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Dampfschiff für Drahtseil-Tauerei

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Textdaten
Autor: Leo Sympher
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Titel: Dampfschiff für Drahtseil-Tauerei
Untertitel:
aus: Zentralblatt der Bauverwaltung V. 1885, Nr. 36
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Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst & Korn
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Dokumentenserver der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, Kopie auf Commons
Kurzbeschreibung:
siehe auch: Tauerei
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[373]
Dampfschiff für Drahtseil-Tauerei.

Wenn es sich darum handelt, die Schiffahrt eines Flusses durch Einführung der Tauerei anderen Verkehrswegen gegenüber mitbewerbfähig zu erhalten oder neu zu beleben, so wird stets in erster Linie die Frage aufgeworfen: „Soll der Betrieb an einer Kette oder einem Drahtseil geschehen?“ Der allgemeine wirthschaftliche Einfluss auf Handel und Wandel ist beiden Arten der Tauerei in gleich hohem, schätzenswerthem Masse zu eigen, und es sind daher nur technische Fragen, welche vor der Entscheidung beantwortet werden müssen. Verschiedene Umstände haben sich nun vereinigt, um in den meisten Fällen der Ausführung die Waage zu Gunsten der an und für sich unvollkommeneren Kette sinken zu lassen. So finden wir z. Z. die ganze Elbe von Leitmeritz in Böhmen bis Hamburg (687 km), die Saale von Halle bis zur Mündung in die Elbe (105 km), den Neckar von Heilbronn bis Mannheim (123 km), die Brahe auf 13 km und die Havel und Spree auf 20 km Länge mit der Kette belegt und die gleiche Einrichtung für den Main in Vorbereitung. Ausser auf der bereits erwähnten Elbstrecke von Leitmeritz bis zur sächsischen Grenze bei Schandau (69 km) ist die Kettenschleppschiffahrt in Oesterreich noch auf dem mittleren Theil der Donau ober- und unterhalb Wiens im Betriebe, während die der I. k. k. priv. Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft concessionirte Verlängerung der Kette bis Passau bezw. Ulm augenblicklich zu eingehenden Verhandlungen in den betheiligten Kreisen Veranlassung giebt. Auch in Frankreich (441 km), Belgien (28 km) und Russland ist Tauerei mit Kettenschiffen in Anwendung. Dem gegenüber hat die Seilschiffahrt einen Rückgang in der räumlichen Ausdehnung zu verzeichnen: in Belgien, America und Oesterreich sind sämtliche Drahtseilbetriebe wieder eingestellt und nur in Deutschland ist derselbe noch im mittleren Laufe des Rheins von Obercassel bei Bonn bis nach Bingen (120 km) in erfolgreicher Verwendung.

Zweifellos stellt die Seiltauerei einen höheren Grad der technischen Vollkommenheit dar als die Kettenschiffahrt, und wenn [374] trotzdem die letztere einen so weiten Vorsprung gewonnen hat, so ist dies in letzter Linie noch anderen Gründen zuzuschreiben, als der umsichtigen Thätigkeit des Generaldirectors Bellingrath, des Schöpfers fast aller Kettenbetriebe in Deutschland. Unvollkommenheiten in der Bauart der Seilschiffe und in der Anordnung der Maschine und Bewegungsvorrichtungen waren es hauptsächlich, welche einer allgemeinen Einführung widersprachen, obgleich selbst von den Vertretern der Kette die theoretischen, später voraussichtlich die Oberhand gewinnenden Vorzüge des Seiles willig anerkannt wurden. Bellingrath schreibt hierüber in seinem 1873 erstatteten Gutachten über die beabsichtigte Einführung einer Kettenschiffahrt auf dem Neckar:

„An sich betrachtet, besitzt das Seil vor der Kette bedeutende Vorzüge: die des geringeren Gewichtes, der grösseren Billigkeit und grösseren Sicherheit. Es ist darum erklärlich, wenn im allgemeinen und nach oberflächlicher Betrachtung die Anwendung der Kette als ein überwundener Standpunkt betrachtet wird und auch für Touagezwecke sich die Aufmerksamkeit besonders auf die Anwendung des Seils richtet.“

An einer anderen Stelle spricht das Gutachten die Ueberzeugung aus, dass es die Aufgabe der Zukunft sein muss, die Kette mit Hülfe zweckmässig gebauter Schiffe durch das Seil zu ersetzen.

