Baktschi-Serai und der Pallast des Chans
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Auch Rußland hat sein Hesperien; es ist die Krimm, das Tartarenland, dem Potemkin mit neronischer Faust das fremde Joch aufgelegt. Es gehört freilich ein an die monotonen Ebenen seines Vaterlandes gewöhnter Sinn des Russen dazu, die Schönheiten der Krimm überschwenglich zu finden. Auch ist immer nur der südliche Theil der Halbinsel so gepriesen. Es steigen hier die Berge von Nord nach Süd allmählich auf und fallen dann gegen das Meer zu ziemlich steil ab, so daß die höchsten Erhebungen des Landes dicht an die Küste hingestellt sind. Diese Abdachung, welche Fronte gegen Mittag macht und von Nord her durch die Wälder geschützt ist, die den Rücken des Gebirgs bedecken, kommt vermöge ihrer Lage in eigenthümliche Verhältnisse. Unter dem Breitengrade von Genf weht hier sicilische Luft. Die Olive, der Lorbeer, die Orange, die Granate, die Cypresse gedeihen, die Reben geben die delikatesten Weine, und saftiger Caktus sproßt an den der Mittagssonne zugekehrten Wänden der Felsen. Alle Pflanzen des italischen Himmels kommen hier fort. So günstige, klimatische Verhältnisse haben diese Landschaft von jeher zum Schauplatz thätiger Kultur gemacht und Ansiedler aus der Ferne hergelockt: – früher die Griechen, die Römer, die Genuesen; jetzt die Russen. Während die civilisirten Nationen, eine nach der andern, im bunten Durcheinander diesen schmalen Küstenstrich besetzt hielten, in Parks verwandelten, und in prächtigen Schlössern und Landhäusern dem raffinirten Genusse lebten, trieben von jeher oder treiben noch hinter den 4000 Fuß hohen Bergkämmen rohe, einfache Hirtenvölker ihr Wesen: erst die Kimmerier, dann die Gothen, hierauf die Alanen, zuletzt die Tartaren. Die Heerden dieser Nomaden weiden auf der einen Seite des nämlichen Gebirgs, auf dessen anderer der schwelgerische Luxus sein Wesen entfaltet. –
Den Mittelpunkt der gepriesenen Landschaft bildet die Bai und der Hafen des Städtchens Jalta. Rechts und links von demselben ist das Land mit Ruinen aus den Zeiten der Griechen, der Römer, der Byzantiner, der Genuesen, und mit Schlössern und Gartenanlagen der russischen Großen besäet. Wo gefeierte Tempel der pantheistischen Gottheiten gestanden, stehen jetzt Klöster und Kapellen. So nimmt z. B. das uralte, berühmte Sankt Georgenkloster auf den Trümmern des alten Cherson die Stätte des Dianentempels ein, wo [106] Iphigenia, die „holde, vielgeehrte“ Priesterin, der jungfräulichen Göttin diente. Am Cap Parthenon, einem bei der Bai Fioraventi weit in das Meer hinaus ragenden Vorgebirge, steht ein Kreuz auf dem nämlichen Felsen, unter welchem Orest und Pylades sich versteckt hielten, als sie von den Scythen entdeckt wurden. Die Höhle ist die Zelle eines Klausners, und in dem heiligen Haine der Diana steht ein Bild der Maria. So knüpfen sich Vergangenheit und Gegenwart, heidnische und christliche Mythe, schwesterlich zusammen.
Vom Städtchen Jalta bis nach Alupka führt auf dem einige hundert Fuß hohen Meerstrande hin die treffliche Chaussee, welche der Graf Woronzoff, Gouverneur von Taurien, anlegen ließ. Wallnuß- und Maulbeerbäume beschatten sie. Gärten an Gärten reihen sich über einander auf den Terrassen der Gelände, an jeder Felswand klebt ein Weinberg, und zu beiden Seiten des Wegs prangen, durch geringe Entfernungen von einander geschieden, die Landsitze der russischen Großen. Man glaubt sich in der Nähe von Neapel, in den Umgebungen einer großen südlichen Hauptstadt, nicht in Rußlands Winkel. Unter unzähligen kleinern Schlössern ragen die Paläste der kaiserlichen Familie, der Narischkins, der Gallizins, die Villa Livadia des Grafen Potozki, und der Sitz des Grafen Woronzoff stolz hervor. Glieder der Czarenfamilie bringen jährlich ein paar Wochen in diesem russischen Paradiese zu. Dann wehen die Flaggen mit den Familienwappen der Anwesenden von allen Villen, und von Strecke zu Strecke aufgestellte Kanonen begrüßen mit ihrem Donner jedes vorübersegelnde Fahrzeug. Zwischen Jalta, einem schönen Städtchen, wo der Fremde in trefflich eingerichteten Hotels so gut leben kann, als in jeder europäischen Hauptstadt, und Odessa besteht eine sehr frequente Dampfschiffverbindung. In der schönen Jahreszeit fehlt es in Jalta nie an Touristenschwärmen vieler Nationen, und man trifft dort fast immer eine gewählte Gesellschaft an.
