Aus dem Leben eines genialen Prinzen

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Autor: M. R.
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Titel: Aus dem Leben eines genialen Prinzen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 555–558
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Louis Ferdinand, Prinz von Preußen
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Aus dem Leben eines genialen Prinzen.

Es war im Jahre 1792; das monarchische Europa hatte der französischen Revolution den Krieg erklärt, und Preußen dabei die Hauptrolle übernommen. Damals war Prinz Louis Ferdinand, der Neffe Friedrich des Großen, ein junger Mann von zwanzig Jahren, der den berüchtigten Feldzug oder vielmehr Rückzug aus der Champagne als Obrist eines Regiments zu Fuß mitmachte. Zufällig begegnete ihm Goethe, der im Gefolge des Herzogs von Weimar sich befand.

„Wir trafen auf einen Husarenposten“ – erzählt der Dichter – „und sprachen mit dem Officier, einem hübschen jungen Mann. Die Kanonade war weit über Grandpré hinaus und er hatte Ordre, nicht vorwärts zu gehen, um nicht ohne Noth eine Bewegung zu verursachen. Wir hatten uns lange besprochen, als Prinz Louis Ferdinand mit einigem Gefolge ankam, nach kurzer Begrüßung und Hin- und Wiederreden von dem Officier verlangte, daß er vorwärts gehen solle. Dieser that dringende Vorstellungen, worauf der Prinz nicht achtete, sondern vorwärts ritt, dem wir dann Alle folgen mußten. Wir waren nicht weit gekommen, als ein französischer Jäger sich von fern sehen ließ, an uns bis auf Büchsenschußweite heransprengte und sodann umkehrend wieder verschwand. Ihm folgte der zweite, dann der dritte, welche ebenfalls wieder verschwanden. Der vierte aber, wahrscheinlich der erste, schoß die Büchse ganz ernstlich auf uns ab, man konnte die Kugel deutlich pfeifen hören. Der Prinz ließ sich nicht irren, und jene trieben auch ihr Handwerk, so daß mehrere Schüsse fielen, indem wir unsern Weg verfolgten. Ich hatte den Officier manchmal angesehen, der zwischen Pflicht und zwischen dem Respect vor einem königlichen Prinzen in der größten Verlegenheit schwankte. Er glaubte wohl in meinen Blicken etwas Teilnehmendes zu lesen, ritt auf mich zu und sagte: „Wenn Sie irgend etwas auf den Prinzen vermögen, so ersuchen Sie ihn, zurückzugehen, er setzt mich der größten Verantwortung aus; ich habe den strengsten Befehl, meinen angewiesenen Posten nicht zu verlassen, und es ist nichts vernünftiger, als daß wir den Feind nicht reizen, der hinter Grandpré in einer festen Stellung gelagert ist. Kehrt der Prinz nicht um, so ist in Kurzem die ganze Vorpostenkette allarmirt, man weiß im Hauptquartier nicht, was es heißen soll, und der erste Verdruß ergeht über mich ganz ohne meine Schuld.“

„Ich ritt an den Prinzen heran und sagte: „Man erzeigt mir soeben die Ehre, mir einigen Einfluß auf Ihre Hoheit zuzutrauen, deshalb ich um geneigtes Ohr bitte.“ Ich brachte ihm darauf die Sache mit Klarheit vor, welches kaum nöthig gewesen wäre, denn er sah selbst Alles vor sich und war freundlich genug, mit einigen guten Worten umzukehren, worauf denn auch die Jäger verschwanden und zu schießen aufhörten. Der Officier dankte mir auf’s [556] Verbindlichste, und man sieht, daß ein Vermittler überall willkommen ist.“

Der Rückzug führte den Prinzen nach Frankfurt a. Main, wo er sich für die Strapazen des Krieges in seiner gewohnten Weise schadlos hielt, bald ein interessantes Liebesabenteuer verfolgend, bald am Spieltisch das Glück und seine Launen herausfordernd. Mitten in diesem Taumel von Zerstreuungen und Vergnügen brach aber immer wieder seine edlere, künstlerisch geniale Natur hervor. Viele Stunden widmete er vorzugsweise der Musik; er selbst war ein vollendeter Virtuose auf dem Clavier, und seine Compositionen tragen den Stempel der höheren Weihe und eines nicht gewöhnlichen Talents. Musiker, Liebhaber und Virtuosen drängten sich an ihn, suchten und fanden bei ihm Aufmunterung und Unterstützung in einem Maße, das seine Humanität oft in überraschender Weise bekundete. Ein heruntergekommener Virtuose wandte sich in Frankfurt an ihn; der Prinz konnte ihm nicht ausreichend helfen, da fiel er plötzlich auf einen Ausweg.