Allem Anschein nach ist es nunmehr dem Ingenieur Wernigh in Berlin gelungen, durch eigene Erfindungen und wesentliche Verbesserung des Vorhandenen jenem Ziele erheblich näher zu kommen. Die Wichtigkeit des Gegenstandes für die Entwicklung unserer Flussschiffahrt wird es rechtfertigen, die Neuerungen kurz zu besprechen und in weiteren Kreisen bekannt zu machen. Ueber das allgemeine Verhältniss zwischen Seil- und Kettenschiffahrt und deren beiderseitige Vor- und Nachtheile mag hinweggegangen werden, da dieselben hinreichend bekannt oder anderweitig behandelt sind.

Die bisher nicht erfüllten Anforderungen, welche man an ein Seilschiff stellen muss, wenn es auch für das Befahren ungünstiger Stromstrecken den Kettendampfern ebenbürtig sein soll, lassen sich in folgenden, zum Theil von einander abhängigen Punkten zusammenfassen:

1. Führung des Seiles über die Mitte des Schiffes, wodurch

a) eine gleichmässige, erhöhte Steuerfähigkeit und
b) bei der dann möglichen, ebenmässigen Lastvertheilung ein geringer Tiefgang erreicht wird.

2. Erzielung eines guten Ablaufs des Seiles vom Schiff.

Die Schwierigkeit, dieses letzte und hauptsächlichste Erforderniss zu lösen, ist es allein gewesen, welche die Führung des Seiles über die Mitte des Dampfers bisher verhinderte. Bei den Kettenschiffen genügt die erheblich grössere Schwere der in den Kettenkasten und kurz hinter dem Schiff auf den Flussgrund zurückfallenden Kette, um dieselbe ohne Schwierigkeit und unter Erzeugung der nöthigen Endspannung – welche erforderlich ist, um, vermehrt durch die Reibung auf den Trommeln, die dem aufgewendeten Zuge entsprechende Anfangsspannung in der vor dem Dampfer befindlichen Kette zu bilden – von den Trommeln und dem Schiff abzuführen. Das Drahtseil ist jedoch sehr viel leichter und besitzt ausserdem eine Steifigkeit, [375] welche ein Zurückstauchen, wenn Ueberschuss hinter dem Schiff und den Seilscheiben vorhanden ist, veranlassen und damit die ganze Endspannung aufheben kann, sodass ein Gleiten des Seiles auf den Trommeln die Folge wird. Um dies zu verhindern, nahm man bisher, wie z. B. bei den Rheindrahtseildampfern, statt der glatten Seilscheiben die Fowlersche Trommel und legte ausserdem den gesamten Treibmechanismus an die eine Seite des Schiffes. Die Klappen der Fowlerschen Trommel oder Scheibe führen das Seil zwar sicher und ohne jedes Gleiten ab, haben aber den grossen Nachtheil, die Drähte zu quetschen und dadurch stark abzunutzen, noch dazu in einem Augenblicke, in welchem das Seil durch die Biegung um die Scheibe eine außergewöhnliche Beanspruchung erleidet.

An diesem Punkte setzt nun die Verbesserung des Herrn Wernigh ein. Er erfand eine Einrichtung zur Erzeugung der hinter den Seilscheiben erforderlichen Endspannung und war nunmehr im Stande, Bau und Einrichtung der Dampfer zweckmässig zu gestalten. Die Figuren 1–6 geben ein Bild der Wernighschen Drahtseilschiffe, wie sich dieselben erfahrungsgemäss nach den verschiedenen Versuchen auf der Oder und einem Theil der Havel und Spree, sowie durch einen längeren Betrieb auf dem Unterrhein von Ruhrort bis Rotterdam als zweckentsprechend ergeben haben. Der Betrieb musste jedoch aus Gründen, welche ausserhalb der technischen Fragepunkte lagen, jedesmal wieder aufgegeben werden.

