Das fünfzigjährige Jubiläum des Hambacher Festes

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Autor: Max Wirth
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Titel: Das fünfzigjährige Jubiläum des Hambacher Festes
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 335-338
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Das fünfzigjährige Jubiläum des Hambacher Festes.

(Zum 27. Mai.)

Wie der Tag seine Herolde hat, welche jubelnd das Herannahen des lichtbringenden, allnährenden Gestirns verkünden, wie der Frühling seine Vorboten sendet, deren frohe Verkündungen einer schöneren Zeit leider häufig von Frost und Sturm zerstört werden, also giebt es auch im Staatsleben Epochen der Verheißung, wo unterdrückten Völkern in der Stunde der Verzweiflung die Lichtgestalt des Ideals erscheint.

Wenn nun solch ein weihevoller Aufschwung, in welchem hochstehende Männer den Schwur leisten, für die politische Wiedergeburt ihres Vaterlandes das Leben einzusetzen, in welchem auch in den weiten Schichten des Volkes die Ueberzeugung einer bessern Zukunft zu wurzeln beginnt – wenn solch ein Aufschwung im Leben der Völker nicht selten durch Rückschläge der herrschenden Gewalten zeitweise niedergedrückt wird, so bricht doch trotz wiederholter Reaction bei thatkräftigen Stämmen immer wieder die Ueberzeugung von den Lebensinteressen des Volkes durch und gelangt endlich unaufhaltsam zum Siege, sobald einmal günstige Umstände den rechten Zeitpunkt zum entscheidenden Handeln herbeigeführt haben.

Vor dem Glanze des Erfolges erbleicht nicht selten das Andenken jener Märtyrer, welche durch ihr Beispiel und ihre Aufopferung die Grundlagen der neuen Entwickelung vorbereiten halfen, allein das kann ihren Werth nicht schmälern; denn wie das Samenkorn quantitav zwar dem Baume nachsteht, welcher aus ihm entsprießt, letzterer in Wirklichkeit aber doch sein mächtiges, schattenspendendes Dasein jenem kleinen Keime verdankt, so sind es auch die Säemänner der Reformideen, auf welche vor Allen der geschichtliche Fortschritt zurückzuführen ist, und ihnen gebührt ebenso sehr der Dank der Völker, wie dem Monarchen, dem Feldherrn oder Staatsmanne, welche die vorgefundenen Wünsche und Reformpläne aufgegriffen und codificirt haben.

Nachdem die während des Befreiungskrieges von den deutschen Fürsten gegebenen Verfassungsversprechungen nicht in Erfüllung gegangen, sind im Leben des deutschen Volkes drei solcher Anläufe zur politischen Wiedergeburt zu verzeichnen.

Den ersten nahm die akademische Jugend, welche theils selbst in den Befreiungsschlachten mitgeblutet, theils an den Hoffnungen ihrer Brüder, an den Reden Fichte’s und den Lehren des Tugendbundes[WS 1] sich entzündet. Die Burschenschaft, deren Bestrebungen in der Wartburgfeier 1817 ihren symbolischen Ausdruck fand, hat sich ein unvergängliches Verdienst um die Erweckung des deutschen Nationalgeistes erworben, und die grausame Behandlung, welche ihren hervorragenden Mitgliedern von den damals herrschenden Gewalten widerfuhr, die jahrelange Haft der jungen Freiheitshelden in den Casematten der Festungen diente nur dazu, das gepflanzte Reis zu düngen, sodaß die Bewegung nach der Julirevolution in Paris schon weite Kreise des Volkes ergriff, um ihren höchsten Ausdruck im Hambacher Fest zu finden, dessen halbhundertjährige Gedächtnißfeier in der nächsten Woche in der Rheinpfalz begangen werden soll.

Obgleich nach der darauffolgenden sechszehnjährigen Rückschrittsperiode auch die Bewegung des Jahres 1848 auf’s Neue der Reaction erlag, so ließ sich doch an der Massenhaftigkeit dieser Erscheinung, welche fast ganz Europa ergriff, erkennen, wie der [336] gestreute Samen sich allmählich ausgebreitet hatte, traten doch die Reformideen bei jedem neuen Anlauf mit tausendfältig verstärkter Gewalt auf, sodaß zuletzt nur der Schnitter seines Amtes zu walten hatte.

