BLKÖ:Diemer, Joseph

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Diedo, Antonio
Band: 3 (1858), ab Seite: 283. (Quelle)
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Diemer, Joseph (Sprachforscher und Director der k. k. Universitäts-Bibliothek in Wien, geb. zu Stainz in Steiermark 16. März 1807).[BN 1] Sein Vater Leonhard war Kürschner und ihn wie die Mutter verlor der Sohn, ehe er noch das vierte Lebensjahr erreicht hatte. Ein naher Verwandter nahm sich, so lange er selbst nicht verarmt war, des verwaisten Knaben an und schickte ihn 1817 nach Gräz, um ihn da studiren zu lassen. Im Alter von 12 J. war der Knabe sich selbst überlassen, und half sich, so gut es gehen wollte, fort; vollendete die Gymnasial-, philosophischen und juridischen Studien, betrieb nebenbei Sprachen, u. z. italienisch, französisch und englisch; letztere Sprache mit solchem Erfolge, daß er darin Unterricht ertheilen und so zum Theil seinen Lebensunterhalt sichern konnte. Schon als Hörer der Philosophie versah er seit 1825 an der Bibliothek des ständischen Joanneums in Gräz, welche nur in den Abendstunden geöffnet war, die Dienste eines Scriptors und wurde nach des Bibliothekars Joh. Krausler Tode (1830) von den steier. Ständen zu dessen Stellvertreter, im Jahre 1834 zum wirklichen Scriptor an der Gräzer Universitäts-Bibliothek ernannt, und 1842 in gleicher Eigenschaft an die Wiener Universitäts-Bibliothek übersetzt. [284] Im Jahre 1850 erhielt D. die Stelle des ersten Custos und nach anderthalb Jahren jene des Vorstandes der Universitäts-Bibliothek, als welcher er noch jetzt an dieser Anstalt thätig ist. Als Gelehrter hat sich D. zuerst durch einige kleinere Aufsätze in der „Steiermärkischen Zeitschrift“, dann durch einen Aufsatz in der „Wiener Ztg.“ Jahrg. 1844: „Ueber Gratz oder Grätz, vom rein grammatischen Standpuncte aus“, und im Jahre 1845 durch einen zweiten Artikel in Adolf Schmidls „Blättern für östr. Literatur und Kunst“: „Ueber das älteste Vorkommen des Namens Oesterreich“ bemerkbar gemacht. Er verlegte sich schon in Gräz besonders auf Geschichte und ältere deutsche Sprach- und Literaturkunde und faßte den Entschluß, sämmtliche österr. Stifte und Klöster zu durchforschen, um die allenfalls da noch verborgen liegenden altdeutschen Sprachdenkmale an das Tageslicht zu fördern. Seine mit mannigfachen Opfern verbundenen Bemühungen wurden mit günstigem Erfolge gekrönt, denn er entdeckte in dem regulirten Chorherrnstifte zu Vorau in Steiermark eine Handschrift[WS 1] altdeutscher Gedichte des 11. und 12. Jahrhunderts, welche größtentheils bisher gänzlich unbekannt waren und um so wichtiger sind, als sie für jene Zeit völlig allein dastehen. Sie erschienen auf Kosten der kaiserl. Akademie der Wissenschaften zu Wien unter dem Titel: „Deutsche Gedichte des 11. und 12. Jahrhunderts; aufgef. im regul. Chorherrnstifte zu Vorau in der Steiermark und zum ersten Male mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben mit vier Nachbildungen der Handschrift“ (Wien 1849, 8°.). Durch die historische Einleitung und die sprachlichen Anmerkungen zu diesen Dichtungen, ferner durch seine in den „Sitzungsberichten der kaiserl. Akademie der Wissenschaften“ in den Jahren 1851, 1854, 1855 veröffentlichten und auch besonders gedruckten: „Kleine Beiträge zur ältern deutschen Sprache und Literatur“, von welchen bisher drei Theile erschienen sind, und endlich durch eine in den „Oestr. Blättern für Literatur und Kunst“, Jahrgang 1854, Nr. 9–14 enthaltene Abhandlung: „Ueber den Antheil Oesterreichs an der deutschen Dichtung des Mittelalters“. hat D. wesentliche Aufschlüsse über viele bisher gänzlich unbekannte Theile der ältesten deutschen und österr. Literaturgeschichte gegeben. Die Ergebnisse dieser Forschungen wurden auch sowohl von W. Wackernagel als Gervinus zur Grundlage ihrer Darstellungen dieses Theiles der deutschen Literaturgeschichte genommen und der Letztere erklärte (vierte Auflage, Bd. 1. 109) ausdrücklich, „Diemer habe für diese bisher dunkle Zeit ein ganz neues Licht gezündet.“ Einen zweiten wichtigen Schatz der ältern deutschen Sprache stellte D. mit dem Werke an’s Licht, welches unter dem Titel erschien: „Die Kaiserchronik nach der ältesten Handschrift des Stiftes Vorau aufgef. mit einer Einleitung, Anmerkungen und Lesarten der zunächst stehenden Hdschr. herausgegeben“ (Wien 1849, 8°.) Theil I. Urtext; über welches er in seinen „Kleinen Beiträgen“ den Nachweis lieferte, daß dieses große Geschichts- und Legendenbuch des Mittelalters ebenfalls in Oesterreich und nicht wie man bisher meinte, am Mittelrhein entstanden sei (vergl. Gervinus a. angef. O. 1, 178). In jüngster Zeit erschien von ihm in den „Oestr. Blättern für Literatur und Kunst“, Jahrg. 1857, Nr. 6–8 eine ausführliche Besprechung von Gärtners Werk: „Chuonrad, Prälat von Göttweih und das Nibelungenlied“ (Pesth 1856), welche wegen ihrer Gründlichkeit und etwas scharfen Haltung allgemeine Theilnahme erregte. Eine Ausgabe der Milstätter[WS 2] Handschrift, welche die ersten zwei Bücher Mosis in deutschen Versen des 12. Jahrhunderts enthalt, mit Einleitung und Anmerkungen steht demnächst bevor. Für seine Verdienste um die Wissenschaft [285] wurde D. am 1. Febr. 1848 durch Ernennung zum corresp. und am 26. Juni desselben Jahres zum wirkl. Mitgliede in der phil.-histor. Classe der kaiserl. Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet. Auch mehrere andere gel. Vereine des In- und Auslandes ehrten sich und ihn durch Ernennung zum wirkl., corresp. oder Ehren-Mitgliede; unter andern der hist. Verein für Kärnthen; die hist. stat. Section der mähr.-schles. Gesellschaft des Ackerbaues; die geschichtlichen und archäologischen Vereine zu Bamberg und Zürich; der Gelehrten-Ausschuß des Germanischen Museums in Nürnberg und der histor. Verein für Steiermark.[BN 2]

