Kornblumen zum 22. März 1887

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Autor: Elise von Hohenhausen
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Titel: Kornblumen zum 22. März 1887
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 192–194
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Königin Luise bekränzt auf der Flucht nach Memel den Prinzen Wilhelm mit Kornblumen.
Originalzeichnung von A. Zick.

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Kornblumen zum 22. März 1887.

Von Fr. v. Hohenhausen.

Reifendes Korn wallt im Sonnenschein wie ein goldenes Meer und schaukelt auf seinen glänzenden Wogen die blauen Blumen, die in ihrer Farbenpracht wie ein Stückchen Himmel aussehen, das frisch auf die Erde gefallen ist.

In der Wunderwelt der halbverklungenen Sage galt die „blaue Blume“ für das mystische Symbol der schönsten Regungen in der Menschenseele, als die Verkörperung des Ideals von Poesie und Glücksverheißung. Arme und Reiche, Dichter und Ritter suchten vergebens nach ihr, jetzt hat man sie aber gefunden; man weiß, daß sie Augentrost und Herzensfreude des größten lebenden Kronenträgers, daß sie die Lieblingsblume des Kaisers Wilhelm ist.

Die Weihe einer Kindheitserinnerung ruht für ihn auf der Blume des Feldes; schon im ersten Jahrzehnt seines Lebens wurde sie ihm dadurch theuer.

In dem unglücklichen Sommer von 1807 mußte die Königin Luise von Tilsit nach Memel flüchten. Die Reisewagen wurden mit Uebereilung hergerichtet und befanden sich nicht im besten Zustande. Die drei jüngsten königlichen Kinder fuhren mit ihrer Erzieherin und der Oberhofmeisterin, Gräfin Voß, voraus; die Königin nahm mit ihren beiden ältesten Söhnen, dem zwölfjährigen Kronprinzen Friedrich Wilhelm und dem zehnjährigen Prinzen Wilhelm, in einer Kutsche Platz, welche sich sehr bald als ganz ungeeignet erwies, die Ueberlastung von Koffern und Reisebedarf auszuhalten. Nach einer langsamen, beschwerlichen Fahrt brach plötzlich ein Rad, und die hohen Insassen standen hilflos auf der einsamen Landstraße. Der Kutscher spannte aus und schwang sich auf eines der Pferde, um aus einem der nahegelegenen Dörfer einen Schmied herbeizuholen. Dies gelang in kurzer Frist, eilfertig kamen die braven Gesellen herbei und hämmerten mit Eifer und Geschick an der baufälligen Kutsche. Aus den freundlichen hellen Augen der rußigen Gesichter schoß mancher bewundernde, aber ehrfurchtsvolle Blick nach der schönen Dame hin. Die Königin hatte sich geduldig in den Schatten einer Baumgruppe niedergelassen, welche an einem ausgedehnten Aehrenfelde lag. Mit kindlichem Vergnügen bemächtigten sich die beiden kleinen Prinzen der blauen Blumen, die dort in verlockender Pracht blühten, sie überschütteten die Mutter damit und baten sie, Kränze daraus zu flechten. Mit freundlicher Bereitwilligkeit erfüllte sie diese Bitte und wurde sichtlich heiter bei der lieblichen Beschäftigung.

Zum ersten Mal nach langer Zeit nahmen ihre edlen schmerzbewegten Züge wieder einen Ausdruck von Freudigkeit an. Der Kronprinz, der frühreifen Geistes war und sie stets mit liebevoller Sorge beobachtete, freute sich über ihren holden Anblick und sah es neidlos, daß sie den ersten fertigen Kranz auf die Stirn des jüngeren Bruders setzte, der sich schmeichelnd an ihre Kniee geschmiegt hatte. Er sah liebreizend aus unter der Blumenkrone, ganz wie ein Engel, der Trost spenden wollte. Die Königin küßte ihn zärtlich und empfand alle Wonne des Mutterstolzes.

Ach, hätte sie doch ahnen können, daß dieser Sohn einst ihr geliebtes Deutschland zum glänzendsten Siege führen und alle ihre Demütigungen durch höchste Ehren aufwiegen würde! Welch ein köstlicher Balsam würde eine solche Ahnung für die schmerzenden Wunden der königlichen Dulderin gewesen sein! Als sie so friedlich am Rande eines reifenden Kornfeldes unter Blumen mit ihren geliebten Kindern saß, konnte sie wohl auf Augenblicke die Qualen vergessen, welche der erbarmungslose Korse ihr erst kurz vorher bereitet hatte. Auf seine Einladung oder vielmehr auf seinen Befehl war sie nach Tilsit gekommen, um den Besuch des Eroberers wie eine Gnade zu empfangen.

