Das Goaßlfahren

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Autor: August Silberstein
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Titel: Das Goaßlfahren
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 128–130
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Berichtigung: Die Originalzeichnung „Goaßlfahren“ S. 129 der „Gartenlaube“ ist nicht von Karl Marr; der Name wurde irrthümlich angegeben. 1887/12, S. 196.
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[128]

Das Goaßlfahren.

Eine kleine Dorfgeschichte aus Oesterreich von August Silberstein.

Das Tannenreisigbüschlein an einer breiten Thür, frischgrün in allen seinen Nadeln und oben mit einem dichten, fast schimmernden Schneewulste belegt, ließ keinen Zweifel, was es da am einsamen Hause nächst der Landstraße bedeute. Es war eine frischlebendige Mahnung, einzutreten, wo man stetig munter und wo Stimmen wie im sommergrünen Walde laut, wenn auch Alles ringsum still, ernst, sogar erstorben schien, wie jetzt unter der dichten weißen Schlaf- oder Leichendecke, welche Feld und Flur, Thaltiefen und Berghöhen bedeckte.

Die Scheiben weinten Jedem sichtlich Freudenthränen des Willkomms von innen entgegen und ließen in ihrem glatten Gesichte keine Eisnadelrunzeln aufkommen. Jetzt aber klirrten sie völlig, als ein Mann die Thür aufriß und rasch wieder zuschlug, der in einen grauen Mantel eingehüllt und mit einer Pudelmütze (runder Pelzmütze) bedeckt war, die, trotzdem draußen schon der Schnee abgeschüttelt worden, doch hier innen noch bei dem ersten Strecken und Recken einen weißen Kranz rings um ihn zeichnete, als hätte man ihm Lilien und allerlei weiße Blüthen auf den Weg gestreut.

Sie vergingen rasch und wurden mit einer Schleunigkeit dunkler, welche der Hast der Frau Wirthin gleichkam, die, nachdem sich der eingetretene Mann ein wenig entpuppt hatte, vom Schenktische her ausrief: „Boldl (Leopold)! Mein Gott, der Boldl! Wie kommst denn Du daher?“

„Urlaub hab’ ich bekommen! Und einberufen werd’ ich weiter wohl schwerlich mehr. Ich werd’ in die Reserve versetzt oder, wenn’s gut geht, in die Landwehr! Fasching ist ja auch im Land, und im Winter, in der lustigen Zeit, bin ich schon lang’ nit daheim gewesen … jetzt bin ich’s, juhe!“

„Und die Freud’, die Deine Leut’ haben werden! Jetzt gehst gerad’ heim ins Dorf …“

„Freilich, freilich! Grüß’ Dich Gott, Kapral (Korporal) Boldl!“ rief der eintretende Wirth, ihm die Hand entgegenstreckend. „Sein (sind) wir ja doch noch beim letzten Manöver zusammenkommen! – Nimmst noch einen Schluck zum Wärmen auf den Weg heim. Und Du kommst gerad’ recht; nächsten Sonntag kann’s lustig werden, da haben wir wahrscheinlich das Goaßlfahren im Ort!“

„Goaßlfahren! da wird wohl mein Alter dabei sein, ich wett’!“

„Der laßt’s sich nit leicht nehmen. Hat immer mit’than, so alt er is! Aber riegelsam und lebfrisch!“

„Das is gerad’ recht. Und thät er’s nit, so thät’s ja gerad’ ich! Das brave Rapperl is noch beim Haus und mein Goaßlschlitten, den ich selm (selbst) noch auf’putzt hab’, find’t sich wohl noch daheim, und mitthu ich … das ist g’wiß!“

„Und die Freud’ von der Heidl (Adelheid), wenn’s Dich wieder sieht!“ rief die Wirthin aus.

„Wer weiß!“ antwortete der Andere.

„Na, das ist doch g’wiß!“ betheuerte die Wirthin.

