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Arbeitslosenversicherung

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Textdaten
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Autor: Georg von Schanz
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Titel: Arbeitslosenversicherung
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aus: Handbuch der Politik Dritter Band: Die Aufgaben der Politik, Dreizehntes Hauptstück: Selbsthilfe und Sozialschutz, 69. Abschnitt, S. 53−59
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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69. Abschnitt.


Arbeitslosenversicherung.
Vom
Geheimen Rat Dr. Georg von Schanz,
Reichsrat der Krone Bayern, o. Professor der Staatswissenschaften an der Universität Würzburg.


G. Schanz, Zur Frage der Arbeitslosenversicherung 1895. –
Derselbe, Neue Beiträge zur Frage der Arbeitslosenversicherung, Berlin 1897. –
Derselbe, Dritter Beitrag zur Frage der Arbeitslosenversicherung. Berlin 1901. –
Derselbe, Art. Arbeitslosigkeitsversicherung im Wörterb. der Volkswirtschaft 3. Aufl. Jena 1910 S. 203 f. –
Die bestehenden Einrichtungen zur Versicherung gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit im Ausland und im Deutschen Reich, bearbeitet im Kais. Statist. Amt, 3 Teile, Berlin 1906 (daselbst auch die frühere Literatur). –
Compte rendu de la conférence internationale du chômage Paris 18.–21. septembre 1910, Tome I, II, III Paris 1911. –
Zur neuesten Entwicklung der Arbeitslosenversicherung, Reichsarbeitsblatt 1910 S. 424 f. 1911 Nr. 3 S. 182; Nr. 4 S. 276; Nr. 9 S. 663; 1913 (Sonderbeilage zu Nr. 12). –
L’assurance contre lo chômage im Bulletin trimestriel de l’association internationale pour la lutte contre le chômage. Paris 1 (1911) Nr. 1. –
Der gegenwärtige Stand der Arbeitslosenfürsorge und -Versicherung in Deutschland, (Schriften der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Heft 2 Berlin 1913).

In dem Masse als ein immer grösserer Teil der Bevölkerung in die Lohnstellung einrückt, die alten patriarchalischen Verhältnisse verschwinden, das ganze Arbeitsverhältnis labiler und rein geschäftsmässig sich gestaltet, wird auch die Frage der Arbeitslosigkeit akuter. Die Schwankungen im Arbeitsmarkt, wie sie einesteils durch den Wechsel der Jahreszeiten, andernteils durch den bald günstigen, bald ungünstigen Geschäftsgang hervorgerufen werden, machen mit den zahlreichen sonstigen Störungen das Lohneinkommen zu einem sehr prekären und rufen nach einer Überwindung der daraus eventuell entspringenden Notlagen. Nachdem man die andern Unterbrechungen des Lohnbezugs durch Kranken-, Unfall-, Alters- und Invalidenversicherung in ihren Wirkungen abgeschwächt hat, lag es nahe, auch dieser letzten, der infolge ökonomischer Verhältnisse, im Weg der Versicherung beizukommen. Der Umstand, dass den arbeitslosen Arbeitern gewöhnlich eine grosse Zahl beschäftigter Arbeiter gegenüber steht, scheint ja diesen Weg besonders leicht gangbar zu machen.