Die Streifereien jenseits des Gebirgekamms in das Innere der taurischen Halbinsel geschehen meist von Jalta aus und in größeren Gesellschaften. Der erste Ausflug gilt der alten Hauptstadt des einst mächtigen Tartarenreichs – Baktschi-Serai. Von Jalta sind es 7 Meilen. Der Weg geht durch ein angebautes, von einem ungestüm rauschenden Flüßchen bewässertes Felsthal, dessen senkrechte Wände mehre hundert Fuß emporragen. An diesen Felsen sieht man hie und da colossale Arbeiten der Menschen aus längst vergangener Zeit, anscheinend Werke der Befestigung. Man kömmt durch mehre Tartarendörfer. Sie nehmen sich von fern sonderbar aus, und man denkt bei ihrem Anblick eher an einen Kaninchenbau, als an den von Menschen. Die Wohnungen stehen so an den Berggehängen, daß die Dächer der hintern Seite den Boden berühren. In der Fronte ruhen die einstöckigen Hütten auf Säulen, welche weitvorspringende Dachgesimse stützen. Um die Pfosten ranken Reben- und blühende Schlinggewächse und bilden schattige Lauben. Hier sitzen Männer und Weiber mit kreuzweise untergeschlagenen Beinen, nach asiatischer Weise, auf den untergebreiteten Teppichen, und rauchen aus langen [107] Pfeifen, umtaumelt von halb- oder ganz-nackten Kindern, die mit ihren rothgefärbten Haaren, Augenbraunen und Nägeln, mit ihren, an kleinen Haarzöpfchen hängenden Amulettmünzen und bunten Halsbändern, aus der Ferne Affen ähnlicher sehen, als Menschen. Dann und wann kommen koraitische Juden und armenische Handelsleute die Straße daher geritten, letztere in prächtigen, glänzenden Costümen, auf wohlgefütterten Saumthieren, oder es begegnet eine Bande Zigeuner, mit ihrem buntscheckigen Gepäck von Kesseln, Proviant und Lumpen. Sie durchziehen ungehindert das Land und treiben als Musikanten, Gaukler und Gauner ihr Wesen. Um die Mannichfaltigkeit voll zu machen, überrascht mitten unter der tartarischen Bevölkerung ein deutsches Colonistendorf, von Schwaben bewohnt, die vor langen Jahren sich hier angesiedelt haben. Sie brachten ihren Schulzen, Pfarrer und Schulmeister aus der Heimath mit, haben sich ganz wie im Vaterlande eingerichtet, Tracht und Sprache unverändert beibehalten, und leben mit ihren mohammedanischen Nachbarn in friedlichem, freundlichem Verhältniß. Wunderlich nehmen sich die schwäbischen Mädchen mit ihren kurzen, faltenreichen Tuchröcken, ihren engen Hauben, den knappen Miedern, den rothen Strümpfen und Schuhen mit hohen Absätzen neben dem ernsten Mullah mit seinem schneeweißen Turban, dem Murza mit seinem gestickten Rocke, oder unter den tartarischen Bauernmädchen mit dem weiten Gewande und den zierlichen Sandalen aus.
Jedes Tartarendorf hat seine Moschee, ein kleines, reinliches, niedliches Säulengebäude, das an die Tempelform der Alten erinnert. Das Volk ist sehr religiös und hängt mit um so innigerer Liebe an dem Glauben seiner Väter, seitdem ihr politisches Band vom russischen Schwerte zerhauen ist. Aberglaube, von der Priesterkaste genährt, ist die schwerste Last dieser gutmüthigen Menschen: denn in allen Begegnissen und Zufälligkeiten des Lebens sehen sie Gnomen- und Geisterkräfte wirksam, und der Kampf dagegen durch Amulette und Gebet beschäftigt sie unablässig. Alle Tartaren lernen bei ihrem Mullah lesen, und die meisten auch schreiben; – der Koran ist in jeder Hütte; freilich ist er auch ihr einziges Buch. Sie sind einfach, freundlich, gastfrei, ehrlich; bebauen das Feld und weiden ihre Heerden, in welchen ihr Reichthum besteht, auf den Steppen und in den Bergen. Nur eine heftige Leidenschaft scheint dies Volk mit patriarchalischer Sitte zu beherrschen: unversöhnlicher Haß nämlich gegen seine Unterdrücker. Er erbt fort von Generation zu Generation, und wird genährt durch die traditionelle Hoffnung auf einen Messias, der im Volke zur rechten Stunde erstehen und wieder aufrichten werde das Reich Timurs, und erneuern soll den erloschenen Glanz der Nation. Der Tartarenhaß gegen die Russen, obschon uralt und in der Frühgeschichte beider Völker begründet, bekam durch die unmenschliche Behandlung Potemkins, unter Katharinens Regierung, die höchste Schärfe. Dieser allmächtige Günstling der Kaiserin hauste in der Krimm mit Grausamkeit, und fügte zum Joche der Knechtschaft die Lust an der Qual. Schauergeschichten, von denen in den Annalen jener Zeit kaum einige Züge aufgezeichnet und erhalten sind, füllen in den tartarischen [108] Hütten die Winterabende aus, machen jedes Gefühl sträuben und frischen den Haß, den die jetzige kluge und menschliche Regierung vergeblich auszulöschen strebt.
