Aus meinem Bilder-Album

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Franz Wallner
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Aus meinem Bilder-Album
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 730–733
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[730]

Aus meinem Bilder-Album.

Von Franz Wallner.
Ludwig Löwe und Kaiser Franz. – Director Karl. – Ascher im Lager der Welfen.

Da ich nie ein Tagebuch geführt, weder Notizen noch andere Erinnerungsblätter verzeichnet und aufbewahrt habe, so laufen die Bilder meines bewegten Lebens etwas wirr und lückenhaft durcheinander und verwischen sich gerade da oft bis zur Unkenntlichkeit, wo sie am interessantesten sich gestalten könnten. In solchen Fällen blättere ich in den vielen Portraitalbums, die ich seit Erfindung der Photographie in aller Herren Länder massenhaft gesammelt und durch Zeichnungen, Kupferstiche und Lithographien aus der ersten Zeit meiner Laufbahn vermehrt habe.

Freilich gleicht eine solche Wanderung einem Gang über den Kirchhof, die meisten Originale ruhen unter dem Grase, die frischesten Erinnerungen finden ihren Ausgangspunkt an Gräbern! – Oft aber stoße ich zu meiner Freude auch auf eine immergrüne Eiche, die trotz der Jahre, trotz der Stürme, welche über sie hinweg gerauscht, noch frisch und kräftig stehen blieb. Eine solche Eiche ist Ludwig Löwe, trotz seiner sechsundsiebenzig Jahre noch eine Zierde, eine feste Säule des hochberühmten Burgtheaters in Wien. Nur derjenige, welcher Löwe noch in seiner vollen Blüthe in Rollen wie Mortimer, Correggio, Fürst Wladimir, Narr im Lear und hundert anderen Gebilden der darstellenden Kunst zu bewundern Gelegenheit hatte, kann sich einen Begriff machen von der hinreißenden Gewalt des Wortes. Löwe’s glühende Begeisterung theilte sich dem ganzen Auditorium mit, und die Aufführung von classischen Stücken, in denen die Meister Löwe, La Roche, Anschütz, Fichtner, die große Schröder und die ihr ebenbürtige Sophie Müller wirkten, gemahnte an hehren Gottesdienst, dem die Gläubigen in frommer Andacht lauschten. Es war dies eine große Zeit für das größte deutsche Kunstinstitut, eine Zeit, an welche sich ältere Besucher desselben noch mit berechtigtem Enthusiasmus erinnern. Daß ein Mann wie Löwe ein reiches Schatzkästchen von Erinnerungen in sich birgt, versteht sich wohl von selbst; leider hat er sehr wenig davon durch den Druck festhalten lassen, und nur gelegentlich im heiteren Freundeskreise sprudelt die Quelle dieser Mittheilungen in erfreulicher Weise.

Als man dem Kaiser Franz dem Ersten mit vieler Mühe die Erlaubniß zur Aufführung des „Wilhelm Tell“ abgerungen hatte, erregte dies „Ereigniß“ im Publicum Fanatismus. Wie wurde dieser Tell aber gespielt! Anschütz in der Titelrolle, unerreichbar als Repräsentant biederherziger Schlichtheit und innigen Gefühls, der heißblütige Löwe als Arnold, Fichtner als Rudenz, kurz jede Rolle, bis auf die Episode der Armgardt herab, von einem Künstler ersten Ranges dargestellt. Wenn die einzige Schröder-Armgardt dem bäumenden Rosse Geßler’s in die Zügel fiel und sich in Wahrheit mit ihren Kindern unter die Hufe des Thieres warf, wenn sie dämonisch dem Vogt entgegenrief:

 Hier lieg' ich
Mit meinen Kindern – Laß die armen Waisen
Von deines Pferdes Huf zertreten werden!
Es ist das Aergste nicht, was du gethan ! –

wenn sie, die größte Rednerin, die gewaltigste Darstellerin, welche die deutsche Bühne je gekannt, diese Worte donnerte, da schwoll dem Zuschauer vor bangem Entsetzen das Herz in der Brust; man war nicht im Theater, nein, zurückversetzt fand man sich auf den Schauplatz der Gräuelthaten eines Geßler, im warmen Mitgefühl mit den Leiden des armen Volkes.

Es versteht sich von selbst, daß eine solche Darstellung der „Novität“ mit Jubel aufgenommen wurde, und die Regisseure des Hoftheaters hielten es für ihre Pflicht, dem Kaiser für die Allerhöchste Bewilligung zur Aufführung in einer erbetenen Audienz persönlich zu danken.