„Und sie ist nit mit dem Waldhaus-Franzl so viel wie versprochen (verlobt)?“

„Erfunden und erlogen ist’s! So schlechte Leut’ giebt’s! Daß solche Reden einem Menschen nit im Hals stecken bleiben wie ein Knochen! Und daß sie nit daran würgen müssen zum Ersticken! Die Heidl! so was! Hat sie ja gerad’ noch immer ihre Brüder hingehalten wegen dem Franzl und ihnen gesagt, sie möcht’ nit, daß sie jetzt schon ans Herauszahlen gehn müßten. Das Heirathen hat noch Zeit!“

„Hat sie gesagt?“

„Ja, und vertraut hat sie mir’s doch als mein’ Basl, an wen sie denkt!“ …

„An wen?“

„Na, an Dich! Du Daundalaun, Du Didldap, daß man Dir so etwas erst sagen muß!“

„Hat sie g’sagt!“ rief der entzückte junge Mann aus.

„Und jetzt rennst vielleicht gar gleich hin … und verrath’st Alles!“ sagte die Wirthin.

„Nein! Ich bitt’ Euch, laßt ihr im Gegentheil gar kein’ Kundschaft werden von mir und sagt nichts. Sie kommen wohl jetzt nit eher vom Wald herfür, in diesem tiefen Schnee, als höchstens Sonntag zur Pfarrkirch’!“

„Ganz richtig. Wenn s’ überhaupt heraus können. Aber das will ich machen. Ich laß mit ein’ Schlitten wegen Holz hineinfahren, geh’ es wie es geh’, und dann müssen sie kommen!“

„Dafür ist nächsten Sonntag Goaßlrennen her zu Dir, Wirth, ganz gewiß. Und lustig soll’s sein, wie in der Ewigkeit, wenn der Petrus droben Schnee machet! Verlaß’ Dich auf mich! Aber schweigen!“ …

„Schweigen,“ sagte der Wirth, „drauf laß’t Dir wieder einschenken und dann stapfst wärmer heim.“

Das geschah. Und die herzlichen „behüt Gott!“ tönten noch lange nach, und über den Schnee ging der Boldl auf der Landstraße dahin, als wäre er sein Lebtag gewohnt nur auf diesem eiligst zu wandeln.

Ja daheim, da gab’s zur Freud’ und Liebe noch einen prächtigen Most und mitten in der Woche sogar Braten mit Schmalzkrapfen.

Und Sonntag war man von weit und breit da. „Goaßlfahren“ galt die Losung. „Maschkerade“ auch noch, alles von Boldl betrieben, auch ihm zu Ehren, und wer wetten will ums erste Anlangen am Ziel beim Wirth, legt zwei Gulden ein. Die Hälfte fürs Allgemeine, die andere für den „Weitmaier!“ (weitest Vorderen).

Kaum hatte am Sonntag Nachmittag das letzte „Segenläuten“ vom Thurm ausgeklungen, standen sie da auf dem Kirchenplatze, alle Jungen und Alten, die einen Schlitten aufzubringen hatten. Boldl wurde rings begrüßt. Und ein Schellengeklingel war’s von den mit Bändern,

[129]

Ein Faschingsgoaßlfahren in Oesterreich.
Originalzeichnung von Karl Marr.

[130] Federbüschen und rothen Gurtengehängen voll klirrender Messingkugeln geschmückten Pferden, als sollt’ kein Dagl (Dohle) und kein Rab’ drei Stunden im Umkreise fortan bleiben. Dazu knallten auch die Geißeln, die langen Peitschen mit ganz kurzen Stielhandhaben, daß es gleich Böllerschüssen zu hören war. Dafür haben die Bursche eine ganz merkwürdige eingeübte Geschicklichkeit, und es ist ihr Stolz, wenn sie das so rasch und kräftig können, daß die Berge nicht leicht damit fertig werden, das Echo lange und oftmals nachzudonnern.

Man muß es auch sehen, wie so ein lebfrischer Bursche etwa fest mit den Füßen beiderseits auf den Kufen aufgestemmt, stramm über dem kleinen Reit- oder Sitzbrettlein steht, dann wieder sitzt oder reitet und dahinsaust mit seinem Goaßlschlittlein. Es ist ein kleines Ding aus dünnem, aber festem Gestänge und sieht mit seinen ausgestemmten vier Füßen, die im Schnee zu stehen scheinen, mit seinem kurzen Rücken, der nicht größer als ein knapper Sattel, einer „bockenden“ Gais ähnlich, wenn man sich den aufgebogenen Hals vorne noch hinzusinnt. Und in der Hand des Goaßlfahrers die Zügel, in der andern Hand die sausende knallende Geißel, ist jeder ein Stolz für sich selbst und alle die Seinen.

