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BLKÖ:Staps, Friedrich Gottlieb

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Stapf, Joseph Ambros
Band: 37 (1878), ab Seite: 145. (Quelle)
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Staps, Friedrich Gottlieb (ein Fanatiker, geb. 14. März 1792, erschossen zu Schönbrunn nächst Wien am 16. October 1809). Dieser unglückliche Fanatiker, der durch seine unsinnige That nicht unwesentlichen Einfluß auf die Geschicke des Kaiserstaates geübt, kommt nicht selten unter dem Namen Straps vor; sein wahrer Name ist Friedrich Gottlieb Staps, der auch Staapß und Stapz geschrieben erscheint. Sein Vater Friedrich Gottlieb Staps, der Sohn eines Landmannes aus der Umgebung von Naumburg an der Saale, wurde später Prediger an der St. Othmarkirche in Naumburg. Seine Gattin, des obigen Friedrich Mutter, ist eine geborene Wislicenus, die Tochter des Justus Jacob Wislicenus, Pastors im Dorfe Schönburg bei Naumburg. Der Name Wislicenus hat in der evangelischen Kirche einen mächtigen Klang. Ein jüngerer Bruder der Mutter unseres Staps wurde nachmals Prediger in einer Ortschaft bei Leipzig und ist der Vater des ehemaligen Predigers Gustav Wislicenus, der als Verfasser freisinniger religiöser Schriften, namentlich eines Werkes über die Bibel, als ein Kämpfer in der evangelischen Kirche und als Opfer seiner Ueberzeugung berühmt ist. Die Mutter des jungen Staps war in erster Ehe an den Wirth des Gasthofes „Zum Scheffel“ in Naumburg an der Saale verheirathet. Eines Tages sangen die Schüler des dortigen Domgymnasiums vor ihrem Hause, wie es damals Sitte war. Die hübsche junge Frau hörte dem Gesange zu. Einer der Sänger, der Schüler Fr. G. Staps, rief, als er die junge Frau erblickte, aus; „Wenn ich mir einst ein Weib nehme, eine solche Frau muß es sein, am liebsten [146] diese selbst.“ Und in der That, als diese Frau ihren ersten Mann, den Gastwirth, durch den Tod verlor, reichte sie dem etwas jüngeren S. ihre Hand in zweiter Ehe. In dieser wurde im März 1792 unser Staps geboren und in der Taufe nach seinem Vater Friedrich Gottlieb genannt. Dieser Sohn war der Mutter, die bisher in 17jähriger kinderloser Ehe gelebt, höchstes Glück; unter ihrer Sorgfalt wuchs er frisch und gesund auf. Er lernte leicht und gern. Anfänglich zeigte er Neigung zum geistlichen Berufe des Vaters, später aber entschied er sich für den Kaufmannsstand und widmete sich mit allem Eifer den darauf bezüglichen Studien. Dabei war er tief religiös und blieb es bis an sein Lebensende. Zu seiner Mutter zog ihn die innigste Liebe. „Mutter“, rief er eines Tages zu ihr, „wenn ich einst meinen eigenen Herd habe, nehme ich dich zu mir, dann will ich dir all deine Liebe vergelten.“ So trieb er mit Eifer seine Studien, übte Musik, zeichnete nicht ohne Talent, versuchte sich sogar in der Dichtung und bearbeitete, nach der Lectüre der berühmten Jugendschrift „Gumal und Lina“, einen Theil davon als Schauspiel. Im Jahre 1806, damals 14 Jahre alt, kam er als Lehrling in die Fabrik von Rothstein und Lentin nach Erfurt. Dort war er seiner Geschicklichkeit, seines Fleißes und seines herzlichen Benehmens wegen bald der Liebling des Principals geworden. Von einer besonderen Theilnahme für die politischen Vorgänge jener Tage zeigte sich bei ihm nie eine Spur. Als er im August 1809 die Eltern auf acht Tage besuchte, erschien er unbefangen, fröhlich. An den Vergnügungen eines Volksfestes, des sogenannten Kirschfestes, das man eben damals in Naumburg feierte, nahm er lebhaften Antheil. Auch beim Abschiede verrieth er sich mit keiner Miene, daß er eine That, wie jene, die er ausgeführt, vorhabe. Ohne ungewöhnliche Rührung, ohne besonderen Ernst auf