Allein bei näherem Zusehen stellen sich doch erhebliche Schwierigkeiten ein. Diejenigen, welche infolge ihrer Tüchtigkeit oder aus anderen Gründen nicht zu befürchten haben, dass sie arbeitslos werden oder längere Zeit bleiben, haben geringe Lust, für die weniger tüchtigen Stellenlosen mitzuzahlen, und werden sie gezwungen, einer Arbeitslosenversicherung beizutreten, so sind sie nur zu sehr geneigt, darin eine Überspannung des Solidaritätsprinzips zu sehen. Bei Krankheit, Unfall, Alter, Invalidität lässt man begreiflicherweise diese Solidarität eher gelten. Soll weiterhin die Versicherung die Fälle von länger dauernden Krisen und Depressionen befriedigend decken, so müssen auch die Prämien sich bedeutend erhöhen, um grosse Reserven für die schlechten Jahre zu gewinnen. Ganz besonders misslich ist bei der Arbeitslosenversicherung, dass das die Entschädigung begründende Ereignis herbeigeführt werden kann, ohne dass die Schuld klar zutage liegt. Es ist ganz unmöglich, in jedem Fall eine Untersuchung vorzunehmen; selbst wenn man es aber täte, würden zahlreiche Zweifel bleiben, ob die Entlassung eine gewollte und verschuldete war oder nicht. Es ist aber im Versicherungswesen ein selbstverständlicher Grundsatz, dass derjenige, der das die Entschädigung begründende Ereignis selbst herbeiführt, derselben verlustig geht. Da, wo man gleichwohl davon absieht, wie beim Selbstmord oder bei der Haftpflichtversicherung, müssen die Hemmungen gross genug sein, um das Zufällige des Ereignisses immer noch als Regel oder das Ereignis wider das Interesse des Versicherten erscheinen zu lassen. Solche Hemmungen sind aber in unserem Fall an sich nicht gegeben, das Pflichtgefühl reicht nicht immer aus; man muss sie also erst künstlich schaffen. So kann man die Spekulation arbeitsscheuer Leute unmöglich machen dadurch, dass man den Bezug der Entschädigung an eine längere Zugehörigkeit zur Versicherungskasse [54] und an eine Reihe von Arbeitswochen knüpft, eventuell auch noch die Dauer der Unterstützung von der Arbeitsdauer abhängig macht. Sodann ist eine Karenzzeit des arbeitslos Gewordenen z. B. von einer Woche nützlich, damit dieser einige Zeit aus eigenen Mitteln leben muss und zugleich die Versicherung von einer Menge kleiner Fälle entlastet wird. Unerlässlich ist, nicht den ganzen Lohn, sondern nur eine nicht zu grosse Quote (höchstens ¾) zu gewähren, eventuell diese mit der Dauer des Bezugs noch sinken zu lassen, bis sie nach einer bestimmten Reihe von Wochen ganz aufhört. Unbedingt muss der Arbeitslose jederzeit passende Arbeit, die ihm nachgewiesen wird, annehmen und damit seine Arbeitswilligkeit beweisen. Die Versicherung muss sich deshalb auf einen sehr vollkommen ausgebildeten Arbeitsnachweis stützen. Die Fortdauer der Arbeitslosigkeit muss auch kontrolliert werden, was am besten durch ein- oder zweimaliges Erscheinen des Arbeitslosen im Arbeitsnachweis und Zurückbehalten der Invalidenkarte geschehen kann. Diese Massregeln dämmen die Versuchung, eine Zeit lang zu feiern oder überhaupt auf Kosten anderer zu leben, so ein, dass man die Schuldfrage in den Hintergrund treten und nur die gröbsten Verstösse sowie Streiks und Aussperrungen, für welche die Arbeiter ohnehin besonders sorgen, als Ausschliessungsgrund gelten lassen kann. Immerhin bleiben auch dann noch manche Schwierigkeiten. Es gibt Berufe, wie Ausläufer, häusliche und die weit verbreitete hausindustrielle Arbeit, die der Kontrolle, ob Arbeitslosigkeit vorliegt, sich nicht fügen; auch die Frage der passenden Arbeit, die angenommen werden muss, ist gegenüber widerwilligen Leuten nicht einfach zu lösen; eine einwandfreie Abstufung des Risikos ist bei den fortwährenden Schwankungen und Änderungen des Erwerbslebens schwer zu finden, ohne solche wirkt diese Versicherung aber leicht verletzend; es ist besonders misslich, dass je wirksamer die oben erwähnten Kautelen sind, die Versicherung ihren Zweck umsomehr wieder einbüsst. Bei den deutschen Arbeitnehmerverbänden, welche doch gewiss den Vorwurf der Unbilligkeit ablehnen werden, waren in den 8 Quartalen der Jahre 1911 und 1912 43,9–54% der arbeitslos gemeldeten versicherten Mitglieder nicht bezugsberechtigt. Eine unangenehme Begleiterscheinung dieser Versicherungsart ist auch, dass das Streben des Arbeitslosen, selbst Arbeit zu finden, abgeschwächt wird, was zu einer gewissen Demoralisation führen kann.

Die bisher gemachten praktischen Versuche stellen denn auch keine befriedigende Lösung des Problems dar.

Fakultative allgemeine Versicherungen wurden in Bern (1893), Köln (1896), Leipzig (1905), Basel (1901), Genf (1904), Venedig (1902) ins Leben gerufen. Die venetianische Arbeitslosenkasse musste wegen zu geringer Kautelen ihre Tätigkeit bald einstellen, die Genfer konnte sich infolge der Angriffe seitens der organisierten Arbeiter nicht recht entwickeln; die Leipziger Kasse ist vom evangelischen und katholischen Arbeiterverein gegründet, hat aber nur eine geringe Zahl Versicherter. Die Berner – und bis zum Jahr 1911 galt dies auch für die Kölner Kasse, die ihre Versicherung jetzt auf das ganze Jahr erstreckt und auch den Berufsvereinen der Arbeitnehmer eine Rückversicherung gewährt – berücksichtigt bloss die Arbeitslosigkeit im Winter; es versichern sich infolgedessen bei ihr nur solche, welche mit grosser Wahrscheinlichkeit in den betreffenden Wintermonaten arbeitslos zu werden befürchten müssen, hauptsächlich Erd- und Bauarbeiter und Arbeiter, die mit dem Baugewerbe in engerer Fühlung stehen. Die Beiträge sind bei freiwilliger Versicherung wenig steigerungsfähig; sie decken gewöhnlich nicht einmal die Hälfte der Versicherungssumme, diese Art von Versicherung kann deshalb ohne beträchtliche Zuschüsse von seiten der Gemeinde und sonstiger Wohltäter nicht existieren. Auch in Basel, wo der Arbeiterbund 1901 eine Versicherungskasse schuf, wurden ähnliche Erfahrungen gemacht. Arbeiter mit geringem Risiko hielten sich fern, viele blieben auch mit ihren Beiträgen im Rückstand, der grösste Teil liess sich dann streichen.