Almanach der kais. Akademie der Wissenschaften für 1852 (Wien, Staatsdruckerei, 8°.). – Gervinus (G. G.), Geschichte der deutschen Dichtung 4. Aufl. (Leipzig 1853, Engelmann, gr. 8°.) I. Bd. S. 109 u. 178. – Allgemeine (Augsburger) Zeitung 1852. Beilage vom 9. April. – Porträt. Facsimile der Unterschrift: Jos. Diemer. Nach der Natur gezeichnet von Dauthage. Gedr. bei Höfelichs Witwe (Wien 1854, Folio). [Zur Suite der Akademiker gehörig; vergl. Artikel: Dauthage III. Bd. S. 174.]

Berichtigungen und Nachträge

  1. Diemer, Joseph [Bd. III, S. 283; Bd. XIV, S. 423], gest. zu Perchtoldsdorf bei Wien 3. Juni 1869.
    Wiener Zeitung 1869, Nr. 163, S. 215: „Dr. Jos. Diemer“, von Dr. L. F. Meißner. – Presse 1869, Nr. 171, im Feuilleton: „Joseph Diemer“, von W. Scherer. – Tagespost (Gratzer polit. Blatt) 1869, Nr. 165: „Ein steirischer Gelehrter“. – Neue freie Presse 1869, Nr. 1712. – Feierliche Sitzung der kais. Akademie der Wissenschaften u. s. w. am 30. Mai 1870. [Band 24, S. 388]
  2. E Diemer, Joseph [s. d. Bd. III, S. 283]. Erhielt im Mai 1865 mit Allerh. Entschließung „in Anerkennung seines verdienstlichen amtlichen Wirkens und seiner vorzüglichen wissenschaftlichen Leistungen“ taxfrei den Titel und Charakter eines Regierungsrathes und wurde anläßlich der 500jährigen Jubelfeier der Wiener Hochschule im August 1865 mit dem Diplom eines Ehrendoctors der Philosophie ausgezeichnet.
    Wiener Zeitung 1865, Nr. 108. [Band 14, S. 423]

Anmerkungen (Wikisource)