seinen Zügen, nahm er Abschied von seinen Eltern, welche ihn damals zum letzten Male sahen. Nach dieser Zeit aber war er völlig ein Anderer geworden und widmete er den politischen Vorgängen eine ungetheilte Aufmerksamkeit, schrieb in den Briefen an seinen Vater demselben Alles, was er über den österreichisch-französischen Krieg erfahren konnte, berichtete mit großer Begeisterung von den Siegen des Erzherzogs Karl, schickte den historisch denkwürdigen Tagsbefehl desselben nach der Schlacht von Aspern vom 23. Mai 1809 in Abschrift an den Vater und meldete ihm den glänzenden Sieg über Napoleon, fügte dieser Nachricht verschiedene Gerüchte, von einer gefährlichen Verwundung Napoleon’s, von dessen Flucht, von einer Mobilisirung Rußlands und Preußens u. s. w., bei. Kurz er nahm an den politischen Zuständen einen Antheil, wie er ihn früher nie genommen oder gezeigt. Dabei beobachtete er große Vorsicht und bat den Vater stets, seine Briefe zu vernichten. Man sah es aus jeder Zeile, die er schrieb, daß er sich die unwürdigen Geschicke seines Vaterlandes sehr zu Herzen nahm. Dabei las er Schiller, der sein Lieblingsschriftsteller war, und gerade vor Ausführung seiner That „Die Jungfrau von Orleans“. In Erfurt reifte seine That. Den zwei Freunden die er dort hatte, theilte er sich mit. Der eine, Commis in einer Erfurter Buchhandlung, hieß Zerrenner und war später in französischer Gefangenschaft am Hungertode gestorben; der andere, Walter, diente in [147] einem Tuchgeschäft. Diesem Letzteren hatte sich S. schon früher anvertraut. Dann aber als sie alle drei eines Abends bei einer Bowle Punsch im traulichen Kreise beisammen saßen, sprach er seine Absicht, Napoleon zu ermorden, und so das Vaterland von diesem Ungeheuer zu befreien, offen aus. Die Freunde, die diesen Entschluß mit Entsetzen vernahmen, drohten ihm, wenn er nicht heilig verspreche, dieses Vorhaben aufzugeben, es dem Vater zu berichten. Nun lenkte S. ein, und gab vor, einen Scherz gemacht zu haben, so daß die Freunde das Ganze für einen Ausbruch der leidenschaftlichen Stimmung ansahen, die damals ziemlich in allen Kreisen herrschte, und nicht weiter von der Sache sprachen. Als am 23. September sein Principal Rothstein nach Leipzig zur Messe reiste, bestellte Fritz für sich Wagen und Pferd auf den nächsten Tag. Damit fuhr er am 24. September heimlich nach Ilmenau. Seine Barschaft betrug elf Friedrichsd’or. In Ilmenau nahm er die Post nach Wien. An seinen Freund Walter hatte er ein Blatt zurückgelassen des Inhaltes: „man solle ihn nicht suchen, nur todt auf dem Schlachtfelde werde man ihn wiederfinden“. An die Eltern schrieb er einen Brief, welcher in ganz überschwänglicher Weise gehalten ist, und worin er in begeisterten Worten den Vorsatz ausspricht „daß er fort müsse, um Tausende vom Tode und vom Verderben zu erretten, und dann selbst zu sterben“. Hier sei nun, und zwar der geschichtlichen Treue wegen, bemerkt, daß dieser Brief in zwei stark von einander abweichenden Varianten mitgetheilt ist, einmal und zwar zum ersten Mal im „Literarischen Wochenblatt“ 1820, Nr. 114, S. 454 und 455; das zweite Mal in der Keil’schen „Gartenlaube“ 1871, S. 30. Der erste Brief trägt das Datum Erfurt, den 25. September 1809, der zweite das Datum, Erfurt,. 