Das Leben und Treiben auf dem Meeresgrunde

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Autor: Georg Heinrich Schneider
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Titel: Das Leben und Treiben auf dem Meeresgrunde
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41–42, S. 672–676, S. 700–703
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[672]
Das Leben und Treiben auf dem Meeresgrunde.
Bilder aus dem Aquarium zu Neapel.
Von G. H. Schneider.
I.
Die Mittel und Wege der Krabben zum Beute-Erwerbe und zum Schutze des eigenen Lebens. – Inniges Freundschaftsverhältnis zwischen Einsiedlerkrebs und Seerose.

Das Leben und Treiben der Landthiere, insbesondere der Insecten, verbirgt sich, wie Jedermann weiß und wie auch an dieser Stelle bereits wiederholt besprochen worden, vielfach unseren Blicken. Aber eine noch größere Fülle ganz versteckten Lebens birgt der Grund des Meeres. Auch hierüber ist den Lesern der „Gartenlaube“ schon eine Reihe fesselnder Artikel geboten worden, allein die nachfolgende, durchaus auf wissenschaftlichen Studien beruhende Darstellung wird ihnen das Thema erweitert und von neuen Gesichtspunkten aus vorführen.

Während auf der Oberfläche und in der Tiefe des Wassers sich zahllose Fische umher tummeln, bald andere verfolgen, bald vor den stärkeren fliehen, während die Polypen an den Felsenklippen umhersuchen, um in Ritzen und Löchern irgend eine Krabbe ausfindig zu machen, und während endlich unzählige durchsichtige Geschöpfe, die Nachts bei Berührung in Feuer geballt scheinen, alle Schichten des Meeres bevölkern, glaubt man auf dem Grunde oft nur Seepflanzen und Steine, aber kein thierisches Wesen finden zu können. Weit gefehlt! Sobald man die scheinbar unwirthbaren Sand- und Schlammmassen durchwühlt, belebt sich der ganze Boden. Nach allen Seiten suchen ungeahnte aufgescheuchte Räuber, welche hier auf Beute lauerten, mit den vielfältigsten Lauf-, Kriech- und Schwimmbewegungen zu entfliehen. „Alles rennet, rettet, flüchtet,“ und im nächsten Augenblicke ist wieder nichts mehr zu sehen. Sehr begreiflich; denn die Rochen und Schollen haben sich an einer anderen Stelle schnell wieder mit Sand beschüttelt und liegen bewegungslos unter ihrer Decke; der Sternseher, der Meerengel, das Petermännchen, der Seeteufel und andere Grundbewohner sind ebenfalls in den Sand verschwunden, und nur der mit diesen Thieren Vertraute bemerkt die stetig sich nach allen Seiten bewegenden lauernden Augen derselben.

Und die hurtigen Krabben? sie haben sich schnell wieder hinter Steinen und Seepflanzen versteckt oder sind wie der Blitz in den Boden versunken und lauern nun mit den hervorstechenden Augen auf Beute. Bemerken sie solche in der Nähe, dann steigen

[673]

Bewohner des Meeres.
Nach der Natur gezeichnet von Conrad Siemenroth.

[674] sie langsam aus dem Boden heraus und umschleichen das Opfer mit einer Vorsicht und Geschicklichkeit, die dem Fuchs keine Schande machen würde. Sie umgehen die Beute behutsam und benutzen dabei jeden Stein und jede Muschelschale listig als Deckung; haben sie sich nahe genug herangeschlichen, dann stürzen sie sich nach Raubthierart plötzlich auf ihr Opfer und zerreißen es. Kann die Krabbe ihre Nahrung bequemer haben, so greift sie ruhig zu. Von einer lebenden Schnecke rupft sie sich, wie ich beobachtet habe, gemüthlich ein Stück ab und frißt es. Begegnet sie einer anderen Krabbe, die mit Algen oder Thierstöckchen bewachsen ist, so langt sie mit der Scheere hin, kneipt sich einige derselben, ohne erst zu fragen, ab und läßt sie sich schmecken. Sehr häufig schießt eine Krabbe auf eine andere schwächere ihrer Art zu, packt sie mit fast allen Beinen, und man glaubt dann schon, es werde zu einem Kampfe auf Tod und Leben oder – zu einer Liebesscene kommen; allein was geschieht? Während sie den Gefangenen mit mehreren Fußpaaren festhält, liest sie ihm mit der einen Scheere die Parasiten von seinem Rücken ab und frißt diese, ganz so, wie es zum Entsetzen des Berliner Thiergartenpublicums die Affen machen. Nahen sich, während eine Krabbe mit Fressen beschäftigt ist, zudringliche Bettler, Diebe und Räuber, so haut sie mit den Füßen, ohne das Fressen einzustellen, muthig auf sie ein oder verbirgt ihren Bissen ganz hinter ihren Scheeren, genau so wie Kinder ihre Leckerbissen an die Brust drücken und mit den Händen bedecken, wenn andere Leckermäuler kommen und etwas begehren.

Die Art, wie die Krabben, überhaupt alle zehnfüßigen Krebse, Nahrungsgegenstände mit den Scheeren nehmen, sich kleinere Stücke von größeren Leichen abrupfen und zum Munde führen, läßt sich nur mit dem Fressen der höheren Wirbelthiere vergleichen und hat etwas ganz Menschliches. Diese Krebse benutzen ihre Scheere wie der Mensch seine Hände. Beim Abrupfen der Stücke, etwa von einem todten Fische, hält der Krebs seine Beute mit der linken Scheere fest und rupft mit der rechten ganz so, wie wenn wir mit den Händen ein Stück Tuch zerreißen.

Noch mehr als die Gewohnheiten zum Nahrungsgewerbe verdienen die Schutzgewohnheiten der Krabbe unsere Bewunderung.

