Auf Leben und Tod (Die Gartenlaube 1886)
[375] Auf Leben und Tod. (Mit Illustration S. 365.) Da liegt sie vor uns schweigend und großartig, die einsame Hochgebirgswelt! Die Schatten des Abends senken sich über den öden Felskahren herein, und der Vollmond tritt aus dem leichten Nebelgewölke, das über den fernen duftigen Berghöhen lagert. Ueberall Ruhe, überall Frieden, heilige Sabbathstille der Natur ringsumher; nur zwischen den Menschen herrscht auch hier Zwietracht und Haß und erbitterter Kampf auf Leben und Tod! –
Förster und Wilderer, diese beiden Erbfeinde, sind auf einem Felsvorsprunge nahe dem Rande eines Abgrundes auf einander getroffen, und nun entspinnt sich ein mörderisches Ringen. Der Wilderer, auf frischer That ertappt, hat sich gegen den kräftigen, kühnen Weidmann zur Wehre gesetzt. Seine Büchse ist ihm in der Hitze des Handgemenges entfallen und entladet sich unter seinem zufälligen Fußtritt; er ist waffenlos. Und nun sucht Jeder den Anderen in die Tiefe hinabzuschleudern, welche neben ihnen hinaufgähnt und über der hoch in den Lüften zwei Adler kreisen. Unheimliches Grauen und Entsetzen blickt aus den weit geöffneten stieren Augen des Wilderers, in Todesfurcht sträubt sich sein Haar; er scheint zu ahnen, daß er verloren sei, und klammert sich verzweifelnd an den Förster, um, sollte er in der unzugänglichen Bergschlucht seinen Untergang finden, wenigstens auch seinen Feind mit sich dort hinab zu reißen.
So ringen die zwei Todfeinde mit einander, neben sich den drohenden Abgrund, der vielleicht in der nächsten Minute Einem oder Beiden zum Grabe werden wird. J. C. Maurer.