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Berliner und Wiener Küche (Die Gartenlaube 1885/44)

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Textdaten
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Autor: Ida Bischofsburger
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Titel: Berliner und Wiener Küche
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 732
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[732] Berliner und Wiener Küche. Als Erwiderung auf die gleichnamige in Nr. 40 der „Gartenlaube“ veröffentlichte Plauderei ist uns von einer Berliner Hausfrau ein Schreiben zugegangen, welches wir unseren geehrten schönen Leserinnen nicht vorenthalten möchten. Es lautet:

Berlin, im Oktober 1885. 
Geehrter Herr Redacteur!

Es geht wirklich nicht, ich würde mir die schwersten Indigestionen zuziehen, wollte ich’s verschlucken und verschweigen, daß ich Ihren Herrn Paul von Schönthan mit seiner Berliner und Wiener Küche ganz gründlich im Magen habe.

Wir armen norddeutschen Hausfrauen können doch nichts dafür, daß er ein so erschrecklicher Süßschnabel ist, dem jede kräftige Kost ein Heimweh nach den Mehltöpfen Wiens bereitet.

Hoffentlich verdirbt er sich aber an seinen Nockerln, Krapfen, Strudeln, Schmarrn und wie die zungenbrecherischen Namen all der süßen Mehlkleister sonst heißen mögen, noch so stark den Magen, daß er alle Jahre nach Karls- oder Marienbad gehen muß – zu seinen vielgeliebten böhmischen Köchinnen „mit den alchemistischen Kenntnissen“.

Unsere braven Berliner und norddeutschen Köchinnen scheeren sich allerdings nicht um Alchemie, und ihre Küche ist weder ein „Laboratorium“, noch ein „Atelier“, aber gut kochen können sie, und wir norddeutschen Hausfrauen wissen in unsern Küchen auch Bescheid, wenngleich Herr von Schönthan nichts davon meldet.

Armer Herr von Schönthan, wie hat ihm die „Dürftigkeit der Berliner Restaurations-Speiskarte“ schlechtgethan, nud doch muß den Wienern in Berlin das Essen in den echten Berliner Restaurants offenbar besser zugesagt haben, als in dem importirten Wiener, denn der Inhaber des letzteren ließ ja sehr bald, wie Herr von Schönthan selber erzählt, seine Landsleute in „Niedergeschlagenheit und Verwirrung“ zurück, um die Segnungen des „Schönbrunner Reis“ und der „Oedenburger Nudel“ nach Paris zu tragen. Ob er es dort wohl länger ausgehalten hat?

Kennt Herr von Schönthan wohl so’n reguläres Berliner Eisbein mit Sauerkraut, bei dem es Einem trotz des kalten Namens warm um – die Magengrube wird?

Kennt er wohl so einen zarten Hamburger Riesenkalbsrücken mit jener leckeren, herrlichen Sahnesauce, die nur in norddeutschen Küchen zu gerathen scheint? Kennt er die goldgelb gebratenen saftigen Vierländer Hühner? Oder kennt er so eine in Eigelb und geriebener Semmel gewälzte und in ostfriesischer Butter gebratene goldige frische Flunder, so einen feisten norddeutschen Flußhecht mit Meerrettigsauce, eine geräucherte ostpreußische Maräne?

Sind ihm schon jemals die allerdings nur in unserem verrufenen märkischen Sande gedeihenden aromatischen köstlichen Teltower Rübchen mit mecklenburgischer Lammsbrust auf den Tisch gekommen? Kennt er die kräftigen, würzhaften, delikaten, auch nur in dem nordöstlichen Böotien wachsenden, in Bouillon, Biersuppe oder der ganz eigenartigen sauersüßen Specksauce servirten „grauen Erbsen“, die sogar hoffähig sind und in der Kochkunst-Ausstellung neben den Dressel’schen höchsten Delikatessen prangten? Kennt er wohl die mit Sardellen und Citronen zubereiteten pikanten „sauren Klopse“, die außerhalb der nordischen Stadt der reinen Vernunft „Königsberger Klopse“ heißen? Kennt er pommersche Gänse und ihr „Weißsauer“, westfälische Schinken und den von Fritz Reuter zur Klassicität gebrachten Spickaal mit Gurkensalat? „Daß Du die Nase ins Gesicht behältst!“

Das schmeckt Alles fein! Und das sind Alles norddeutsche Küchenerzeugnisse, auf deren Vollendung die größte Sorgfalt und Mühe verwendet werden muß, denn hierfür giebt’s keine gedruckten „vorgekauten“ Vorschriften und kein mechanisches Messen und Abwägen der einzelnen Bestandtheile – hier heißt’s, seine Sache gelernt haben, nach der Praxis, nicht aus Kochbüchern mit „hundert Kapiteln über Mehlspeisen“; hier heißt’s, Geschmack und Einsicht haben, nach eigenem Ermessen im richtigen Augenblicke umsichtig, sachgemäß und schnell handeln und mit Liebe und Hingebung arbeiten. Das erst ist die wahre Kochkunst, nicht jene unheimliche Alchemisterei in Laboratorien und Ateliers.

Und diese norddeutsche Kochkunst schafft Gesundes, Reelles, Förderliches! Von ihren Leistungen wird man satt!

Vermag Ihr Herr von Schönthan wohl zu sagen, was das Wort „satt“ so recht eigentlich bedeutet; kennt er das wohlige Gefühl des Sattseins?

Nein! Denn von seinen „abgetriebenen Gugelhupfs“, Nudeln, Strudeln, Nockerln wird er nicht satt, sondern voll, wie ein Pfefferkuchenmann, dessen ganzer Leib auch nur aus Teig besteht. Wie unbehaglich ist solch ein Vollsein, wie mollig aber ist dem Satten zu Muth – ein Unterschied wie zwischen Backofenhitze und Frühlings-Sonnenschein!

Herr von Schönthan soll nur erst essen lernen! Ich erlaube mir daher, ihn zu einem richtigen echten norddeutschen Mittag in meiner bescheidenen Häuslichkeit einzuladen. Er soll auch einen Pudding bekommen, der weder schreckensbleich, noch rindenlos ist oder gar vor Scham in Anilinroth erglüht. Der Speiszettel wird mir gar kein Kopfzerbrechen verursachen, und als gute Köchin will ich ihm sogar einige feurige Kohlen bereit halten.

Auch Sie, Herr Redacteur, sind freundlichst dazu eingeladen von
Ihrer ergebensten 
Ida Bischofsburger.