Im Neapolitaner Aquarium sieht man an den Wänden des Krebsbassins eine Menge orangerother Klumpen, die an den Steinen festgewachsen scheinen; das sind Spongien (meist Sarcotragus spinosulus) die aber nicht dort an den Steine, sondern – auf den Rücken von Krebsen sitzen, welche die Spongien mit besonderen Rückenfüßen festhalten, um gegen feindliche Angriffe geschützt zu sein. Löst man eine solche Spongie von der Wand ab, so findet man unter derselben einen dunkelgrünen oder braun gefärbten kräftigen und knollenförmig gebauten Krebs (Dromia vulgaris) mit starken Scheeren, die er dem Ruhestörer drohend entgegenhält. Es ist ein unbeholfenes plumpes Thier, und seine ganze Kruste ist mit rauhen, filzigen Haaren bedeckt, weshalb man den Krebs Wollkrabbe nennt, während man ihn besser als Filzkrabbe bezeichnen würde. Seinen lebenden Schild und Schirm hält er mit den zwei rückgebildeten und auf den Rücken verschobenen Fußpaaren sehr fest und trägt ihn bei seinen unbeholfenen Ortsveränderungen stets mit sich herum, was einen komischen Anblick insbesondere dann gewährt, wenn noch irgend eine von den bizarren Krabben als buckeliger Reiter auf dem Schwamme hockt und sich gemüthlich mit herumtragen läßt. Bei jeder Berührung duckt sich die Wollkrabbe so auf ihre Unterlage, daß die Spongie dieselbe fast berührt und der Krebs vollständig darunter versteckt ist. Fräulein Johanna Schmidt hat in der neuen Auflage von Brehm’s „Thierleben“ die Wollkrabbe mit ihrer Spongie sehr hübsch und naturgetreu wiedergegeben!

Ganz ähnliche Schutzgewohnheiten wie die Wollkrabbe haben deren Verwandten. Zuweilen bemerkt man zu seinem nicht geringen Erstaunen, daß ein Muschelschalenstück, ein Stein, ein Algenblatt oder sonst ein Gegenstand, der auf dem Grunde liegt, sich plötzlich bewegt und – davonrennt. Bei genauer Beobachtung sieht man nun, daß diese Dinge ebenfalls durch eine Krebs (Dorippe) bewegt werden, welcher sie als schützenden Schild mit seine Rückenfüßen frei über sich hält und sich meist ganz auf den Boden duckt oder sich selbst noch in den Sand vergräbt, sodaß der Unkundige absolut nichts von dem Thiere und nur der Kenner vielleicht die Augen und zwei Taster sieht. Der Krebs ist ganz glatt gebaut und hat an den Beinen sehr lange Krallen und zwei dickbauchige Scheeren. Wenn er sich fortbewegt, schleicht er, ganz flach auf den Boden gedrückt, umher, hält seinen Schild frei über sich und richtet ihn bald nach dieser, bald nach jener Seite, je nachdem ihm von vorn oder hinten, von links oder rechts irgend welche Gefahr droht, und das macht er mit einer Gewandtheit und Ueberlegung, die den Beobachter immer in Erstaunen setzt. Deckt ihn sein Schild unvollkommen und er findet einen passenderen Gegenstand, so tauscht er, wirft den einen weg, kriecht erst von hinten unter den andern und schiebt ihn dann mit seinen Rückenfüßen noch vollends so weit vor, bis er sich vollständig gedeckt weiß.

Andere Krabben haben es darauf abgesehen, sich ganz unsichtbar oder unkenntlich zu machen, und einige verstehen das ganz meisterhaft. Bestellt man bei einem Fischer die Seespinne (Maja), so bringt er einen Kübel, der absolut keine lebenden Thiere zu enthalten und dafür nur mit Steinen, die mit Algen bewachsen sind, gefüllt scheint. Man nimmt einen solchen vermeindlichen Stein in die Hand, und auch dann rührt sich vielleicht noch nichts. Legt man das räthselhafte Ding auf den Tisch, so sucht es sich nun auf einmal auf und davon zu machen und sich zu verstecken; wendet man es nun um und sieht es genauer an, so bemerkt man zu seiner Verwunderung, daß der erst scheinbar todte Körper ein Krebs ist, dessen Rücken und Beine aber ganz dicht mit allerlei Algen bedeckt sind, welche alle festgewachsen scheinen und es zum Theil auch in der That sind.

Löst man diese Seepflanzen von dem Thiere ab und reinigt dessen Rücken, der eine Schicht von Schlamm oder Sand aufweist, noch mit einer Bürste, so sieht man, daß Rücken und Beine mit kurzen, dicken, borstigen Haaren besetzt sind, die in geordneten Doppelreihen stehen und an der Spitze alle zu Häkchen umgebogen sind, an welch letztere die Algen vom Krebs selbst befestigt werden. Wir setzen nun eine so gereinigte Seespinne in ein Bassin, in welchem sich verschiedene Algen befinden, und genießen ein ganz reizendes und überraschendes Schauspiel. Der Krebs untersucht die Pflanzen, biegt einen kleinen Büschel zu sich heran, hält die Spitze mit der linken Scheere und kneipt mit der rechten diese Büschel ab, so handlich, wie wenn ein Mensch mit den Händen etwas abbricht oder mit einer Scheere abschneidet. Diesen abgeknippenen Büschel führt er nun mit beiden Scheeren zum Munde, wie es scheint, um das untere Ende zu untersuchen. Nun packt er den Büschel sehr manierlich mit einer Scheere in der Weise, wie wir einen Blumenstrauß in die Hand nehmen, führt ihn langsam und bedächtig nach seiner Stirn, setzt ihn dort auf und bewegt ihn hin und her, bis er sich in die gekrümmten Haare eingehakt hat. Ist das gelungen, so zieht er noch einmal daran, um zu sehen, ob die Pflanze fest sitzt; ist es so, dann führt er seine Scheere wieder langsam nach unten, greift nach einem neuen Büschel und wiederholt das ganze Manöver, und das so oft und so lange, bis er Stirn, Rücken und Beine mit den Pflanzen dicht besteckt hat.