„Gut,“ sagte der Kaiser, „ich nehme Ihren Dank an; aber Ihr müßt mir jetzt auch eine Gefälligkeit erweisen, Ihr müßt mir nun ein von mir gewähltes Stück eben so gut aufführen.“

„Majestät haben zu befehlen! Welches Stück soll dies sein?“

Fiesco.“

Man denke sich das Erstaunen der Theaterleute: der reactionärste Fürst Europas befiehlt die Aufführung des revolutionärsten deutschen Stückes! Einer der Regisseure gab dieser Verwunderung in bescheidenster Weise Ausdruck.

„Ja sehn’s,“ entgegnete Franz der Erste, „im Tell siegt die Revolution, im Fiesco unterliegt sie, denn Verrina, das Haupt derselben, kehrt wieder zum Doria zurück, nachdem Fiesco von der Strafe ereilt worden ist. Und dieses Zurückkehren zum alten Herrscherhaus muß vor den Augen des Publicums geschehen. Darum will ich, daß der Schluß des Stückes so geändert werde, daß nach den letzten Worten des Verrina: ‚Ich gehe zum Andreas,‘ eine rauschende Musik einfällt und der Doge mit seinem ganzen Gefolge im glänzenden Zug auf die Bühne kommt, wo sich ihm die Führer der Revolution, Verzeihung flehend, zu Füßen stürzen; so zwar, daß es dem Zuhörer klar wird, daß die Umsturzpartei unterliegt.“

So geschah es, und diese vom Kaiser selbst angegebene Schlußänderung des Fiesco blieb bis zum Jahre 1848 in voller Kraft. Nach dem Sturz Fiesco’s zog Andreas Doria mit seinem Hofstaat in einem mit unerhörtem Pomp in Scene gesetzten Zuge durch die Straßen, wo sich die Verschworenen, pantomimisch um Gnade flehend, auf die Kniee stürzten.

Diese Aenderung rührte, wie oben erzählt, direct vom Kaiser her, auf dessen Befehl sich „das Laster er–geben und die Tugend zu Tische setzen“ mußte. Es ist dies wohl die einzige dramaturgische Handlung im Leben Franz des Ersten, der überhaupt um Theatersachen sich so wenig kümmerte, daß er nach der ersten Aufführung von Grillparzer’s „König Ottokar’s Glück und Ende“ zu seiner Begleitung äußerte: „Ich bin recht froh, daß ich das Stück heute gesehen habe, das wird gewiß verboten werden.“

Direct geschah dies zwar nicht, aber man ließ die Aufführungen einschlafen, bis Laube dies Werk des genialsten vaterländischen Dichters wieder auf’s Repertoire brachte.

Zu den Lieblingserinnerungen Löwe’s gehört eine Episode aus seiner frühesten Jugendzeit, wo er den schroffen und finstern Beethoven als Postillon d'amour benützte. In das hübsche Töchterchen eines Vorstadtwirthes bis zum Sterben verliebt, verboten die Eltern dem Schauspieler das Haus, weil sie eine „Mißheirath“ fürchteten. Beethoven standen die Thore des Paradieses, hinter welchen die schöne Marie waltete, weit offen, und so wußte der glühend heiße Kunstjünger den ernsten, schwer zugänglichen Beethoven zu bestimmen, ihm ein Briefchen an die Heißgeliebte mitzunehmen und die Antwort derselben in Empfang zu nehmen. Er that es aber nur mit dem größten Widerwillen und nach heftiger Weigerung. Als ihn Löwe nach zehn Jahren wieder aufsuchte, war er schon vollständig menschenscheu geworden und wußte sich, wie er behauptete, nicht mehr auf das kleine Abenteuer, ja kaum mehr an Löwe selbst zu erinnern; kurz, er empfing letzteren so barsch und unwirsch, daß diesem die Lust verging, den genialen Tonkünstler nochmals zu behelligen. – –