Die Königin wohnte in Tilsit in zwei ärmlich eingerichteten Zimmern, in demselben Bürgerhause, worin ihr Gemahl logirte. Eine dunkle schmale Treppe mußte der Machthaber ersteigen, um ihr den verheißenen Besuch abzustatten. Er hatte sich eingestandener Maßen vor demselben gefürchtet, weil der enthusiastische Schönheitskenner Alexander I., damals noch sein guter Freund, ihm so viel von den bezaubernden Reizen der Königin erzählte hatte, daß er sich nicht für widerstandsfähig genug hielt. Er war ersichtlich in aufgeregter Stimmung und fühlte gewiß das Verlangen, den Tyrannenhochmuth zu befriedigen, die Besiegten auch noch zu kränken. Aber doch besaß er noch jugendliche Männlichkeit genug, um einer schönen Frau gegenüber sich ritterlich benehmen zu wollen. Er hatte sogar elegante Toilette gemacht und sprengte auf einem hübschen arabischen Grauschimmel, mit einem Versuch koketter Reitkunst, bis dicht unter die Fenster der harrenden Königin. Sie hatte ihn kommen sehen und mußte Zeugin sein, wie ihn die glänzende Suite seiner Generale enthusiastisch begrüßte: mehrere hohe Würdenträger stürzten sogar herbei, um ihm die Steigbügel zu halten. An der Thür standen König Friedrich Wilhelm III. und einige Prinzen zum Empfange bereit. Der kaiserliche Emporkömmling grüßte sie mit der zierlichen Reitpeitsche, dann nahm er den Hut ab und stolperte laut die schlechte Treppe hinauf. Die Königin eilte ihm entgegen und sagte: „Sire, ich bedauere es lebhaft, daß Sie über diese unbequemen Stufen sich zu mir bemühen müssen.“

Er antwortete artig sich verbeugend: „Um zu einem solchen Ziele zu gelangen, scheue ich keine Hindernisse.“

„Für einen Günstling des Glücks, wie Sie es sind, Sire, giebt es auch keine.“

„Das hätten Eure Majestät früher bedenken sollen, anstatt mir thörichter Weise den Krieg zu erklären,“ unterbrach Napoleon die erschrockene Königin.

Sie erwiederte hierauf das denkwürdige Wort: „Wir waren auf den Lorbeern des großen Friedrich eingeschlafen; sein Ruhm täuschte uns über unsere Macht.“ Dann wendete sie sich mit geistvoller Beredsamkeit und rührender Bitte an den Eroberer, um ihn zur Milde gegen Preußen zu stimmen, namentlich um ihr geliebtes Magdeburg wieder zu gewinnen. Die berühmte Scene mit der Rose, die sie ohne Magdeburg nicht von ihm annehmen wollte, spielte sich bei diesem Besuche ab. Napoleon brach eigenhändig eine Rose von einem Stock am niedrigen Fenster und wollte sie der Königin geben. Als sie dieselbe nicht gleich nahm, weil sie zugleich Magdeburg verlangte, sagte er mit rauhem Tone. „Madame, Sie vergessen, daß Sie mir keine Bedingungen vorschreiben dürfen.“