Auf die Stirn setzt er, was das Wunderbarste ist, meist einen oder zwei große Büschel und an die Seite mehrere Reihen kleinere. Wenn er mit seinen Scheeren diesen Stirnschmuck einhakt, denkt man unwillkürlich an eine Dame, die ihre Kopfputz zurecht macht und sich Nadeln einsteckt. Der Hauptzweck dieses Aufputzens mit Seepflanzen ist wohl der, sich unkenntlich zu machen. Allein diese Thiere schmücken sich oft oder meist in einer so eigenthümlich wählerischen Weise, daß man meinen möchte, sie thun es auch mit einer gewissen Eitelkeit. Man gewinnt bei von mir und Andern häufig gemachten Beobachtungen der Krebse ein ganz anderes Urtheil über die psychische Befähigung der Gliederthiere, wenn man auch annehmen muß, daß die natürliche Selection bei diesen Geschöpfen, deren Verwandte schon in den ältesten Schichten gefunden worden, eine großen Theil zur Entwickelung ihrer Gewohnheiten beigetragen hat. Das umstehende Bild zeigt neben den übrigen eben besprochenen Seethieren in der obere Ecke links so eine in vollem Staate befindliche Seespinne – gewiß zum Amüsement der Leser.

Zuweilen bestecken sich diese seltsamen Geschöpfe auch ganz unregelmäßig mit allen möglichen Dingen, einzelnen Algenfetzen, Fasern, gebleichten Blättern, Holzsplittern u. dergl. m., und Niemand wird dann unter einer solchen Decke ein lebendes Wesen vermuthen. Haben sie keine Pflanzen, dann wissen sie sich anders zu helfen. Sie graben sich zum Theil in den Sand, wobei sie bedächtig einzelne Steinchen mit der Scheere unter sich [675] ergreifen, sie in menschlich handlicher Weise ruhig auf die Seite legen und dadurch zugleich einen Wall bilden. Dann nehmen sie wieder kleine Steine, Muschelschalenstücke, kleine Glasscherben u. dergl. m. in die Scheere, führen diese nach dem Rücken, legen die Gegenstände behutsam dort ab, rücken sie, wenn sie nicht gut zu liegen kommen, noch zurecht und bedecken sich so nach und nach den ganzen Rücken, der dann genau so aussieht, wie die nächste Umgebung.

Einige solcher Seespinnen hielt ich einst in meinem Privataquarium, nahm ihnen ihren Rückenschmuck ab, reinigte sie so gut wie möglich vom Sande und legte eine Menge Papier- und Leinewandstreifen zu ihnen in das Bassin. Nach kurzer Zeit hatten sie alle die noch vorhandenen Algenstückchen aufgelesen und sich damit besteckt, aber kein einziger Krebs hatte Leinewand- oder Papierstücke dazu benutzt, ein Beweis, daß diese Thiere letztere gar wohl von den grünen Pflanzen unterscheiden und ganz gut wissen, daß sie unter diesen weniger auffallen und besser geborgen sind, als unter jenen. Ich entfernte dann jeden Rest von Pflanzentheilen, sodaß ihnen außer Steinen und Muschelschalen nur Leinewand und Papier zum Bedecken zur Verfügung stand. Drei der Thiere graben sich in den Sand ein, scharrten kleine Steine und Muschelschalenstücke unter sich hervor und belegten ihren Rücken damit, aber zwei Individuen bequemten sich jetzt auch, aus Mangel an Pflanzen, sich mit Papier und Leinewand zu schmücken. Sie sind also nicht etwa gezwungen, nur das zu benutzen, was ihnen ein sogenannter Instinct vorschreibt, sondern richten sich, wie wir Menschen, ganz nach den Verhältnissen; bei Ueberfluß wissen sie das Bessere zu wählen; bei Mangel begnügen sie sich mit dem Schlechteren nach dem Grundsatze: besser etwas, als gar nichts.

Das Schutzbedürfniß der so mannigfachen Verfolgungen ausgesetzten Krebse hat zu einem höchst interessanten Verhältnisse zwischen einigen Einsiedlerkrebsen und Seerosen geführt – ein Gegenstand der Beobachtung, den Karl Vogt den Lesern der „Gartenlaube“ bereits in seinem Artikel „Ferienstudien am Seestrande“ (Nr. 2: „Gute Freunde“) in Nr. 25 des Jahrgangs 1876 mit meisterhafter Anschaulichkeit vorgeführt hat. Nachfolgende Mittheilungen dürften den Vogt’schen Darlegungen indessen noch einige interessante Ergänzungen hinzufügen.

Die Einsiedlerkrebse bewohnen, wie Vogt schildert, Schneckengehäuse, welche man meist mit gewissen Arten der Blumenthiere besetzt findet, und der Krebs schleppt das Haus sammt den darauf sitzenden Nesselthieren mit sich herum. Schon früher ist beobachtet worden, daß er beim Wohnungswechsel das Blumenthier mit sich nimmt und auf die neue Schale setzt, aber man wußte bisher nicht, wie diese Uebersiedelung zu Stande kommt. In Neapel ist es mir nun gelungen, hierüber interessante Beobachtungen zu machen.