Grössere Bedeutung kann die gewerkschaftliche Arbeitslosenversicherung beanspruchen. Sie hat sich aus den Lohnkämpfen herausgebildet. Die Arbeiterorganisationen unterstützten ihre Mitglieder im Falle eines Streiks; sie dehnten die Unterstützung im weiteren Verlauf auch auf nicht streikende Arbeitslose aus; durch die Reiseunterstützung entlastete man den lokalen Arbeitsmarkt und pflegte den Zusammenhang im Gesamtverband; es lag nahe, den am Ort ansässigen Arbeitslosen ebenfalls eine Unterstützung zu bieten. Die Arbeitslosenversicherung trägt dazu bei, [55] dem Lohndruck wie er durch das allzudrängende Angebot der Arbeitslosen entsteht, zu begegnen und die Mitglieder fester an die Fachvereine zu ketten und nicht bloss solange, als es sich darum handelt, eine Lohnbewegung durchzuführen oder einen Angriff der Unternehmer abzuwehren. In Deutschland zahlten die freien Gewerkschaften 1909 Orts-, Reise- und Umzugsunterstützung 10,0 Mill. M., die Hirsch-Duncker’schen Gewerkvereine 0,375 Mill. M., die christlichen 0,195 Mill. M. Ein Vorzug der gewerkschaftlichen Arbeitslosenversicherung ist, dass ihre berufliche Gliederung von selbst ein ziemlich gleichartiges Risiko darstellt, also die Schwierigkeit der Abstufung in Wegfall bringt, ferner dass unter den Mitgliedern enge Fühlung besteht, was die Kontrolle erleichtert, sowie dass die zentrale Organisation mit ihren Unterstellen eine bedeutende Vereinfachung der Verwaltung in sich schliesst. Der Versicherungsbeitrag ist ein Lohnbestandteil, wie er es streng genommen sein soll; er tritt aber nicht gesondert auf, sondern liegt im Gesamtbetrag für die Organisation. Die Versicherung ist für die Mitglieder obligatorisch, aber der Beitritt zu einer Organisation ist freiwillig. Das Klassenbewusstsein und Klasseninteresse überbrückt hier manche Unebenheiten. Die Schwäche der gewerkschaftlichen Arbeitslosenversicherung liegt darin, dass nur die Minderheit der Arbeiterschaft organisiert ist und dass auch bei dieser der Arbeitsnachweis –wenigstens in Deutschland – nur sehr mangelhaft funktioniert.

Von Frankreich und Belgien aus setzte in den 1890er Jahren eine Bewegung ein, welche die gewerkschaftliche Arbeitslosenversicherung durch Subventionen zu fördern sucht. Staat, Provinzen und Gemeinden beteiligen sich. Dieser Vorgang hat auch in Holland, Luxemburg und Italien Nachahmung gefunden; in Norwegen hat ein Ges. v. 12. Juni 1906, bezw. 15. Aug. 1911, in Dänemark ein Ges. v. 9. April 1907 die Subvention geregelt; in Deutschland haben die Städte Strassburg (1907) und einige Nachbargemeinden, ferner Mühlhausen und Erlangen (1909), Freiburg i. B., Schöneberg (1910), Schwäbisch-Gmünd (1911), Stuttgart (1912), Kaiserslautern, Feuerbach, Esslingen, Mannheim, Offenbach a. M. (1913), in der Schweiz die Kantone Genf (Ges. v. 6. Nov. 1909), Basel-Stadt (Ges. v. 16. Dez. 1909). St. Gallen (1911), Appenzell (1912) das Subventionswesen eingeführt. Die Subvention wird an gewisse Bedingungen geknüpft, um Missbräuche hintanzuhalten, zuweilen getrennte Kassenverwaltung verlangt, in Dänemark – und auf demselben Boden steht ein finnländischer Entwurf von 1911 –ist die Arbeitslosenkasse ein vollständig selbständiges rechtliches Gebilde. Die Subvention fällt entweder der Kasse als solcher zu oder sie wird den Arbeitslosen selbst, wenn auch durch Vermittlung der Verbände, die die blossen Zahlstellen bilden, zugewendet. Ersteres ist der Fall in Norwegen, Dänemark, Luxemburg, Lüttich, Basel, das letztere in Gent und zahlreichen belgischen und holländischen Gemeinden, in Genf, Strassburg, Mühlhausen, Erlangen, Freiburg. Der letztere Weg hat dazu beigegetragen, dass man di Bedenken leichter fallen liess, die man gegen die Subventionierung der Organisationen hatte, aber es wird diese Lokalisierung da, wo nationale Arbeiterorganisationen bestehen, bereits lästig empfunden und als zu bürgerlich-individualistisch bekämpft; die Unterstützung des einzelnen Arbeitslosen hat nach dieser Ansicht zu sehr den Wohltätigkeitscharakter. Das erstere System lässt den Gewerkschaften etwas grössere Freiheit und macht es auch möglich, dass man die Subventionen gleichzeitig nach den Beiträgen und den Unterstützungen bemisst; das ist insofern vorteilhaft, als Berufsgruppen, welche in normaler Zeit sogut wie keine Arbeitslosigkeit haben, gleichwohl im Masse ihrer Beiträge Zuschüsse erhalten und dadurch sich rüsten können für die Zeit der Krisen. Das System der individuellen Unterstützung braucht wenig Mittel in normaler Zeit, aber sehr viel in Zeiten von Krisen, stellt auch seine Tätigkeit ein gegenüber Kassen, deren Mittel erschöpft sind. Hat man aber einen gesonderten Fonds, der mit einer gleichbleibenden Summe seitens einer öffentlichen Körperschaft gespeist wird, so kann man in normaler Zeit Erübrigungen machen für die Perioden, in denen mehr Unterstützungen notwendig sind. Dieses Verfahren liegt auch im Interesse der subventionierenden Körperschaften. Bedenklich ist es aber, wenn, wie es nach dem Lütticher System zu geschehen scheint, die Bemessung der Zuschüsse nach der Gesamtheit der gewerkschaftlichen Mitgliederbeiträge sich richtet, da darin Quoten stecken, welche gar nicht der Arbeitslosenversicherung dienen.