20. September 1809. Daß es nicht zwei verschiedene Briefe sein sollen, erhellet aus ihrem Inhalte. Da jener im „Literarischen Wochenblatt“ aus dem Werke Bignon’s „Des proscriptions“ entnommen ist, so ist die Annahme wohl erlaubt, daß der mitgetheilte Brief aus dem Französischen übersetzt, wodurch dann die textliche Verschiedenheit auch erklärt ist. Nur die Verschiedenheit des Datums ist nicht oder durch einen Druckfehler zu erklären. Gewiß ist es, daß der Originalbrief nicht im Besitze der Familie blieb, weil er bald nach dem mißglückten Unternehmen S.’s, nebst allen anderen Briefen des Unglücklichen, von dem französischen Intendanten zu Erfurt durch eine eigene Staffette abgefordert worden, und nur so lange noch im Besitze der Eltern geblieben war, als nöthig war, davon eine Abschrift zu nehmen. Der Brief, dessen Inhalt, wie gesagt, in ganz exaltirter Weise gehalten war, versetzte die Eltern, die ihn nicht recht verstanden, in große Unruhe, nicht minder als seine Abreise von Erfurt, wobei er auch nicht im mindesten angedeutet, was das Ziel seiner Reise sei. Wann S. in Wien angekommen, erscheint nirgends mit Bestimmtheit angegeben, und auch die Angabe des Tages, an welchem Napoleon in Schönbrunn die Parade abgehalten, ist eine zweifache. Nach der „Gartenlaube“ ist ganz irrig der 23. October angegeben, alle anderen Quellen geben den 12., Geusau den 11. October an. Im weiteren Verlaufe der Darstellung des Attentates und des merkwürdigen, nach demselben stattgehabten Gespräches Napoleon’s mit S. halten wir uns an die Darstellung, [148] welche Julius Barni in seiner Schrift: „Napoleon und sein Historiograph Herr Thiers“ (1865) mittheilt, und welche in den Hauptsachen mit der Darstellung in dem Werke: „Voyage en Autriche, en Moravie et en Bavière à la suite de l’armée française en 1809“ (Paris 1818) von Cadet de Gassicourt und auch mit anderen Darstellungen des Attentates übereinstimmt. Im achten Capitel seines oberwähnten Buches schreibt Barni: „Am 12. October (1809), im Augenblicke, wo Napoleon, bei Abhaltung einer großen Heerschau zu Schönbrunn, dem Defiliren der Truppen zwischen seinem Minister Berthier und seinem Adjutanten Rapp anwohnte, trat ein junger Deutscher, der die rechte Hand in seiner Rocktasche hielt, aus welcher ein Papier hervorsah, gegen ihn vor. Berthier, in der Meinung, der junge Mann wolle eine Bittschrift überreichen, wandte sich nach ihm hin, mit der Aufforderung, die Bittschrift dem Adjutanten Rapp einzuhändigen. Der junge Mann erwiederte: er wolle mit Napoleon selbst sprechen, worauf, da er abermals näher getreten war, Rapp ihn bedeutete, sich zurückzuziehen, mit dem Hinzufügen: wenn er etwas zu erbitten habe, werde man ihn nach der Parade hören. Sein Blick indessen und sein entschlossenes Aussehen erweckten in dem Adjutanten Verdacht; er rief einen in der Nähe stehenden Gendarmerie-Officier herbei und ließ den Fremden verhaften und in’s Schloß führen. Man fand bei ihm ein Küchenmesser. Der junge Mann erklärte, er habe sich desselben bedienen wollen, um Napoleon niederzustoßen; er könne aber nur Napoleon selbst Rechenschaft über sein Benehmen geben. Der Kaiser, benachrichtigt, wollte ihn sehen und selbst verhören. Staps (das war der Name des jungen Mannes) wurde in des Kaisers Cabinet von zwei Gendarmen geführt; die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden. Er war vollkommen ruhig. Auf Napoleon’s Frage, ob er französisch spreche, erwiderte er gefaßt: „Sehr wenig.“ Rapp wurde darauf beauftragt, ihm die Fragen des Kaisers zu übersetzen, und Folgendes ist der Dialog, wie ihn jener selbst in seinen Memoiren (Cap. 21) wiedergegeben hat: „Wo sind Sie her?“ „Aus Naumburg.“ – „Was ist Ihr Vater?“ „Protestantischer Geistlicher.“ – „Wie alt sind Sie?“ „Achtzehn Jahre.“ – „Was wollten Sie mit Ihrem Messer thun?“ „Sie tödten.“ – „Sie sind verrückt, junger Mensch; Sie sind illuminirt.“ „Ich bin nicht verrückt, ich weiß nicht, was „illuminirt sein“ heißt.“ – „Sie sind also krank?“ „Ich bin nicht krank; ich befinde mich wohl.“ – „Warum wollten Sie mich tödten?“ „Weil Sie mein Vaterland unglücklich machen.“ – „Habe ich Ihnen ein Leid’s zugefügt?