Der Hinterleib des Einsiedlerkrebses ist nach Pagurenart dermaßen an die Schneckenwohnung gewöhnt, daß er ganz weich geworden ist und die Spiralform angenommen hat; es giebt kaum einen komischeren Anblick, als solch einen armen Einsiedler ohne Schale zu sehen, wie er in seinen lächerlichen Bewegungen umherirrt und ängstlich seinen Hinterleib, den ihm hungrige Fische gern abbeißen möchten, zu bergen sucht. Die Leser der „Gartenlaube“ wissen bereits aus den Vogt’schen Schilderungen, wie der Krebs nach einer zur Wohnung für ihn geeigneten Schale zu suchen pflegt, wie er, wenn er sie endlich gefunden, von derselben Besitz nimmt und nun sehnsüchtig nach seiner schönen, theuren Freundin, der Seerose, späht, ohne die er nicht leben mag. Er sucht nach allen Richtungen eifrig umher, denkt an kein Fressen, sondern läßt, wie ich mehrfach feststellen konnte, den schönsten Bissen unbeachtet liegen, bis er seine hübsch violett gefleckte Rose gefunden hat, und es ihm gelungen ist, dieselbe zu bewegen, sein Haus zur Wohnstätte zu wählen, um mit ihm vereint zu leben. Endlich findet er eine leere Schale mit einer vereinsamten Seerose, deren Gesellschafter ihr durch einen räuberischen Pulpen oder durch den natürliche Tod entrissen worden ist. Schnell betastet der Einsiedler das Gehäuse, untersucht das Innere, und findet er dasselbe geräumig genug, so zieht er plötzlich seinen Schnörkelleib aus der alten Schale heraus, dreht sich um und schlüpft zur Wittwe. Ist ihm deren Wohnung aber zu klein, dann entwickelt sich eine überaus interessante, bei diesen Thieren kaum vermuthete rührende Scene.

Der Krebs legt sich an die Seerose, packt mit der einen Scheere deren Tentakelkranz, zieht und drückt denselben an seine Schale, betastet und streichelt mit den übrigen Beinen das Blumenthier und macht eine ganz eigenthümliche Rückbewegung, durch welche er die geliebte Rose zum Uebersiedeln zu veranlassen sucht. Hat er eine halbe Stunde lang dieses ruckweise Anziehen fortgesetzt, so nimmt der Gegenstand seiner Liebe eine ganz andere Form an. Während unsere Rose vorher flach die Schale umgab, dehnt sie sich jetzt nach dem Krebs zu aus, wird ganz hoch und bekommt die für die anderen Blumenthiere charakteristische Form. Sie umschloß die Schneckenschale ringförmig, und ihre Sohlenränder schienen zusammengewachsen. Jetzt löst sie diese letzteren von einander und hebt den einen Theil der Sohle ganz von der Schale ab; die Sohle bläht sich an diesem Theile auf, krümmt sich dadurch zurück, biegt sich dann ganz um und heftet sich an der Schale des werbenden Einsiedlers an. Dieser haftende Theil rutscht weiter, und in wenigen Stunden hat die schöne Freundin den Werber und dessen Schale ganz umschlungen.

Immer geht diese Vereinigung aber nicht so glatt ab. Ist in der Nähe noch ein anderer Hagestolz, der eine Gefährtin sucht, dann setzt es heiße Kämpfe, die sehr oft mit dem Tode des Einen endigen mögen, nachdem bald dieser, bald jener auf einige Augenblicke die Gewünschte in seiner Macht und versucht hatte, sie zum Uebersiedeln zu bewegen. Sie treiben sich dabei gegenseitig aus den Schalen und kneipen sich in den weichen Hinterleib. Man findet selten einen Krebs ohne Seerose oder letztere ohne ersteren.

Nur der Engländer Gosse[1] hat bis jetzt über dieses merkwürdige Verhältniß Beobachtungen veröffentlicht, und der bekannte Zoologe Oscar Schmidt hat dieselbe in Brehm’s „Thierleben“ zum Theil wiedergegeben. Gosse hatte nur ein einziges Exemplar zur Verfügung gestellt; er löste die Seerose gewaltsam von der Schale ab, um zu sehen, ob und wie sie der Krebs auf seine Schale brächte, sah am nächsten Tage auch, daß sich das Blumenthier dort wieder theilweise angeheftet hatte, konnte aber nicht beobachten wie das freiwillige Ablösen von dem Gehäuse vor sich gegangen.

Ich habe mir zur eingehenden Beobachtung dieser Thatsachen mehr als dreißig Individuen dieser Thiere nach einander in meinem Privataquarium in Neapel gehalten und alle Einzelheiten sehr gut beobachten können. Ich hatte eines Tages vierundzwanzig Krebse beisammen. Mehrere zwang ich zum Verlassen der Schale, tödtete andere, welche dazu absolut nicht zu bewegen waren, und löste von einigen Gehäusen die Seerosen gewaltsam ab, wobei dann der Krebs auch stets die Schale verließ. Schließlich hatte ich erstens mehrere ganz leere Gehäuse, zweitens mehrere andere mit der Seerose besetzt, drittens alle noch lebenden Krebse ohne Wohnung und viertens einige Seerosen ganz isolirt. Die noch mit Blumenthieren versehenen Gehäuse verstopfte ich nun fest mit Leinwand, damit die Krebse nicht in diese, sondern nur in die ganz leeren Schalen schlüpfen konnten und so genöthigt waren, sich ihre geliebte Freundin von dem verstopften Gehäuse herunter zu holen. Alle Krebse, Gehäuse und Seerosen that ich nun in ein und dasselbe Bassin, und sofort suchten sich die ersteren wieder in den Schalen zu bergen. Mit Ausnahme eines einzigen verschmähten alle Krebse die geräumigen leeren Gehäuse, welche keine Rose besaßen, versuchten mit vieler Mühe und in menschlich handlicher Weise die Leinwandstücke aus den mit den geliebten Thieren besetzten Schalen herauszuziehen und, als sie ihre Anstregungen vergebens fanden, ihren schnörkelige Hinterleib noch mit einer wahren Wuth neben die Leinwand zu stopfen. Nur einem einzigen Krebse war es gelungen, das Stopfmaterial zu entfernen; die übrige hockten einige Zeit mit der verstopften Schale, die sie immer mit einem Fußpaare anhalten mußten, in lächerlicher Weise umher. Nach Verlauf von zwanzig Minuten nahm endlich der erste Krebs eine ganz leere Schale, untersuchte sie, schlüpfte hinein und begann die Uebersiedelung der Seerose zu bewerkstelligen; nach und nach thaten die anderen dasselbe. Nach einer Stunde waren schon vier Rosen umgezogen, nach anderen zwei Stunden wieder sechs, und am anderen Morgen waren alle Krebse mit Ausnahme von zweien versorgt. Diesen letzteren hatte ich zwei Helixgehäuse gegeben, und merkwürdiger Weise mühten sie sich vergebens ab, eine der ersehnten Blumen zum Uebersiedeln zu bewegen. Ich zwang sie diese Gehäuse zu verlassen und gab ihnen zwei der von ihnen bevorzugten Naticagehäuse, und nach wenig mehr als einer Stunde waren beide Krebse mit den gewünschten [676] Lebensgefährtinnen versorgt. Demnach scheint es, als ob die auf so niederer Entwickelungsstufe stehende Seerosen bereits die rauhere Helixschale von dem glatteren Naticagehäuse zu unterscheiden vermöchten.

