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Das Kloster (Gemälde der Dresdener Gallerie)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Adolph Görling
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Titel: Das Kloster
Untertitel: Von J. Ruisdael
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
Herausgeber:
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1848–1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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Quelle: Commons
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The Monastery.     Das Kloster.

[113]
Das Kloster.
Von J. Ruisdael.

Diesmal hatte Jakob Ruisdael eine Fußtour unternommen, die sich bis über Ath hinaus ausdehnte. Hier beschloß er Halt zu machen. Er packte die unschätzbare Beute, welche er auf seinem Streifzuge erobert hatte, eine Folge der poesiereichsten Landschaftsbilder, ein und sandte sie nach seiner Vaterstadt Harlem. Dann bestieg er sein Roß und gedachte seinem Geiste einige Ruhe zu gönnen und heimkehrend mit vollster Beschaulichkeit das zu genießen, was er zum Entzücken der Welt auf die Leinwand zu schaffen verstand: das tiefgeheimnißvolle Leben in der Natur.

[114] Ruisdael war jedoch viel zu sehr Maler, als daß er in diesem Punkte consequent geblieben wäre. Er war noch keinen Tag unterweges und befand sich bereits mitten in den gedankenreichsten Studien über die Schönheiten der Landschaften an seinem Wege. Stundenlang mußte sein Roß stillstehen: der Reiter beobachtete den Effect, welchen ein einsamer, dunkler Paßweg hervorbrachte; oder er suchte die richtigste Weise, um einen vom herbstlichen Winde durchbrauseten Wald mit seiner melancholischen Bewegung aufzufassen.

Am Abende des zweiten Tages hatte Ruisdael, der große „Landschaftdichter“, wie ihn Vater Goethe nennt, sich so sehr in seine Studien vertieft, daß er keinen Gedanken an die ferne Herberge übrig behielt, wohin sein stampfendes Roß so sehnlich verlangte.

Er befand sich mitten im Walde. Die Nacht war eingebrochen; es fing sanft an zu regnen. Vor ihm breitete sich ein mit Gebüsch und einigen riesigen Eichen versehenes, ringsum von starrenden Tannen umgebenes tiefes Thal aus; das Licht des vom Regen verschleierten Mondes schwamm um die triefenden Bäume . . . Allenthalben tiefste Ruhe; man hörte fast jeden Tropfen auf die Blätter der Bäume fallen.

Der Maler schien sich von dem Anblicke dieser Waldesstelle nicht losreißen zu können. Hier war fast nichts von den Eigenschaften, in welche man die Schönheit einer Landschaft gewöhnlich zu setzen pflegt. Wenig, fast nichts war hier zu sehen. Ruisdael schüttelte den Kopf.

– Wo liegt nur der maßlose Reiz, rief er endlich aus, den diese Landschaft auf mich ausübt? Könnte ich das Geheimniß ergründen, durch ein Bild einen Eindruck hervorzurufen, wie ihn diese regnerische Waldesnacht auf mich ausübt – wahrlich, kein Maler in der Welt käme Jacques Ruisdael, dem Landschafter, gleich . . .

Seine Betrachtung, sein Entzücken ward ziemlich rauh unterbrochen.

– Was schreit Ihr denn hier so spät? fragte eine rauhe Stimme, und Ruisdael sah mit einigem Erschrecken dicht neben seinem Pferde einen starken Mann stehen, welcher auf sehr bezeichnende Weise seine lange Flinte anlegte.

– Gebt Euer Geld! befahl der Fremde.

Ruisdael zog sein Faustrohr und feuerte es auf den Räuber ab; der Mann griff nach seinem Kopfe und sprang mit einem Fluche vorwärts. Der Maler fühlte sich am Beine ergriffen und vom Pferde geworfen.

– Du stirbst! rief der Fremde wild.

– Schone mich! Du erhältst fünfhundert, tausend, zweitausend Gulden! kreischte der Besiegte.

Der Waldbewohner stutzte, ließ aber seinen Feind nicht los.

– Bist Du denn ein Fürst oder ein Graf, daß Du solche Summen bieten kannst? fragte er endlich sinnend.

– Ich bin ein Maler; mein Fürstenthum liegt in dieser rechten Hand und bei Gott, zerbrichst Du sie mir, wie es gleich geschehen sein wird, wenn Du nicht loslässest: so bin ich arm wie Du.

Der Mann ließ los und stellte sich dem Ruisdael mit dem Gewehr im Anschlage gegenüber.

– Du willst sagen, daß Du so viel für Deine Bilder erhältst?

[115] – Ja.

– Wieviel denn für eines?

– Unter tausend Gulden setze ich den Pinsel nicht an.

Der Waldessohn schien tief nachzusinnen.

– Gieb mir die zweitausend Gulden, welche Du mir vorhin versprachst! sagte er. Dann zieh Deiner Wege.

– Heute Abend besitze ich nicht so viele Stüber! Aber ich schwöre Dir . . .

– Ah so! Es ist gut! unterbrach den Maler der Fremde. Dann wirst Du Dir einige Unbequemlichkeiten gefallen lassen, bis Du mich bezahlt hast. Geh voran. Willst Du mir entrinnen: so schieße ich, und sei versichert, daß ich meiner Kugel sicherer bin, als Du der Deinigen. Marsch.

