die er über Alles liebte und der er gewissermaßen eine legitime Stellung gab dadurch, daß er seine edle selbstlose Gemahlin für das Kind interessirte; sie erzog es wie eine wahre Mutter, und die zarte Blume wurde ebenso geliebt von ihr wie vom Kaiser selbst.

Als diese Tochter sechszehn Jahre alt war und im Begriff stand, sich nach ihrem Herzen zu vermählen (der Kaiser hatte ihr eine fast königliche Ausstattung aus Paris kommen lassen), machte ihr Tod plötzlich allen Hoffnungen ein Ende. Unvorsichtige Höflinge meldeten dem Kaiser die Botschaft, als er gerade auf der Parade war. Er wurde todtenblaß und soll ausgerufen haben: „Dieser Tod ist meine Strafe!“

Zu diesem traurigen Ereigniß kam noch der Umstand, daß Madame Narischkin sich mit seinem Adjutanten verheirathete; Beides vereint soll zu seiner Lebensmüdigkeit und zu seinem Entschluß, der Regierung zu entsagen, woran ihn bekanntlich nur der Tod verhinderte, viel beigetragen haben.

Doch wir greifen vor; kehren wir zurück zum lebensmuthigen Alexander, der mit vollen Zügen den berauschenden Becher des Genusses trinkt.

Folgendes Bild von ihm giebt uns ein Zeitgenosse, der den Kaiser auf dem Wiener Congreß sah, zu einer Zeit, da Alexander auf dem Culminationspunkte seines Glanzes stand. Unser Gewährsmann beschreibt ihn also: „Groß, von muskulöser, doch eleganter Gestalt, röthlich gekräuseltes Haar, feine Züge, sprechende, rasch den Gegenstand erfassende Augen, der Mund vorzüglich schön, der Teint fast mädchenhaft rosig, Mienenspiel und Anstand von unvergleichlicher Anmuth.“

In Wien entschädigte sich der Kaiser für die Entbehrungen der Kriegsjahre. Eine sehr zur Schau getragene Neigung für die schöne Fürstin Gabriele A… veranlaßte die allzeit schlagfertigen Wiener zu dem Witzworte: „Heinrich der Vierte ohne Henriquatre (ohne Knebelbart), aber nicht ohne die schöne Gabriele.“ Die Hofetiquette suchte er zu lockern, und schlug vor, nicht der Rang, sondern das Alter solle für den Vortritt entscheiden; scherzhaft äußerte er dabei, er wünsche, daß die Damen Wiens durch diese Anordnung erführen, daß er erst siebenunddreißig Jahre alt sei, und der Jüngste von allen Potentaten.

In Wien standen damals die „Salons“ in höchster Blüthe. Der Fürst von Ligne, die Herzogin von Sagan, die Schriftstellerin Caroline Pichler, die leider so früh gestorbene Gräfin Julie Zichy und die Gräfin Fuchs, von der Varnhagen schreibt: „Die Gräfin führt fast im Ernste den scherzhaften Titel ‚Königin‘,“ versammelten an bestimmten Abenden uneingeladen glänzende schöngeistige Cirkel in ihren Häusern, die auch der Kaiser mit besonderer Vorliebe besuchte. Die Fürstin Bagration hatte einen ganz russischen Salon, zu ihr kam Alexander am häufigsten. Graf de la Garde giebt von der Fürstin eine so reizende Schilderung in seinen Memoiren, daß wir sie im Interesse moderner Salondamen hier folgen lassen:

„Die Fürstin Bagration, Gemahlin des Feldmarschalls, strahlte im Glanze aufblühender Schönheit, man bewunderte ihr liebliches Gesicht, Alabaster mit Rosengluth durchleuchtet; schlug sie ihre Augen zu Boden, so glich sie einer Madonna, blickte sie auf, so erschien sie königlich gebietend. Nie machte sie sich zum Mittelpunkt der Gesellschaft, sondern war stets darauf bedacht, ihren Gästen die bestmögliche Geltung zu verschaffen. Durch den Zauber ihres Geistes und ihrer Manieren schien sie bestimmt, der russischen Aristokratie in Wien den höchsten Glanz zu verleihen.“

Es ist nothwendig, Alexander’s Freundschaft für zwei berühmte geistreiche Frauen zu erwähnen. Die erste ist Frau von Staël-Holstein, Tochter des Finanzminister Necker, die Freundin des Schriftstellers Benjamin Constant de Rebeque, die Verfasserin der „Corinna“ und der „Delphine“. 1812 gab er ihr eine Zufluchtsstätte in Petersburg, da der übrige Continent ihr seit Napoleon’s Verfolgung keinen sicheren Aufenthalt bot. Der Kaiser schätzte sie aufrichtig, doch bis zur Liebe ging seine Empfindung nicht. Der schöne Alexander hat nie eine Häßliche geliebt!