Woher nun diese rührende Freundschaft zwischen Krebs und Rose?

Karl Vogt weiß in dem erwähnten Artikel keine sichere Antwort darauf. Ich glaube die Frage folgendermaßen beantworten zu können:

Schutzbedürfniß bei dem Einen und Nahrungsbedürfniß bei dem Andern sind die Triebfedern der Vereinigung. Die Seerosen, zu den Korallen- und damit zu den Nesselthieren gehörend, besitzen bekanntlich besondere Vertheidigungsorgane in den Mesenterialfilamenten – langen Fäden, welche reich mit Nesselkapseln gespickt sind, und welche die Thiere in der Gefahr überall aus dem Körper herauspressen können. Sobald nun der Krebs angegriffen wird, kneipt er die Seerose mit der Scheere, bis diese ihre sehr schön rosa gefärbten fadenförmigen Waffen herauspreßt. Diese vergiftenden Organe kennen die Krebsfeinde sehr wohl. Aeltere Pulpen verstehen es zwar meisterhaft, mit ihren feinen Armspitzen die unglücklichen Einsiedler aus ihrer Wohnung herauszuholen, ohne die Rose zu berühren, und die Seeschildkröten beißen bei gutem Appetite ebenfalls trotz der Seerose zu. Allein junge Pulpen lassen die durch Blumenthiere geschützten Krebse in Ruhe, und die Fische, welche einen armen Einsiedlerkrebs, der ohne Schale und Beschützerin ist, sofort in Schaaren verfolgen und ihm mit einem guten Biß den Hinterleib abreißen, versuchen nicht ihn anzurühren, wenn er sich in einem mit seiner theuern Freundin besetzten Gehäuse befindet.

Für diesen Schutz, welchen das Blumenthier seinem Wirthe bietet, genießt es aber auch seinerseits einen Vortheil. Der Einsiedlerkrebs hat nämlich die Gewohnheit mit seinen Kieferfüßchen den Sand zu durchsieben, um etwaiges Eßbare darin zu finden, und dabei erhält die Seerose, die den Krebs von unten umgiebt, sodaß ihr Mund ganz in die Nähe der Kieferfüße zu liegen kommt, auch ihren Theil.

Eigennutz ist also auf dem Meeresgrunde so gut wie auf dem Lande, beim Pflanzenthier und Krebs so gut wie beim Menschen meistens die Ursache der Vereinigung.

[700]
II.
Lauernde Grundfische. – Mütterliche Fürsorge des Katzenhais. – Väterliche Wachsamkeit der Schwarzgrundel. – Liebeswerbung und Eifersucht des Lippfisches.

Am häufigsten und bekanntesten von den Grundlaurern unter den Fischen sind die auf dem Tische sehr geschätzten Flachfische, also die Schollen, Butten und Zungen. Sie geben eines der schönsten Beispiele, wie die Natur die Form und Farbe der Thiere der Umgebung, das heißt dem gewöhnlichen Aufenthaltsorte derselben angepaßt, sodaß man erstere nur schwer dort zu bemerken vermag, wodurch sowohl die Angriffe auf nichtsahnende Beutethiere erleichtert sind, als auch zugleich ein Schutz gegen hungrige Feinde gegeben ist, also eine doppelte Zweckmäßigkeit für die Thiere. An der plattgedrückten Form wird der Laie, wenn die Fische auf dem Teller servirt werden, zunächst nichts Auffälliges finden; beobachtet man dieselben aber in ihrem Elemente, in ihrem Leben und Treiben auf dem Seegrunde, dann sieht man zu seiner Ueberraschung, daß gerade diese Form das beste Schutzmittel für diese Thiere ist, ohne welches sie bald zu Grunde gehen würden. Sie bewegen sich wie ein Band dicht am Boden hin, legen sich dann flach auf, und ihr Rand schmiegt sich so vollkommen an alle Unebenheiten des Grundes an, daß der Fisch mit denselben vollkommen eins zu sein scheint. Dazu kommt, daß die obere Flachseite immer genau so gefärbt ist, wie der Aufenthaltsort des Fisches, sodaß man das Thier nur mit der größten Aufmerksamkeit von seiner Umgebung zu unterscheiden vermag.

Sobald der Flachfisch sich vor Verfolgern noch nicht ganz sicher fühlt, macht er eine eigenthümliche schüttelnde Bewegung, durch welche er sich ganz mit Sand bedeckt; er scheint dann verschwunden zu sein. Giebt man aber weiter auf ihn Acht, so bemerkt man bald, wie die Augen, die allein noch bloß liegen, und die sich beide auf der einen Seite des Fisches befinden, sich nicht nur nach allen Seiten drehen, sondern sich auch unheimlich langsam emporheben, sodaß sie zuletzt auf einem Stiele zu sitzen scheinen und einen ganz freien Ueberblick über die nächste Umgebung haben. Dabei bewegen sie sich beide unabhängig von einander, wie beim Chamäleon. – In den zoologischen Werken ist gewöhnlich angegeben, daß außer dem Chamäleon nur die Flachfische dieses Vermögen haben, das ist aber ganz unrichtig. Ich habe die unabhängigen Augenbewegungen fast bei allen Fischen des Neapolitaner Aquarium sehr deutlich beobachtet.