Ich stoße hier auf das Bild des bestverleumdeten deutschen Theaterdirectors, auf Karl’s Portrait. Auf keinen Director ist ein so vollgerüttelt Maß von Schmach und Schimpf gehäuft worden als auf diesen, und doch wußte er alle Mitglieder durch eine lange Reihe von Jahren seinem Institute zu erhalten, und nicht blos die Träger desselben, wie Scholz, Nestroy, Kunst etc., nein, auch die schlecht besoldeten Mittelglieder der Kette seines wohlgefugten Ensembles erneuerten Jahr für Jahr ihre bescheidenen Contracte, die sie „an den Tyrannen“ knüpften. Das Geheimniß lag wohl hauptsächlich in der eisernen Ruthe, die er über Alle schwang, in dem heillosen Respect, den wir Alle vor ihm hatten. Alle, ohne Ausnahme, die größten Maulhelden, die ärgsten Schreier wurden zahm und flügellahm, wenn Karl mit seiner unglaublichen Energie und unverbrüchlichem Ernst die Proben leitete, wenn er eine und dieselbe Scene zehnmal wiederholen ließ, bis Alles klappte und in einander griff. Und dabei verstand er Alles selbst zu machen; die Worte „das geht nicht“ standen nicht in seinem Lexikon. Ich hatte einst in einer Dienerrolle auf den rückwärtigen Tritt eines im Carriere vorbeifahrenden Wagens zu springen. Es gehörte dies rasche, von den Inhabern der Equipage ungesehene [731] Anspringen zur Handlung des Stückes und konnte nicht umgangen werden. Vergebens aber bemühte ich mich, den Tritt zu erreichen; trotz zahllosen Vorfahrens sprang ich immer zu kurz, so daß ich sowohl wie Karl unwillig wurden, und als er mir meine Ungeschicklichkeit wieder vorwarf, rief ich ärgerlich aus: „Entschuldigen Sie, Herr Director, ich war nie Bedienter.“ 0 „Ich auch nicht,“ antwortete er rasch, „fahr’ vor, Johann, so rasch als möglich.“ Während er dies sprach, hatte er den Mantel auf die Erde geworfen und stand leichten Sprunges auf dem Tritt des vorbeirasenden Gefährtes. „Sehen Sie, Herr Wallner, man braucht hierzu nicht Bedienter gewesen zu sein, nur ein bischen Behendigkeit und ein wenig guter Wille gehört dazu.“

Weiß der Himmel, woran es lag, von dem Augenblick an, wo mir mein Director das kleine Kunststück vormachte, traf ich es auch, ich sprang nie mehr zu kurz.

In dem Drama „Der Glöckner von Notredame“ war Kunst nie im Stande, die Esmeralda, an der Außenseite der Mauer emporkletternd, im Arme zu halten und von oben herab das Wort „Asyl“ unter die Menge zu brüllen, bis es ihm Karl zeigte, die schwere Frau Pann, so hieß die Darstellerin der Esmeralda, wie eine Feder auf den Arm nahm und katzengleich mit ihr an den Eisenklammern emporkletterte. In jeder körperlichen Uebung, im Fechten, Tanzen, Reiten, Turnen, war er Meister, im Arrangement von Massen und der malerischen Verwendung von zahlreichen Comparsen, bei Schlachtspectakeln, Volksscenen etc. kam ihm kein Regisseur gleich.

Ich erinnere mich eines Schauspiels, „Der Leuchtthurm von Eddystone“ betitelt, auf welches er die Hoffnung großer Erfolge baute, die hauptsächlich in den Arbeiten des berühmten Maschinisten Roller (jetzt in Petersburg) ihren Grund hatten. Zum Schluß stürzte der gewaltige, scheinbar massiv gebaute Leuchtthurm durch die Wucht eines Erdbebens in Trümmer, diese begruben den Intriguant des Stückes, den Herr Spielberger darzustellen hatte, während sich die gewaltigen Meereswogen darüberhin wälzten. Die Wirkung dieses Meisterstückes von Malerei und Theatermaschinerie war bewältigend. Als bei der ersten Probe diese Massen von Stein, Eisen und Holz unter vulcanähnlichem Toben der Elemente einstürzten, als der gewaltige Bau in seinen Grundfesten zu wanken anfing, konnte sich Keiner von uns eines Schauers erwehren. Roller selbst leitete sein Werk meisterhaft und hatte genau mit dicken Kreidestrichen die Stelle bezeichnet, auf welche Spielberger sich hinzustürzen hatte. Spielberger, der keine Ahnung von dem Folgenden hatte, legte sich behäbig auf den Boden hin, als rechts und links neben Kopf und Körper schwere Eisenklammern, Holzpflöcke etc. niederprasselten, und alle Lärmmaschinen der Bühne dazu ihre Höllenmusik ertönen ließen. Leichenblaß erhob sich der Schauspieler und erklärte, nicht für alle Schätze der Welt diese nach seiner Ansicht lebensgefährliche Stelle wieder einzunehmen. Vergebens alles Zureden, umsonst ließ Roller den complicirten Bau zwei Mal aufrichten und über sich selbst zusammenstürzen; Spielberger blieb bei seiner Behauptung, er sei nach seinem Contract verpflchtet, seine Rollen zu sprechen, zu spielen, nicht aber sich todtschlagen zu lassen. Es blieb Karl nichts Anderes übrig, als die Rolle selbst zu übernehmen und sich unter der Wucht der Leuchtthurmtrümmer an dreißig aneinander folgenden Abenden begraben zu lassen.