Das Zuschusssystem, das lediglich an die gewerkschaftliche Arbeitslosenversicherung anknüpft, legt überhaupt den Vorwurf nahe, dass man einseitig nur bestimmte Kategorien von [56] Arbeitern – selbst in Dänemark, wo eine besonders lebhafte Entwicklung zu verzeichnen ist, betrugen am 31. März 1913 die in den 55 Kassen gegen Arbeitslosigkeit Versicherten (120 289) von den Versicherungsfähigen nur ungefähr 60% – und noch dazu die relativ leistungsfähigsten unterstütze. Um diesen zu entkräften, hat man Ergänzungen versucht. So hat das norwegische Gesetz vorgeschrieben, dass die nichtorganisierten Arbeiter zu den subventionierten Arbeitslosenkassen zugelassen werden müssen, aber ohne Stimm- und Wahlrecht und gegen erhöhten Beitrag behufs Mitdeckung der Verwaltungskosten. Auch in Dänemark stehen die Kassen gesetzlich allen Arbeitern offen. Allein dieser Weg ist nicht empfohlen; die einzelnen Arbeiter sind bestimmten Arbeiterverbänden abgeneigt, die wirtschaftlich schwächsten treten ohnehin nicht bei, die Arbeiterverbände wollen fremde Elemente nicht haben und können schwer sie kontrollieren; in Norwegen und Dänemark sind denn auch nur wenige Nichtorganisierte beigetreten. In Strassburg und in Mühlhausen i. E. glaubte man dadurch zum Ziel zu gelangen, dass man die nicht organisierten, nicht subventionierten Arbeiter auf die Notstandsarbeiten verwies, eine Lösung, die auch nicht ganz befriedigte, weil manche Arbeitslose für die ersteren sich nicht eignen. Dass in Strassburg für den Notstandsarbeiter 1908 der Zuschuss 52,5 M., für den versicherten Arbeitslosen 12,66 M. betrug, beweist jedoch an sich nichts gegen das System; die Notstandsarbeiter hätten auch bei der Versicherung wohl mehr gekostet, da sie im Winter lange arbeitslos sind. In Erlangen und Mannheim verfolgt man die Methode, dass man an die organisierten Arbeiter einen Zuschuss, an die nichtorganisierten gelernten Arbeiter den gleichen Satz als Unterstützung gibt, die nicht gelernten dagegen mit Notstandsarbeiten erhält. Diese Methode hat den Nachteil, dass sie die Vorsorge nicht fördert und ein reines Almosenelement einschiebt. Die Genter Kombination, deren Schöpfer Varlez ist (1900), und die von der Mehrzahl der belgischen Städte – in ganz Belgien sind aber nur etwa 10% der Arbeiterschaft durch Versicherung sichergestellt – auch von Freiburg i. B., Schöneberg, Stuttgart, Feuerbach angenommen wurde, geht darauf hinaus, dass sie denen, welche nicht der Arbeitslosenkasse einer Arbeitervereinigung angehören, die gleichen Zuschüsse, wie den Versicherten, zuspricht, soferne sie in bestimmter Weise Ersparnisse machen. Allein diese Ergänzung hat gänzlich fehlgeschlagen; die Arbeiterkategorien, an die man sich hier wandte, sind vielfach zu schwach, um Vorsorge üben zu können und zu wollen. Nach der Baseler Kombination, die dem Ges. v. 16. Dez. 1909 zugrunde liegt, werden die Privatkassen und daneben eine staatliche Arheitslosenkasse unterstützt; letztere beruht auf der Grundlage des freiwilligen Beitritts und steht den Arbeitern, welche den Privatkassen nicht angehören, offen. Wie der Jahresbericht pro 1911 erwähnt, überwiegen auch bei dieser die Arbeiter des Baugewerbes und der damit verwandten Handwerke. Dem Baseler Typus (Zuschüsse an Verbände und an eine freiwillige Versicherungskasse) sind Schwäbisch-Gmünd und Kaiserslautern gefolgt. Schliesslich sei auch noch die Kombination erwähnt, welche die bayrische Regierung den Städten 1909 empfohlen hat: es sollen die Arbeitslosen der von den Arbeitern errichteten Arbeitslosenkassen und die arbeitslosen Sparer unterstützt werden, ausserdem auch die Arbeitslosen einer allgemeinen Arbeitslosenkasse; bei letzterer sollen die Beiträge verschieden abgestuft werden, je nachdem es sich um Ledige und Verheiratete und in jeder dieser Kategorien um gelernte Dauerarbeiter, ungelernte in Dauerbetrieben beschäftigte Arbeiter, ungelernte in Saisonbetrieben beschäftigte Arbeiter und gelernte Saisonarbeiter handelt; das Tagegeld soll auch für Ledige und Verheiratete verschieden sein. Am 30. November 1913 hat die bayrische Regierung 75 000 M. pro Jahr bei dem Landtag beantragt, um diejenigen Gemeinden, welche die Arbeitslosenversicherung einführen, zu unterstützen.