Erscheint irgend ein Feind in der Nähe des Flachfisches, so werden die Augen schnell wieder eingezogen und bleiben unbewegt, sodaß nichts Lebendes mehr dort zu vermuthen ist; hat sich der Gefürchtete entfernt, so heben sie sich wieder langsam empor, drehen sich hin und her, fast im Kreise herum, und spähen nach Beute. Kommen nun kleine Fische, Krebse oder andere Leckerbissen in die Nähe, dann schießt der lauernde Räuber wie ein Blitz auf und packt die Opfer. Er würde diese nicht erlangt haben, hätte er es nicht verstanden, sich ganz unsichtbar zu machen, und hätte er als Mitgift zu seinem Dasein nicht die dazu so äußerst zweckmäßige Form und Farbe erhalten.

Die nach oben gekehrte Flachseite des Thieres hat hellere und dunklere Flecken, die von weitem ganz wie verschieden gefärbte Steinchen und Muschelschalenstückchen aussehen. Diese Flecken sind größer bei den Thieren, welche sich auf einem Grunde mit grobem Sande und größeren Steinchen aufhalten, kleiner bei solchen, welche auf feinerem Sande leben, und die Färbung ist ein eintöniges Grau oder Braun bei den Thieren, welche mehr Schlammgegenden bewohnen, ganz als hätte die Natur Alles überdacht, um die Thiere so gut wie möglich vor den Blicken Anderer zu verbergen. Diese Täuschung wird noch vollkommener durch die Eigenschaft dieser Fische, die Farbe oder Lichtstärke verändern und sie einer anderen Umgebung anpassen zu können. Läßt sich der Fisch auf hellerem Grunde nieder, so wird nach wenig Augenblicken auch seine Färbung heller, schwimmt er wieder nach einem dunkleren Gebiete, so nimmt er die vorherige dunklere Farbe wieder an.

Für den Beobachter hat es zuerst den Anschein, als ob dieser Farbenwechsel ein willkürlicher wäre, wer aber diese so häufig im Thierreiche vorkommende, für das Thier höchst zweckmäßige Erscheinung kennt und studirt, kommt bald zu der Ansicht, daß dieser Lichtwechsel nicht Wirkung des Willens, sondern eine rein physiologische Folge der äußeren Beeinflussung, der Lichteinwirkung ist, wovon das Thier jedenfalls eben so wenig merkt, als es uns zum Bewußtsein kommt, wenn sich die Pupille unseres Auges verengert oder erweitert, je nachdem wir in eine lichtvolle oder lichtarme Umgebung treten.

Bei anderen Thieren, bei vielen Eidechsenarten, dann bei fast allen Baumfröschen, ferner bei den Kopffüßlern (Cephalopoden) also beim Polypen (Kraken), bei der Sepia (den Tintenfisch) und auch bei anderen Fischen, insbesondere bei der Bachforelle findet dieser Wechsel der Farben- und Lichtwirkungskraft in viel auffälligerer Weise statt, ist viel mannigfacher und erfolgt weit rascher, so daß er bei diesen Thieren weit mehr den Eindruck der willkürlichen Thätigkeit macht als bei den Flachfischen. Und dennoch geht aus den neueren Untersuchungen über den Farbenwechsel des Chamäleons hervor, daß derselbe unwillkürlich und ein einfacher Lebensvorgang in Thierkörper ist. Man müßte im andern Falle auch bei diesen Thieren eine Licht- und Farbenunterscheidung annehmen, wie wir solche nur bei höheren Wirbelthieren, den Vögeln und Säugethieren kennen lernen.

Derartige an sich zweckmäßige Eigenschaften, wie wir sie an der Scholle kennen lernen, sind aber nicht vereinzelt. Alle Thiere, die wir kennen, sind zu ihrer Erhaltung und Fortpflanzung zweckmäßig gebaut; sonst wären sie eben nicht vorhanden. Wir können diese individuelle Zweckmäßigkeit gleich noch mehr bewundern. Im Aquarium zu Neapel giebt es immer ein oder mehrere lebende Exemplare von dem Sterngucker (Uranoscopus). Dieser Fisch hat sein Maul nicht vorn, sondern oben; es ist nicht horizontal, sondern vertical, und seine Augen stehen nicht seitlich, sondern ebenfalls oben, sind ihm auf den Rücken gewachsen. Die Lebensweise dieses Fisches erklärt seine Organisation. Er lauert in Sand und Schlamm auf Beute und vergräbt sich dazu so tief, daß nur die Augen noch über dem Boden hervorragen und der verticale Mund nun, wenn er etwas geöffnet ist, eine senkrechte Spalte bildet, die im Schlamme zu sein, aber keinem lebenden Wesen anzugehören scheint. Das Thier ist in dieser Lage vor feindlichen Spähern und Angriffen vollständig gesichert; das ist für ihn selbst zweckmäßig, für seine Verfolger unzweckmäßig. Seine Augen können trotz dieses Versteckes das Gebiet überschauen und nach Beute suchen, und sein eigenthümlich gestalteter Mund ist auch in dieser Lage, wenn der Fisch ganz im Sand vergraben ist, befähigt, die armen Opfer zu packen; das ist wieder eine Zweckmäßigkeit für ihn und zugleich eine Unzweckmäßigkeit für Andere.

Liegt nun der Fisch auf der Lauer und verspürt Hunger, und es zeigen sich in der Nähe kleinere Fische, so scheint es plötzlich, als kröche ein Wurm langsam aus der Erde heraus und krümme sich hin und her; die kleinen Fische, denselben bemerkend, umschwimmen ihn mit gierigen Blicken; bald nähert sich dieser, bald jener, endlich schnappt einer zu, und was geschieht? Fisch und Wurm verschwinden zu gleicher Zeit in den Grund, und zwar in die vermeintliche Schlammspalte, das heißt in den Rachen des Räubers. Dieser scheinbare Wurm ist ein langer walzenrunder Hautlappen im Munde des Sternguckers, ist seine Angel und sein Köder für die Beute, womit er dieselbe durch wurmförmige Bewegungen anlockt und, sobald sie anbeißt, verschlingt.

