Botaniker in der Sennhütte
[564] Botaniker in der Sennhütte. (Mit Illustration S. 553.) Kaum hat die Frühlingssonne die Schneedecke von den Bergeshalden weggenommen, da sprießt es auch schon an allen freigewordenen Plätzen auf dem Grasboden, zwischen Felsspalten, am Bachesrande, und alsbald öffnen die ersten Alpenblümlein ihre verschlafenen Augen, um recht neugierig in die einsame Welt hinein zu blicken. Denn einsam ist’s um diese Zeit noch dort oben; erst wenn sich die alpine Flora in ihrer vollen Ueppigkeit entfaltet, kommen Mensch und Vieh auf jene Höhen zu Gaste und lassen sich’s an dem Segen und der Naturschöne behagen. Nur der Mann der Wissenschaft, der Botaniker, macht eine Ausnahme, denn sobald es in den Bergen „aper“ ist (die Bewohner der Alpen sprechen „aaber)“, das heißt, wenn sich die ersten grünen Flecke zeigen, unternimmt er schon Ausflüge, um die ersten Blumen, deren Blüthen sich fast unter dem Schnee entfalten, zu erobern. Wenn aber die Alpen bezogen sind und dadurch einem städtischen Gaste Gelegenheit geboten wird, sich in irgend einer wohnlichen Behausung niederzulassen, dann, um mit den Berglern zu reden, „bringst’n scho gar nimmer an!“ Der Herr Botanikus klettert mit den Kühen und Geisen um die Wette an den Hängen und in den Schluchten herum, nicht etwa, um bloß Alpenrosen und Edelweiß zu pflücken; nein, mit Bergstock und Hacke bewaffnet, späht er nach Pflänzchen, welche der Laie gar nicht bemerkt, die aber in den Augen des Kundigen höchst interessant und selten erscheinen.
Welche Freude aber harrt des eifrigen Sammlers, wenn er, mit Beute beladen, Abends am gastlichen Herde der Sennerin eintrifft und dann seine botanischen Schätze ordnet und ein Glas süße Milch trinkt, während der Schmarren in der Pfanne brodelt! Neugierig blickt die dralle Burgl auf das „g’spaßige“ Thun des Stadtherrn; sie winkt dem mit zu Gaste erschienenen alten „Sepp“, der den Herrn aus der Stadt auf den Bergen herumführt, schalkhaft mit den Augen zu und sagt halblaut zu ihm: „Was er ebba mit dö Kräutl thuat?“ und richtet dann einige naive Fragen an den Fremden.
Dieser aber lächelt vergnügt in sich hinein – vor sich seine geliebten Pflanzen, neben sich ein paar harmlose Naturkinder, an deren Naivetät er sich herzlich ergötzt, und endlich die Aussicht auf ein delikates alpines Abendessen; das sind die glücklichen Stunden des Botanikers.