Nach dieser Beleidigung mußte die Königin noch zwei Tage in Tilsit aushalten. Napoleon gab ihr zu Ehren ein glänzendes Mittagsmahl, wobei sie zwischen ihm und Alexander I. saß. Beide Kaiser überboten sich an Artigkeit gegen sie, aber sie vermochte nicht daran zu glauben und fühlte auch mit Schmerzen die Nichtachtung, welche beide Machthaber ihrem Gemahl bewiesen. Napoleon soll namentlich zu seinen Hofschranzen von dem „Marquis de Brandebourg“ gesprochen haben. Letztere unterstanden sich, den edlen bescheidenen Monarchen, der, gebeugt durch sein Unglück, sich sehr schweigsam und ernst verhielt, den „Ritter von der traurigen Gestalt“ zu nennen. Die Königin bestrebte sich, durch die Beweise der innigsten Liebe und wahrhaften Verehrung ihren Gemahl aufzurichten. Nicht sein Muth war gebeugt, aber sein Gemüth verdüsterte sich. Hätte es gegolten, sich dem Feinde entgegen zu stellen, er wäre mit Feuereifer an die Spitze seiner Armee getreten, aber die Fesseln, welche der schmachvolle Frieden ihm auferlegte, drückten ihn nieder. Als er in Memel wieder mit seiner Familie vereinigt war, erheiterte sich sein Gemüth unter der liebevollen Einwirkung der Königin, welche ihn die Segnungen des häuslichen Glückes mitten in Entbehrungen kennen lehrte. Der königliche Haushalt war ganz bürgerlich einfach eingerichtet, das Ehepaar überlegte gemeinschaftlich den Küchenzettel, um ihn möglichst billig herzustellen. Der König trug den Regenschirm und führte seine Gemahlin am Arme oder ein Kind an der Hand. Die Wohnung war ein Gartenhäuschen, welches ein wohlhabender Bürger von Memel dargeboten hatte.

[194] Der französische General Savary, damals Gouverneur von Ostpreußen, gab mit grausamer Rohheit der Königin zu verstehen, sie solle ihre Schmucksachen verkaufen.

„Ach,“ erwiederte sie, „ich habe es längst gethan; nur eine Schnur Perlen besitze ich noch. Die bedeuten Thränen, die ich jetzt so häufig vergieße, darum passen Perlen für mich.“

Bei einem Feste, auf dem sie erscheinen mußte, trug sie einen Kranz von Kornblumen und sah „engelschön“ darin aus, wie in den Memoiren der Gräfin Voß zu lesen ist.

An dieses erste Jahrzehnt seines Lebens erinnert sich Kaiser Wilhelm noch immer mit Wehmuth: das verklärte Bild der Mutter schwebt ihm im Schmuck der blauen Blumen vor Augen.

Zwei Jahrzehnte später, auch in der schönen Sommerzeit, wo die Rosen und die Linden blühen und das reifende Korn sich mit blauen Blumen schmückt, machte Prinz Wilhelm eine Reise, über welcher ein Glücksstern aufgegangen war: er holte sich die siebzehnjährige holde Braut aus Weimar. Die Trauung sollte am 11. Juni 1829 in der Schloßkapelle zu Berlin vollzogen werden. Nach althergebrachter Sitte mußte die Prinzessin Augusta im Schlosse von Bellevue unweit Berlin absteigen und von dort aus in feierlichem Aufzuge sich zur großen Kapelle des Berliner Schlosses begeben.

Die Fahrt von Weimar nach Berlin dauerte volle drei Tage!

Daß der hohe Verlobte dieselbe mitmachte, war nicht von der Etikette diktirt, sondern von seinem Herzen. Wie der ritterliche Feramors in der schönen Dichtung „Lalla Rookh“ von Thomas Moore, wollte er das Märchenglück einer Brautfahrt genießen. Er fuhr in einem offenen Galawagen, mit vier prächtigen Rappen in Silberbeschlägen bespannt, unter dem Jubelruf der dichtgedrängten Menge aus dem Schloßhofe von Weimar eine Stunde früher als die Braut fort.

Augenzeugen schilderten seine Persönlichkeit mit Bewunderung und proklamirten ihn als den schönsten Mann seiner Zeit: er war hochgewachsen, kräftig gebaut; seine edlen jugendfrischen Gesichtszüge hatten neben dem Ausdruck würdevoller Festigkeit eine herzgewinnende Leutseligkeit. Goethe schrieb über ihn: „Man kann ihn nicht sehen, ohne ihm von Herzen ergeben zu sein und ihn aufrichtig hochzuachten; er ist ein ernster und männlicher Charakter.“

Wie schön die Prinzessin-Braut war, kann man sich denken, wenn man erfährt, daß sie ihrer erlauchten Mutter glich, welche dieselbe weltberühmte Schönheit besaß wie ihre Brüder, die Kaiser Alexander I. und Nikolaus I.; auch über Prinzessin Angusta hat Goethe das maßgebende Urtheil gefällt, daß sie schon in frühester Jugend einer ernsten Geistesrichtung ergeben war. Als sie in den bräutlichen Triumphwagen stieg, der mit Blumenketten geschmückt und mit sechs weißen, hermelinartig schwarzgefleckten Pferden bespannt war, schwebte ein Lächeln des Glücks auf ihrem rosigen Antlitz; aber Thränen der Rührung glänzten in ihren schönen Augen, die dem herzlichen Abschied galten, welchen die weißgekleideten Jungfrauen von Weimar von ihr nahmen, indem sie die Prinzessin mit Kränzen, Gedichten und Geschenken überhäuften. Sie selbst und ihre Hofdamen hatten kaum Platz in dem blumengefüllten Wagen.

