BLKÖ:Lipiński, Karl Joseph
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Band: 15 (1866), ab Seite: 217. (Quelle) | |||
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[218] wieder ein eigenthümlicher Umstand, der seine Virtuosität im Violinspiele steigerte und namentlich jene Kunstfertigkeit in Doppelgriffen, welche bei L. bekanntermaßen außerordentlich war, zur Folge hatte. L. spielte nämlich nicht Clavier, dessen sich die Dirigenten als des zweckmäßigsten Surrogates für das Orchester beim Einstudiren zu bedienen pflegen. L. mußte sich also mit der Violine behelfen, was ihn veranlaßte, doppelstimmig zu accompagniren und auch noch den Eintritt der Singstimmen nebenher zu markiren. Dadurch aber erhielt er eine Fähigkeit und Fertigkeit im doppelgriffigen Spiele ohne Gleichen. Die Muße seines Capellmeisterberufes benützte er zu Compositionen für sein Instrument, wobei er namentlich die virtuosen Momente der besonders ihm eigenen Technik in’s Auge faßte. Dabei muß aber bemerkt werden, daß L., im Gegensatz zu seinen musikalischen Collegen, die übrige geistige Bildung durchaus nicht vernachlässigte. Schon sein Vater hatte für seinen Unterricht in mehreren Sprachen Sorge getragen und L. denselben später sorgfältig fortgesetzt, aber auch sonst in einem unablässigen Bestreben, sich zu bilden, eignete er sich manche tüchtige Kenntnisse in verschiedenen Wissenszweigen an und steigerte dadurch nicht wenig das tiefere Verständniß und die erfolgreichere Ausübung seiner Kunst. Bis zum Jahre 1814 verblieb L. in seiner Lemberger Stellung. Da lockte ihn die Anwesenheit Spohr’s in Wien nach der Residenz, um den als Altmeister und Begründer der deutschen Violinschule angesehenen Künstler daselbst zu hören. Aber wie sehr L. den Ruf Spohr’s berechtigt fand, so sah er sich doch nicht veranlaßt, in seiner eigenen Kunstrichtung etwas zu ändern. Sich selbst und seiner richtigen Erkenntniß treu bleibend, ließ er sich nie durch fremde Auffassung irre machen, denn das ist ja eben das Wesen der echten Kunst. daß sie, in fremden Fußstapfen nachzutreten verschmähend, in sich selbst den festen Halt findet und ihre Eigenkraft in jungfräulicher Reinheit zu wahren weiß. Von Wien kehrte L. nach Lemberg zurück, gab aber, um sich ungestört seinen Kunststudien und der Composition widmen zu können, seine Stellung beim Lemberger Theater auf. Da tauchte wie ein Meteor Paganini’s Name am musikalischen Horizont auf. Es war im Jahre 1817, daß die Zeitungen von den Wunderleistungen dieses Kunstphänomens nicht genug schreiben konnten. Es bildeten damals Kunst und Theater noch den Hauptinhalt alles öffentlichen Lebens. Lipiński hatte bald seinen Entschluß gefaßt und reiste nach Italien, um Paganini zu hören. In Piacenza traf er eben ein, als Paganini ein Concert gab. In diesem war Lipiński der Einzige, welcher, während das anwesende Publicum sich dem Virtuosen gegenüber still verhielt, seinen Beifall laut zu erkennen gab. Man wurde auf den Fremden aufmerksam, der nun auch seinerseits erklärte, daß er selbst ein Künstler und weit aus dem Norden hergereist sei, um Paganini zu hören. Die Bekanntschaft mit Paganini ward sofort vermittelt und Lipiński spielte nun nicht nur täglich mit Paganini, sondern trat auch mit ihm in Piacenza in zwei Concerten, am 17. und 30. April 1818, öffentlich auf. [Hier muß bemerkt