Das Reissen oder der Rheumatismus (Rheuma, Fluß)

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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Das Reissen oder der Rheumatismus
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 639–640
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Reissen oder der Rheumatismus (Rheoma, Fluß).

Was ist Rheumatismus? Wenn man Opodeldoc einreibt und ein Dampfbad nimmt; – wenn in Folge von Erkältung Schmerzen irgendwo im Körper auftreten; – wenn Schmerzen von einem Theile des Körpers zum andern wandern; – wenn sich in und um Gelenke herum oder in fleischigen und sehnigen Theilen Schmerzen festsetzen. So lauten etwa im gewöhnlichen Leben die Antworten auf obige Frage. – Die Wissenschaft ist zur Zeit auch noch nicht im Stande, über den Rheumatismus gehörig Rede zu stehen, da das Wesen dieser Krankheit noch sehr dunkel ist. Die Aerzte pflegen die, gewöhnlich (aber nicht immer) durch Erkältung der Haut entstandenen schmerzhaften Leiden im Bewegungsapparate, zu welchem Sehnen, Bänder, Muskeln, Knochen und Knochenhaut, sowie Gelenke, gerechnet werden, als rheumatische zu bezeichnen, zumal wenn die Schmerzen, welche ziehende oder reissende sind, und sich beim Bewegen, Drücken und Kaltwerden des afficirten Theiles steigern, mehrere dieser Theile gleichzeitig oder nach einander befallen (herumwandern und überspringen); auch pflegen sie einen Gelenk- und Muskelrheumatismus, sowie einen acuten (schnell verlaufenden) und einen chronischen (langwierigen) Rheumatismus zu unterscheiden; manche lassen auch die Nervenhüllen rheumatisch afficirt werden. Ist neben den Schmerzen auch noch beschleunigter Puls und erhöhte Körperwärme (oft mit sauer riechendem reichlichem Schweiße) vorhanden, dann nennen sie das Leiden ein rheumatisches Fieber. Stets haben sie bei acutem und fieberhaftem Rheumatismus die Furcht, daß von edleren Organen auch noch das Herz, der Herzbeutel oder das Brustfell in Mitleidenschaft gezogen und in Entzündung versetzt werden. Herzfehler in Folge von Herzentzündung rühren meistens aus der Zeit her, wo Jemand an irgend einem Rheumatismus litt, und deshalb kann man sich gar nicht genug vor stärkeren Erkältungen der Haut, besonders nach größeren Erhitzungen, welche Rheumatismus veranlassen können, hüten. Es scheint übrigens dieselbe Ursache ebenso Herzentzündung wie Rheumatismus zu veranlassen, nicht aber durch Verschwinden des letzteren die erstere zu entstehen, denn beide Leiden kommen gar zu oft gleichzeitig vor. Vielleicht liegt die Ursache in einer Entartung des Blutes, die dadurch zu Stande kommt, daß, in Folge der Einwirkung der Kälte auf die Haut, die Absonderung derselben (der Schweiß) stockt und im Blute zurückgehalten wird. Es wäre nicht unmöglich, daß ebensowohl die deutlich merkbaren, plötzlichen Erkältungen bei Erhitzungen, wie auch die unmerklichen, aber anhaltenderen Kälteeinwirkungen (wie bei zu leichter Bedeckung und Bekleidung im Schlafe, in feuchtkalter Wohnung, bei naßkalter Witterung, besonders im Frühling und Herbst u. s. f.) die Ursache zum Ausbruch des Rheumatismus abgeben oder doch die Anlage (Prädisposition) dazu erzeugen können. Vielleicht ist deshalb auch stärkeres Schwitzen (am besten durch reichliches Trinken heißen Wassers im warmen Bette) nach Erkältungen von so großem Vortheile. Manche suchen den Grund des Rheumatismus in veränderten Elektricitätsverhältnissen der Haut, Andere erklären den Rheumatismus für eine einfache Entzündung.