Schlachtenspectakel und alle Gattungen Militärschauspiele arrangirte er mit unerhörter Geduld und Präcision, das scheinbar Unmögliche wurde unter seiner Leitung zur Wirklichkeit. Freilich kam es ihm nicht darauf an, die Leute ununterbrochen zehn Stunden lang in Athem zu erhalten, um die Proben am nächsten Tage für ebenso lange Zeit wieder zu beginnen. „Beim Theater,“ sagte er einst zu mir, „muß der Director entweder seine Schauspieler maltraitiren oder sein Publicum, da aber die Schauspieler davon leben und den kleineren Theil bilden, so quäle ich lieber diese als die Zuschauer.“

Daß er früher Officier war, wo er seinen Familiennamen Baron von Bernbrunn führte, kam ihm, nebst seiner exquisiten Erziehung, sehr zu statten. Aus seinem eigenen Munde habe ich die nachfolgende Mittheilung des Grundes, warum er seine militärische Carrière aufzugeben gezwungen war.

Er hatte ein intimes Liebesverhältniß mit einer Schauspielerin des Leopoldstädter Theaters. Ich erinnere mich nicht mehr genau des Namens. Sie hieß Eigenwahl oder Eigensatz. Dieses Verhältniß mit dem jungen schmucken Officier war nicht ohne Folgen geblieben; der junge Sprößling desselben wurde nach dem Dorfe Hernals bei Wien in Pension gegeben. Da verliebte sich die junge Künstlerin in einen Collegen und löste die zarten Bande, welche sie an den Officier gefesselt hatten. Dieser, von wüthender Eifersucht entbrannt, fuhr zur Pflegerin seines Kindes, schnitt die Wiegenbänder durch und setzte sich mit dem wimmernden Wurm in einen Fiaker, der ihn zu der renommirten Leinwäschewaarenhandlung zur Katze am Graben nach Wien bringen mußte. Dort ließ er das kleine Geschöpf in blendend weißes Linnen kleiden, während welcher Procedur dasselbe ein gellendes Geschrei erhob. Hierauf frug er, wie er erzählte, in großer Verlegenheit, womit man so ein Ding füttere, und bat, demselben etwas Nahrung zu geben.

Inzwischen war der Abend hereingebrochen, Karl fuhr, den kleinen Liebeszeugen sorgfältig unter dem Mantel verborgen, in das damals winzig kleine Theater in der Leopoldstadt, zu jener Zeit Kasperltheater geheißen, an dessen Stelle er später den jetzigen Prachtbau in’s Leben rief. An jenem Abend, wo er in der dunkeln Prosceniumsloge des Anfangs harrte, hatte er wohl von den Dingen, zu denen er später an diesem Platz berufen war, noch keine Ahnung. Man gab das Weißenthurn’sche Schauspiel „Der Wald bei Hermannstadt“. Als die gewesene Geliebte des Baron Bernbrunn in der Rolle der Elisena die Scene betrat, erhob sich dieser in der Bühnenloge und hielt der Schauspielerin den weißgekleideten Säugling mit dem donnernden Ruf entgegen: „Treulose, kennst Du dies Kind?!“ Die furchtbar erschrockene Schauspielerin fiel mit einem Schrei in Ohnmacht, das Stück war zu Ende und die militärische Laufbahn Karl’s auch!

Ein halbes Jahrhundert lang hat sich der Erbauer des Karltheaters, des Palastes, welcher auf sein Geheiß an der Stelle des früherer Kasperltheaters erstand, gemüht und geplagt, nach Reichthum gejagt, und wofür? – für undankbare, lachende Erben, welche die Todesstunde ihres Verwandten wie eine Erlösung begrüßten! Und wie spitzfindig auch das Testament angelegt und verclausulirt wurde, der übervorsichtige Mann konnte doch nicht verhindern, daß die erworbenen Summen in alle Winde verflogen! Mit wenig Ausnahmen sind die Karl’schen Erben wieder blutarm geworden, während die Pächter des Institutes, wenigstens diejenigen, welche ihr Geschäft verstanden, in wenig Jahren zu sehr wohlhabenden Leuten wurden. Nestroy, Treumann und jetzt Anton Ascher fanden und finden noch reichen Lohn für ihre Mühe.

