Aus Kaiser Wilhelm’s Privatleben

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Titel: Aus Kaiser Wilhelm’s Privatleben
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 194–195
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Aus Kaiser Wilhelm’s Privatleben.

Das tägliche Leben des Kaisers Wilhelm ist, soweit es sich auf den engeren Familienkreis bezieht, ein durchaus einfaches, fast bürgerliches. Der Verkehr mit seiner Gemahlin, mit der kronprinzlichen Familie, mit der Familie des Prinzen Wilhelm ist ein überaus herzlicher, und wenn dem hohen Herrn die kleinen Urenkel gebracht werden, zeigt er sich als der zärtlichste Urgroßvater.

Nicht minder innig sind die Beziehungen zu der großherzoglich badischen Familie. Mit welch rührender Liebe die Frau Großherzogin von Baden an ihrem kaiserlichen Vater hängt, wie die hohe Frau um sein Wohl besorgt ist und stets nach Berlin kommt, um in seiner nächsten Nähe zu weilen, sobald die Kaiserin im Frühjahr die Bäder aufsuchen muß: das ist eine altbekannte Thatsache.

Aber auch von Seiten des Kaisers wird die kindliche Anhänglichkeit der großherzoglichen Tochter durch eine bei jeder Gelegenheit sich kundgebende Liebe erwiedert, und der hohe Herr versäumt nie nach seiner Emser Kur den alljährlichen Besuch bei den badischen Herrschaften auf der Insel Mainau.

Eben so wie das hochbetagte kaiserliche Paar mit Beginn eines neuen Tages sich von dem gegenseitigen Befinden Kenntniß verschafft und der hohe Herr der Kaiserin oft schon im Laufe des Vormittags in deren oberen Gemächern einen Besuch abstattet oder dieses ihrerseits geschieht (die Parterre-Räume des Kaisers sind mit den Zimmern der Kaiserin durch einen Aufzug verbunden), so sieht man auch den deutschen Kronprinzen sich meist zu Fuß schon in den Frühstunden ins kaiserliche Palais zu seinen Eltern begeben. Auch Prinz Wilhelm kommt oft von Potsdam ins Palais.

Wenn einmal der greise Monarch ans Zimmer oder wohl gar ans Bett gefesselt ist und die Kunde mit Blitzesschnelle sich durch die Stadt verbreitet hat, so daß im Laufe des Tages Tausende von Theilnehmenden aus dem Publikum das Palais umlagern: dann zeigen sich im Inneren desselben so recht die herzlichen Beziehungen der Familie unter einander. Dem greisen Monarchen werden von allen Mitgliedern so viele Beweise inniger und sorgender Theilnahme entgegengebracht, daß derselbe oft selbst die beruhigendsten Versicherungen zu geben sich veranlaßt sieht. Und dieselbe Besorgniß zeigt auch der Kaiser, sobald in der Familie ein Erkrankungsfall gemeldet wird.

Die Umgangsformen in der kaiserlichen Familie sind durchaus zwanglos und des Kaisers Leutseligkeit und herzgewinnende Freundlichkeit ermuntert nicht selten die jüngeren Familienmitglieder in seiner Nähe zu heiteren Scherzen und Späßen, die ihm sichtliche Freude bereiten. Die Umgangssprache in der kaiserlichen Familie ist deutsch, die Hofsprache dagegen, das heißt bei größeren Festlichkeiten, wo das Ceremoniell beobachtet wird, französisch. Im vertraulichen Verkehr bedienen sich die Majestäten ihrer Vornamen „Wilhelm“ und „Augusta“, eben so wie auch die kronprinzliche Familie und die des Prinzen Wilhelm in der zwanglosesten Weise bei ihren Vornamen genannt werden. Das vertrauliche „Du“ wird gegenseitig gewechselt. Seit dem Feldzuge von 1870 und 1871 und den eigenhändigen Siegesdepeschen des Kaisers an seine Gemahlin ist es kein Geheimniß, daß der deutsche Kronprinz von seinen Eltern „Fritz“ genannt wird. Weniger bekannt mag sein, daß die Frau Kronprinzessin den Namen „Viki“ (Abkürzung von Viktoria) führt.

Wie groß die Herzensgüte des Monarchen, wie menschenfreundlich und rücksichtsvoll er überall zu handeln bedacht ist, selbst gegen seine Dienerschaft: das kann nicht genug von den Betheiligten gerühmt werden. Es giebt altgediente Leute in der unmittelbaren Umgebung des Kaisers, die während ihrer ganzen langen Dienstzeit nicht ein hartes, tadelndes Wort von dem hohen Herrn gehört haben. Stets legt derselbe Milde und Güte, Nachsicht und Anerkennung an den Tag. Es sind oft Fälle vorgekommen, wo Bedienstete recht erhebliche Versehen begangen hatten und auf Entlassung gefaßt waren. Statt dessen hörten sie aus dem Munde ihres Gebieters nur die Worte: „Ich wünsche, daß Dergleichen nicht wieder vorkommt!“ Damit war die Sache erledigt. Und es kam gewiß nicht wieder vor.