„Kündigen Sie an, daß ich eine Claviersonate in Ihrem Concerte spielen werde,“ rief er, und der Erfolg überstieg jede Erwartung, da die ganze Stadt natürlich voll Neugierde herbei strömte, um das seltsame Schauspiel zu genießen, einen preußischen Prinzen in einem öffentlichen Concerte zu bewundern.

Im folgenden Jahre wurde der Feldzug gegen die Franzosen fortgesetzt. Der Prinz war bei dem Heere und seine Anwesenheit wurde durch zwei Thaten der edelsten Menschlichkeit bezeichnet. Bei der Belagerung von Mainz war ein Vorspannsbauer im Gedränge vom Pferde gesunken, und ein Packwagen ihm über den Fuß gefahren. Die Leute umstanden zwar den Unglücklichen, ohne ihm jedoch die dringend nöthige Hülfe zu bringen. Da eilte der Prinz, welcher an seinem Fenster den Vorfall beobachtete, schnell hinab, hob den armen Bauer auf seine Schultern, trug ihn auf sein Bett und ließ ihn bis zu seiner Wiederherstellung verpflegen.

Zwei Monate später fand ein Gefecht zwischen österreichischen Plänklern und dem Feinde statt, der diesen scharf zusetzte. Prinz Louis war zugegen, und sah durch die wohlgezielten Schüsse der Franzosen manchen wackeren Kämpfer fallen. Ein Soldat vom Regimente Pellegrini wurde im Zurückweichen getroffen und sank; im Fallen bat er seine Cameraden flehentlich, ihn doch mitzunehmen. Keiner hörte ihn, da der Feind immer näher rückte, der Prinz ermunterte die Nächsten, den Verwundeten zu retten, und bot sogar eine ansehnliche Summe, aber Niemand wollte sich der Gefahr aussetzen, sein Leben oder im besten Falle seine Freiheit zu verlieren. Da entschließt sich Louis, schreitet kühn im Kugelregen bis zu dem Verwundeten, packt ihn im Angesicht des Feindes mit seinen starken Armen auf und bringt ihn glücklich herüber, obgleich alle Schüsse auf ihn gerichtet wurden. Die That erregte das größte Aufsehen, die Oesterreicher nannten mit Begeisterung den Namen des Prinzen, und der gemeine Soldat jauchzte ihm zu, wo er sich zeigte.

Der Krieg nahm für die Verbündeten bekanntlich eine unglückliche Wendung und Preußen sah sich genöthigt, den Frieden zu Basel mit Frankreich zu schließen. Der Prinz war mit diesem Ausgange im höchsten Grade unzufrieden und sprach in diesem Sinne unverhohlen und oft in starken Ausdrücken seine Meinung aus. Der Frieden wirkte nicht vortheilhaft auf seine feurige Natur, welche ohne Beschäftigung nur allzuleicht auf Abwege gerieth und von dem Strudel der damals herrschenden Frivolität sich hinreißen ließ. Er trug alle Keime eines großen Mannes in sich, aber die Zeit und der Boden waren nicht zu ihrer Entwickelung günstig. Die gehemmte Thatkraft des Prinzen machte sich in Ausschweifungen aller Art, besonders in sinnlichen Zerstreuungen Luft, aber selbst in seinen Leidenschaften behielt seine bessere Natur stets die Oberhand. Nach einer durchschwelgten Nacht kehrte er zu seinen wissenschaftlichen Studien, am liebsten zur Musik zurück. Alle edlen Gefühle und tiefen Empfindungen, deren er vollkommen fähig war, drückte er in freien und kühnen Phantasien aus, eine stille Einkehr in seine Seele haltend.