“ „Wie allen Deutschen.“ – „Wer hat Sie geschickt? wer treibt Sie zu diesem Verbrechen?“ „Niemand; nur die feste Ueberzeugung, daß ich, indem ich Sie tödte, meinem Lande und ganz Europa den größten Dienst erweisen werde, hat mir die Waffen in die Hand gegeben!“ – „Ist es das erste Mal, daß Sie mich sehen?“ „Ich habe Sie in Erfurt bei der Zusammenkunft gesehen.“ – „Haben Sie nicht damals schon die Absicht gehabt, mich zu tödten?“ „Nein; ich glaubte, Sie würden nicht mehr Krieg gegen Deutschland führen; ich war einer Ihrer größten Bewunderer.“ – „Seit wann sind Sie in Wien?“ „Seit zehn Tagen.“ – „Warum haben Sie so lange gewartet, um Ihr Project auszuführen?“ [149] „Ich bin vor acht Tagen nach Schönbrunn. mit der Absicht, Sie zu tödten, gekommen; aber die Parade war gerade zu Ende, ich hatte daher die Ausführung meiner Absicht auf heute verschoben.“ – „Sie sind verrückt, sage ich Ihnen, oder krank.“ „Weder das Eine, noch das Andere.“ – „Man lasse Corvisart kommen.“ „Wer ist Corvisart?“ – „Ein Arzt“, antwortete Rapp. „Ich brauche keinen.“ – Wir blieben – fährt Rapp fort – ohne ein Wort zu sagen, bis zur Ankunft des Arztes. Staps war unbeweglich. Corvisart kam; Napoleon hieß ihn den Puls des jungen Mannes befühlen; er that es. „Nicht wahr, mein Herr, ich bin nicht krank?“ „Der Herr befindet sich wohl“, erwiederte der Arzt, indem er sich an den Kaiser wandte. – „Ich hatte es Ihnen ja gesagt“, erwiederte Staps mit einer Art Genugthuung. Napoleon, von so viel Sicherheit des Benehmens in Verlegenheit gesetzt, nahm das Verhör wieder auf: „Sie haben einen exaltirten Kopf; Sie werden Ihre Familie ins Verderben bringen. Ich will Ihnen das Leben schenken, wenn Sie wegen des Verbrechens, das Sie begehen wollten, und das Sie bereuen müssen, um Gnade bitten wollen.“ „Ich will keine Gnade. Ich empfinde das größte Bedauern, daß mir mein Vorhaben nicht gelang.“ – „Der Teufel! es scheint, ein Verbrechen ist für Sie gar nichts?“ „Sie zu tödten, ist kein Verbrechen; es ist eine Pflicht.“ – „Was ist das für ein Bildniß, das man bei Ihnen gefunden hat?“ „Das eines Mädchens, welches ich liebe.“ – „Sie wird über Ihr Abenteuer sehr betrübt sein?“ „Sie wird betrübt sein, daß meine Absicht nicht gelang; sie verabscheut Sie ebensosehr, als ich.“ – „Aber wenn ich Sie begnadige, werden Sie es mir Dank wissen?“ „Ich werde Sie nichtsdestoweniger tödten.“ – Nach einem anderen Augenzeugen (Champagny) war diese Sprache von einem sehr sanften Ton und bescheidenen Manieren begleitet; kein angenommener Trotz, kein anmaßendes Wesen. Napoleon war niedergeschmettert (Napoléon fut stupéfait), fügt Rapp hinzu. Er ließ den Gefangenen abführen, um ihn nochmals durch den General Lauer verhören zu lassen. Der junge Mann beharrte entschieden dabei, daß der Plan ganz von ihm selbst gefaßt worden. Von den Mitteln, welche Napoleon anwandte, um ihn zum Geständniß zu bringen, erzählt der Geschichtschreiber Thiers nichts. Diese Mittel bestanden in der Tortur des Hungers! Napoleon selbst hat auf St. Helena dem Arzte O’Meara gestanden, er habe „Befehl gegeben, dem Gefangenen während 24 Stunden keine Nahrung zu reichen – nur Wasser“. [O’Meara, „Napoleon im Exil“]. Ein großer Bewunderer Napoleon’s, der kaiserliche Palastpräfect Herr de Beausset erzählt in seinen „Memoiren“ [Band II, Seite 228] Folgendes: „Man hielt ihn (Staps) einige Tage in völligster Abgeschlossenheit. indem man ihn die Leiden der Entziehung des Schlafes fühlen ließ, ihm blos Früchte zur Nahrung gab, um seine Leibesbeschaffenheit zu schwächen und ihn so zur Namensnennung seiner Mitschuldigen zu zwingen“. Damit stimmt auch im Wesentlichen Rapp’s Aeußerung, daß der Gefangene von Donnerstag bis Sonntag, wo er hingerichtet wurde, nichts genossen habe. Rapp sagt ferner: Als man Staps Nahrung bot. habe er sie verweigert, indem er erklärte, es bleibe ihm noch [150] Kraft genug, um den letzten Todesgang zu thun. Und er schritt dahin mit jener Festigkeit, die er vor Napoleon und im Gefängniß gezeigt hatte. Sein letzter Ruf war: „Es lebe die Freiheit! Es lebe Deutschland! Tod seinem Tyrannen!