So wie man die Gebirgsrücken überstiegen hat, wird das Klima auffallend rauher, die Fruchtbarkeit und der Anbau nehmen ab. Von der Höhe erblickt man zum erstenmal der Krimm einförmige Steppen. Ueber die baumlosen, unabsehlichen Ebenen schweift das Auge, kaum in den kleinen, hie und da zerstreuten Tartarendörfern einen Ruhepunkt findend. Diese Steppen liegen jenseits des Zieles unseres Ausflugs; denn die ehemalige Hauptstadt der Chane prangt in einem schönen Thale dicht am Fuße des Gebirgs, in das wir nun hinabsteigen.
Baktschi-Serai hat eine wirklich beneidenswerthe Lage. In seiner Nähe erweitert sich das schöne Thal, der anfänglich kleine Strom ist durch die aus den vielen Nebenthälern zurinnenden Gewässer zu einem mächtigen Flusse angewachsen, dessen krystallhelle Woge auf der einen Seite hohe Felswände bespült, während auf der andern die schönsten Wiesengründe sich ausbreiten. Hier ruht die „Gartenstadt“ in einem weiten Kranze von Obsthainen und Wäldchen von Cypressen, über deren Wipfel die schlanken Minarets der Moscheen ragen. Das Innere der Stadt ist ganz orientalisch, und sähe man nicht dann und wann eine russische Uniform, so würde nichts die gänzliche Veränderung in den polit. Verhältnissen des Landes andeuten, welche nun schon drei Vierteljahrhundert gedauert hat. Gebäude, Sitten, Kleidung, Gewohnheiten sind durchaus dieselben geblieben. Die Bazars, die Kiosks und Begräbnißplätze, die schwarzen Pappeln, die terrassirten Gärten und Weinberge, die in der Luft zu hängen scheinen, die zahlreichen, schon geschmückten und mit kunstvoller Architektur verzierten Brunnen versetzen nach Stambul oder nach Buckhara. Die Straßen sind nach der Sitte des Orients sehr enge, schlecht gepflastert, unregelmäßig und krumm; die sehr lange Hauptstraße windet sich wie eine ungeheuere Schlange durch das Häuserchaos der Stadt. Wie im ganzen Orient, wird hier jedes Gewerbe und werden selbst die Beschäftigungen, welche nach abendländischer Sitte zu den häuslichen gehören, auf offener Straße getrieben. Vom Schneider, Schuhmacher, bis zum Schreiber und Arzt hinauf, hat jeder seine Bude vor der Hausthüre aufgeschlagen. Daher die große Lebendigkeit auf den Straßen, obschon die Bevölkerung unter russischer Herrschaft um mehr als die Hälfte abgenommen hat. Die zum Verkauf hergeführten Früchte, Taback, Flachs und Korn, werden ebenfalls in den Straßen zu Pyramiden aufgeschichtet, und sie verengen die Passage oft so, daß nicht fortzukommen ist.
Der Pallast der Chane, welcher seit der Eroberung mit großer Sorgfalt ganz in dem alten Zustand erhalten wird, ist das merkwürdigste Gebäude nicht bloß in der Krimm, sondern im ganzen südlichen Rußland. Die äußere Umfangsmauer umschließt einen Raum von ½ engl. Quadratmeile. Es ist der Anziehungspunkt für alle die Krimm besuchenden Touristen, und lobenswerth ist die Einrichtung, welche jedem anständigen Fremden den [109] freien Zutritt zu allen Theilen der weitläufigen Anlage gewährt. Er besteht, wie das Serail in Constantinopel, aus einer Menge abgesonderter Gebäude, welche durch Corridors, Säulen- und Laubengänge mit einander in Verbindung stehen, und von feenartigen Gartenanlagen mit Bädern, Springbrunnen, Kiosks etc. umgeben sind. Unser Stahlstich zeigt die Gebäude von der Seite des Harems mit seinen Gärten, und in der Ferne sieht man den Erker des Audienzsaals, wo einst, hinter goldvergitterten Fenstern, die Lieblingsfrauen des Chans ungesehen die glänzende Versammlung des Adels und der Offiziere betrachten durften. – Portiken, Moscheen und Fontainen sind geziert mit Inschriften in arabischer Sprache, meist Sprüche aus dem Koran, andere mit den Namen und überschwenglichen Titeln der Chane, die hier gelebt und geherrscht haben. Alles ist noch wie in den Tagen des großen Dwelet Ghirei: – nichts fehlt – als die Menschen. Still ist alles; still wie das Grab. Kein Fußtritt tönt durch die hohen vergoldeten Hallen, der des bedreßten Schließers ausgenommen und der Neugierigen, welchen er die verlassenen Räume öffnet.