Wenn zur Tafel keine Einladungen ergangen sind und die Majestäten allein speisen, so geschieht dies um 5 Uhr im sogenannten Vortragszimmer neben dem Arbeitszimmer des Kaisers. (Früher wurde in den oberen Räumen der Kaiserin servirt.) Das Diner besteht meist aus fünf Gängen und ist nur für die Majestäten allein servirt, die sich in vertraulicher Unterhaltung gegenüber sitzen. Austern, die der Kaiser sehr liebt, fehlen in der Saison nie auf der Tafel; ebenso Geflügel, und namentlich Kapaunen lieht der Kaiser vorzugsweise. Wein trinken die Majestäten wenig. Nur etwas Champagner oder Rothwein, letzterer mit Wasser vermischt, wird beliebt.

Noch immer ist der Gang des greisen Herrschers fest und sicher, die Gestalt aufgerichtet, sobald er sich im Gespräch befindet. Eines Stockes bedient sich derselbe in den Gemächern niemals. Beim Lesen und Schreiben setzt der Kaiser meist eine Brille auf, doch nicht immer; die Theaterzettel liest er ohne Brille.

[195] Sehr bemerkenswerth ist die Oekonomie und Sparsamkeit des Monarchen, so weit es seine Person betrifft. Sie erstreckt sich oft auf kleinste Dinge. Es kennzeichnen dieselben so recht die große Anspruchslosigkeit und Einfachheit seines Wesens. Um die Ausgaben für seine Person einzuschränken, läßt z. B. der Kaiser die Uniformsstücke, sogar die Leibwäsche, ausbessern oder ändern. Er trägt neuerdings mit Vorliebe ältere, ihm jetzt bequemere Kleidungsstücke. Die historischen hellgrauen, großen russischen Kragenmäntel, deren sich der Monarch bei Ausfahrten bedient, sind davon nicht ausgeschlossen.

Der Kaiser verläßt Punkt halb acht Uhr Morgens sein eisernes Feldbett und kleidet sich sogleich vollständig militärisch an. Schlafrock oder Schlafschuhe kennt er nicht. Dann nimmt er das erste Frühstück, Thee, zu sich und begiebt sich an seinen Arbeitstisch, wo er Schriftstücke und die ausgelegten Zeitungen liest, oder schreibt. (In den Journalen werden die den Monarchen besonders interessirenden Stellen roth und in die Augen fallend angestrichen.)

Alsdann kommen die Leibärzte, um nach dem Befinden Seiner Majestät zu sehen, und um zehn Uhr beginnen die Vorträge, die mit militärischen Meldungen abwechseln. In letzterem Falle vertauscht der Kaiser seinen schwarzen Interimsuniformsrock ohne Ausnahme mit dem dienstmäßigen Waffenrock.

Gegen elf Uhr wird das zweite Frühstück gebracht, das der Monarch meist stehend zu sich nimmt. Es besteht gewöhnlich nur aus einem belegten Brötchen und Bouillon, oder einem Glase Madeira oder Portwein. Später arbeitet der Kaiser wieder, hört Vorträge oder ertheilt Audienzen, die sich bis gegen zwei Uhr ausdehnen.

Ist das Wetter schön, dann unternimmt der Kaiser von zwei bis drei Uhr eine Spazierfahrt in Begleitung des dienstthuenden Flügeladjutanten. Später folgen dann wieder Audienzen, und um fünf Uhr wird das Diner eingenommen, auch wenn Einladungen dazu ergangen sind. Abends pflegt der Monarch das Theater zu besuchen mit Vorliebe Oper und Ballett, wo er oft bis zum Schlusse verweilt. Alsdann finden entweder noch größere oder kleinere Gesellschaften in den Gemächern der Kaiserin statt, oder der Kaiser bleibt Abends in seinem Arbeitszimmer und schreibt oft noch anhaltend und viel. Es ist kaum möglich, sich eine Vorstellung zu machen, welch überaus große Arbeitskraft der Monarch bei seinen hohen Jahren besitzt. Derselbe schreibt seine Privatkorrespondenzen meist allein, womöglich auch wohl dienstliche Erlasse oder dergl., so daß oft zwei Kopisten vollauf zu thun haben, um des Kaisers Arbeiten zu bewältigen.

Um den greisen Herrscher vor Erkältungen zu bewahren, war auf dringendes Anrathen der Aerzte das Arbeitszimmer aus der kälteren Ecke in das Vorzimmer verlegt worden. Der Monarch hat aber darauf bestanden, wieder zu dem historischen Eckzimmer zurückzukehren.

Sind keine größeren Festlichkeiten oder Gesellschaften bei den Majestäten, so begiebt sich der hohe Herr regelmäßig um halb elf Uhr zur Ruhe und das Tagewerk ist vollbracht.

So vollzieht sich das Leben des Kaisers alle Tage in Arbeit und Berufstreue!

Die einzige Veränderung, die sich in dem Wesen des bejahrten Monarchen neuerdings bemerkbar gemacht hat, ist eine größere Schweigsamkeit. Früher betheiligte sich derselbe mit besonderer Vorliebe auch einmal an den leichteren, mit Scherz vermischten Gesprächen und flocht in seiner trockenen Weise selbst launige Bemerkungen bei. Auch jetzt ist der Sinn für den Humor in ihm nicht erloschen, aber er greift jetzt seltener in derartige Konversation mit ein.

Wenn sich ihm Personen seiner Umgebung vordem mit Wünschen oder Bitten nahten und mit zaudernder Vorrede um die Erlaubniß baten, noch etwas vortragen zu dürfen, bediente sich der Kaiser häufig einer Berliner Redensart, die schon durch die Fassung und durch den ermunternden Ton eine halbe Gewährung enthielt. „Na, denn schießen Sie ’mal los!“ erwiederte er launig und lehnte sich horchend zurück.