werden, daß die Angaben von Fétis über Lipiński in seiner „Biographie universelle“ unrichtig und nach der Biographie in der Zeitschrift „Europa“ 1859, Nr. 33, zu berichtigen sind.] Wie sich Lipiński von der Eigenart des großen italienischen Künstlers angezogen [219] fand, so war auch Paganini dem nordischen Virtuosen zugethan und machte ihm den Antrag zu einer gemeinschaftlichen Kunstreise durch Italien, welche L. jedoch ablehnte und Ende 1818 zu seiner Familie nach Lemberg zurückkehrte. Nach seiner Rückkehr in die Heimat erfuhr L., daß in Lemberg noch ein Schüler Tartini’s lebe. Es war dieß ein neunzigjähriger Greis, Namens Mazzurana, der Alters halber selbst die Violine nicht mehr spielen und so Lipiński einen Begriff von Tartini’s seiner Zeit so berühmter Spielweise nicht mehr geben konnte. Aber indem Mazzurana von Lipiński Tartini’sche Sonaten mit unterlegten Textworten mehrere Male mit declamatorischer Betonung laut vorlesen und dann in analoger Weise spielen ließ, kam Lipiński, wenn nicht zu Tartini’s Spielweise, so doch zur Kenntniß des eigenthümlichen Zaubers, den eine poetisch empfundene und so auch ausgeführte Leistung auf den Hörer ausübe. Seit dieser Zeit war er auch immer bedacht, die Kunstwerke, welche er eben spielte, poetisch zu erfassen und diese Auffassung entsprechend in Tönen wiederzugeben. Auf diese Art erhielt Lipiński’s Spiel einen seelen- und ausdrucksvollen Charakter, und ist es bekannt, wie er namentlich in der Ausführung Beethoven’scher Compositionen. bei deren Vortrag der angedeutete Weg allein zum Ziele führt, in ausgezeichneter Weise sich hervorthat. Nachdem L. sich einige Zeit in Lemberg aufgehalten, ging er nun auf Kunstreisen, von denen die im Jahre 1821 nach Deutschland und eine andere im Jahre 1825 nach Rußland unternommene, auf welch beiden er große Triumphe feierte, anzuführen sind. Eine unerquickliche Periode in Lipiński’s Leben bildet das Jahr 1829, in welchem L. mit Paganini in Warschau zusammentraf und beide Künstler daselbst zu concertiren beabsichtigten. Ein italienischer Gesangsmeister in Warschau, Namens Soliva, schmiedete zu Paganini’s, seines Landmanns, Gunsten allerlei Ränke, entzweite beide noch aus dem Zusammentreffen in Piacenza befreundeten Virtuosen und brachte es zu solchen Demonstrationen, daß sich zwei Parteien bildeten, deren jede ihren Schützling auf Kosten seines Nebenbuhlers zu heben suchte, und in Folge welcher Rivalität Lipiński zu einer Erklärung in der Warschauer Zeitung genöthigt ward, die sich und mit Recht, auf das bekannte Anch’ io son pittore gründete. [Es wird hier auf die interessante Vergleichung Lipiński’s mit Paganini von Saphir, welche in den Quellen folgt, hingewiesen.] Von Warschau kehrte L. nach Lemberg zurück, welches er nach mehrjährigem Aufenthalte im Jahre 1835 wieder verließ, und nun in Begleitung seiner Frau und seiner kleinen Tochter eine große Kunstreise nach Deutschland, Frankreich und England antrat. Nach Deutschland und Leipzig kehrte er im August 1836 zurück. Im Jahre 1839 wurde er zum ersten Concertmeister des sächsischen Hofes ernannt und trat am 1. Juli d. J. diesen Posten an. Vornehmlich seinen Bemühungen verdankt das Violin-Quartett der kön. sächsischen Capelle seine entsprechende Reorganisation. Neunzehn Jahre lag L. diesem Amte mit großer Gewissenhaftigkeit ob, als er im Jahre 1858 von