Die Schiffe sind vorn und hinten ganz gleich, oder, wie auf den beigegebenen Zeichnungen, in dem stromaufwärts gerichteten Theile etwas schärfer gebaut. Der Dampfer vermag demnach sowohl vorwärts wie rückwärts zu fahren, ohne gedreht zu werden. Der wünschenswerthe geringe Tiefgang bedingt eine verhältnissmässig grosse Länge und Breite des Fahrzeugs, um die für Maschine, Kohlen, Mannschaft und Ausrüstung erforderliche Tragfähigkeit zu erlangen. Das Seil geht über die Mitte des Schiffes, welches, an seinen Enden abgeflacht, ein freies Spiel des Taues bei seitlicher Ablenkung gestattet. Zwei Führungspoller begrenzen vorn und hinten den erhöhten Theil des Fahrzeuges, welcher zugleich der Länge entspricht, auf welche das letztere in das versenkte Seil eingeschaltet ist. Je geringer dieses Mass ist, um so grösser wird die Steuerfähigkeit des Schiffes, welche bei dem Wernighschen System als eine durchaus gleichmässige und selbst bei schwierigen Verhältnissen genügende bezeichnet werden muss.

Betrachtet man nun den in der Abbildung von links nach rechts fahrenden Dampfer, so geht das vorn gespannte Drahtseil zunächst zwischen den erwähnten vorderen Pollern A hindurch, darauf durch die in diesem Fall gelöste und nur für die Rückfahrt in Thätigkeit tretende Abführvorrichtung B und dann in dreifacher Umwicklung um die beiden Seilscheiben CC. Mittels der Seilscheiben windet das Schiff sich an dem versenkten Tau stromaufwärts und sind die Scheiben durch Zahntriebräder mit der Dampfmaschine gekuppelt. Es kann dabei die Einrichtung so getroffen werden, dass für die langsamere und mehr Kraft erfordernde Bergfahrt ein anderes Getriebe eingeschaltet wird, wie für die schnelle und mühelose Thalfahrt.

Nachdem das Seil die Scheiben verlassen, wird es über Deck zu der hinteren Abführvorrichtung D geleitet und fällt endlich nach dem Durchgange durch das letzte Pollerpaar E über den abgeflachten Rücken des Schiffes in das Wasser zurück. Die Abführvorrichtung dient, wie bereits erwähnt, dazu, die von dem Gewicht des Seiles nicht unter allen Umständen gewährleistete Endspannung nach dem Verlassen der Seilscheiben hervorzubringen; in den Figuren 7–14 ist sie in grösserem Massstabe gezeichnet. Den Hauptbestandtheil bildet die von Wernigh erfundene Seilscheibe mit wellenförmiger Rille. Dieselbe hat das Ansehen einer gewöhnlichen, bei Flaschenzügen angewendeten Rolle, nur ist die dort in gerader Richtung am Umfange vorhandene, zur Aufnahme des Seiles bestimmte Rinne hier in schwach wellenförmiger Linie um die Rolle gelegt. Figur 13 zeigt den Umfang der mit wellenförmiger Rille versehenen Seilscheibe in der Abwicklung, während durch Figur 14 auf einfachste Weise gezeigt ist, welchen Zweck man mit der Neuerung verfolgt: ähnlich wie ein Mann, der einen Zug an einem Seil ausführen und dabei verhindern will, dass ihm das Tau aus den Händen gezogen wird, durch die Stellung der letzteren eine schwache Doppelbiegung in dem Seil erzeugt, ähnlich soll auch die wellenförmige Rille die mit ihr versehene Rolle, wenn dieselbe durch eine Kraft in Umdrehung versetzt wird, befähigen, ein über sie geführtes Seil zu erfassen und fortzuziehen. Der Grund liegt in der außerordentlich grossen ruhenden Reibung, welche die nur unbedeutend gekrümmten Wellen erzeugen. So beträgt z. B. bei einer Rolle von 1,00 m Durchmesser, deren Rille mit 12 Wellen von je 10 mm Pfeilhöhe versehen ist, unter Annahme eines Reibungscoefficienten a = 1/? die bei halber Umwicklung entstehende Reibung, wenn ein auf der einen Seite der Scheibe herabhängendes Gewicht P aufgewunden werden soll, 14,02 P, während dieselbe sich bei gewöhnlicher Rolle nur zu 1,85 P ergiebt. Man kann auch umgekehrt sagen, die Kraft P auf der einen Seite der Seilscheibe mit wellenförmiger Rille vermag einer Kraft von 15,02 P auf der anderen Seite das Gleichgewicht zu halten.[1] Eine etwas abweichende Betrachtungsweise führt sogar zu noch grösseren Zahlen.