Die ungeordnete Lebensweise des Prinzen mußte um so mehr auffallen, da das junge Königspaar, Friedrich Wilhelm der Dritte und die unvergeßliche Louise, als das Vorbild häuslicher Tugend und reinster Sitte erschien. Zu allerlei ärgerlichen Geschichten, die von der geschäftigen Fama noch schlimmer gemacht wurden, als sie an und für sich schon waren, kamen noch Schulden, und zwar in einer kaum zu bewältigenden Höhe, hinzu. Der Prinz war von Natur freigebig, großmüthig, sorglos, zum Aufwande geneigt, weder voraus- noch nachrechnend. Seine Gläubiger drängten ihn, und der haushälterische Vater gab nur eine verhältnißmäßig geringe Zulage; außerdem überließ diesem der Sohn die ihm zugefallene bedeutende Erbschaft seines Oheims, des Prinzen Heinrich, zur lebenslänglichen Verwaltung, als er gesehn, daß der ihm dadurch bewiesene Vorzug den Vater kränke. Da das Beispiel des Prinzen verführerisch auf den Kreis der jüngeren, ohnehin zum Uebermuth und zur Verschwendung geneigten Officiere wirkte, die sich ihm anschlossen und in ihm ihr glänzendes Vorbild verehrten, so empfing Louis den Befehl, Berlin zu verlassen und bei seinem Regimente in Magdeburg zu bleiben. Hier besuchte er einmal mit einer ganzen Gesellschaft die Vorstellung englischer Reiter und gab, als der Teller zum Sammeln umherging, für sich und seine Begleitung ein Goldstück, was den Umständen nach weder zu viel noch zu wenig sein mochte. Ein kleiner elegant gekleideter Kaufmann, der dicht dabei stand, wollte die Gelegenheit, den königlichen Prinzen zu überbieten, nicht vorüberlassen und legte mit auffallender Art zwei Goldstücke auf den Teller. Ein Begleiter des Prinzen machte diesen auf das Benehmen des kleinen Kaufmanns aufmerksam; der Prinz aber zog den Hut sehr höflich ab und sagte mit einem lachenden Blick auf das Gold, gleichsam betroffen: „O, davor habe ich den größten Respect!“

Dieser unfreiwillige Aufenthalt in Magdeburg hielt indeß den Prinzen nicht ab, von Zeit zu Zeit wieder nach Berlin zurückzukehren. Dort war ein neues geistiges Leben und eine Geselligkeit im höheren Sinne aufgeblüht. Männer wie Gentz, die Brüder Friedrich und August Schlegel, Schleiermacher, Fichte, Bernhardi traten mit den kühnsten Meinungen über Kunst und Wissenschaft hervor. Der Prinz nahm an ihren Bestrebungen den lebhaftesten Antheil, lernte sie meist persönlich kennen und fühlte sich mächtig von dieser geistigen Bewegung angezogen. Später kam noch der berühmte Geschichtsschreiber Johannes von Müller hinzu, der in einem Briefe an eine Dame folgendes Urtheil über den Prinzen fällt: „Ich habe ein langes Gespräch mit dem Prinzen Louis gehabt. Ich war überhaupt sehr davon bezaubert: er ist einer der schönsten Männer; er weiß mehr, als ich erwartete; er hat viel Geist und Energie, ganz gewiß. Er ist ein Mann, der in Zeiten der Noth dem Könige und dem Staate solche Dienste leisten wird, wie der große Friedrich sie von Heinrich erfuhr; er hat unendliche Hülfsmittel in sich; möchte er nur stets von Leuten umgeben sein, die für den König und das Vaterland wie ich denken; dies ist ein wichtiger Punkt bei einem Charakter wie der seine; Wissen und Geist haben großes Gewicht bei ihm, und ich würde nie glauben, daß er irgend etwas unternähme, was er von Personen mißbilligt sähe, deren Zustimmung ihm Werth wäre.“ Auch mit Schiller trat der Prinz bei der Anwesenheit des Dichters in Berlin in ein näheres Verhältniß; er behandelte ihn mit Auszeichnung und zog ihn zu Tisch.