einem für einen Künstler und Musiker seines Ranges harten Schicksal, von einer Lähmung der linken Hand, betroffen wurde, welcher Unfall ihn bestimmte, seine Entlassung von dem Posten als Hof-Concertmeister zu nehmen. Die folgenden zwei Jahre suchte L. Genesung in böhmischen Bädern. Er [220] fand wohl eine Linderung, aber keine Heilung seines Leidens. Sein Lieblingsplan war nun, sich in den schönen Gegenden der heimatlichen Karpathen irgendwo ein Landgut zu kaufen, dort eine Musikschule für Violinspieler zu gründen und nur arme oder talentvolle und folgsame junge Leute aufzunehmen. Er meinte, die Armen müßten lernen und folgen, das Beste sei von ihnen zu erwarten. Nur die erste Hälfte seines Wunsches ist in Erfüllung gegangen, er hatte sich auf ein liebliches Besitzthum in seinem Vaterlande zurückgezogen; an der Verwirklichung der zweiten hinderte ihn sein bald darauf an den Folgen einer plötzlichen Lungenlähmung eingetretener Tod. Als Compositeur hat L. folgende Werke herausgegeben: „Deux Caprices pour Violon avec accompagnement de basse“ ( Leipzig 1816, Peters), Op. 2; – „Sicilienne variée“ (ebd.), Op. 3; – „Variations en sol“, Op. 4; – „Variations pour violon el orchestre“ (Leipzig, Breitkopf und Härtel), Op. 5; – „Deux polonaises“ (ebd.), Op. 6; – „Rondo alla Polacca“ (ebd.), Op. 7, und ein zweites: Op. 13; – „Trio pour deux violons et violoncelle“ (ebd.), Op. 8; – „Trois polonaises pour violon et piano“ (ebd.), Op. 9; – „Trois caprices pour violin et piano“ (Leipzig, Kistner), Op. 10; – „Variations sur la „Generentola“ (Leipzig, Peters), Op. 11; – „Trio pour deux violons et violoncelle“ (ebd.), Op. 12; – „Premier Concerto en fa mineur“ (ebd.), Op. 14; – „Variations sur le „Pirate“ (Wien, Haslinger), Op. 15; – „Duetto d’il „Crociato“ (Leipzig, Hofmeister), Op. 16; – „Rondo alla Polacca sur un air polonais“ (Leipzig, Peters), Op. 17; – „Rondo de Concert“ (Leipzig, Breitkopf), Op. 18; – „Souvenir de la mer Baltique, divertissement avec piano“ (ebd.), Op. 19; – „Variations sur le „Barbier de Seville“ (ebd.), Op. 20; – „Concerto militaire“ (ebd.), Op. 21; – „Variations de Bravoure“ (Leipzig, Peters), Op. 22; – „Variations sur la „Sonnambule“ (Leipzig, Kistner). Op. 23; – „Troisième concerto en mi mineur“ (Leipzig, Hofmeister), Op. 24; – „Adagio elegiaco pour les concerts“ (Berlin, Schlesinger), Op. 25; – „Fantaisie et variations sur les „Huguenots“ (ebd.), Op. 26; – „Reminiscences des „Puritains“ (Leipzig, Breitkopf), Op. 28; – „Trois caprices pour violon“ (Hamburg, Schuberth), Op. 29; – „Fantaisie sur „Hernani“ (Leipzig, Hofmeister). Op. 30; – „Fantaisie sur des airs napolitains“, Op. 31; – „Quatrième concerto“ (Leipzig, Hofmeister), Op. 32; – „Fantaisie sur le „Cracoviens“ de J. Stefani“ (ebd.). Op. 33; – „Trois caprices dans le style dramatique pour violin avec accompagnement de piano“ (Wien, Haslinger), Op. 47; – „Six morceaux de salon pour violon avec piano, sur les „Soirées de Rossini“, I marinari, la Serenata, la Danza, l’Orgia, la Pastorella, et la Regatta veneziana“ (Mainz, Schott); – „Trois melodies de la „Parisina“ (Dresden). Außerdem erschienen von ihm zu der von Waclav z Oleska herausgegebenen Sammlung polnischer und ruthenischer Volkslieder, die dem Volksmunde entnommenen Sangweisen, unter dem Titel: „Piesni polskie i ruskie ludu galicyiskiego z muzyką instrumentowana“ (Lemberg 1833, Piller, 8°.). Es sind zwei Bände, ein Band Text, ein Band Compositionen, etwa 200 Gesänge fassend; eine bereits sehr seltene und sehr [221] gesuchte und geschätzte Sammlung. Auch sind noch von ihm bekannt mehrere Compositionen zu den Liedern Padura’s, der polnischen Balladen von Mickiewicz; Einrichtungen Chopin’scher Melodien für die Violine, und ein ganz besonderes Verdienst erwarb er sich für die Musikwelt durch den Commentar, welchen er zu den Haydn’schen Streichquartetten und zu Sebastian Bach’s Sonaten für Clavier und Violine, durch Bezeichnung des Zeitmaßes und der Vortragsweise, geschrieben. Daß es einem Künstler solcher Bedeutung nicht an Auszeichnungen fehlte, versteht sich wohl von selbst. Hier sei nur bemerkt, daß er schon im Jahre 1838 zum ersten Violinisten des kais. russischen Hofes ernannt worden und daß ihn sein König Friedrich August von Sachsen mit dem kön. Albrecht-Orden ausgezeichnet.
Lipiński, Karl Joseph (Tonkünstler, geb. zu Raczyn, nach Sowiński, eine Ortschaft in Galizien, nach Anderen ein Städtchen in der Wojwodschaft Podlachien im Gouvernement Lublin, 30. October 1790, gest. zu Orlow bei Zborow im Zloczower Kreise Galiziens am 16. December 1861). Sein Vater Felix (gest. 1847), der in Diensten verschiedener Edelleute als Güterbevollmächtigter stand, war selbst ein geschickter Musicus, und obgleich nur Naturalist, doch in musikalischen Dingen so bewandert, daß er öfter mit der Bildung und Einrichtung von Privatcapellen der galizischen Edelleute, in deren Diensten er eben stand. betraut wurde. Von seinem Vater erhielt der junge L. den ersten Unterricht auf der Violine und später, als er nach Lemberg kam und dort die Bekanntschaft eines Beamten machte, der gut das Violoncell spielte, auf diesem letzteren Instrumente. Bald aber kehrte er zur Violine zurück, da ihm jener treffliche Violoncellist die Ueberzeugung beibrachte, daß der Violoncellspieler immer mehr oder weniger nur eine untergeordnete Stellung einnehmen könne, wo hingegen einem Violinisten die erste Position im Orchester offen stehe. Die Virtuosität, zu welcher L. es auf dem Violoncell gebracht, mochte wohl auch die Ursache der Breite und Fülle des Violintones sein, den Lipiński wie kein zweiter Geiger seiner Zeit zu spielen verstand. Im Alter von 20 Jahren erhielt L. die Stelle eines Concertmeisters am Lemberger Theater, welche er durch zwei Jahre behielt. In dieser Zeit ließ er sich öfter an einem und demselben Abend mit Solo’s auf der Violine und auf dem Violoncell hören, mit seinem virtuosen Spiele auf beiden stürmischen Beifall erntend. Im Jahre 1812 wurde er Theater-Capellmeister und hatte als solcher die deutschen, französischen und italienischen Opern jener Zeit mit dem Personale einzustudiren. Hier war es- Ueber Lipiński’s Geburtstag sind zwei verschiedene Angaben vorhanden. Familiennachrichten setzen seine Geburt auf den 4. November; der amtliche Taufschein gibt den 30. October an. – Europa. Chronik der gebildeten Welt (Leipzig, 4°.) Jahrg. 1859, Nr. 33. – Männer der Zeit. Biographisches Lexikon der Gegenwart (Leipzig 1860, Karl B. Lorck, 4°.) Erste Serie, S. 621. – Krakauer Zeitung 1862, Nr. 8 u. 9. – Cours-Blatt der Gratzer Zeitung 1862, Nr. 10 und 12. – Zellner’s Blätter für Theater, Musik u. s. w. (Wien, 4°.) 