Ruisdael zum ersten Male in seinem Leben eine reizvolle Landschaft rechtschaffen verwünschend, gehorchte und kam, mit Mühe sein Pferd nach sich ziehend, endlich nach einem kleinen Hüttchen. Die Thür ward geöffnet und ein schönes, junges Weib mit entfesseltem Haar, einen brennenden Kienspahn in der Hand, trat auf die Schwelle und leuchtete die in einen Mantel gehüllte Gestalt des Malers, das dampfende, vom Regen triefende Roß und die wilde, aber höchst malerische Gestalt des Räubers an. Ruisdael stieß ungeachtet seiner Situation einen Ausruf der Ueberraschung über die Schönheit dieser Scene aus.

Der Mann brachte das Pferd in einen alten Holzschuppen und lud den Maler ein, näher zu treten. Hier herrschte die bitterste Armuth. Dies Zimmer, das einzige der Familie, zeigte kaum das Unentbehrlichste. Drei kleine Kinder waren fast nackend.

– Mein Gott, wo bin ich hier? fragte Ruisdael mitleidig.

– Bei einem Excommunizirten, Monsieur! sagte der Mann düster. Ich habe den Abt des nahen Klosters geschlagen, weil er mein Weib verführen wollte; der Bann traf mich; dann travail forcé auf ein Jahr. Vor acht Tagen bin ich zurück gekommen, nachdem man mir zum Abschied den Staupenschlag und ein gewisses Zeichen auf die Schulter gegeben hatte. Im Dorf nahm mich Niemand auf; ich habe diese verlassene Köhlerhütte zur Wohnung nehmen müssen. – Aber noch sind wir nicht verlassen. Du bist da! Ich werde Dir nichts thun; aber Du wirst mir ein Tausendguldenbild malen, ich verkauf’s und gehe nach der neuen Welt.

Am andern Morgen mußte Ruisdael sein Geld hergeben, damit die Frau gehen und kaufen konnte, was zum Zeichnen u. s. w. nöthig war. Vergebens bat Ruisdael um seine Freiheit, indeß er betheuerte, er werde freiwillig die Wünsche seines Tyrannen erfüllen. Er verfiel darauf, durch List sich seines so unerwartet über ihn zur Herrschaft gelangten Peinigers zu entziehen, und diesem abscheulichen Aufenthaltsorte zu entrinnen.

– Ich male nur nach der Natur! sagte er. Ich muß mir hier eine passende Landschaft aufsuchen.

– Gut! Ich gehe mit Dir! sagte der Mann. Aber sprichst Du mit Jemand, verräthst Du Deine Lage: so schieße ich Dich nieder. Ich gebe für mein Leben keinen Deut. Die Hoffnung, welche mir durch Dich eröffnet ward, soll sich erfüllen, oder ich will sterben.

Ruisdael zuckte betreten die Achseln, nahm Papier und Stift und setzte sich mit seinem Begleiter in Marsch. Nach einigen Minuten kamen sie zum Walde hinaus – ein Thal eröffnete [116] sich und mit demselben eine Landschaft, wie sie Ruisdael selten schöner in seinen Phantasien gesehen hatte.

Von dicken Bäumen an einem Ufer geziert rieselte ein seichter Bach über ein kleines Wehr. Drüber hinaus zeigte sich ein freier, sonniger Platz, von einer herrlichen Baumgruppe verschönert. Seitwärts an diesem Platze stieg ein gewaltiger ruinenhafter Thurm ohne Dach hoch empor; neben ihm war eine zerbrochene, cyklopische Mauer, den Grundriß eines ehemaligen festen Gebäudes andeutend. Hinter dem Thurme erhoben sich die neuen Gebäude eines Klosters mit ihrem schlanken Thürmchen, und dicht neben dem letzteren erhob ein waldumkränzter, stellenweise kahler Fels seine Mauern in die Lüfte und schloß das Bild. Zur Rechten, halb im Gehölz versteckt war das Dorf, aus welchem man den Waldbewohner vertrieben hatte.

Und die Staffage war nicht minder schön. Vorn im Bache wateten vier fette Klosterkühe und zwei Männer fischten mit kleinen Hamen für die Mönche herrliche Forellen. Weiter entfernt ritt der Hirtenjunge einen Esel im Bache umher, und vor dem alten Kloster standen zwei Mönche, die Hände in die Aermel gesteckt und unterhielten sich in faulster Beschaulichkeit, während neben der großen Pforte des Thurmes ein Dritter an der Mauer lehnte und sich sonnte.

– Beim Apollo! rief Ruisdael bezaubert. Ich bin dennoch glücklich und ich danke Dir Bärenbeißer, daß Du mich gestern Abend anhalten mußtest. Dies wird ein Bild, welches sicherlich für tausend Gulden nicht feil sein wird.

Und rasch ließ er sich am Rande des Baches nieder und begann zu zeichnen, indeß der Tyrann mit seiner Flinte sich hinter einem Felsenstücke verbarg. Es dauerte keine Minute, da kamen die Mönche an, hoben die Kutten auf und wateten durch’s Wasser und beschauten die Arbeit des Zeichners.

– Das ist Ruisdael! rief ein Klosterbruder. Wir haben eines Deiner Bilder im Refectorio. Du bist bei uns eingeladen.

– Dank! Ich nehme die Einladung an unter der Bedingung, daß Ihr mir auf der Stelle tausend Gulden leiht.

– Zugeschlagen! rief der herbeieilende Abt; wenn wir uns damit das Recht auf Euer Bild unsers Klosters erkauft haben. Wir werden Euch gut bezahlen.

In zehn Minuten hatte sich Ruisdael von seinem Manne losgekauft.

– Siehst Du, daß ein Maler nicht lügt? rief er dem Elenden zu. Und daß es keiner Flinte bedarf, um Jakob Ruisdael zu einer barmherzigen Handlung zu bewegen?