Nicht alle Menschen werden gleich gern und gleich arg vom Rheumatismus heimgesucht, einige mehr und leichter, andere weniger und nur nach stärkeren Erkältungen. Im Kindesalter findet sich diese Krankheit äußerst selten, wenn man nämlich die hier häufigen Hüftgelenkleiden nicht für rheumatische erklärt. Ebenso hat das höhere Lebensalter nur geringe Disposition zum Rheumatismus. Dagegen kommen im Jünglings- und Mannesalter, aber häufiger beim männlichen als beim weiblichen Geschlechte, und häufiger bei Kräftigen als bei Schwachen, rheumatische Affektionen, zumal die heftigeren und fieberhaften, ziemlich häufig vor. In den Frühlings- und Herbstmonaten ist der Rheumatismus manchmal so verbreitet, daß er epidemisch zu sein scheint. Personen, welche schon einmal oder häufiger rheumatische Affektionen überstanden haben, werden gern und leicht wieder davon befallen. Ebenso werden auch Solche, die in Folge von Verzärtelung, allzuwarmer Bekleidung, Mißbrauch warmer Bäder, häufigem und starkem Schwitzen, Hautkrankheiten etc. eine empfindlichere Haut haben, vom Rheumatismus gern heimgesucht.

Bei der Untersuchung rheumatisch afficirter Theile findet man in der großen Mehrzahl der Fälle die Haargefäße (in Folge entweder einer rein örtlichen oder einer allgemeinen Einwirkung) widernatürlich erweitert und mit Blut gefüllt (rheumatische Entzündung), sowie von einer entweder flüssigen (wässerigen, eiterigen, blutigen), oder geronnenen weichen Masse (Ausschwitzung) umgeben, welche von der Ernährungsflüssigkeit des Theiles, die im gesunden Zustande aus dem Blute der Haargefäße abgesetzt wird, abweicht. Sie wird gewöhnlich nach dem Schwinden der Blutüberfülluug aufgesogen, bisweilen aber auch in festeres Gewebe umgewandelt (organisirt) oder zur Eiterbildung verwendet. Daher kommt es denn, daß in den meisten Fällen von Rheumatismus der erkrankte und gewöhnlich auch geschwollene Theil vollständig wieder gesundet, während in einigen Fällen daselbst harte Stellen (rheumatische Schwielen) zurückbleiben und in andern sogar Vereiterungen (bisweilen mit Eitervergiftung des Blutes) zu Stande kommen. Sonach kann der Rheumatismus, abgesehen von der denselben öfters begleitenden Herz- und Herzbeutel-Entzündung, auch schlimme Folgen haben, wenn er auch für gewöhnlich ganz gut abläuft. Die Dauer eines rheumatischen Leidens läßt sich durchaus nicht vorausbestimmen, da sie Tage, Wochen und Monate betragen kann.

Bei dem Wenigen, was wir vom Wesen des Rheumatismus mit Sicherheit wissen, läßt sich natürlich auch nicht viel Sicheres über die Behandlung desselben sagen. Glücklicherweise weicht dieses Leiden in den allermeisten Fällen auch ohne Arzt und Arznei, besonders bei Wärme, Ruhe und Geduld. Der Rath, welchen der Unterzeichnete in Bezug auf Rheumatismus zu geben hat, ist folgender: Zuvörderst suche man soviel als möglich rheumatische Affektionen dadurch von sich fern zu halten, daß man, vorzüglich bei stärkerer Erhitzung und größerer Empfindlichkeit der Haut (nach warmem Bade, Schwitzen), jede heftigere und dauernde Kälteeinwirkung auf diese zu vermeiden trachtet. Man hüte sich deshalb vor schnellem Wechsel von Warm zu Kalt, besonders von hohen zu niederen Temperaturgraden, vor dauernder Einwirkung von kalter, zumal nasser Luft (besonders des Morgens und Abends), vor starker kalter Durchnässung, Zugluft, schneller Abwechselung von warmen zu kalten Kleidungsstücken (besonders im Frühjahr und Herbst), vor allzuleichter Bekleidung überhaupt und ganz vorzüglich vor zu leichter Bedeckung des Nachts, vor dauerndem Aufenthalte in kalten, feuchten, sonnenlosen, kellerartigen Wohnungen und andern derartigen Orten. Um nun aber von der Einwirkung der Kälte auf die Haut nicht so leicht Rheumatismus davon zu tragen, muß die Haut abgehärtet d. h. gegen die Kälteeinwirkung unempfindlicher gemacht werden und dies ist, aber immer nur bis zu einem gewissen Grade, mit Hülfe der Kälte möglich zu machen. Diese ist stets aber, mit ganz allmäliger Steigerung, in Gestalt lauer, kühler und endlich kalter Bäder und Waschungen, sowie kalter Luft anzuwenden. Man verzärtele die Haut nicht durch allzuwarme Bekleidung und zu häufige, sehr warme Bäder (Dampfbäder), durch ängstliche Vermeidung der frischen Luft und durch schweißerzeugende Bedeckung. Man hüte sich aber auch vor dem Mißbrauche der Kälte und bedenke, daß diese recht leicht als widernatürliches Reizmittel wirken kann und niemals ein Stärkungsmittel ist (s. Gartenl. 1856. Nr. 40.). Bei Disposition zu rheumatischen Affectionen, in Folge leichter Erkältbarkeit, halte man auf eine trockene, sonnige, gut heizbare Wohnung und Schlafstube, auf mäßig warme, wollene oder seidene Unterkleider, die auf der bloßen Haut zu tragen sind, sowie auf warme Fußbekleidung, und gehe ja recht allmälig zur Abhärtung der Haut über.