Gern verweilte der Prinz auf seinem ihm zugehörigen Gute Schricke, unweit Magdeburg an der Elbe gelegen, wo er sich mit der Jagd belustigte. Diese betrieb er nicht, wie manche große Herren, als eine vornehme Beschäftigung, als eine fürstliche Reservatfreude, sondern mit freiem Behagen, wie eine heitere Anstrengung, wobei an Geschicklichkeit im Rennen, Reiten und allen dazu gehörigen Fertigkeiten es ihm der Geübteste und Fertigste nicht vorthat. Hier wurden Säue abgefangen und der edle Hirsch gehetzt. Nach der Jagd versammelten sich Freunde und Bekannte zum frohen, geistreichen Mahle, wobei auch die Frauen nicht fehlen durften. Das Mahl wurde im antiken Sinne durch geistreiche Gespräche und Musik gewürzt und oft bis in die späte Nacht verlängert. Neben dem Prinzen stand ein Piano. Eine Wendung, und er fiel in die Unterhaltung mit Tonaccorden ein, die dann der Capellmeister Dussek, der immer in seiner Umgebung lebte, auf einem andern Instrumente weiter fortführte. So entstand oft zwischen Beiden ein musikalischer Wettkampf, ein musikalisches Gespräch konnte man es nennen, das alle durch Worte angeregte Empfindungen der Seele in bezaubernden Tönen lebhafter fortklingen ließ.

Im Frühjahr 1804 kam Frau von Staël, die berühmte Schriftstellerin, nach Berlin. Prinz Louis war täglich mit ihr zusammen und Beide zogen sich gegenseitig an. Beide fanden vielfache Berührungspunkte, besonders in ihrem Urtheil über Napoleon, der damals zwar die Welt mit seinem Ruhm erfüllte, aber auch bereits seinen herrschsüchtig egoistischen Charakter immer offener entwickelte. Der Prinz sagte einst von ihm:

[557] „Ich erlaube ihm, zu tadeln, aber moralisch zu meuchelmorden, das empört mich.“

Die Staël wohnte auf dem Kai der Spree, und ihre Zimmer lagen zur ebenen Erde. Eines Morgens um acht Uhr wurde sie von ihren Leuten mit der Meldung geweckt, daß der Prinz zu Pferde unter ihrem Fenster halte und sie zu sprechen wünsche. Sehr erstaunt über diesen frühen Besuch, eilte sie aufzustehen und sich anzuziehen. Sie fand ihn, das edle Gesicht voll Schmerz und Entrüstung.

„Wissen Sie,“ rief er ihr vom Pferde zu, „daß der Herzog von Enghien im badischen Gebiete aufgehoben, einem Kriegsgerichte übergeben und vierundzwanzig Stunden nach seiner Ankunft in Paris erschossen worden ist?“

„Welche Thorheit!“ erwiderte sie ungläubig. „Sehen Sie nicht, daß nur die Feinde Frankreichs ein solches Gerücht ausstreuen?“

„Da Sie zweifeln,“ versetzte der Prinz, „so werde ich Ihnen den Moniteur schicken, wo Sie das Urtheil lesen werden.“

Mit diesen Worten sprengte er fort, und der Ausdruck verkündete Tod und Rache dem verhaßten Usurpator.

Immer ernster wurden die Zeiten und die Lage Preußens immer verwickelter; der König konnte sich seinem bedächtigen Charakter gemäß zu keinem kühnen Schritt entschließen und neigte, von seiner ganzen Umgebung mehr oder minder bestärkt, zum Frieden, während Prinz Louis vor Allem ein entschiedenes Handeln forderte.

