BLKÖ:Mandelli, David
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Mandel |
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Band: 16 (1867), ab Seite: 360. (Quelle) | |||
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Mandl hieß und der von den Engländern und Franzosen häufig Mandelli, Manteli und Menteli genannt wird. Als er zwölf Jahre alt war, schickte ihn der Vater nach Rackendorf, einer wenige Stunden von Preßburg entfernten Ortschaft, damit er bei dem dortigen Rabbi die schon im Elternhause begonnenen talmudischen Studien fortsetze. Ungewöhnliche geistige Anlagen beförderten mächtig seine Fortschritte in den Studien. Nach einem Jahre kehrte er zu seinen Eltern nach Preßburg zurück; seinem Wissens- und Bildungsdrange folgend, verließ er aber bald heimlicher Weise das Elternhaus und begab sich zunächst nach Triesch in Mähren. Aus einem 1798 in hebräischer Sprache und in meisterhaftem Style geschriebenen Briefe erfährt man seine Absicht, nach Prag zu gehen, wo damals der Hauptsitz hebräischer Bildung war, und in der That befand er sich auch im Jahre 1799 in dieser Stadt. Schon damals verrieth sich in Wort und Schrift seine excentrische Natur. In Prag schien er nicht lange geblieben zu sein, denn im Jahre 1800 schreibt er bereits aus Tirschtieget in Südpreußen und gedenkt in diesem Briefe seiner Lust fremde Länder zu sehen, die ihn unaufhörlich weiter treibe. In einem anderen auch von da datirten Briefe, in welchem er von seinen Eltern etwas Geld erbittet, befindet sich eine Stelle, die einigermaßen Aufschluß gibt über die Motive des Handelns dieses eigenthümlichen Sonderlings. „Ich habe“, schreibt er, „Grundsätze, nach denen ich handle, nur einen Fehler verspüre ich in mir, der sich schon als Trieb in meiner Jugend eingeschlichen hat, dieser Fehler heißt Ruhmsucht. Schon als Kind fühlte ich ein mächtiges Verlangen, mich von meinen Mitschülern hervorzuthun, ich lechze nach Ruhm, ich dürste nach Auszeichnung!“ Von Tirschtiegel begab er sich nach Berlin, wo er mit beharrlichem Eifer den Studien obliegt, und selbst bei körperlichen Leiden allen Trost und geistige Erhebung im Verkehre mit seinen Büchern findet. In Berlin scheint er auch den Hauptgrund zu seiner späteren großartigen Ausbildung gelegt zu haben. Leute, die ihn in Berlin gekannt, erzählen, daß er sich um jene Zeit vornehmlich mit Sprachstudien beschäftigt habe und daß er einmal in seiner Bizarrerie so weit gegangen sei, sich die Augenbrauen wegzurasiren. Aber schon zu jener Zeit lebte er in absonderlicher Weise enthaltsam und übertraf in seiner Lebensweise weit die strengste Ordenszucht des Mittelalters. Sein kleines Zimmer war voll Bücher; unter seinem Bette lag ein Haufen Erdäpfel, welche damals seine einzige tägliche Nahrung bildeten. Im Jahre 1805 befand er sich in Offenbach, wo er eine Hofmeisterstelle antreten sollte. Dieselbe sollte ihm die Mittel verschaffen, [361] später auf der großen Universität, die er nicht nennt, welche aber ohne Zweifel Paris ist, unabhängig leben zu können. Von nun an war er verschollen und selbst seine Eltern glaubten ihn längst verstorben. Als in den Dreißiger-Jahren ein gelehrter Ungar, Namens Tessedik, Paris besuchte, erfuhr er bei Frau von Schlegel, geb. Mendelssohn, daß ein gelehrter Landsmann von ihm in Paris lebe, der öfter ihr Haus besuche. Tessedik suchte ihn auf und erkannte in ihm unseren Mandelli, der schon damals, wie Gräffer schreibt, „auf den gefährlichsten Gletschern theoretischer