“ Der Eindruck, welchen die Unternehmung des deutschen Mutius Scävola – so wird Staps von Bourrienne genannt – auf Napoleon machte, war ein außerordentlicher. Der Franzosenkaiser entschloß sich rasch, mit Oesterreich Frieden zu schließen. Dies beruht auf dem Zeugniß Bourrienne’s und Champagny’s, Herzogs von Cadore. Der Letztere sprach sich, zufolge dem Zeugniß Bourrienne’s, dahin aus: Die furchtbare Einfachheit der Antworten S.’s, die kalte und unerschütterliche Entschlossenheit, die aus denselben hervorblickte, und der über alle menschliche Furcht so erhabene Fanatismus übten auf Napoleon den tiefsten Eindruck. Er ließ Alle abtreten und ich blieb allein bei ihm. Nach einigen Worten über einen so verblendeten und so wohl überlegten Fanatismus sagte mir Napoleon: „Wir müssen Frieden machen! (Il laut faire la paix.) Kehren Sie nach Wien zurück; rufen Sie die österreichischen Bevollmächtigten zu sich. Sie sind in den Hauptpuncten übereingekommen; die Kriegscontribution allein ist noch eine Schwierigkeit; Sie differiren um 50 Millionen – theilen Sie die Differenz; bringen Sie die Bevollmächtigten dazu, Ihnen 75 Millionen zu geben, wenn’s nicht anders zu machen ist, und schließen Sie den Frieden! Die letzte Fassung des Vertrages, die Sie mir vorlegten, convenirt mir; fügen Sie die Bestimmungen hinzu, die Sie für nützlich halten. Ich verlasse mich ganz auf Sie; aber schließen Sie Frieden!“ Die Redaction und die Abschriften des Vertrags-Textes wurden schnell festgestellt und ausgefertigt; vor 5 Uhr Morgens war der Vertrag unterzeichnet; um 6 Uhr war der Unterhändler in Schönbrunn. Am 14. October wurde er bekannt gemacht. Napoleon kam ihm mit beunruhigter Miene entgegen. „Nun, was haben Sie heute Nacht zu Wege gebracht?“ „Den Frieden, Sire.“ – „Also den Frieden? Und der Vertrag ist unterzeichnet?“ „Ja, Sire, da ist er!“ Napoleon’s Antlitz zeigte freudige Erregung; er gab seine Genugthuung offen zu erkennen. Am 16. October Nachmittag um 2 Uhr war Napoleon von Schönbrunn abgerückt. Der Staps’sche Versuch hat somit, nach der gut belegten Darstellung des französischen Schriftstellers, eine beträchtliche politische Wirkung geübt. Das Gelingen desselben hätte unberechenbare Folgen gehabt und die Niedermähung von hunderttausenden von Menschenleben, die noch in den späteren napoleonischen Eroberungskriegen fielen, verhindert.“ – Die Eltern erfuhren nichts über die That ihres unglücklichen Sohnes, denn Napoleon hatte strengste Weisung gegeben, daß in den Zeitungen der ganze Vorfall mit Schweigen zu übergehen sei. Die armen Eltern wurden von Freunden und Verwandten gemieden und mußten sogar für ihre eigene Sicherheit Sorge tragen. Der alte Pastor mußte sich Zeugnisse geben lassen über seinen unbescholtenen Lebenswandel; ja Arzt und Beichtvater stellten Zeugnisse aus, daß eine Verwandte der Familie zuweilen Anfälle von Geistesschwäche gehabt. Sogar das Zeichen der Trauer, ein Flor am Hute, wurde den Armen verboten, nicht etwa von den Franzosen, nein, von den Deutschen selbst!! – [151] Jahre vergingen und die Eltern hatten noch immer nichts Gewisses erfahren. Erst im Jahre 1813– also vier Jahre nach der That – erhielten die Eltern eine Nummer des russisch-deutschen Volksblattes „Die Biene“ von Kotzebue, und fanden darin die ersten gedruckten Worte über ihren unglücklichen Sohn. Erst nach dem