„Aus Liebe zum Frieden,“ sagte er in einem Gespräche mit Friedrich Wilhelm dem Dritten, „nimmt Preußen gegen alle Mächte eine feindliche Stellung ein und wird einmal in derselben von einer Macht schonungslos überflügelt werden, wenn dieser der Krieg gerade recht ist. Dann fallen wir ohne Hülfe und vielleicht auch gar noch ohne Ehre.“

Er hatte nur zu wahr gesprochen, aber dem Propheten glaubte man nicht. Derartige Reden waren nur dazu angethan, die Kluft zwischen diesen beiden ohnehin so verschiedenen Naturen zu erweitern. Die Feinde des Prinzen beschuldigten ihn wegen seiner oft unüberlegten Worte geradezu der Rebellion und bestärkten nur die Abneigung und das Mißtrauen des Königs, welches dieser ohnehin gegen alles „Genialische“ empfand.

Unterdeß trat Napoleon auch Preußen gegenüber in einer Weise auf, die früher oder später einen Zusammenstoß befürchten ließ. Die Gelegenheit war günstig; Rußland, Oesterreich und England hatten ein neues Bündniß im Frühjahr 1805 gegen die drohende Macht des Welteroberers geschlossen und Preußen zur Theilnahme aufgefordert. Die Verletzung des preußischen Gebietes durch französische Truppen in Franken wurde vom Könige, so wie von dem ganzen Volke mit allgemeiner Entrüstung aufgenommen. Die Kriegspartei, an deren Spitze der Prinz Louis stand, jubelte; das Heer wurde auf den Kriegsfuß gesetzt und mobil gemacht; aber der König und besonders seine Umgebung hofften noch immer, die Ehre Preußens auf diplomatischem Wege durch Verhandlungen und Zögern mühsam zu wahren. Der charakterlose Graf Haugwitz, der zu Frankreich neigte und besonders von Napoleon sich durch einige wohlangebrachte Schmeicheleien bestechen ließ, wurde in das Hauptquartier des Kaisers abgesendet. Beim Abschiede fragte er den Prinzen hämisch triumphirend: „Haben Ew. Königliche Hoheit keine Befehle für mich nach Wien?“ Mit Würde antwortete der Prinz: „Herr Graf, hätte ich Befehle zu geben, Sie würden sie nicht überbringen.“

Das preußische Heer rückte ins Feld, doch hielten die siegreichen Fortschritte Napoleon’s in Oesterreich dasselbe in seinem Laufe auf. Prinz Louis Ferdinand war bei den Truppen in Sachsen und traf hier mit dem Herzog von Weimar und auch mit Goethe wieder zusammen. Diesmal kam er dem Dichter näher und er schrieb darüber an seine Geliebte aus Gera nach Berlin: „Ich habe nun Goethen wirklich kennen gelernt; er ging gestern noch spät mit mir nach Hause, und saß dann vor meinem Bette, wir tranken Champagner und Punsch, und er sprach ganz vortrefflich! Endlich deboutonnirte sich seine Seele; er ließ seinem Geiste freien Lauf; er sagte viel, ich lernte viel, und fand ihn ganz natürlich und liebenswürdig.“ Der Herzog von Weimar erzählte viele Jahre später noch gern diese Zusammenkunft; er selber hatte sich früh zurückgezogen, „die Andern aber tranken die ganze Nacht ungeheuer viel,“ sagte er, „um die Wette, und Goethe blieb nichts schuldig, er konnte fürchterlich trinken!“

Unterdeß hatte Graf Haugwitz im französischen Hauptquartiere mit Napoleon neue Verträge geschlossen, welche der zum Kriege geneigten Partei alle Hoffnung darauf benahmen und außerdem einen für Preußen höchst bedenklichen Ländertausch enthielten. Die Armee kehrte ohne einen Schwertstreich zurück; Scham und Ingrimm erfüllte die Gemüther. Niemand war jedoch mehr über diesen Ausgang empört, als Prinz Louis. Aus diesem vereitelten Feldzuge kam er nach Halle und aß bei dem Capellmeister Reichardt in Giebichenstein, der, wie er selber, Napoleon von ganzer Seele haßte. Um recht auszudrücken, wie schmachvoll für die Deutschen die Allgewalt des Usurpators sei, that der Prinz bei Tisch die charakteristische Aeußerung: „Ja, wenn Bonaparte einmal ein Gericht Prinzenohren haben will, so sind meine“ – und er faßte sich an beide – „in Gefahr, denn bekommen wird er sie!“