Speculation stand“. Aus Tessedik’s Mittheilungen in dem ungarischen Blatte: Tudományos Gyüjtemény, d. i. wissenschaftliche Nachrichten, und aus verschiedenen Nekrologen nach Mandelli’s Tode, insbesondere aus dem Nachrufe, den ihm Charles Nodier gewidmet und der durch diese Todesanzeige dem Hingeschiedenen ein schönes Monument gesetzt hat, bekommen wir annäherungsweise ein Bild dieses merkwürdigen Sonderlings. Mandelli war nach den bezeichneten Quellen einer der größten Philologen unserer Zeit, der vielleicht den bekannten Abbé Mezzofanti in Rom übertraf. Er verstand die meisten lebenden und ausgestorbenen gelehrten Sprachen Europa’s und Asiens, namentlich französisch, deutsch, englisch, italienisch, spanisch, die slavischen Sprachen, magyarisch, griechisch, lateinisch, hebräisch, arabisch, persisch, hindostanisch (auch Sanskrit), chinesisch u. s. w. und rühmte sich selbst, er könnte von jedem Puncte Europa’s eine Reise nach China unternehmen, ohne eines Dolmetsch zu bedürfen. Seine Lieblingssprachen waren jedoch die lateinische, griechische, hebräische, arabische und persische, aus denen er sich durch Vermischung eine eigene gelehrte Sprache gebildet hatte, aus welcher er oft, wenn er französisch sprach, einzelne Wörter einmischte und nur wenn er merkte, daß man ihn nicht verstanden habe, erklärte er solche Phrasen ganz französisch mit dem Zusatze „wie Ihr es zu nennen pflegt“. Aber M. war nicht nur ein großer Philolog, sondern auch ein Mathematiker, in der Taktik bewandert, Historiker, Jurist, Theolog, kurz ein in unserer Zeit seltener Polyhistor. In der Philosophie war Plato sein Orakel; diesen wußte er beinahe auswendig und citirte ihn oft in seinen gelehrten Gesprächen. Im praktischen Leben nahm er sich aber nicht den eleganten Plato, sondern den Cyniker Diogenes zum Muster. Seine Garderobe bestand aus einem alten Soldatenrocke, den er wahrscheinlich bei einem Trödler gekauft hatte, und einem Paar alten Ueberschuhen. Als ihm einst ein gelehrter Freund gute Kleidungsstücke aufgedrungen hatte – denn er war sehr schwer zu bewegen, Geschenke anzunehmen – verkaufte er sie an einen Trödler und kaufte sich Bücher dafür. Er trug einen langen Bart, der schon halb grau war und ihm Aehnlichkeit mit einem griechischen Philosophen verschaffte. Er nährte sich von Commißbrot, welches er an Kasernenthoren kaufte und welchem er manchmal einige rohe Kräuter oder Wurzeln beifügte. Gekochte Speisen aß er nie in Paris. Er heizte sich nie ein. Sein Hausgeräthe bestand aus einem hölzernen Armstuhle, aus einem Schemel, einem rohen Tische von Zimmermannsarbeit, einem kleinen Schranke, worin er seine Bücher und Schriften aufbewahrte, einem Brete mit einem Strohsacke, worauf er schlief, einem Tintenfaß, das aus einem zerbrochenen Glase bestand, einem Scherben, der zu einer Lampe diente, zwei Wasserkrügen und einer Schiefertafel, auf [362] welcher er vorzüglich mathematische Berechnungen anstellte, um an Papier zu sparen. Als ihn einst die Polizei auf einen ungegründeten Verdacht in’s Gefängniß schickte, machte er sich nichts daraus, da er einige Bücher mitgenommen hatte und darin seine Studien und Meditationen fortsetzte, und er schien es ungern zu verlassen, als durch die Bemühungen seiner gelehrten Freunde seine Unschuld an den Tag kam. Er lebte von einer jährlichen Rente von 154 Francs und behauptete, davon jährlich eine bedeutende Summe zurückzulegen, und er kaufte in der That einmal ein seltenes Manuscript für 400 