Wir wollen uns bei dem letzten geistigen Erben Karl’s einführen lassen. Derselbe ist dringend beschäftigt, man bittet uns einige Augenblicke zu warten, und führt uns in einen geschmackvoll ausgestatteten Saal, den rauschende schwerseidne Vorhänge und prächtige schwellende Möbel zieren. Ebenso bequem ist das daneben liegende Arbeitszimmer des Directors ausgestattet, aus dem uns der aromatische Rauch einer feinen Havanna entgegenduftet. Hier sieht es wirklich nach „Arbeit“ aus, den riesigen Schreibtisch und die nebenstehenden Etageren bedecken zahllose Manuscripte und gedruckte Theaterstücke in deutscher, französischer und englischer Sprache, die meisten bereits mit Notizen und Bemerkungen bezeichnet, dazwischen zeugen Einladungskarten, vom Minister und Geldfürsten bis in alle geselligen Vereine etc., für die Beliebtheit dessen, an den sie gerichtet sind. Ascher kommt uns mit altbewährter freundschaftlicher Liebenswürdigkeit entgegen, ehe wir es uns versehen, ist ein Stündchen verplaudert, eine Verabredung getroffen für den Abend, wenn sich der seltene Fall ergeben sollte, daß der Schauspieler Ascher, das fleißigste Mitglied des Directors Ascher, über einen freien Abend disponiren kann.

Nicht immer hat das Streben des Künstlers ihm so reiche Früchte eingebracht, viele, viele Irrfahrten, trüb und aussichtslos, hat derselbe durchmachen müssen. Wenn Ascher, in recht vertraulichen Kreisen, mit dem hinreißenden Feuer, mit dem er zu erzählen versteht, eine Episode aus seiner Anfängerzeit mittheilt, so straft er die gang und gäbe Redensart: „Hat der Mensch Glück!“ recht entschieden Lüge, und bringt das alte deutsche Sprüchwort zu Ehren, daß Jeder seines eigenen Glückes Schmied sei.

Eine solche Episode aus des „Künstlers Wanderjahren“ wollen wir zum Besten geben, zugleich als Beleg des grellen Unterschiedes zwischen den deutschen Theaterzuständen von „Einst“ und „Jetzt“.

Der neunzehnjährige Kunstjünger hatte bereits die Bühnen [732] mehrerer Landstädte mit seinem Talent beglückt, welche auf der Landkarte aufzufinden selbst dem geübtesten Geographen einige Mühe verursachen würde, als ihn plötzlich in Mannheim ein wirklicher und veritabler Engagementsbrief an das Hoftheater in Mecklenburg-Schwerin mit den ausschweifendsten Hoffnungen erfüllte. Kölbel (Sturm und Koppe), dessen Theateragentur damals einzig und allein den Verkehr zwischen den Mitgliedern und Bühnenvorständen vermittelte, überraschte Ascher mit der Offerte in Schwerin drei Gastrollen zu geben, jede mit einem Honorar von drei Friedrichsd’or belohnt, und nach dem glücklichen Ausfall derselben mit der Aussicht auf dauerndes Engagement. Das war nun Alles recht schön und gut; allein wie hinkommen, die enorme Strecke aus dem badischen Lande in’s Reich der Stockprügel, eine Reise, die damals noch kein Schienenweg abkürzte? So schlängelte sich der arme Mime zu Fuß, wenige Gulden in der Tasche, freilich auch mit wenig Gepäck beschwert und belästigt, durch ganz Süddeutschland, bis nach Hameln, wo das ganze Vermögen des strebsamen Schauspielers den geringen Effectivstand von einem Thaler auswies. Ein Thaler war selbst damals wenig, der Weg von Hameln nach Schwerin auch zu jener Zeit sehr weit. Vor der Hand wurde der Stellwagen bis Hannover benutzt, dessen Fuhrgeld die riesige Summe von zwanzig Silbergroschen verschlang, so daß Ascher in der Vorstadt Linden in einer kleinen Kneipe, die einem früheren Schauspieler Wutke gehörte, mit fünf Silbergroschen baaren Geldes im Seckel, in der Hauptstadt des Welfenlandes seinen trübseligen Einzug hielt.