Die besprochenen Versuche auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung sind lokaler Natur und beruhen nicht schlechthin auf Zwang. Auch die obligatorische Versicherung, die die Firma A. L. Mohr A.-G. in Altona-Bahrenfeld in den Jahren 1896–1906 gegenüber ihren Arbeitern durchgeführt hatte, ist insofern keine streng obligatorische gewesen, als niemand gezwungen war, als Arbeiter in das Unternehmen einzutreten. Dagegen war eine wirklich obligatorische Versicherung die von der Gemeinde St. Gallen am 23. Juni 1895 auf Grund des Kantonsgesetzes v. 19. Mai 1891 beschlossene. Sie dauerte nur 2 Jahre. Da die Prämien lediglich nach der Lohnhöhe abgestuft waren, führte die Versicherung zu grosser Erbitterung bei den gelernten und qualifizierten [57] Arbeitern, die nicht oder wenig arbeitslos wurden, weil sie für die Taglöhner und Bauarbeiter, die hauptsächlich das Kontingent der Arbeitslosen stellten, mitzahlen mussten. Auch waren viele Organisationsmängel vorhanden, namentlich der Arbeitsnachweis war so gut wie nicht ausgebaut, die Kontrolle ungenügend. Immerhin hatte auch die St. Gallener Arbeitslosenversicherung nur eine lokale Bedeutung.