In Berlin war die Verstimmung am heftigsten und lautesten. Dem zurückgekehrten Haugwitz wurden die Fenster eingeworfen, dagegen dem Minister Hardenberg, welcher entgegengesetzten Ansichten folgte und darum für einige Zeit aus dem Staatsdienste scheiden mußte, von der kriegerisch gesinnten Jugend und besonders von den tonangebenden Officieren des Regiments Gensd’armen fast jeden Abend in auffallender Weise Ständchen durch Militairmusik gebracht. Der Prinz lebte seit seiner Rückkunft von der Armee zurückgezogen, er schien weit ernster geworden zu sein. Er schloß sich jetzt vorzugsweise enger an Männer einer festen Richtung an. Dazu gehörte vor Allen der Minister Stein, den der Prinz öfters sah. Was in jener Zeit den Geist des Prinzen beschäftigte, traf in Stein auf anklingende Saiten; bei Gleichheit der Ansichten und Gefühle fehlte es an wohlthuenden Berührungspunkten nicht, und bald erwachte in ihm eine Achtung und ein Zutrauen für den Minister, die der eines Jüngers gegen den Meister zu vergleichen war. Auch zu dem Könige trat er wieder in ein minder gespanntes Verhältniß; durch die Bemühungen der Königin Louise, welche ihre Blicke auf die äußere Lage Preußens richtete, war es gelungen, eine Versöhnung zwischen diesen sich schroff gegenüberstehenden Charakteren herbeizuführen. Der Prinz bezog eine Sommerwohnung in Moabit bei Berlin. In dieser Villa waren Johannes von Müller und Humboldt sehr oft gesehene Gäste; auch an Frauen fehlte es nicht, welche die Geliebte des Prinzen, Madame Wiesel, eben so schön als originell, um sich versammelte. Hier traf man auch die geistreiche Rahel, welche der Prinz überaus hochschätzte und die ihm trotz ihrer jüdischen Abkunft und ohne hervorstechende körperliche Reize die innigste Freundschaft abzugewinnen wußte, welche Beiden in gleicher Weise zur Ehre gereichte. Trotz seiner Sinnlichkeit vermochte der Prinz die wahre Weiblichkeit mit echt ritterlichem Sinne zu ehren, wo er sie auch immer finden mochte. Dafür legte seine wahrhaft poetische Liebe Zeugniß ab, die ihn an Emilie von Rauch, ein liebenswürdiges Mädchen in Berlin, kettete. Wären die Briefe vorhanden, die er ihr geschrieben, man würde die Rosenjahre der Liebe aus den Zeiten des Mittelalters darin finden; leider wurden sie alle der armen Emilie, die bald nach dem Tode des Prinzen starb, auf die flehende Bitte der Verscheidenden in das frühe Grab gelegt.

Durch die geschlossenen Verträge wurde Preußens Lage nur noch bedenklicher, Napoleon verfuhr mit einer Willkür und Hinterlist, welche nothwendiger Weise den bis dahin verschobenen Krieg zum Ausbruch bringen mußte; er traf diesmal Preußen allein, ohne Bundesgenossen, ohne Vorbereitung. Man pochte aber auf den alten Ruhm der preußischen Waffen, auf den Namen des großen Friedrich, nachdem sein Geist längst mit ihm verschwunden war. Altersmüde, unfähige Feldherren oder Führer, welche auf der Parade ihre Lorbeern und ihren Rang erworben hatten, standen dem Genie eines Napoleon gegenüber, der in unzähligen Schlachten sein Uebergewicht den ältesten und mächtigsten Monarchien bewiesen hatte. Das preußische Heer war trefflich ausgerüstet und dressirt, aber keineswegs den Soldaten der Revolution gewachsen, welche in jugendlicher Kraft und Begeisterung unter einem solchen Genius von Sieg zu Siege flogen. Dazu kam die größte Selbstüberschätzung, Sorglosigkeit und Nichtachtung des gewaltigen Feindes von Seiten der preußischen höheren und unteren Officiere. Prinz Louis, wenn auch von gleicher Kampfbegier wie früher beseelt, war doch weit entfernt, den blinden Wahn der Seinigen zu theilen.