In dem Stellwagen hatte ihn ein günstiges Geschick mit einigen Kunstgenossen, einem Tenoristen Pfeiffer – der einige Jahre später in Bremen verunglückte –, dem Theaterinspicienten von Hannover und dessen Frau zusammengewürfelt. Rasch war gegenseitig „das Handwerk“ herausgewittert, und Ascher erhielt den dringenden Rath, sich doch in Hannover dem Intendanten Baron von Schulte und dem Director, dem bekannten Herrn von Holbein vorzustellen, da dem dortigen Hoftheater ein jugendlicher Liebhaber fehle. Jetzt seien zwar noch vier Wochen lang Ferien, allein wenn ihm die Direction ein Engagement zusichere, so wär’ es ja ein Leichtes, darüber hinwegzukommen.

So märchenhaft, und nach dem damaligen Theaterusus mit Recht, dem Wanderkomödianten die Idee vorkam, das Glück könne ihm eine Anstellung am Königlichen Hoftheater zu Hannover in den Schooß werfen – mit derselben Berechtigung konnte er nach seiner Ansicht den Haupttreffer der großen Lotterie ohne Loos erwarten – so blieb er doch in seinem Gasthaus sitzen, hauptsächlich weil er nicht wußte, wo sonst für ihn ein Bissen für den knurrenden Magen, ein Kissen für das müde Haupt zu finden sei. Also wurden zuerst bei Freund Wutke nicht nur die letzten fünf Groschen verkneipt, sondern in Hoffnung auf bessere Zeiten sogar das Budget überschritten. Da das schmale Bündel außer einiger weißen Wäsche und den damals bei jedem Künstler unentbehrlichen Tricots keine salonmäßigen Kleider barg, so lieh ihm der gutmüthige Kneipier den eigenen schwarzen Anzug, um der Entscheidung seines Geschickes standesgemäß entgegen gehen zu können. Der Intendant war mit dem König auf der Jagd, Herr von Holbein verreist. Letzterer würde morgen zurückerwartet. Mit diesem trostlosen Bescheid mußte Ascher an der Schwelle des Kunsttempels umkehren. Das Deficit war einmal da und wuchs, wie heut’ zu Tage in allen Staatshaushaltungen, lawinenartig. Selbst mit dem seltenen Luxus eines Glases Punsch regalirte sich der aufgeregte Wanderer.

Herr von Holbein empfing den Jüngling am folgenden Tag mit kühler Herablassung, gestattete ihm aber, sich Nachmittags im Theater einzufinden, um auf der Bühne einige Scenen aus Don Carlos vorzutragen. Auch der Herr Intendant, der von der Hofjagd zurückgekehrt sei, werde dieser Probe beiwohnen. Mit einem Gefühl, das etwas nach Hochgericht schmeckte, betrat Ascher nach eingenommenem bescheidenen Diner die Bretter, auf denen sich sein Geschick entscheiden sollte.

Aus dem Parterreraum, der in undurchdringlicher Finsterniß vor ihm lag, schallte die Bitte des Directors herauf, gefälligst anzufangen. Ein leises Gemurmel rief die Vermuthung hervor, daß der Vorstand des Hoftheaters Gesellschaft mitgebracht habe. Ascher begann nun die einzelnen Scenen, Monologe und Phrasen, soweit sich selbe zusammenhanglos bringen ließen, seinem unsichtbaren Publicum vorzutragen; als sich seinem feinen Ohr das leise Herüberschleichen gegen die Thür und das Knarren der letzteren hörbar machte. „Aha,“ dachte er mit wahrem Galgenhumor, „die hätte ich hinaus gespielt, nun lassen sie mich hier allein Don Carlos declamiren bis in alle Ewigkeit.“ Während einer Pause der Erschöpfung rief ihm Herr von Holbein, der also noch anwesend war, zu: „Bitte, gedulden Sie sich einen Augenblick, ich habe meine Frau holen lassen, damit selbe Sie in einigen Scenen unterstütze.“ –

Herr von Holbein hatte sich nämlich, nach seiner Scheidung von der bekannten Maitressen-Gräfin von Lichtenau, auf’s Neue mit der trefflichen Schauspielerin Johanna Göhring verheirathet. Diese erschien nun, während auf der Vorderbühne mit einer gewissen Feierlichkeit die Lampen angezündet wurden, bei deren Schein man im Zuschauerraum den Herrn Intendanten in Begleitung einiger Kunstfreunde erblicken konnte. Frau von Holbein sprach dem schüchternen Schauspieler – Ascher war zu jener Zeit wirklich schüchtern – Muth ein, und so spielte dieser nebst einigen Don Carlos-Fragmenten noch die große Scene des Mortimer mit der Maria, und einige Bruchstücke aus Holbein’s „leichtsinnigem Lügner“.