In dem Städtchen Eckartsberga wurde die Prinzessin von den Abgesandten des Königs von Preußen empfangen, um nach altem Brauch als „Landeseigenthum“ feierlich begrüßt zu werden. Bei dieser Ceremonie wie bei all den zahlreichen anderen Ovationen war der vorausgeeilte Bräutigam zugegen, um dieselben durch seinen Zuspruch erleichternd für die junge Prinzessin zu gestalten.

Hier spielte sich eine idyllische Scene ab: die Ehrenpforten von Eckartsberga waren reich geschmückt mit den schönsten Kornblumen, woran sich der Prinz sichtlich erfreute. Er ließ sich zwei Sträußchen davon geben, überreichte einen der Geliebten und steckte den andern sich selbst an. Nun wußte sie, daß er die blaue Blume ganz besonders liebte, und vergaß es nie, sie auf allen Geschenken für ihn anzubringen; sowohl gestickt wie gemalt, hat sie dieselbe unzählige Male dargestellt; gleichsam als Sinnbild des Familienglücks schien die bescheidene Feldblume verehrt zu werden.

Die Ehe des jungen Prinzenpaars gestaltete sich schattenlos; doch fehlte längere Zeit der erwünschte Kindersegen; erst nach zwei Jahren wurde der glorreiche Thronfolger geboren, nämlich am 18. Oktober 1831; daß er an diesem denkwürdigen Tage das Licht der Welt erblickte, hielten alle wahrhaften Patrioten mit Recht für eine gute Vorbedeutung. Auch daß er von allen Enkeln am meisten der Königin Luise ähnlich sieht, ja eigentlich allein der Universalerbe ihrer Schönheit geworden ist, machte ihn zum Liebling des deutschen Volkes. Es schien fast, als sollte er das einzige Kind seiner hohen Eltern bleiben; erst nach sieben Jahren wurde ihnen die Tochter geboren, welche mit idealer Pietät das Leben des Vaters verschönt und behütet.

Am 22. März wird sich das Kaiserauge an der Fülle der Kornblumen erfreuen, die zur neunzigsten Geburtstagsfeier dargebracht werden. Wie alljährlich prangen die Gemächer des Kaisers im reichsten Schmuck von exotischen Gewächsen, aber die einheimische schlichte Kornblume nimmt doch überall den höchsten Rang ein. Sinnend steht Kaiser Wilhelm oft an dem historischen Eckfenster seines bescheidenen Wohnhauses, auf welches der Titel „Palais“ kaum anwendbar ist, und fällt sein Blick auf das Standbild des großen Königs, so denkt er wohl an die merkwürdige Vorbedeutung, daß gerade an dieser Stelle das Denkmal des Herrschers errichtet wurde, der den Hohenzollern den Weg zum Ruhme zeigte, aber in seinen kühnsten Hoffnungen nicht ahnen konnte, bis zu welcher Höhe sie emporsteigen würden.

Kaiser Wilhelm’s feste und doch so milde Hand legte den Grundstein zu Deutschlands welthistorischer Größe.

Das Arbeitszimmer des Kaisers, an dessen Fenstern ihn stets so viele tausend Augen suchen, ist sein Lieblingsaufenthalt und trägt das Gepräge seiner Eigenthümlichkeit. Er hat dort alle theuern Erinnerungen um sich gesammelt, ganz besonders aber die Reliquien des Andenkens seiner Mutter. Neben dem Schreibtisch auf einer Platte von schwarzem Marmor erinnern gemalte Kornblumen an sie, und ein kleiner Schrein birgt ihre schöne Todtenmaske. Nur sehr selten ist es möglich, sie zu betrachten, aber niemals wird das Auge sie vergessen, welches sie auch nur einmal sah!