Um nach einer Erkältung den Rheumatismus zu verhüten oder schon die ersten Spuren desselben zu heben, reicht in vielen Fällen eine künstliche Steigerung der Hautthätigkeit, das Hervorrufen von starkem Schweiß, hin. Am besten und leichtesten bewerkstelligt man dies durch reichlichen Genuß heißen Wassers (Thees) und warmer Einhüllung im Bette. – Hat sich aber der Rheumatismus vollständig eingestellt, dann wird derselbe am besten in Grenzen gehalten und am schnellsten gehoben, wenn der Kranke im warmen Bette ruhig liegen bleibt, viel heißes, wässeriges Getränk zu sich nimmt, und die schmerzhaften Theile warm (mit Flanell, Wolle, Baumwolle, Watte) einhüllt. Sehr heftigen Schmerz lindern am besten recht warme Umschläge (von Hafergrütze, Leinsamen) oder das Auflegen heißer Gegenstände (Steine, Tücher, etc.). Ebenso vertreibt von allen Mitteln die Wärme, welche aber höher als die des menschlichen Körpers (+ 30° R.) sein muß, auch [640] chronische Rheumatismen am sichersten; nur muß sie mit Energie und Consequenz angewendet werden. In der neuern Zeit rühmt man die Elektricität (Faradisation; s. Gartenlaube 1856 Nr. 36.) als heilsam gegen rheumatische Schmerzen. Die Diät bei rheumatischen Leiden sei mäßig, mild und schwach nährend; Verstopfung werde durch Klystiere gehoben.

Hiernach wäre also die Behandlung des Rheumatismus eine sehr einfache und diese, in den meisten Fällen ausreichende Behandlung wird stets auch von den mittelsüchtigsten Heilkünstlern, ja sogar von den Homöopathen anempfohlen, aber natürlich immer nur als unwichtige Nebensache neben diesem oder jenem wichtigen (!?!) Arzneimittel; denn es existiren Unmassen innerer und äußerer Mittel, die beim Rheumatismus geholfen haben sollen. Nach Heilung des Uebels ist es dann natürlich nicht jene einfache Behandlung, sondern das Arzneimittel, welches geholfen hat und dessen Heilmacht nun in alle Welt ausposaunt wird. So geht es übrigens nicht blos den beiden beim Rheumatismus heilsamen Heilmitteln, der Wärme und Ruhe, sondern noch vielen andern einfachen Hülfsmitteln, die obschon sie, neben den Naturheilungsprocessen (s. Gartenlaube 1855. Nr. 25.), die eigentlichen Helfer bei Krankheiten sind, sich doch von den Apotheken-Mitteln den Ruhm der Heilung wegschnappen lassen müssen. In ähnlicher Weise macht’s freilich der Arzt im Allgemeinen gewöhnlich auch; denn wird ein Kranker gesund, so hat er’s gemacht, stirbt dagegen der Kranke, so muß die Natur die Schuld tragen.

Bock.