Das grosse Problem, die Arbeitslosenversicherung durch ein ganzes Land obligatorisch durchzuführen, harrt noch der Lösung. Auch der Versuch, den jetzt England macht, ist ein partieller. Nach dem Gesetz vom 16. Dezember 1911, das am 15. Juli 1912 in Kraft getreten ist, erstreckt die Zwangsversicherung sich nur auf gewisse, besonders grossen Schwankungen unterliegende Gewerbe: es sind dies das gesamte Baugewerbe in allen seinen Zweigen einschliesslich Maler- und Tapeziererarbeiten, Reparaturen und Niederreissen von Häusern, ferner die Tiefbauindustrie, namentlich der Bau von Docks und Kanälen sowie Eisenbahnbauten, die Schiffbauindustrie, die Maschinenindustrie einschliesslich der Herstellung von Feuerwaffen, die Eisengiesserei und Sägeindustrie einschliesslich der maschinenmässigen Holzbearbeitung, die Wagenbauindustrie einschliesslich der Ausstattung und Reparatur von Wagen und Fahrzeugen aller Art. Die Zahl der unter das Gesetz fallenden Personen wurde auf 2,4 Mill. geschätzt, von denen nur etwa 14% durch Gewerkvereine gegen Arbeitslosigkeit versichert waren. Bis zum 1. Februar 1913 wurden an 2 297 326 Personen Versicherungsbücher ausgegeben; die durchschnittliche Arbeitslosigkeit der Versicherten betrug 5%. Die Unterstützungsgelder betragen 7 sh. pro Woche. Sollte die Arbeitslosigkeit geringer sein, als angenommen wurde, so kann das Handelsministerium die Unterstützung auf 8 sh. erhöhen, im andern Fall aber auch auf 6 sh. herabsetzen. Die Zahlung beginnt erst nach der ersten Woche der Arbeitslosigkeit und darf 15 Wochen im Jahre nicht überschreiten, auch ist der Anspruch beschränkt auf je eine Woche Unterstützung für 5 Wochen Beitragszahlung; doch erhalten 21 jährige Arbeiter, die vor Inkrafttreten des Gesetzes für gewöhnlich in einem versicherungspflichtigen Gewerbe gearbeitet hatten, zu ihren schon gezahlten Beiträgen 5 weitere für je 3 Beschäftigungsmonate bis zur Höchstgrenze von 25 Beiträgen zugerechnet. Der Arbeitslose ist nur unterstützungsberechtigt, wenn er mindestens 16 Jahre alt und mindestens 26 Kalenderwochen lang in den dem Eintritt der Arbeitslosigkeit vorangegangenen 5 Jahren beschäftigt war; auch muss der Arbeiter überwiegend körperlich tätig sein, Werkführer, Bureauarbeiter sind nicht einbezogen. Keine Unterstützung wird gezahlt, wenn die Arbeitslosigkeit durch einen Streik oder eine Aussperrung veranlasst wurde. Arbeitslose, welche ihre Arbeitsstelle infolge eigener Schuld verloren oder freiwillig verlassen haben, erhalten für 6 Wochen keine Unterstützung. Der Arbeitslose braucht keine Arbeitsstelle anzunehmen, welche ihm niedereren Lohn brächte, als er in seiner letzten Arbeitsstelle inne hatte, oder als der Lohnsatz der Gewerkvereine oder als in Ermangelung eines gewerkschaftlichen Lohnsatzes der bei billig denkenden Arbeitgebern des betreffenden Distrikts gezahlte Lohn beträgt. Die Wochenbeiträge machen 2⅔ pence bei versicherungspflichtigen Arbeitern unter 18 Jahren, ebenso wenn die Beschäftigung nicht mehr als einen Tag dauert, 5⅓ pence dagegen, wenn sie nicht mehr als 2 Tage, 6⅔ pence, wenn sie mehr als 2 Tage in der Woche dauert; hiervon trägt der Staat stets ⅓ (also ⅔, 1⅓ und 1⅔ pence), der Rest wird von Arbeiter und Arbeitgeber zu gleichen Teilen übernommen. Die Beiträge sind auf 2,75 Mill. £ jährlich veranschlagt, wovon 0,75 Mill. der Staat trägt. Beiträge und Leistungen werden alle 7 Jahre, die gewöhnlich eine Aufschwungs- und Depressionsperiode umfassen, auf Grund der Erfahrungen neu festgesetzt. Wird durch eine besonders heftige Geschäftsflauheit der durch Beiträge gebildete Arbeitslosen-Fonds zeitweilig erschöpft, so macht das Schatzamt die notwendigen Vorschüsse, kann aber später verlangen, dass die Beitragsraten bezw. die Unterstützungen anders geregelt werden, bis der Fonds wieder aktiv wird. Die Versicherungspflichtigen erhalten von den bestehenden staatlichen Arbeitsnachweisen Arbeitsbücher, in welche die Marken eingeklebt werden; die Arbeitgeber dürfen Arbeiter ohne solche Bücher nicht annehmen. Wird ein Arbeiter beschäftigungslos, so hat er das Buch beim Arbeitsnachweis abzuliefern und sich täglich in ein Register einzutragen; dort wird auch die Entschädigung ausgezahlt. Irgendeine Selbstverwaltung ist ausgeschlossen.

