Die Expedition Stanley’s
[563] Die Expedition Stanley’s. Vielleicht wird, wenn diese Zeilen im Druck erscheinen, schon festgestellt sein, ob sich die über St. Thomas vermittelte Nachricht vom Tode des kühnen Entdeckers bestätigt hat oder nicht; jedenfalls hat Stanley diesmal bei seinem kühnen Befreiungszug mit mehr Schwierigkeiten und Hindernissen zu kämpfen, als bei seiner ersten großen Wanderung, auf welcher ihm der Gedanke des Kongostaates aufgegangen, dessen blaue Flagge mit dem goldenen Stern über den Fluthen des mächtigen Stromes weht.
Allen Nachrichten zufolge herrscht bei den Eingeborenen im Innern Afrikas bittere Noth in Folge voll Mißernten und sie sind vorzugsweise auf die Erträgnisse der Jagd angewiesen. Es ist daher nicht so unglaublich, daß die Neger sich gegen die Fremden zur Wehr setzten, welche in ihre Dörfer einbrachen, um den Proviant für ihren Zug, die nöthige „Negerhirse“ durch Tauschhandel oder mit Gewalt sich zu erringen. Möglich, daß in einem solchen Kampfe Stanley dem Ansturm der schwarzen Männer erlegen ist. Denn für beide Parteien gilt es hier einen Kampf ums Dasein.
Stanley hat seinen Zug veranstaltet, um Emin Bey zu befreien, ein durchaus ritterliches Unternehmen des muthigen Amerikaners, und wenn er bei diesem Wagniß seinen Tod gefunden haben sollte, so wäre dies nicht nur der ruhmvolle Tod des kühnen Entdeckers, der für die Wissenschaft in fernen Zonen stirbt; es wäre der Tod eines tapferen Kriegsmannes, der einen auf einem verlorenen Posten befindlichen Waffengenossen um jeden Preis zu erretten sucht. Ein solcher Opfertod ist doppelten Ruhmes werth.
Was die Befürchtungen wegen Stanley’s Expedition überhaupt rechtfertigt, das ist die Gegnerschaft der mächtigen arabischen Großhändler, denen der Kongostaat eine ihre Interessen in jeder Hinsicht gefährdende Macht ist und welche diese Expeditionen der Europäer im innern Afrika mit scheelem Auge ansehen. Sie machen gute Miene zum bösen Spiel, solange jene bewaffneten Reisezüge in bedrohlicher Nähe sind; doch kaum sind diese weiter gegangen, so spannen sie wieder ein Netz heimtückischer Intrigen um den Zug der Fremden, soweit ihre Macht bei den schwarzen Eingeborenen reicht. So erfährt man, daß Stanley am Mittellaufe des Kongo den dort allmächtigen Händlerkönig Tippo Tib zu seinem Beamten gemacht, mit anderen Worten, seine Gunst dadurch zu erwerben gesucht
[564] hat, daß er ihm Tribut zahlte. Tippo Tib ließ sich das gern gefallen, ohne von seinen hinterlistigen Plänen abzustehen. Möglich, daß Stanley den Aufhetzungen dieses Arabers zum Opfer gefallen ist. Es wäre dies ein neuer Beweis dafür, daß der riesige Kongostaat sich sowohl in den Protokollen der internationalen Verträge wie auf der Karte großartig genug ausnimmt, daß aber diese Karte noch keine Wahrheit ist und daß die neue Staatsherrschaft für Millionen nicht viel mehr ist als eine bunte Flagge, die sich gelegentlich auf den Wassern zeigt, daß sie noch zu kämpfen hat mit der ungebrochenen Wildheit unzähliger Naturvölker und den Intriguen der bisherigen thatsächlichen Machthaber auf diesen Gebieten, der Geld- und Handelsfürsten, die sie ausbeuteten. Wie schwierig auch nach allen diesen Nachrichten die Lage der Expedition sein mag, so ist doch zu bedenken, daß Stanley wiederholt noch größere Schwierigkeiten zu überwinden wußte. Außerdem sind in dem „dunklen Erdtheil“ schon Viele todtgesagt worden, welche doch als Sieger im Kampfe gegen die heimtückischen Eingeborenen und das mörderische Klima heimgekehrt sind. So erscheint auch nach den neuesten eingegangenen Mittheilungen die Hoffnung berechtigt, daß die Nachricht von dem Tode des kühnen Reisenden sich als eine falsche erweisen dürfte und daß es ihm gelingen wird, das Ziel seiner neuesten Expedition, die Befreiung Emin Bey’s, zu erreichen. †