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BLKÖ:Potocki, Alfred Graf

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Potlis, Michael
Band: 23 (1872), ab Seite: 147. (Quelle)
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Potocki, Alfred Graf (Staatsmann, seit 1870 kaiserlich österreichischer Minister-Präsident, geb. im Jahre 1817). Sohn des geheimen Rathes und Ober-Hofmeisters von Galizien Grafen Alfred P. (geb. 1785) aus dessen Ehe mit Josephine Prinzessin Czartoryska-Korzek. Widmete sich Anfangs der diplomatischen Laufbahn, indem der Graf eine Zeit hindurch der österreichischen Gesandtschaft in London attachirt war. Bald jedoch zog er sich von diesem Posten zurück, um seine ungeheueren Gütercomplexe in Galizien, wie in Russisch-Polen selbst zu bewirthschaften. So lebte der Graf Jahre lang, zurückgezogen von allen öffentlichen Geschäften, mit der persönlichen Leitung und Verwaltung seines ausgebreiteten Grundbesitzes beschäftigt. In dieser Richtung – gleichsam der Vorschule seiner späteren staatsmännischen Laufbahn – suchte der Graf auch seine große und dankbare Aufgabe in einer dem vorgerückten Standpuncte der Gegenwart, welche eben auf landwirthschaftlichem und industriellem Gebiete, begünstigt durch den großartigen Aufschwung der Naturwissenschaften, immer neue Eroberungen macht, entsprechenden Weise zu lösen. So hat der Graf auf seinen Gütern nach allen Richtungen hin, erprobte Verbesserungen und darunter eine rationelle Ausforstung der Wälder, Drainage, Wiesenbewässerung, Anpflanzung neuer Culturpflanzen, eine veredelte Obstzucht, welch letzterem Zweige der Graf, selbst ein tüchtiger Pomolog, eine besondere Aufmerksamkeit zuwendet u. dgl. m. eingeführt. Als Präsident des galizischen Pferdezuchtvereines entwickelte der Graf zur Hebung der Landes-Pferdezucht eine erfolgreiche Thätigkeit. Mit diesen umfassenden landwirthschaftlichen Reformen [148] verband der Graf auch große industrielle Unternehmungen durch Errichtung verschiedener Fabriken, für deren Beschäftigung ihm eben seine großen Besitzungen den Rohstoff zur Verarbeitung liefern und so finden sich auf seinen Herrschaften bedeutende Zucker-, Liqueur-, Leder-, Tuchfabriken u. dgl. m., deren Erzeugnisse auch auf verschiedenen Ausstellungen entsprechende Würdigung fanden. Als nach der politischen Katastrophe des Jahres 1859 die Verwaltungszustände im Kaiserstaate in neue Bahnen geführt wurden und an Stelle der bisherigen Beamten-Autokratie verfassungsmäßige Reformen traten, wurde auch der Graf P. am 18. April 1861 als Mitglied in den erblichen Reichsrath berufen. Auch wurde er im nämlichen Jahre zu Lezajsk in Galizien in den Landtag gewählt. 1867 abermals von den Landgemeinden Brzezan-Przemyslany in den galizischen Landtag gesendet, wählte ihn dieser am 2. März desselben Jahres zum Reichsraths-Abgeordneten, welches Mandat jedoch P. auf Wunsch des Kaisers niederlegte, um im Herrenhause seinen Sitz einzunehmen. Da P. als Oekonom einen begründeten Ruf besaß, so wurde im Jänner 1868, als das Bürgerministerium Giskra, Hasner , Herbst die Leitung der Staatsgeschäfte übernahm, dem Grafen P. das Portefeuille des Ackerbaues übergeben. Als Ackerbauminister hat nun der Graf die Landwirthschaft nahezu zwei Jahre hindurch im Rathe der Krone auf vorzügliche Weise vertreten, denn erst unter ihm wurde der Landwirthschaft in Oesterreich jene Förderung und Unterstützung von Seite des Staates zu Theil, welche man in dem sogenannten „Agriculturstaate“ Oesterreich so lange und so schmerzlich vermißt hatte. P. hat nun als vieljähriger erfahrener und selbstthätiger Landwirth die zahllosen Mängel und die verschiedenen Bedürfnisse kennend, in kürzester Zeit eine ganze Reihe von Maßregeln zur Hebung der Landwirthschaft eingeführt, theils viele demnächst einzuführende vorbereitet. Er hat den noch im Jahre 1867 mit 142.000 fl. im Voranschlag gestellten Staatsaufwand für Landescultur auf 600.000 fl. erhöht, welche Summe bis auf den Betrag von. 35.000 fl. ausschließlich zu landwirthschaftlichen Zwecken bestimmt ist. Leider währte dieser Blüthenstand der österreichischen Agricultur-Administration nur kurze Zeit. Ende 1869 trat Graf P. im Vereine mit dem Minister-Präsidenten Grafen Taaffe und Dr. Joh. N. Berger, als Anhänger des Minoritätsgutachtens, von seinem mit so viel Sach- und Fachkenntniß verwalteten Posten ab. Sein Rücktritt von demselben, auf dem er in verhältnißmäßig kurzer Zeit so verdienstlich gewirkt, wurde von den österreichischen Landwirthen sehr bedauert und in einigen Kronländern diesem Bedauern durch an den Grafen gerichtete Adressen Ausdruck