Berliner Vereine

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Autor: Gustav Schubert
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Titel: Berliner Vereine
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aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 96, 98
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Berliner Vereine.

  Verbrüderung der Geister ist
  der unfehlbarste Schlüssel zur Weisheit.
 (Schiller an Körner.)

Wollte man obigen klassischen Satz bedingungslos auf die Bewohner der Hauptstadt des Deutschen Reiches anwenden, so käme ein großer Theil derselben recht bequem und billig zur Weisheit, denn in Berlin bestehen 3500, schreibe dreitausend fünfhundert polizeilich angemeldete Vereine, ohne die unzähligen, der behördlichen Bewachung nicht unterliegenden Kränzchen, Klubs und Cirkel, die es ebenfalls auf Verbrüderung oder Verschwesterung der Geister abgesehen haben. Die gesammelten Statuten aller dieser Gesellschaften bilden die interessanteste Bibliothek und sind für den Kulturhistoriker eine unerschöpfliche Fundgrube. In den amtlichen Listen werden die Vereinigungen in trockener alphabetischer Reihenfolge aufgeführt; versuchen wir dieselben nach anderen Gesichtspunkten zu ordnen! Es giebt in Berlin sprechende, musicirende und solche Verbindungen, welche gewisse körperliche Geschicklichkeit und Fertigkeiten bezwecken. Die Mitglieder der ersteren Gruppe werden von den mannigfachsten Interessen zusammengehalten: Vertreter aller Zweige der Wissenschaft und Kunst, Handwerker, Fabrikanten, Bürger der verschiedensten politischen Richtungen, ehemalige Soldaten, Beamte, Lehrer, frühere Schüler bestimmter Lehranstalten, von der Gemeindeschule bis zur Universität, Männer, welche sich der öffentlichen Gesundheitspflege, Wohlthätigkeit, Fortbildung, den Standesinteressen etc. widmen, vereinigen sich und fördern ihre Angelegenheiten nach den bekannten, in allen Volksschichten streng geübten parlamentarischen Regeln und ziehen gelegentlich auch die Frauenwelt – zu den Freuden der Tafel und des Balles mit heran.

Aus der Thatsache, daß in Berlin ungefähr tausend Theatergesellschaften bestehen, ließen sich die kühnsten Schlüsse ziehen; einige der größeren haben allerdings der deutschen Bühne berühmte Schauspieler geschenkt, auf die meisten dürften aber die Worte des Marktschreiers in Goethe’s „Jahrmarktsfest“ passen:

„Verschenken tausend Stück Pistolen,
Und haben nicht die Schuh zu besoblen.
Unsere Helden sind gewöhnlich schüchtern,
Auch spielen wir unsere Trunkenen nüchtern.
So macht man Schelm und Bösewicht
Und hat davon keine Ader nicht –“

Die letzten beiden Zeilen scheinen indeß nicht immer zutreffend gewesen zu sein, da die Polizei wegen allgemeinen Unfugs und der hinter den Koulissen, mit der Handlung des Stückes in absoluter Zusammenhanglosigkeit auftretenden zahlreichen Liebhaber die Schließung mancher unter hochtrabenden Namen „arbeitenden“ Theatervereine verfügen mußte.

In den harmloseren Bühnengesellschaften werden übrigens dem Mimen seitens der Mitwelt Kränze allergrößten Kalibers geflochten, zu den Vorstellungen bricht sich das Volk um ein Billett mit Vergnügen die Hälse, man lacht gern, aber noch lieber wird geweint. Wehe, wenn in der blutigen Tragödie der Bösewicht von der Rache nicht ereilt, der Uebelthäter nicht entlarvt und der lasterhafte Tyrann nicht bestraft würde! Das handfeste Parkett ist leicht geneigt die Bühne zu stürmen, um Gerechtigkeit zu üben!

Eine stattliche Reihe Gesellschaften widmet sich ausschließlich der Pflege des Humors, von den Scherzen im Tone der „Fliegenden“ bis zu jenen Regionen des höheren Blödsinnes, an dessen Darstellung vielfach die geistvollsten Männer, Gelehrte und ausgezeichnete Künstler mit staunenswerthem Enthusiasmus theilnehmen. Welche Aufnahmebedingungen der „Verein urfideler Kahlköpfe“ stellt, ist unschwer zu errathen. Wohl dem, auf dessen strahlendem Haupte auch nicht eine Stoppel mehr gefunden wird! „Wer aushaart“, wird nach dem Wahlspruch der Glatzenträger gekrönt. Am Stiftungsfest ertönt als Ouverture die Mondscheinsonate von Beethoven, das Programm enthält sorgfältig gesammelte „Lieder an den Mond“, während der Saal mit Gemälden geschmückt ist, auf denen Luna die Hauptrolle spielt.

Recht still geht es in den Gesellschaften der Taubstummen zu. Obgleich dieselben, Dank der neueren trefflichen Schulbildung, im Verkehr mit den Vollsinnigen sich der Lautsprache bedienen, so erledigen sie doch ihre Angelegenheiten nur durch die Pantomime. Auch die in Berlin zahlreich vertretenen Blinden vereinigen sich zu gemeinsamem Thun, sie musiciren auf allen Instrumenten, singen vortrefflich und debattiren nach Parlamentsregeln.