1861, Nr. 104. – Neues Universal -Lexikon der Tonkunst. Angefangen von Dr. Jul. Schladebach, fortgesetzt von Ed. Bernsdorf (Dresden 1856, Rob. Schäfer, gr. 8°.) Bd. II, S. 778. – Gaßner (F. S. Dr.), Universal-Lexikon der Tonkunst. Neue Handausgabe in einem Bande (Stuttgart 1849, Franz Köhler, Lex. 8°.) S. 547. – Schilling (G. Dr.), Das musikalische Europa (Speyer 1842, F. C. Neidhard, gr. 8°.) S. 213. – Postęp, d. i. der Fortschritt (polnisches Journal) (Wien, 4°.) III. Jahrg. (1862), Nr. 10 [mit L.’s Bildniß im Holzschnitt]. – Dziennik polski, d. i. Polnisches Tageblatt (Lemberg, Fol.) 1862, Nr. 3 u. 4. – Dalibor. Časopis pro hudbu, divadlo a uměni vůdec, d. i. Dalibor. Zeitschrift für Musik, Theater u. s. w. (Prag, 4°.) V. Jahrgang (1862), S. 7. – Sowinski (Albert), Les musiciens polonais et slaves anciens et modernes (Paris 1857, Adrien Le Clere & Co., gr. 8°.) p. 371–376. – Auch novellistisch tritt L. in deutschen und slavischen Erzählungen auf. So in der Erzählung von J. S. Braun: „Ein starkes Herz“, welche in der Beilage zur illustrirten Muster- und Modezeitung „Victoria“ 1862, Nr. 5, abgedruckt stand, worin namentlich „Die Nachrede wegen Lipiński. Aus hinterlassenen Papieren“ bemerkenswerth ist. – Eine größere Novelle brachte auch die čechische, in Prag erscheinende Musikzeitschrift „Dalibor“ 1862, Nr. 26 u. f.: „Paganini a Lipinski“, von Meliš Körschner. – Porträt. Facsimile des Namenszuges: Karl Lipiński. Kriehuber (lith.) 1837. Gedruckt bei Joh. Höfelich (Wien, bei Tobias Haslinger, Halb-Fol.). – Urtheile über Lipiński als Künstler. G. W. Fink und nach ihm Gaßner schreiben über L. wie folgt: „Lipiński ist ein Künstler für sich und steht als solcher einzig: doch ist seine Grundwesenheit in der deutschen Schule zu suchen. Die größten Schwierigkeiten legen unter seinen Händen ihr sonst herbes Wesen gänzlich ab und erweisen sich so weich und geschmeidig, daß er ohne die geringste Gefahr, sicher in sich selbst, mit ihnen spielen kann. ... Alles ist Ton, in jedem Seele und jeder sprüht Leben des innersten Gefühls. Sein Strich ist lang, breit, gewaltig und wieder so zart wie fernes Säuseln; jede Weise des Mannigfaltigen ist rund, deutlich, voll und schwunghaft; auf den entgegengesetzten Puncten des Starken und Schwachen immer noch in den wunderlichsten Schattirungen verschieden prangend, so daß er durchgreifend Stärke mit Stärkerem, das Leiseste mit noch Leiserem überraschend und wohlthuend zugleich verherrlichte. Einen großartigeren Violinvirtuosen kennen wir nicht, und wir hörten die größten“. So Fink und Gaßner. Auch über Lipiński’s Compositionen schreibt Gaßner: „Seine Compositionen sind tüchtig, nicht allein als Uebungen für bedeutende Violinspieler betrachtet, denen sie nicht genug empfohlen werden können, sondern auch ihrem wesentlichen Gehalte nach“. Das Schladebach-Bernsdorf’sche „Universal-Lexikon der Tonkunst“ bezeichnet sie hingegen in seiner vorherrschend negativen Stimmung für „Ziemlich untergeordnet in Beziehung auf [222] den musikalischen Werth“ (!). – Origineller und in mancher Hinsicht – namentlich durch die Parallelisirung Lipiński’s und Paganini’s – bezeichnender ist Saphir’s, in der Zeitschrift „Argus“ 1837, S. 335, enthaltenes Urtheil über Lipiński’s Spiel: „Auch auf der Violine“, schreibt Saphir, „kämpft das Romantische mit dem Classischen. Paganini ist der Repräsentant des Romantischen, Lipiński