Es ist eine Pflicht historischer Gerechtigkeit, die wir heute, angesichts der bevorstehenden Gedächtnißfeier, erfüllen, indem wir des Hambacher Festes gedenken, in welchem die Reformbewegung der achtzehnhundertdreißiger Jahre zum höchsten Ausdruck gelangt war. In unserer Zeit, wo wir durch Volksversammlungen, Congresse und Volksfeste längst an Zusammenkünfte vieler Menschen gewöhnt sind, kann man sich kaum eine Vorstellung machen von dem großen Eindrucke, den das Hambacher Fest, welches bekanntlich auf einer eine Stunde von Neustadt an der Hardt gelegenen Burgruine abgehalten wurde, in den weitesten Kreisen hervorrief, war es doch die erste Volksversammlung, welche nach Jahrhunderten in deutschen Gauen wieder zusammentrat. Seit den großen Kaiserwahlen, seit den Festen Friedrich Barbarossa’s hatte sich in der Rheinebene keine solche Menge begeisterter Volksgenossen zusammengefunden.

Es galt Protest einzulegen gegen die Regierung, welche ein Verbot gegen die Versammlung erlassen und schon vorher die in der Verfassung garantirte Preßfreiheit unterdrückt hatte, – es galt Zeugniß abzulegen für das Recht des deutschen Volkes auf die Wiederherstellung der Freiheit und Einheit des Reiches.

Die Bewegung war in einer für den damaligen unentwickelten Stand des parlamentarischen Lebens und der Presse ungewöhnlich feurigen Weise vorbereitet worden. Sie hatte sogar mit Gewaltthaten begonnen, indem in Braunschweig der Herzog vertrieben und in Kassel der Kurfürst zur Erlassung einer freisinnigen Verfassung gezwungen worden war. Allein außer diesen vereinzelten Ausbrüchen war die Entwickelung jener Tage eine friedlich vorbereitende, reformatorische. Zu allererst hatte sich die Agitation in den Landtagen geäußert. Rotteck und Welcker gaben in Baden ein hervorragendes Beispiel, das in den übrigen mittel- und süddeutschen Staaten rasch Wiederhall fand und Kampfgenossen, wie Jordan in Kurhessen, Behr, Eisenmann, Friedrich Schüler, Siebenpfeiffer, Johann Georg August Wirth in Baiern, Todt in Sachsen und in Württemberg Römer und Paul Pfister erweckte, welcher letztere schon damals öffentlich die Ueberzeugung verkündete, daß die Wiederherstellung des deutschen Reiches nur mit Hülfe Preußens erfolgreich durchgeführt werden könne. Ein Umstand eigener Art hatte dazu beigetragen, der Bewegung einen besonders lebhaften Ausdruck in der Rheinpfalz zu verleihen. Der Reformkampf für eine einheitlichere verfassungsmäßige Gestaltung Deutschlands, für Preßfreiheit und Schwurgerichte war hauptsächlich von Dr. Siebenpfeiffer im „Westboten“ in der Rheinpfalz und von Dr. Wirth in der „Deutschen Tribüne“ in München geführt worden.

Gestützt auf den Umstand, daß in der baierischen Verfassung die Preßfreiheit garantirt und die Bundesversammlung zu der nachträglichen Aufhebung dieses Rechtes nicht befugt war, hatte sich Wirth gegen solchen Verfassungsbruch erhoben, und da er einen mannhaften Drucker fand, sich geweigert, seine Zeitung der Censur zu unterwerfen, indem er die von dem Censor gestrichenen Artikel dennoch abdrucken ließ. Diese Kühnheit in einer Zeit, wo Börne von Paris aus über den Bedientengeist der Deutschen spottete, wo er ihren knechtischen Sinn mit den Worten geißelte: „wenn zwölf Deutsche beisammen stehen und von einem Einzelnen angegriffen werden, so schreien sie nach der Polizei,“ und wo, abgesehen von diesen Uebertreibungen, das Mißtrauen in die eigene Kraft und die Furcht vor der Obrigkeit einen geradezu epidemischen Charakter angenommen hatten – diese Kühnheit hatte ein Beispiel gegeben, an welchem der Muth der ganzen Generation sich aufrichtete. Die baierischen Behörden waren darüber so verblüfft, daß sie sich anfangs gar nicht zu rathen wußten; denn auf Confiscationen und Postverbote sowie auf die schönen Erfindungen der preußischen Polizei, auf Concessionsentziehungen und Ausweisungen war man damals noch nicht gekommen. Auch mochte die Behörde nicht so besorgt sein, die verwegene That eines einzelnen Mannes tragisch zu nehmen, weil dieser unter den loyalen Bürgern Münchens keinen Anhang fand. Diese Erwägung [337] und der Blick auf die freiere Gesetzgebung des linken Rheinufers, wo auch die politischen Processe unter der Aegide des Schwurgerichtes standen, hatten Wirth bewogen, mit seiner „Deutschen Tribüne“ in die baierische Rheinpfalz überzusiedeln (wegen günstiger Postverbindung nach Homburg bei Zweibrücken) und von da den Kampf um die Volksrechte mit erhöhtem Eifer wieder aufzugreifen. Auf’s Neue begann die Rauferei mit dem Censor; auf’s Neue ließ der Herausgeber der „Deutschen Tribüne“ seine gestrichenen Artikel abdrucken und verbreiten. Dieselben wurden mit jedem Tage kühner, feuriger, zündender, in ihrer Verwegenheit origineller, sodaß das Blatt eine für die Zeit und die Localität geradezu unbegreifliche Verbreitung gewann, schon in wenigen Wochen seine Abonnenten nach Tausenden zählte und in ganz Europa das größte Aufsehen erregte.