Unter der Rubrik „Geographische Vereine“ läßt sich eine große Zahl Gesellschaften nennen. Sie sind gebildet aus den Vertretern aller preußischen Provinzen und der verschiedensten Theile Deutschlands und größerer Städte: ein Beweis für die mannigfaltige Zusammensetzung der Residenzbevölkerung. Diesen Klubs gegenüber erscheint es ganz gerechtfertigt, daß sich neuerdings auch ein Verein echter Berliner aufgethan hat, er hält natürlich streng darauf, daß alle seine Mitglieder mit Spreewasser getauft sind.

Der Noth gehorchend, nicht dem eignen Triebe, müssen einzelne Vereine ungewöhnliche Versammlungszeiten wählen. So debattiren die Kellner lange nach Mitternacht, Straßenfeger und Nachtwächter in den Mittagsstunden, während die Bäckergesellen nach einer dunklen Sage des Vormittags ihre Bälle abhalten. Dem allgemein menschlichen Zuge folgend, vereinigen sich auch die Spitzbuben und anderes Gelichter zu fröhlichem Tanze; es fehlen auf dem Verbrecherkränzchen eben so wenig elegante Damen wie – Geheimpolizisten und Vigilanten.

[98] Numerisch tritt die Zahl der Frauenvereine gegen die Klubs des stärkeren Geschlechts bedeutend zurück. Die Frauen pflegen die Geselligkeit mehr in trautem Familienkreise, wo erfahrungsmäßig die Worte nicht gespart werden und manches gemeinnützige Thema gründlich besprochen wird; die an die Oeffentlichkeit tretenden Frauenvereine widmen sich fast ausschließlich der Wohlthätigkeit und anderen humanen Zwecken.

Unter den musikalischen Vereinen nehmen die singenden eine hervorragende Stellung ein. Seit den anregenden Besuchen der Wiener, Kölner, Straßburger und Frankfurter Liedertafeln haben einzelne Berliner Männerchöre eine hohe künstlerische Stufe erreicht. Die Mehrzahl singt mit Fleiß und Ernst das deutsche Lied; der Rest versammelt sich, um seine Uebungen mit staunenswerther Verachtung der dichterischen Forderung „Singe, wem Gesang gegeben“ und zum nächtlichen Schrecken ganzer Stadtviertel auszuführen. Wie unter Napoleon I. jeder Soldat den Marschallsstab im Tornister trug, so hat in den zuletzt genannten Vereinen jeder Sänger den Dirigentenstock in der Tasche. Kräftig gebaute, mit Löwenstimmen oder hohen Tenören begabte Persönlichkeiten, welche am Tage Hammer, Beil oder Elle schwangen, ergreifen Abends den meistens recht bemerkbaren Stab, um damit weithin hörbar den Takt zu – schlagen. Charakteristisch für Berlin ist der Umstand, daß der Männerquartettgesang, einige Ausnahmen abgerechnet, in den höheren und höchsten Gesellschaftskreisen keine Stätte findet; um so mehr ist dies in den mittleren und unteren Schichten der Fall.

Auf achtungswerther Höhe und in socialer Beziehung weiter nach oben greifend erweisen sich die gemischten Chöre und Dilettanten-Orchester-Vereine, unter denen der Officier-Orchester-Verein in erster Linie zu nennen ist. Viele Mitglieder desselben haben unter den Augen des greisen Kaisers eben so wacker ihre Instrumente gestrichen und geblasen, wie sie einst dem Feinde auf den Schlachtfeldern zum Tanze aufspielten.

Es ist für Berlin, beziehentlich für Deutschland eine bemerkenswerte Thatsache, daß in neuerer Zeit der Sinn für Gymnastik, Kräftigung und Stählung der Körpers in stetig sich erweiternden Kreisen lebhaften Ausdruck findet. Tausende pflegen die Turnerei. Das „Frisch, frei, fromm, fröhlich“ ertönt zwar im Großen und Ganzen aus jugendlichen Kehlen; es darf aber nicht verschwiegen werden, daß auch recht alte Herren noch gymnastische Uebungen treiben, natürlich unter geflissentlicher Vermeidung von Rückenwellen, Riesensprüngen, Dauerläufen und anderen Bravourstücken.

Nach berühmten Mustern haben sich ferner Vereine gebildet, welche rudern, segeln, schwimmen, reiten, jagen, fahren, laufen, schießen, fechten, kegeln, angeln, ja sogar das Trinken und Rauchen wird von einzelnen Klubs als wirklicher Sport betrieben und achtungswerthe Leistungen auf diesen Gebieten durch Preise und Orden ausgezeichnet.

Recht wunderliche Namen finden sich in den amtlichen Vereinslisten; eine kleine Auslese möge in Anbetracht der nahenden Karnevalszeit zum Schluß hier Platz finden: Kamel-Klub, Kobolds-Grotte, Mumpitz-Rauch-Klub, Mumm, Müller und Schulze, Maikäfer-Klub, Nulpe, Neutrale Axe, Nordlicht, Neuntödter-Kegel-Klub, Nunne, Orden der Eulenritter, Offene Kiste, Onkel Bräsig, Piepenkopp, Pipifax, Proppenbrüder, Planschkasten, Pichel-Klub, Roochloch, Seifenschnipper, Ratzenschieber, Rooch Weiter, Starker Toback, Schabernack, Schrumm, Spund-Klub, Süßholz, Sauzahn, Türkischer Fez, Uns kann Keiner, Blaue Zwiebel, Radau, Till Eulenspiegel, Little-Popo, Qualmtute und Fidele Unke. Gustav Schubert.