Ganz ähnlich wie der Sterngucker treibt es der Seeteufel, ein Fisch, der bei schmutzig brauner Schlammfarbe nur aus einem großen platten Kopf mit einem riesigen mit Zähnen reich besetzten Maule zu bestehen scheint, und dieses letztere hat bei der Länge von fünf Fuß, welche der Fisch erreicht, dann mindestens anderthalb bis zwei Fuß Breite. Das ganze Thier [702] macht den Eindruck eines Teufelswerkes, eines fürchterlichen Fangapparates zum Vernichten alles Lebens, das in seine Nähe kommt. Auch der Seeteufel wühlt sich bis auf die hervorstehenden Augen in den Schlamm ein, schaut mit seinen großen Argusaugen rings umher und späht nach Beute. Hat er solche entdeckt, so beginnt er zu angeln; er erhebt langsam eine lange Flossenstrahle, die am Ende einen Fleischzipfel hat und bewegt diesen Lockapparat hin und her; die armen hungrigen und nichts Böses ahnenden jungen Fischchen können nicht widerstehen; sie schwimmen auf den gefährlichen Bissen zu, umkreisen ihn erst ein wenig, und beißen endlich an, und in demselben Momente sind sie auch in dem fürchterlichen Rachen des Grundräubers verschwunden.

Die Italiener nennen den Seeteufel dieser seiner Gewohnheit halber pescatrice (Fischerin). Je nach Umständen fischt er auch in anderer Weise zu gleicher Zeit. Das Riesenmaul ist an beiden Lippen mit Bärteln, das heißt kleinen Hautlappen reich besetzt, die er ebenfalls zum Anlocken der Beute hin- und herbewegt oder die schon durch das Einathmen des Wassers bewegt werden. Die kurze, am Kopfe sehr verbreiterte Körperform, das unverhältnißmäßig große Maul, das mit feinen hechelförmigen Zähnen einer teuflischen Foltermaschine des Mittelalters gleich, die Hautfetzen, welche dasselbe umgeben, die mächtigen Augen, welche, obgleich sie sie in einer weiten Höhle liegen, doch weit hervorstehen und unregelmäßig von Höckern und Gruben umgeben sind, und endlich die schmutzige Schlammfarbe geben dem Thiere das Gepräge der abschreckendsten Häßlichkeit. –

Diesen Beispielen des Nahrungserwerbes durch Ueberwindung Anderer will ich einige interessante Beobachtungen über mütterliche Fürsorge und zärtliche Liebe gewisser Fische beifügen. Der Katzenhai legt große länglich viereckige Eier, welche an den vier Zipfeln in vier lange Fäden auslaufen; und an diesen Fäden findet man die Eier immer zwischen Korallenstauden, zuweilen auch zwischen frei aufgehängt und gut befestigt. Wenn nämlich das Ei heraustreten will, so sucht der Hai nach einem passenden Orte, etwa nach einer Korallenstaude, umher. Es erscheinen zuerst zwei dieser Fäden; das unverhältnißmäßig große Ei sieht man in der Oeffnung. Hat das Thier passende Stauden oder kalkige Korallenstücke gefunden, so umschwimmt es sie einige Male langsam zur Musterung und Ueberlegung über die zweckmäßigste Anlage, zu welcher es zwei dicht beisammen stehende Stauden oder Zweige braucht. Plötzlich dreht sich der Hai rasch im Kreise um eine Staude herum, sodaß die beiden Fäden an derselben aufgewickelt werden. Indem er nun eine Schwimmanstrengung nach vorn macht, zieht er das Ei an den aufgewickelten Fäden vollends heraus. Nur die beiden anderen Fäden befinden sich noch im Leibe; jetzt dreht er sich auch rasch um die daneben stehende Staude oder um den andern Zweig herum, und wickelt die beiden anderen Fäden ebenfalls auf. Das Ei hängt nun fest angewickelt zwischen den Korallen, sodaß es kein Meerbewohner abzulösen vermag und nach zwei bis drei Wochen sieht man durch die Schale hindurch den jungen Haifisch, wie er, noch mit Dotter verbunden, unaufhörlich die Bewegungen des Schwimmens macht. Nach einigen Monaten schlüpft das junge Thier auf der einen Seite, wo sich das Ei von innen leicht öffnet, aus demselben heraus, tummelt sich frei im Wasser herum und beginnt bald das räuberische Handwerk seiner Eltern. Findet der Hai nicht zwei beisammen stehende Stauden, sodaß er das Ei horizontal zwischen denselben aufhängen kann, sondern nur eine einzelne, dann wickelt er zwei Fäden oben und zwei unten an und giebt dem Ei eine senkrechte Stellung. Fräulein Johanna Schmidt hat in der neuen Auflage von Brehm’s „Thierleben“ eine sehr hübsche und naturgetreue Abbildung von einem horizontal aufgewickelten Haifischei geliefert. Im Neapolitaner Aquarium findet man immer mehrere solcher Eier mit dem unermüdlich sich hin- und herkrümmenden Embryo zwischen den Korallenstöcken aufgehängt. An diesen Eiern kann man mit bloßen Augen das Keimesleben eines Thieres beobachten.