Auf dem Dorfe braucht’s nicht viel Denkens wegen der „Maschkerade“. Eine lange Papiernase, ein Hut wie eine kleine Strohgarbe, eine Weiberhaube zu einem bebarteten Gesichte, eine Perücke aus Werg, mit Hörnlein, ein riesiger Militärhut aus alter Zeit etc. sind bald beschafft, und der sehenswürdige Spaß ist fertig. Aber Hausschlitten, worauf mehrere sitzen, und wesentlich die Goaßl mit ihren gezierten Pferden sind die Hauptstücke, und heute ging’s um die Wette dahin.

Tief eingeschneit lag der Wald. Auf jenen rothbraunen zähen Blättern, die winterlich vom Ast nicht lassen, schimmerte der Schnee: breit und schwer lag er auf den alten nebelwärts emporreichenden Tannen, die ihn auf ihren gestreckten Armen hinhielten. Die Lärchenbäume mit ihrem hellen grünen Gehänge machten den Anblick noch etwas heiterer, nur schien in ihren Astwinkeln die weiße Last sie niederbeugen und brechen zu wollen.

Aber das scherte die lustigen Fahrenden nicht, denen der Wind nur zuweilen, „übers Eck“ kommend, einen silberschimmernden Staub in die Luft warf. Sie jauchzten und knallten und sangen und jubilirten bis dorthin, wo das Wettfahren begann.

Der Wirth, welcher schlauerweise Heidl am ganzen Sonntage zurückhielt, hatte sich nicht spotten lassen. Nicht den üblichen Citherspieler, sondern nicht weniger als drei Musikanten, sogar einen mit Trompete, hatte er bestellt. Und sie bewillkommten die Gäste vom fernen Dorf wie die Herrschaften nach Gebühr, und daß an der Herrlichkeit kein „Mankerl“ (Geringstes) fehle!

Und Heidl stand auch in der Thür, sogar mit schäumenden Krügen für die zuerst Anlangenden in der Hand.

Drinnen im Wirthshause waren bunte Papierketten gespannt und feurige Rosen aus zinnoberroth gefärbten Hühnerfedern leuchteten dazwischen. Als Richter am Ziele galten Alle, die da mit offenen Augen waren.

Daß der Wirth mit allem seinem Hausgesinde und Zugehör, vornehmlich mit der apfelfrischen Heidl, auf der Höhe seiner Hausschwelle und nächst den Musikanten in erregter Weise des Zuges und unvordenklichen Siegers wartete, versteht sich von selbst.

Und der Erste, der große Sieger, um den die Schneeflocken wie ein Gestöber von unten auf flogen, der um eine gute Länge voran sauste, war der Boldl mit seinem schnaubenden Rapperl und seinem eigenhändig glänzend herauslackirten Goaßl!

Und als über allen Schellenlärm hinaus die Musik Tusch blies, da schrie die rothbackige, mudlsaubere (modelhübsche) Heidl mit einem merkwürdigen Schrei aus der hochklopfenden Brust auf: „Boldl!“

„Ja, ich bin’s!“

„Ich bin völli derkema (verkommen) … so ein Schrecken!“

Er aber. schloß ihr vor Allen den Mund mit einem herzhaften Schmatz und umarmte sie, und das war eine Freude … die noch am selben Abend auf dem Tanzboden zu einer Erklärung führte: Braut und Bräutigam hieß sie!

Gejauchzt und getanzt wurde nach Gebührlichkeit, manches Glas geleert und aller Gewinn zum Besten gegeben. Der Wirth fand seine Rechnung, auch Gemüthsbefriedigung. Die Musikanten besorgten dann um die späte Mitternachtsstunde noch tapfer im eisigen Freien das „Hinausblasen“. Es galt auch zuvor dem Pfarrer, welcher zu Gast kam und der zugleich gebeten wurde, für das erste „Verkünden“ von der Kanzel noch in diesem Fasching Sorge zu tragen.

Mancher Goaßlfahrer fand sich schwerer, schwerer heim als Er.