„Ich wünsche den Krieg,“ sagte er bei dieser Gelegenheit, „weil er das Einzige ist, was uns übrig bleibt, weil die Ehre ihn fordert; aber ich weiß sehr gut, daß wir auch unterliegen können.“

Zu denen, welche eine allzu große Zuversicht in den Ausgang [558] des bevorstehenden Krieges setzten, gehörte seine eigene Mutter, Prinzessin Ferdinand, welche alles Preußische für unerschütterlich hielt.

„Liebe Mutter,“ erwiderte er bei einer ähnlichen Aeußerung, „denken Sie denn, das könne niemals anders sein, es werde immer getrommelt werden, wenn Sie aus dem Thore fahren? Sie fahren einmal spazieren, und es wird nicht getrommelt, glauben Sie mir’s!“

Solche Befürchtungen sprach er mehrfach unumwunden aus; auch sorgte er, bevor er in das Feld rückte, für seine Kinder Louis und Blanche und deren Mutter, eine Demoiselle Fromm, ein sanftes Mädchen, das ihm mit wahrer Liebe ergeben war, obgleich sie in geistiger Beziehung ihm nicht genügen konnte. Auch auf seine zahllosen Gläubiger war er bedacht, und suchte wenigstens die Berechtigung ihrer Ansprüche festzustellen.

Er hatte die Bestimmung erhalten, auf dem linken Flügel des Heeres die Vortruppen anzuführen. In Leipzig traf er mit den Generalen Blücher und Rüchel zusammen, den tüchtigsten und ruhmvollsten des ganzen Heeres, mit denen er einen Todesbund einging, der sich für ihn nur allzuschnell erfüllen sollte. Von seiner damaligen Stimmung legt ein Brief an Rahel von Varnhagen aus Leipzig vom 11. September 1806 das beste Zeugniß ab.

„Heute,“ schreibt ihr der Prinz, „haben wir hier ein Rendezvous der verschiedenen Avantgarde-Chefs gehabt, der Generale Blücher und Rüchel und mir, der die des linken Armeecorps commandirt; morgen geht Jeder zu seiner Bestimmung ab. Ein Wort gaben wir uns Alle, ein feierliches, männliches Wort, und gewiß soll es gehalten werden – bestimmt das Leben daran zu setzen, und diesen Kampf, wo Ruhm und hohe Ehre uns erwartet, oder politische Freiheit und liberale Idee auf lange erstickt und vernichtet werden, wenn er unglücklich wäre, nicht zu überleben! Es soll so gewiß sein! Der Geist der Armee ist trefflich und würde es noch mehr sein, wenn mehr Bestimmtheit und erregende Kraft in der Politik wäre, und mehr fester Wille die schwachen und schwankenden Menschen bestimmte! – Was ist dieses erbärmliche Leben? Nichts, auch gar nichts! – Alles Schöne und Gute verschwindet, erhaben ist das Schlechte, und die traurige Erfahrung reißt unbarmherzig alle schönen Hoffnungen von unseren Herzen! So muß es in diesem Zeitalter sein, denn so erstarken auch alle schönen und menschenbeglückenden Ideen! Nur das Erbärmliche blieb, nur dies siegt – warum also beklagen, wenn im Kleinen geschieht, woran ein ganzes Zeitalter leidet!“