Was hat nun die Fürsorge der Haimutter für einen Zweck? Sie bedingt das Leben des Kindes. Alle Fische des Meeres haben ein großes Bedürfniß nach sauerstoffreichem Wasser. Alle anderen Fisch-Eier schwimmen entweder frei im Wasser umher oder werden an Felsen angeklebt, wo die Wassercirculation niemals mangelt. Der größte Theil derselben wird dabei, da sie aller anderen Nahrung vorgezogen werden, von anderen Fischen wieder gefressen. Der junge Haifisch ist durch die sehr feste Eischale und dadurch, daß Andere das Ei nicht loszulösen vermögen, vor dieser Vertilgung geschützt. Fiele das Ei nun zu Boden, so würde es, wenn nicht von hungrigen Räubern verschlungen, doch leicht in den Schlamm einsinken, von diesem bedeckt werden, und der Mangel einer guten Wassercirculation würde gar bald den Tod des Embryo zur Folge haben. Frei aufgehängt, hat dasselbe immer frisches Wasser, denn das Ei hat zum Durchlaß desselben besondere spaltförmige Oeffnungen, und der junge Embryo erzeugt durch seine Schwimmbewegungen einen immerwährenden Strom, der ganze und einzige Zweck, wie es scheint, seiner embryonalen Turnübungen. Warum ist es für die Haifamilie aber nothwendig, daß dei Eier so gepflegt werden, während andere Fischfamilien, von deren Eiern neunzig und mehr Procent gefressen werden, doch ganz gut bestehen? Antwort: Weil diese Fische eine Unzahl von Eiern in’s Wasser fallen lassen, sodaß es zur Erhaltung der Art schon genügt, wenn ein ganz geringer Procentsatz derselben erhalten bleibt, während dagegen die Haie nur sehr wenig Eier, nur eines auf einmal, legen, von denen kein großer Procentsatz zu Grunde gehen darf, wenn die Art noch weiter existiren soll. Darum hat sich bei anderen Fischen, welche wenig Eier legen, die Gewohnheit ausgebildet, dieselben an Felsen zu kleben und zu bewachen, wie es die Schwarzgrundel macht.

Nach früheren Berichten soll dieser Fisch, das heißt das Männchen, ähnlich wie der Stichling, der Panzerwels und andere, ein förmliches Nest und zwar aus Algen machen, das Weibchen zur Eierablage dort hineintreiben und die Eier dann bewachen. Obgleich man nun im Aquarium zur Grundel Algen in das Bassin gesetzt hatte, habe ich doch nie beobachten können, daß sie versucht hätte, ein Nest zu machen, allein nachdem das Weibchen die Eier an den Felsen angeklebt hatte, legte sich das Männchen tagelang daneben und schoß mit Wuth auf jeden Fisch los, der irgendwie räuberische Absichten zeigte. Zuweilen versteckte es sich unter den Algen; das benutzten dann die kleinen Seejunker, welche sich in demselben Bassin befanden, aber sich immer in respektvoller Entfernung gehalten hatten, sofort und versuchten die Eier aufzufressen. Sobald das die Grundel bemerkte, erschien sie wieder bei den Eiern und verjagte die Räuber, die dann, so lange erstere wachte, sich immer an der entgegengesetzten Seite des Bassins auf hielten; dabei wurde das Grundelmännchen stets zwar nicht roth, aber schwarz vor Zorn, wie denn überhaupt Fische und Kopffüßler bei Erregung dunkler, bei Beruhigung blasser werden.

Auch die Meergrundel legt verhältnißmäßig wenig Eier, und soll diese Art erhalten bleiben, so müssen die wenigen mindestens bewacht werden, damit sie nicht umkommen. Um sie aber bewachen zu können, dürfen sie nicht einfach in’s Wasser gelegt werden, um dort frei herumschwimmen zu können, wie das bei den meisten anderen Fischen der Fall ist, sondern sie müssen irgendwo zusammen gehalten werden, was das Weibchen auch ganz gut besorgt. Wie man sieht, geht alle sogenannte Zweckmäßigkeit auf die Erhaltung der Art hinaus, und irgend eine Einrichtung oder Handlung kann auch nur in Rücksicht auf diese Erhaltung zweckmäßig genannt werden; die Erhaltung der Art bestimmt den Zweckmäßigkeitsbegriff, ohne jene wäre der Begriff gar nicht vorhanden. –

Zärtliche Liebe und grenzenlose Eifersucht, wie ich sie bei Fischen nie vermuthet hätte, habe ich bei dem Lippfisch (Labsus) beobachtet. Das Männchen folgte seiner Geliebten tagelang nach jedem Winkel, nöthigte sie dann in ein Bassin und suchte sie am Herausschwimmen aus demselben zu verhindern. Aber in demselben Bassin befanden sich noch andere schöne Werber, die der Angebeteten ebenfalls gefolgt waren; diese verfolgte der Eifersüchtige unaufhörlich und trieb sie schließlich alle zum Bassin hinaus. Dann nahm er der Verbindungsthür gegenüber lange Zeit Posto, und sobald sich ein Nebenbuhler an derselben blicken ließ, schoß er wüthend auf ihn zu und jagte ihn in die Flucht. Dabei unterschied der Fisch zwischen solchen Gesellschaftern, welche seiner Liebe gefährlich waren, und denen, welche es nicht waren, verjagte nur die Männchen seiner Art und ließ andere, wie die Meerbrassen, welche in der Nähe seiner Geliebten herumschwammen, ganz in Ruhe; andererseits wußten diese auch ganz gut, wem die Zornesausbrüche des Verliebten galten, und erschraken nach einiger Zeit nicht im mindesten mehr, wenn dieser aus seinem Wachtwinkel hervorschoß. Fühlte sich das Männchen sicher, dann [703] schwamm es zur Geliebten hin, umschwamm sie und liebkoste sie. Solches Liebesspiel dauerte über acht Tage, während welcher Zeit sich dieses Männchen als unumschränkter Herrscher im Bassin behauptete.

Es ist interessant zu beobachten, wie bei sämmtlichen Wirbelthieren, von den Fischen bis zum Menschen herauf, die Liebeswerbungen immer in derselben Weise erfolgen. „Erröthend folgt er ihren Spuren,“ das könnten dichtende Fische von ihres Gleichen ebenso gut singen, wenn sie die Sprache hätten, wie Schiller. Das Aufsuchen und Nachfolgen der Geliebten, das Werben durch allerlei Bewegungsspiele und Liebkosungen, die Eifersucht auf Nebenbuhler, die Vertreibung derselben und die Kämpfe dabei: all diese Scenen sind schon bei den Fischen, Lurchen, Reptilien, insbesondere aber bei den Vögeln und Säugethieren ganz allgemein, und der Mensch macht keine Ausnahme von dieser Regel.

  1. Philip Henry Gosse „The Aquarium“. London.