Francs von seinen Ersparnissen. – Mandelli hätte bei seiner gründlichen vielseitigen Gelehrsamkeit eine öffentliche Anstellung erhalten, oder sich durch Privatunterricht und Schriftstellerei bedeutende Einkünfte erwerben können, allein er wollte dieß nicht, um unabhängig zu sein und ganz seinen Studien leben zu können. Er gab zwar eine Zeit lang Privatunterricht in der Mathematik und in der arabischen Sprache, aber er hörte bald auf, um seinen Studien keine Zeit zu entziehen. Um das Jahr 1822 trug man ihm von Seite der Regierung auf, in einer großen Bibliothek, welche Werke in den verschiedensten Sprachen enthielt, sämmtliche Büchertitel zu übersetzen, die verschiedenen Sprachen anzugeben und die Werke in die betreffenden Kategorien einzutragen, für welche wichtige Arbeit ihm ein jährliches Honorar von 1800 Franken ausgesetzt war, weil man geglaubt hatte, diese Arbeit würde mehrere Jahre erfordern. Mandelli übernahm den Auftrag, aber bei seinen philologischen Kenntnissen und eisernem Fleiße war er mit der Arbeit schon in einem Monate fertig. Mandelli ließ sich sein Monatgehalt auszahlen und blieb aus. Als man ihn fragte, warum er seine Anstellung aufgegeben habe, erwiederte er: ich habe keine Anstellung mehr, denn die Arbeit ist fertig. Zum Beweise der Erkenntlichkeit räumte man ihm ein kleines Zimmer ein. Er ließ nichts drucken. Seine Bibliothek war klein, bestand aber aus wichtigen und seltenen Werken. Seine zahlreichen hinterlassenen Schriften müßte man, um sie benützen zu können, zu lesen verstehen und um dieß möglich zu machen, müßte man finden, was man nicht mehr finden wird, einen zweiten Mandelli. Sonderbar wie sein Leben, war auch sein Tod. Da er alles selbst verrichtete, ging er, wie gewöhnlich, mit zwei Krügen an die Seine, um sie mit Wasser für seinen Trinkbedarf zu füllen. Bei dieser Beschäftigung stützte er sich an einen nicht befestigten Kahn, der vom Ufer wich, worauf der Unglückliche in den Wogen verschwand.
Mandelli, David (Sonderling, geb. zu Preßburg in Ungarn um das Jahr 1780, gest. zu Paris 22. December 1836). Sohn jüdischer Eltern, der wahrscheinlich Mandel oder- Temps (Pariser Journal), Nr. vom 1. Jänner 1837; „Menteli“, par Charles Nodier. – Oesterreichische Zeitschrift für Geschichts- und Staatskunde. Herausgegeben von Johann Paul Kaltenbäck (Wien, 4°.) III. Jahrg. (1837), Nr. 6: „Menteli, biographische Skizze“. – (Gräffer, Franz) Jüdischer Plutarch oder biographisches Lexikon der markantesten Männer und Frauen jüdischer Abkunft u. s. w. (Wien 1848, Ulr. Klopf sen., 8°.) Bd. I, S. 138; „Der Diogenes unserer Zeit“. – Reich (Ignaz), Beth-El. Ehrentempel verdienter ungarischer Israeliten (Pesth 1856, Bucsanszky, 4°.) I. Heft, S. 76. – Der Wanderer im Gebiete der Kunst und Wissenschaft, Industrie und Gewerbe, Theater und Geselligkeit (Wien, 4°.) Jahrg. 1837, Nr. 36, S. 142: „Der ungarische Diogenes zu Paris“. Von R(um)y. – Oesterreichische National-Encyklopädie von Gräffer und Czikann (Wien 1835, 8°.) Bd. VI, S. 544. – Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater uno Mode, herausgegeben von Witthauer , Jahrg. 1833, Nr. 115; „Lebensart eines Gelehrten in Paris“. – Frankfurter Konversationsblatt 1837, Nr. vom 4. u. 5. Februar. – Das [363] Ausland (Stuttgart, Cotta, 4°.) 1837, Nr. 26. – Tudományos gyüjtemény, d. i. Wissenschaftliche Sammlung (Pesth, 8°.) 1829, Heft XI. – Vasarnapi ujság, d. i. Sonntags-Zeitung (Pesth, 4°. ) 1854, Nr. 5, S. 36: „Mentelli, a Magyar Diogenes“.