Von diesen Rollen mit wellenförmiger Rille hat Wernigh nun ein Paar verbunden und mit der Schiffsmaschine und den grossen Triebseilscheiben in Zusammenhang gebracht. Da nur die eine der Rollen unmittelbar von einem Winkelrade in Bewegung gesetzt wird, so ist die zweite mit der ersten durch Stirnräder verbunden. Wenn die beiden Rollen sich drehen, ziehen sie das zwischen ihnen durchgeführte und von den wellenförmigen Rillen erfasste Seil fort und erzeugen so die an den grossen Triebseilscheiben erforderliche Endspannung. Zur grösseren Sicherheit, dass dies auch wirklich geschieht, ist die letzte, kleinere Seilscheibe c mit einem etwas höheren Rande versehen, sodass die Umfangsgeschwindigkeit desselben vermehrt und eine geringe, Zug erzeugende Beschleunigung in der Abführung des Seiles erreicht wird. Eine den Rand der grösseren Rolle mit der Achse verbindende und in Figur 10 bei o gezeichnete Reibungskupplung soll verhüten, dass jemals das Seil in der wellenförmigen Rille gleitet und diese sowohl, wie sich selbst abnutzt; vielmehr soll in diesem Falle der Rand auf dem mittleren Theile der Rolle sich in der Richtung des im Seil ausgeübten zu grossen Zuges drehen. Diese Einrichtung erscheint übrigens als eine überflüssige und der Einfachheit wegen besser unterbleibende Vorsicht.

Soll die Vorrichtung ausser Thätigkeit gesetzt werden, was z. B. stets am jedesmal vorn befindlichen Schiffstheile oder auch am Hinterende beim Ausfahren von Curven (wobei die erforderliche Endspannung von selbst vorhanden ist), der Fall sein muss, so geschieht die Auslösung selbstthätig. Die in dem Seil dann vorhandene Spannung hebt die auf ihm ruhenden Rollen c und g in die in Figur 8 dargestellte Lage, wobei sie von einem Gegengewichte d unterstützt wird. Das Tau geht dann frei zwischen den Seilscheiben mit wellenförmiger Rille b und c hindurch. Vermöge dieser selbstwirkenden Auslösung wird das Seil nur dann die durch die Wellen [376] herbeigeführten, übrigens nicht sehr erheblichen Biegungen erleiden, wenn es unbedingt nöthig ist; insbesondere wird es den freien Auflauf des vorderen Taues auf die Triebseilscheiben nicht behindern.

Es entzieht sich unserer Beurtheilung, ob es nicht angängig sein sollte, auch statt der glatten, dreifachen Triebseilscheiben eine solche mit wellenförmiger Rille und geringerer Umwicklungszahl zu verwenden; es erscheint jedoch auf den ersten Blick wohl angängig und der Erwägung bei etwaiger praktischer Ausführung werth. Dass die letztere am geeigneten Orte mit hinreichenden Mitteln und unter geübter Leitung baldmöglichst ins Leben treten möge, glauben wir im Interesse der weiteren Entwicklung unserer Flußschiffahrt wohl wünschen zu können in der Hoffnung, dass die Erfahrung die an die Erfindung geknüpften Erwartungen verwirklichen werde.

Sympher.     

  1. Näheres, sowie die mathematische Begründung ist in der Deutschen Bauzeitung, Jahrgang 1882 Nr. 89 gegeben.