Sturze Napoleon’s wurde auch diese Sache öffentlicher. Im „Allgemeinen Anzeiger der Deutschen“ [1814, Nr. 167] findet sich anläßlich dieses Vorfalles das Folgende: „Wie heißt der herrliche Jüngling, der im Jahre 1809 in einem heldenmüthigen. aber unglücklichen Versuche, den finsteren Verbrecher von Ajaccio zu ermorden, sein Leben zum Todtenopfer für sein Vaterland darbrachte? Sage es, wer es weiß, daß wir ihn verherrlichen, daß wir ihn, den großen Helden des Alterthums gleich, unvergeßlich in unserem Herzen tragen, daß seine trauernden Freunde in dem Ruhme seines Namens Trost und Labsal finden; daß seine weinende Geliebte in der Liebe der Nation ihre Thränen stille. O Ruhm uns, er war ein Deutscher! Aber dein Name soll nicht verfallen, großer Jüngling! Du bist selig in dem himmlischen Wohnsitz, wo der Schutzengel der Menschheit ewig grüne Lorbern um die Stirn der seligen Schaar der Tyrannenrächer windet. Aber auch auf Erden unter unserem Volke soll dein Name leben!“ So antike Anschauung. In der ausführlichen Anzeige der „Historisch-politischen Blätter“ der Schrift über Staps, welche aus den hinterlassenen Papieren seines Vaters, im Jahre 1843 an die Oeffentlichkeit trat, heißt es [S. 170]: „Die furchtbare Lehre, daß Meuchelmord an dem Feinde des Vaterlandes erlaubt sei, darf nicht wieder aus der Nacht des antiken Heidenthums emportauchen, und insofern hat auch Napoleon, als er den jungen Schwärmer erschießen ließ, ein höheres Gesetz vollzogen, und mehr im Interesse der europäischen Gesittung gehandelt, als Jene, deren inconsequente Sentimentalität den patriotischen Meuchelmörder selig pries, ohne zu bedenken, welche Früchte schon ein halbes Jahrhundert später aus dieser Saat reifen würden.“ So moderne Anschauung! Merkwürdigerweise, von Staps besitzt die Nachwelt kein Bildniß, während uns die Züge des Fanatikers Sand, unter dessen Dolch Kotzebue verblutete, durch einen Stich von Fleischmann und einen zweiten von einem Anonymus erhalten worden sind, geschweige dessen, daß Charlotte Corday in einer Unzahl von Nachbildungen, darunter einzelne vortreffliche Blätter, verbreitet ist.

F. Staps’ Biographie aus den hinterlassenen Papieren seines Vaters (Berlin 1843, 8°.). [Vergleiche darüber die „Historisch-politischen Blätter“ 1844, Bd. XIV, S. 148–171.] – Breslauer Zeitung 1865, Nr. 479: „Ein deutscher Heldenjüngling“. – Illustrirtes Familien-Journal. Eine Wochenschrift zur Unterhaltung und Belehrung (Leipzig und Dresden, A. G. Payne, 4°.) Bd. XVIII, Nr. 452, S. 53: „Zwei deutsche Jünglinge. Von Heinrich Ernst. I. Stapß“. – Geusau (Anton Ritter von), Historisches Tagebuch aller merkwürdigen Begebenheiten, welche sich vor, während und nach der französischen Invasion in der k. k. Haupt- und Residenzstadt Wien in dem Jahre 1809 zugetragen haben (Wien 1810), S. 310. – Gartenlaube. Herausgegeben von Ernst Keil (Leipzig, 4°.), Jahrg. 1871, Nr. 2, S. 59: „Ein Opfer deutscher Vaterlandsliebe“. – Die literarisch-kritischen Blätter der Hamburger Börsenhalle enthalten in einem der Vierziger Jahrgänge – leider kann ich den Jahrgang nicht genauer bezeichnen – aus den Aufzeichnungen eines früheren Auditors im Staatsrathe eine Darstellung über das Attentat in Schönbrunn, welches der „Gazette des Tribunaux“ entnommen ist. [152]Der rheinische Telegraph, Zeitschrift für Kunst u. s. w., IV. Jahrg. (1842), Nr. 3 und 4: „Friedrich Straaps (sic), Neuere Notizen über das Attentat zu Schönbrunn gegen Napoleon. Mitgetheilt von Dr. Bernhardi“. – Literarisches Wochenblatt. Von A. v. Kotzebue[WS 1] gegründet. 1820, November, Nr. 114, S. 454; „Abschiedsbrief eines politisch-religiösen Schwärmers.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: A. V. Kotzebue.