Eine Reihe Vergünstigungen sind gewährt, teils um die Arbeitgeber zur stärkeren Benutzung der staatlich geschaffenen Arbeitsnachweise zu veranlassen, teils um die Entlassung von Arbeitern [58] weniger verlockend zu machen, teils um die seltener arbeitslos werdenden Arbeiter zu versöhnen. So kann das Handelsministerium mit Arbeitgebern, welche Arbeiter durch die Arbeitsnachweise bezogen haben, Vereinbarungen treffen, wonach alle ihre vom Gesetz auferlegten Obliegenheiten, wie Markenkleben usw. vom Nachweis übernommen werden; in diesem Falle zahlt dann der Arbeitgeber nur für die Arbeit, die ihm geleistet wird, nicht für die einzelnen Arbeiter; ein solcher Arbeitgeber, der 3 Wochen nach einander 3 Taglöhner je 2 Tage beschäftigt, zahlt nicht 3x2 = 6 pence, sondern, da die 3x2 Tage als eine Woche gerechnet werden, nur 2½ pence. Analog gelten für den Arbeiter, der durch den Arbeitsnachweis an einen oder mehrere Arbeitgeber vermittelt worden ist, alle diese einzelnen Beschäftigungsperioden als ununterbrochene Beschäftigungszeit bei einem Unternehmer. Wenn ein Arbeitgeber einen Arbeiter das ganze Jahr beschäftigt und für ihn wenigstens 45 Wochen – 7 Wochen Ausfall im Jahr für Krankheit etc. schaden also nichts – bezahlt hat, erhält er ⅓ seiner Beiträge zurückerstattet, und wenn er während einer wirtschaftlichen Depression durchgehends die Arbeitszeit herabsetzt, statt die Arbeiter alle oder teilweise zu entlassen, und während dieser Zeit seinen und seiner Arbeiter Anteil an den Versicherungsbeiträgen zahlt, kann er die gesamten Beiträge während der Depression vom Handelsamt zurückverlangen. Hat ein Arbeiter für wenigstens 500 Wochen Beiträge gezahlt, so kann er, sobald er 60 Jahre alt geworden ist, seine gesamten eigenen Einzahlungen zuzüglich von 2½% Zinsen und abzüglich etwa an ihn gezahlter Unterstützungen zurückerhalten; stirbt er in diesem Alter, so wird diese Summe seinen Erben ausgezahlt. – Insoweit bei den dem Versicherungszwang unterliegenden Industriezweigen Gewerkvereine bestehen, welche selbst Arbeitslosenunterstützung bezahlen, kann die Auszahlung bei diesen statt bei dem Arbeitsnachweis erfolgen. Der Staat trägt dann ¾ der gewerkschaftlichen Unterstützung, aber höchstens bis zu 7 sh. pro Woche. Bis Februar 1913 waren entsprechende Vereinbarungen mit 99 Organisationen getroffen. Insoweit es sich nicht um zwangsweise versicherte Industrien handelt, können die Arbeiterorganisationen staatlich eine Beihilfe bis zum Betrage von der von ihnen gezahlten wöchentlichen Unterstützungen erhalten, sofern diese nicht die Summe von 12 sh. pro Woche überschreiten. Die Summen hierfür werden, da sie ausserhalb der Zwangsversicherung liegen, besonders vom Parlament bewilligt. Bis Februar 1913 haben 274 Organisationen die Beihilfe erbeten. – Es muss abgewartet werden, wie dieser bedeutsame Gesetzesversuch sich bewährt. Eine völlige Hilfe bietet er sicher nicht; man nimmt an, dass die 15 wöchentliche Unterstützungszahlung die Dauer der Arbeitslosigkeit kaum zu 50% deckt.

In Deutschland hat man die Frage einer allgemeinen obligatorischen Arbeitslosenversicherung viel erörtert. Man wollte die Lösung finden in Anlehnung an die Krankenkasse (Tischendörfer), an die Berufsgenossenschaften der Unfallversicherung (Herkner, Buschmann), an die Berufsgenossenschaften und Arbeiterverbände (Zacher), an die Invalidenversicherung (Molkenbuhr), an erzwungene Arbeiterverbände (von Elm, Korrespondenzblatt der Gewerkschaften), an die paritätischen Arbeitsnachweise (Freund, Imle, Scheig), an die Gemeinden (Sonnemann, Baab); aber befriedigt hat keiner dieser Vorschläge. Eine ernstliche Inangriffnahme setzt eine geschlossene Organisation des Arbeitsnachweises voraus, die bis jetzt in Deutschland fehlt und selbst noch Gegenstand heftigen Interessenkampfes ist. Der Arbeitsnachweis würde im Zusammenhang mit einer obligatorischen Arbeitslosenversicherung eine Art Zwangsanstalt, die kaum Zufriedenheit schafft. Geht doch auch das englische Arbeitslosenversicherungsgesetz vom 16. Dezember 1911 bereits so weit, dass der Versicherungsbeamte des Arbeitsnachweises Versicherte, die häufig infolge mangelhafter Geschicklichkeit beschäftigungslos werden, zu einem geeigneten technischen Unterricht zwingen und ihnen, wenn sie, diesen ablehnen oder ohne Erfolg benutzen, den Unterstützungsanspruch entziehen kann.

Erwähnt sei noch, dass der deutsche Städtetag am 25. September 1911 in einer Eingabe an den Bundesrat eine obligatorische Versicherung, aber zunächst nur für die winterliche Arbeitslosigkeit der Bau-, Erd- und Gelegenheitsarbeiter, die immer die meiste Beunruhigung bereitet, verlangt hat.

Ein grosser Teil der arbeitslosen Zeit wird schon heute von den Arbeitern selbst überwunden im Weg der Sparrücklagen. Ende 1911 gab es in Deutschland 22,3 Mill. Sparkassenbücher, auf 3 Personen, also auf jede Familie mindestens eines; scheidet man die Kreise, welche für die Sparkassen nicht [59] in Betracht kommen, aus, so kann man fast auf jede Familie 2 rechnen. Die Guthaben betrugen 17,8 Milliarden Mark; hiervon trifft ein grosser Teil auf die arbeitende Bevölkerung. Ein sehr verständiger Weg ist auch der von dem Hamburger Konsum-, Bau- und Sparverein „Produktion“ seit 1899 eingeführte, die Einkaufsdividende am Ende des Jahres nicht bar zu verteilen, sondern den Anteil, der auf jedes Mitglied trifft, dessen Notfonds zuzuschreiben; der über 100 M. angesammelte Betrag gilt als täglich kündbare Spareinlage, der unter 100 M. kann in Notfällen, wozu auch Arbeitslosigkeit gehört (10% auch Weihnachten), abgehoben werden. 1909 hatten 15 456 Mitglieder einen Notfonds von 514 178 M., 6642 entnahmen 176 944 M. Kiel, Lübeck u. a. haben das Beispiel bereits nachgeahmt.