gegeben. Nach dem Rücktritte der Minorität erfolgte, wie das nach der unerhörten Drucklegung der von beiden Parteien verfaßten Denkschriften – der berüchtigten Memoranden vorauszusehen war, alsbald auch jener der Majorität und nach einem kurzen Interregnum, in welchem Herr von Plener interimistisch das Ministerpräsidium führte, erhielt Graf Potocki von Sr. Majestät den Auftrag, ein neues Cabinet zu bilden. Der Graf bildete das neue Cabinet, dessen Präsident er wurde. Als im October 1870 der neu einberufene Reichsrath sich versammelte, und nach einer wegen der Wahlen in Böhmen erfolgten Vertagung erst im November zu [149] tagen begann, hat Graf Potocki in der Adreßdebatte am 19. November u. a. folgende, die Situation des Staates, wie des unter seiner Präsidentschaft stehenden Cabinets kennzeichnenden Worte gesprochen: „Die Aufgabe, die ich mir gestellt, war die, die Renitenzen aufhören zu machen und den Kampf, der aufgenommen werden soll und muß, in diesem Hause ausfechten zu lassen. Meine ganze Thätigkeit war darauf gerichtet, dies zu erreichen. Meine Aufgabe, sie ist mir nicht gelungen, aber ihre Idee hat so mächtige Folgen nach sich gezogen, daß Viele, die den Boden der Verfassung nicht weiter betreten wollten, die gesagt haben: „Wir und die Verfassung haben nichts gemeinsam“! sich endlich doch bewogen fanden, in dieses Haus zu kommen. Ich constatire, daß immer ein Factor zur Durchführung dieser Idee gefehlt hat, dieser Factor ist die Zeit, dazu tritt die Ungeduld und das Mißtrauen. Dadurch wird in Oesterreich alles unmöglich; von allen Seiten wird gehetzt und nur wenige haben Muth, Kraft und Patriotismus, um allen diesen Schwierigkeiten zu widerstehen. Die Behauptungen des Herrn Dr. Herbst waren doch ausschließlich vom Parteigeist beseelt. Dieser Parteigeist aber, wenn er auf der Ministerbank waltet, ist immer verderblich. Es ist nicht genug, zu sagen, daß man vom Parteigeiste frei sei, man muß es auch beweisen können und die Beweise sind leider oft nicht hinreichend, um Jedermann davon zu überzeugen. Man hat mir hier und im anderen Hause vorgeworfen, ich hätte nichts gethan. Nun in sieben Monaten läßt sich auf diesem Wege in Oesterreich nicht viel machen, lassen sich die schroffsten Gegensätze nicht abschwächen. Ich bitte um Zeit und Vertrauen, das sind die zwei Factoren mit denen man in Oesterreich rechnen muß, um Friede und Versöhnung zu erreichen“. Das ist Wahrheit, die einem Staatsmanne wohl steht, so bitter sie zu hören ist. Die bisher denkwürdigste That seiner Minister-Präsidentschaft ist die nach der päpstlicherseits erfolgten officiellen Verkündigung des Unfehlbarkeitsdogmas officiell ausgesprochene Aufhebung des im Jahre 1856 zwischen Sr. Majestät dem Kaiser Franz Joseph I. und dem Papste Pius IX. abgeschlossenen Concordates, das als ein das Vertrauen erdrückender, künstlich hineingetriebener Keil über anderthalb Jahrzehende zwischen Krone und Volk steckte. Ende December 1870 verlautete es: Graf Potocki habe Se. Majestät um Enthebung von seinem Minister-Präsidentschaftsposten gebeten und sei ihm dieselbe mit dem Vorbehalte, die Geschäfte bis zur Bildung eines neuen Cabinetes fortzuführen, gewährt worden. Einen Monat später wieder hieß es jedoch, Graf Potocki werde die Minister-Präsidentschaft fortführen, und er selbst mit der Neubildung des Cabinets betraut werden. Da brachte die „Wiener Zeitung“ vom 7. Februar 1871 des Grafen und der übrigen Minister Enthebungsdecrete, datirt Ofen, vom 4. Februar 1871, worauf mit Allerh. Handschreiben ddo. Ofen, 6. Februar d. J. das Ministerium Hohenwarth-Habietinek-Jiřecek zur Führung der Staatsgeschäfte berufen wurde. – Graf Alfred P. ist mit Marie Clementine gebornen Prinzessin Sanguszko-Lubartovicz vermält, aus welcher Ehe mehrere Kinder vorhanden sind.

Hahn (Sigmund), Reichsraths-Almanach für die Session 1867 (Prag, 8°.) S. 68. – Neue freie Presse 1868, Nr. 12032, in der [150] „Correspondenz“ aus Lemberg vom 1. Jänner; – 1869, Nr. 1714, in der „kleinen Chronik“. – Neues Wiener Tagblatt 1868, Nr. 4, im Feuilleton; – 1870, Nr. 95: Leitartikel: Potocki- Rechbauer“. – Laibacher Zeitung 1870, Nr. 151: „Ein Pole über Polen“. – Silesia (schlesisches Blatt) 1870, Nr. 16: „Graf Alfred Potocki“. – Gratzer Volksblatt 1868, Nr. 22. – Reichenberger Zeitung 1868, Nr. 5: „Der polnische Minister“. – Tagesbote aus Böhmen (polit. Blatt) 1868, Nr. 4, im Feuilleton: „Die Männer der neuen Aera“. – In allen Farben. Volksthümliche Erläuterungen unserer neuen konstitutionellen Gesetze und Verordnungen u. s. w. Zweite Brochure: Unsere neuen Minister (Wien 1868, Zamarski Tasch. Form.) S. 27.