Nach dieser Probe erklärte Holbein, daß der Debütant ihm eben so wohl gefallen habe, als dem Herrn Baron von Schulte, daß er aber nicht berechtigt sei, ohne Einwilligung des Kronprinzen, der sich jede wichtige Entscheidung in Theaterdingen vorbehalten habe, ein festes Engagement abzuschließen. Wenn er also das Probespiel nach der Rückkehr des hohen Herrn, die in acht Tagen erfolgen werde, wiederholen wolle, so könne er, wenn er allerhöchsten Ortes gefiele, auf eine dauernde Anstellung rechnen. Das war nun Alles recht schön und gut, aber – acht Tage warten! – Ascher kehrte mit einer nicht zu verkennenden Pantomime und wehmüthig-ironischem Lächeln die leeren Taschen um.

„Das hat nichts auf sich,“ antwortete der Chef, „ich gebe Ihnen fünf Thaler Wartegeld für –“ „die Woche,“ erwartete Ascher zu hören, dem der Schlußsatz „für jeden Tag“ wie Sphärenmusik in die Ohren klang! –

Das ganze Weltall löste sich für Ascher in die harmonischen Worte auf: „fünf Thaler für den Tag.“ Leichte Flügel brachten ihn in die entlegene Kneipe zurück, jubelnd schüttelte er seinen gutmüthigen Wirth mit den Worten: „Fünf Thaler den Tag! Sie sind heute mein Gast für Alles, was gut und – billig ist. Fünf Thaler! Ein Feenmärchen! Nicht wahr, ich träume nicht? Es ist keine Seifenblase, die beim Erwachen zerrinnt? Fünf wirkliche Thaler, ich bin der Rothschild unter den Schauspielern!“ So jubilirten tausend Stimmen in und aus dem jungen Mimen, dessen Angst nur in der Befürchtung lag, der Kronprinz möchte zu früh zurückkommen.

Endlich am neunten Tage meldete der Theaterdiener, Seine königliche Hoheit habe das Probespiel: Scenen aus „Cabale und Liebe“, „Maria Stuart“ und „Leichtsinniger Lügner“ auf heute Mittags ein Uhr befohlen. Als Ascher klopfenden Herzens auf der Bühne erschien, wurde ihm mitgetheilt, daß der Kronprinz die Scenen im Costüm sehen wolle. Da Seine Hoheit, der nachmalige, jetzt verflossene König von Hannover, schon damals nicht sehen – wollte, so hatte jener Befehl allerdings etwas peinlich Komisches an sich.

Das Haus war vollständig erleuchtet, der Thronfolger mit seinem ganzen glänzenden Hofstaat harrte der Dinge, die da kommen sollten. Der Umstand, daß unserm jungen Helden noch an demselben Tage ein zweijähriger Contract mit jährlich achthundert, eventuell tausend Thalern Gehalt, und fünfzig Thaler Wartegeld für die Ferienzeit vorgelegt wurde, bewies, daß man „Allerhöchsten Ortes“ seine Leistungen mit Wohlgefallen aufgenommen habe; und als wirklicher königlich hannoveranischer Hofschauspieler verließ Ascher jubelnd und selig das Haus.

Schon nach seinen ersten Rollen, von denen die Bestätigung des Vertrages abhängig gemacht war (Richard Wanderer und Wildenberg in Raupach’s Geschwister), wurde ihm diese zu Theil, und ein glücklicherer Künstler als er lebte wohl kaum in den weiten Räumen des deutschen Vaterlandes. Armer Junge, schon naht das Mißgeschick und schleicht auf leisen Socken an Dich heran, schleicht heran in Gestalt eines Ereignisses, dem Dein Künstlergemüth mit freudiger Erwartung entgegenjauchzt!