Ob man diese Ansätze nicht zu einem Sparzwang mit Sperrung bis zu einer gewissen Summe weiter entwickeln und dadurch eine obligatorische Vorsorge erzielen könnte und sollte, bleibt zu überlegen. Begrenzt in ihrer Wirkung sind sowohl Sparzwang als Arbeitslosenversicherung. Kann die letztere eine etwas längere Fürsorge gewähren, als ersterer, so ist sie umgekehrt erheblich eingeengter, insofern sie, um den Missbrauch hintanzuhalten, die Bezugsberechtigung einschränken muss. Die besondern Schwierigkeiten, welche eine obligatorische Arbeitslosenversicherung bietet, fallen bei dem Sparzwang weg und nichts stünde im Wege, dass die Facharbeiterverbände diese Fürsorge durch Versicherung ergänzten. Allein der Zug der Zeit und die Neigung der politischen Parteien scheinen nur in einer allgemeinen obligatorischen Arbeitslosenversicherung ihre Befriedigung finden zu können. Ein neuester Vorschlag will als Provisorium bis zur Schaffung einer regelrechten Arbeitslosenversicherung eine Unterstützung jener Arbeiterorganisationen, welche ihre Mitglieder gegen Arbeitslosigkeit versichern, und den Sparzwang für die nicht organisierten Arbeiter eingeführt wissen.[1]

Erwünschter als die Arbeitslosenversicherung ist unstreitig die Verhütung und Unterdrückung der Arbeitslosigkeit. So hilflos wir auch noch in dieser Hinsicht dastehen, so ist doch schon mancher Fortschritt erzielt worden. Vor allem sind die schweren akuten Krisen mit ihren verheerenden Wirkungen infolge der strengeren Aktien- und Börsengesetzgebung und zügelnder Einwirkung der Zentralnotenbanken mehr und mehr durch die milder verlaufenden Depressionen abgelöst worden; auch die Kartelle mögen, so manches man auch ihnen zum Vorwurf machen kann, einiges zur grösseren Stetigkeit des Erwerbslebens beitragen. In Gemeinde und Staat wächst das Verständnis für eine rationellere Verteilung der öffentlichen Arbeiten. Durch entsprechende Arbeitsverschiebung können sie nicht nur die Arbeitslosigkeit des Winters abstumpfen, sondern auch die allgemeinen Depressionen mildern, was auch finanziell sich sehr lohnt. In dieser Hinsicht sind noch grosse Fortschritte erzielbar. Nicht minder können die Unternehmer die gänzliche Arbeitslosigkeit verhüten, wenn sie bei schlechter Konjunktur, statt einen Teil der Arbeiter zu entlassen, die Produktion einschränken entweder durch Reduktion der täglichen Arbeitszeit oder durch Ausfallenlassen einzelner Tage oder durch Bildung von Gruppen, welche in regelmässigem Wechsel und zeitweise ausser Arbeit gesetzt werden. Dieser Modus, der in England in der Textil- und Kohlenindustrie allgemein angewandt wird, liegt auch im Interesse der Arbeitgeber, insofern er einen festen Arbeiterstamm schafft. Das neue englische Gesetz sieht, wie schon erwähnt, Vergünstigungen vor, wenn statt Entlassung verkürzte Arbeitszeit eingeführt wird. Eine obligatorische Minimalkündigungsfrist würde viele Poren der Arbeitslosigkeit verstopfen. Ebenso ein gut und durchgreifend organisierter Arbeitsnachweis. Arbeiterkolonien, Wanderarbeitsstätten, Notstandsarbeiten vermögen einen Teil der Arbeitslosigkeit aufzusaugen. Ländliche Arbeitsbeschaffung für städtische Arbeitslose in der Nähe einer Grossstadt durch Inkulturnahme von Oedländereien nach dem in Reppen von dem Verein für soziale innere Kolonisation Deutschlands seit 1. Januar 1912 durchgeführten Modus ist, wie die Erfahrung zeigt, gleichfalls nützlich. Gute Berufsausbildung, Verhinderung der Verwahrlosung der Jugend mindern den Zuwachs der Arbeitslosen. Schliesslich sind die ganze Organisation einer Volkswirtschaft – Kleinbesitz in der Landwirtschaft erzeugt z. B. weniger Arbeitslosigkeit, als Grossbesitz –, die Tüchtigkeit eines Volks und die Art, wie es seine Stellung im internationalen Erwerbsleben behauptet, von Einfluss.





  1. K. Kampmann, Die Reichsarbeitslosenversicherung. Tübingen 1913.