der Genius des Classischen. Bei ihm ist alle jene, zur echten Weihe der Kunst, unentbehrliche Ruhe, jene in sich abgeschlossene und reifvollendete Ruhe, die ganz allein das Zeichen und zugleich die Blüthe und Frucht aller Classicität, aller inneren Vollendung ist. Bei Paganini vergessen wir die Kunst über den Künstler, bei Lipiński vergessen wir den Künstler über die Kunst. Paganini’s Violine bewundern wir, Lipiński’s Violine lieben wir. In Paganini’s Geige ist aller capriciöse Reiz einer Italienerin; zwischen den flötenartigen Seufzern der Liebe ertönt ein wilder Apenninen-Ruf; das zärtlichste Girren wird von einem gellenden Dämonenklang zerrissen; über die glutgefüllten Augen der Gewährung ziehen sich Gewitterbrauen mit Bravos bevölkert und unter dem verführerischsten Lächeln lauern venetianische Dolche. Wir lieben sie mit Angst, bewundern sie mit Zittern und unter ihren süßesten Verirrungen drückt uns Unheimlichkeit nieder. In Lipiński’s Geige aber ist alle Anmuth, das ganze bezauberte Gemüthsleben einer schönen Polin. In ihr Klarheit und Tiefe, rührende Nationalität, Gediegenheit des Gefühls, Weichheit, süße, anschmiegende, wohlthuende, sommerliche Milde und erhebende, auf Kraftfülle und Bewußtsein gegründete Kühnheit. Paganini hat uns gezeigt, was ein Herr und Gebieter über die Violine als Sclavin vermag, zu welcher Knechtschaft sie sich herbei läßt, wie sie die härtesten Sclavendienste mit Lust und mit Anstand verrichtet, wie sie selbst die mißhandelnden Launen und Capricen ihres Herrn mit gelenken und wunderbaren Gliedern vollzieht. Ich habe Paganini nie spielen hören, ohne an die Leibeigenschaft der Violine zu denken. Lipiński hingegen zeigt uns, was ein liebendes, fühlendes Herz, ein klarer Geist, ein kräftiges Gemüth über die Violine als Seelengeliebte, zu welcher süßen Selbstaufopferung, zu welcher innigen Empfindung, zu welcher seligen Stimmung, zu welcher wehmüthigen Rührung und unglaublichen, zärtlichen Erwiederung sie die Hand der Liebe zuführen vermag ... In Lipiński ist die Kunst in ihrer heiligen, angestammten Unverletzlichkeit, in ihrer legitimen Reinheit, in ihrer unverkünstelten und unverzehrten Weihe vor uns erschienen Seine Violine ist keine Baguette und kein Trampolinboden, sein Bogen ist kein Seiltänzer und kein Klischnigg. Er tritt herein bescheiden, anspruchlos, er nimmt sein braunes Liebchen, die Violine, zur Hand und wie eine emporziehende Sonne über den erwachenden Wald zieht der Bogen über die Saiten hin, und die Schlummerer in ihnen alle werden wach, die Nachtigallen und die tausend Sänger des Hains und aus dem hölzernen Boden steigen sie heraus, die geharnischten Töne und die herzlichsten Klänge, und sie ziehen einher wie Geister der Liebe, der Wehmuth, der Schmerzen und der schmelzenden Lust und bevölkern unsere Brust und unser Herz mit einer Welt voll geistiger Wesen und Empfindungen. Er aber steht anspruchlos da, ein Beschwörer der Tonwelt, er allein ganz ruhig in dem magischen Zauberkreise seiner Klänge. Das ist Lipiński.“ Nun wird es wohl nicht mehr dünkelhaft von Seite Lipiński’s erscheinen, wenn er bei den in der obigen Lebensskizze angeführten, durch Ränkemachen und Paganinische Parasiten bewirkten Demonstrationen und öffentlichen Parteikundgebungen seine Erklärung abgab, welche sich auf das sprichwörtliche Anch’ io son pittore stützte.