Auch mit Goethe traf der Prinz noch einmal zusammen, der ihn „nach seiner Art tüchtig und freundlich“ fand, und in seinen Schriften dieser Begegnung gedenkt. Das Hauptquartier des Fürsten Hohenlohe, zu dessen Heeresabtheilung der Prinz gehörte, befand sich in Jena. Hier mußte er die Entscheidung des Kriegsrathes, der in Erfurt abgehalten wurde, mit banger Ungeduld erwarten. Der Fürst kam in der Nacht von Erfurt zurück, und hatte eine zweistündige Unterredung mit dem Prinzen, worin diesem die vollkommene Planlosigkeit des ganzen Feldzuges und die Rathlosigkeit der Führer klar wurde. Seitdem war alle seine Munterkeit dahin, seine Hoffnung und sein Vertrauen verschwanden, seine einzige Furcht war, die Gelegenheit zum Kampf und zum Tode zu versäumen. Er hatte festen Sinnes die Würfel über sich geworfen. Er ging zu seinen Truppen nach Rudolstadt, wo die fürstliche Familie seine Ankunft mit einem Ball und Mahle im Schlosse feierte. Zum letzten Male überließ sich der Prinz seiner Lebenslust; er war heiter und liebenswürdig. Die geistreiche Fürstin forderte ihn auf, eine Probe seines musikalischen Talents zu geben; er setzte sich an das Clavier und spielte noch zum Entzücken und zur Bewunderung seiner Zuhörer über eine Stunde im freien Laufe der Gedanken auf dem Piano. Das war sein Schwanengesang!

Drei Tage später drängten die französischen Vortruppen unter Marschall Lannes die preußischen Posten bei Saalfeld. Bei der ersten Nachricht eilte der Prinz mit sechstausend Mann auf den Kampfplatz. Er führte die Reiter in’s Gefecht, gesellte sich zum Fußvolke, ritt unter den Schützen umher, entwickelte eine eben so große Thätigkeit als Besonnenheit, die man ihm nicht zugetraut hatte. Seine Reiterei konnte die immer stärker andringenden feindlichen Massen nicht abhalten; die vom Fürsten Hohenlohe erwartete Unterstützung kam nicht. Der Prinz wollte nicht zurück, und ordnete auf einer Wiese die versprengten Jäger zum neuen Kampfe, während die Franzosen heranrückten. Vergeblich stemmte sich der Prinz der Flucht entgegen; er ward zuletzt mit hineingerissen.

Um nicht in Gefangenschaft zu gerathen, wandte auch er sein sonst treffliches Roß, das diesmal versagte und beim Uebersetzen über einen Zaun, unweit des Einganges von Wöhlsdorf, an einem Fuße hängen blieb. Ein ansprengender französischer Husar versetzte in diesem Augenblick dem Prinzen einen tiefen Hieb in den Hinterkopf; zugleich stürzte ein französischer Wachtmeister vom zehnten Husarenregiment, Namens Guindé, auf ihn los, und, rief ihm zu, sich zu ergeben. Der Prinz antwortete durch einen Säbelhieb, empfing aber dafür einen tödtlichen Stich in die Brust. Noch hielt er sich einen Augenblick zu Pferde, gestützt von seinen herbeigeeilten Adjutanten, dem Hauptmann von Valentini und dem tapferen Nostiz, der auch schon einen Hieb in den Arm erhalten hatte. Der Feind drängte immer heftiger nach. Der Prinz schwankte, sank; Nostiz fing ihn auf, aber schon verhauchte er sein Leben. Jetzt galt es die eigene Rettung, dem Todten war nicht mehr zu helfen. Gegen den Leichnam wütheten indeß noch die feindlichen Husaren, und man fand ihn nackt, ausgeplündert, von dreizehn Hieb- und Stichwunden zerfetzt. Seine Leiche wurde von den Franzosen nach Saalfeld gebracht und daselbst in der Fürstengruft beigesetzt. Die Herzogin von Coburg schmückte den Sarg mit einem Lorbeerkranz.

So starb der Prinz, ohne den Tag von Jena und die darauf folgende Schmach zu sehen, aber eben so wenig durfte er die Erhebung seines Vaterlandes und den großen Kampf der Deutschen gegen Napoleon mit erleben. Er hätte sicher in den Befreiungskriegen eine hervorragende Stellung eingenommen. Durch Geburt, Geist und körperliche Schönheit erinnert er an den göttergleichen Achill, der, ebenfalls von dem Ungestüm der Leidenschaften beherrscht, nicht den Tag erlebte, wo die hohe Feste Priam’s fiel, während der besonnene Odysseus, freilich erst nach manchen Kämpfen und Leiden, glücklich und geläutert als Sieger heimkehrte in das theure Vaterland.

M. R.