Die andere geistreiche Freundin war Julie Freifrau von Krüdener, geborene von Vietinghoff aus Curland. Eine ehemals ziemlich leichtsinnige Weltdame, bekannt durch ihren Roman „Valerie“, in dem die Liebe als ein Triumph weiblicher Eitelkeit gefeiert wird, hatte sie nach ihrem vierzigsten Lebensjahre eine mystisch-religiöse Richtung angenommen. Uebrigens war sie in ihrer Art keine Heuchlerin, sondern durchdrungen von der Nichtigkeit der Welt. Sie blieb bis zum letzten Athemzuge eine Kokette, nicht aus Grundsatz, sondern weil es einmal ihre Natur war. Unter ihrer Einwirkung stiftete Alexander die heilige Allianz. Keine Handlung charakterisirt den Kaiser so, wie diese, es war das Praktischwerden seiner religiös-romantischen Politik, sehr viel guter Wille, wahre Frömmigkeit, auch etwas Effecthascherei und persönliche Eitelkeit dabei.

Alexander stiftete mit Frau von Krüdener zusammen in Paris im Jahre 1815 eine Art religiösen Club, den er trotz der vielfachen Zerstreuungen des Pariser Lebens viel besuchte. Man nimmt an, daß er neben der Verehrung für den Geist und die Richtung der berühmten Frau einem persönlichen Gefühl nicht ganz fremd gewesen ist. Frau von Krüdener vergötterte ihn. Die Frau von vierzig Jahren besaß noch jugendliche Lebendigkeit. Wenn sie Abends ihren kaiserlichen Freund empfing, lag sie auf den Knieen im langen weißen Kleide vor einem kleinen Altar; das Zimmer, matt erleuchtet durch dicke Altarkerzen, war mit purpurrothem Stoff ausgeschlagen. Die blonden Haare, den Nacken überfluthend, die wunderbar schönen blauen Augen verzückt empor gerichtet, soll sie für den Beschauer noch sehr reizend gewesen sein. Sie nannte ihren Beschützer einen weißen Engel und hat viel dazu beigetragen, den poetischen Nimbus des mächtigen Zaren zu erhöhen. Später beging sie eine Indiscretion mit Briefen, die den Kaiser tief verwundete; er wandte sich von ihr, sie setzte Alles daran, eine Erklärung herheizuführen, es gelang ihr auch, seine scheinbare Versöhnung zu erringen, doch ihr Zauber war gebrochen.

Vielfach ist der wohlmeinende Alexander gekränkt und mißverstanden worden. Sein schon in den glücklichsten Lebenszeiten zur Melancholie sich neigender Sinn wurde mehr und mehr verdüstert. Er hatte ernstlich die Absicht, die Krone niederzulegen. Mit seiner Gemahlin versöhnte er sich vollständig, und beide faßten die Idee, ein zufriedenes Privatleben beginnen zu wollen, doch das Schicksal wollte es anders. Die Kaiserin Elisabeth erkrankte bedenklich, das Kaiserpaar reiste in’s südliche Rußland und nahm seinen Aufenthalt in Taganrog am asow’schen Meere. Hier starb der schöne begabte mächtige Alexander am 1. December 1825 an einer kurzen Erkältungskrankheit. Seine Gemahlin schrieb die denkwürdigen Worte an die Kaiserin-Mutter: „Unser Engel ist nicht mehr und ich lebe noch.“

Dies Wort der edelsten feinfühlendsten Frau legt das schönste Zeugniß für den Kaiser Alexander ab, er hatte die Blumenpracht der Schönheit in den verschiedensten Graden kennen gelernt, und kehrte doch zur einfachen, reinen Immortelle ehelicher Liebe zurück. Ein solcher Roman des Wiederfindens der Liebe in der Ehe wäre eine schöne Aufgabe für unsere Dichter.

Arthur v. Loy.