Seydelmann, der große Seydelmann, wurde zum Gastspiel erwartet. Sein erstes Auftreten als Carlos im „Clavigo“ [733] war festgesetzt. Ascher mit der Titelrolle betraut, dieser schwierigsten Aufgabe für einen Anfänger, sei er auch noch so talentvoll. Auf die Frage, ob er die Rolle schon gespielt, antwortete er mit einem kühnen „Ja“, ausgepreßt von der Angst, die Rolle sonst zu verlieren, in Wahrheit aber waren ihm Rolle und Stück unbekannt. Man denke sich nun sein Entsetzen, als er bei seiner Heimkunft die voluminöse Partie und die Anzeige vorfand, daß die erste Probe am nächsten Tage stattfinden solle. Man muß das glänzende Gedächtniß Ascher’s und dessen eiserne Willenskraft kennen, um zu begreifen, daß er nach einer im angestrengtesten Studium hingebrachten Nacht, wenigstens der Worte des Clavigo mächtig, zur Probe sich einfinden konnte. Nach dieser Probe machte ihm Seydelmann in seiner ruhig ironischen Manier das zweideutige Compliment: „Sie haben eine Eigenschaft für den Clavigo, die Jugend.“

Abends wurde der Unglückliche in eine altmodische Uniform gesteckt, deren riesig hoher Kragen ihm über die Ohren zusammenschlug, während die Weste vorne zwei Hände breit unter dem gestickten Rock sich hervorschob, kurz der arme Clavigo gewährte in seiner Unbeholfenheit in diesem Costüm einen so burlesken Anblick, daß bei seinem Erscheinen ein heiteres Lächeln die Gesichter der Anwesenden überflog. Ihm gegenüber sah der bildschöne Carl Devrient als Beaumarchais wie ein Halbgott aus. In der großen Scene des ersten Actes hatte Ascher alle Anmerkungen des Dichters für Clavigo während der großen Erzählung des Beaumarchais nur zu gut inne, und brachte die Anordnungen des Autors: „verliert alle Munterkeit aus dem Gesichte“, „ist in entsetzlichster Verlegenheit“, „bewegt sich in höchster Verwirrung auf seinem Stuhl“, „es entfährt ihm ein tiefer Seufzer“ etc., in zwar gewissenhafter. aber mehr für eine Posse als für die Tragödie passender Weise zur Anschauung. Die erwähnte Erzählung schließt mit den Worten: „Unterdessen das Frühstück“. Hierauf soll nach einer Pause Clavigo die Worte: „Luft, Luft!“ in dumpfer Beängstigung vor sich hin murmeln. „Luft“ aber nennt man in Hannover auch eine beliebte süße Mischgattung von Schnaps in localer Bezeichnung. Als daher Devrient seine lange Rede mit den Worten „Und nun das Frühstück“ schloß, brüllte Ascher, ohne Pause und Uebergang, die Worte: „Luft, Luft!“ heraus. Das Haus bebte von dem rasenden Gelächter des Publicums, einem Gelächter, welches wie die Grabmusik aller seiner Hoffnungen dem armen Künstler in die Ohren gellte. Nicht nur für diesen Abend war der vorhergegangene günstige Eindruck verwischt, auch das nächste Auftreten (Don Carlos, Grunert spielte den König Philipp) brachte dem Publicum nur „ein recht mäßiges Vergnügen“. Bei dem warmen Ehrgefühl Ascher’s war ihm die Situation doppelt peinlich geworden.

Da kam von Dresden die Requisition, daß er heimkehren und seiner Militärpflicht genügen solle. Herr von Holbein, vielleicht froh die neue Erwerbung loszuwerden, deren Werth er noch nicht zu würdigen gelernt hatte, gab ihm die erbetene Entlassung nebst einem zweimonatlichen Gehalt als Abfindung für die Lösung des Contracts.

Ein glücklicher Stern führte Ascher in Dresden zu Ludwig Tieck, der sein Auftreten als „Landwirth“ im gleichnamigen Schauspiel der Prinzeß Amalie vermittelte, ein Debut, welches so glänzend ausfiel, daß ihm Ludwig Tieck nach demselben das in diesem Munde doppelt ehrenvolle Compliment machte: „Seit siebenzehn Jahren haben wir nach einem jugendlichen Liebhaber geschmachtet, den wir jetzt in Ihnen gefunden.“ Dies will etwas sagen an einer Bühne, wo ein Emil Devrient wirkte, der übrigens dem neuen Collegen mit herzlichem Wohlwollen und thatsächlicher Freundschaft entgegen kam. Durch die Vermittlung Tieck’s wurde die Militärpflicht Ascher’s gelöst und ein glänzender Contract an der königlichen Hofbühne erwirkt, die den jungen Mann bald zu ihren beliebtesten Mitgliedern zählte.