Das lebhafte rheinfränkische Volk gerieth in einen Taumel der Begeisterung; Freiheitslieder wurden gedichtet oder den neuen Führern angepaßt und auf allen Straßen gesungen, und weder Siebenpfeiffer noch Wirth konnten ihr Haus verlassen, ohne sofort von der stürmischen Jugend umjubelt und von Hochrufen begleitet zu werden, wie Könige.

Neben der Agitation auf der Straße und in der Presse, in den Ständesälen und in Gesellschaften bediente sich die Propaganda auch der Bankette, zu denen die damalige Sitte, Volksführer durch Ehrengeschenke auszuzeichnen, häufig Anlaß bot. War es ja die Epoche der silbernen Ehrenbecher, welche neuerdings durch die Schützenbecher noch mehr in Mißcredit gerathen sind. Eine besondere Gelegenheit zu volksthümlichen Ovationen gab Anfangs des Jahres 1832 die Verbannung so vieler Polen, welche damals in Schaaren von Tausenden auf Leiterwagen durch Süddeutschland zogen, um in Frankreich ein Asyl zu finden.

Um die flüchtigen Patrioten, welche über Nacht in Bürgerhäusern einquartiert wurden, sammelte sich jeden Abend Alt und Jung, um mit andächtiger Sympathie ihren Erzählungen von den Freiheitsschlachten, von der Wiederherstellung Polens und von ihren verblutenden Heldenbrüdern zu lauschen. Damals schwärmte man ja in Deutschland noch von der Verbrüderung der Völker und konnte manche bittere Enttäuschung nicht ahnen, welche man später von vielen Volksgenossen jener gefeierten Freiheitshelden zu erfahren hatte. Glich ja damals die Begeisterung gleichsam einem Rausche, in welchem der Himmel voll Baßgeigen hing, wo Alles sich brüderlich umarmte, ohne vorher Herz und Nieren zu prüfen, und wo man, nur das ferne, hohe Ziel im Auge, die Thäler und Schluchten, Ströme und andere Hindernisse übersah, welche dessen Erreichung noch im Wege standen.

In Betreff der Presse sollte die Herrlichkeit nur von kurzer Dauer sein. Die deutsche Bundesversammlung unter dem Einflusse Metternich’s war zwar eine langsam arbeitende Maschine, aber im Punkte der Unterdrückung selbstständiger Aeußerungen des Volkes besaß sie eine Energie, welche einer besseren Sache würdig gewesen wäre. Sie ließ sich nicht verblüffen, wie die baierische Regierung, welche indessen froh war, sich bei Repressivmaßregeln mit der höheren Autorität zu decken und dem ohnehin verhaßten Sündenbock von Bundestag auch dieses Odium überlassen zu können.

So wurde schon nach sechs Wochen des Erscheinens in der Pfalz der „Deutschen Tribüne“ das Postdebit entzogen. Rasch suchte Wirth dem Schlage zu begegnen, indem er es unternahm, ein Botennetz zu organisiren und das Blatt für weitere Entfernungen unter Siegel zu versenden. Um die Mittel zu dieser Organisation zu schaffen, gründete er den „Deutschen Preßverein“ mittelst eines Aufrufes, welcher unter dem Titel „Deutschlands Pflichten“ in Hunderttausenden von Exemplaren verbreitet wurde und gewaltiges Aufsehen erregte – der Plan gelang glücklich. Als die Behörde wahrzunehmen glaubte, daß der Zweck der Postdebitentziehung im Begriffe war vereitelt zu werden, schritt sie zu weiteren Gewaltmaßregeln und ließ die Druckerei der „Tribüne“ versiegeln. Da nun Wirth fast gleichzeitig wegen Preßvergehen verhaftet wurde, so hatte das historisch merkwürdige Preßorgan sein Dasein gleich einem Meteor beendigt. Als der tapfere Mann nach vierwöchentlicher Haft in Zweibrücken durch Richterspruch wieder freigelassen worden war, wurde er, nach Homburg zu Pferde heimkehrend, durch eine wahrhaft rührende Ovation der Bevölkerung empfangen, bei der unter dem brausenden Jubel des [338] Volkes junge Mädchen, vor ihm hergehend, Blumen auf seinen Pfad streuten.

Bereits hatten die Vorbereitungen zu der durch Siebenpfeiffer angeregten großen Volksversammlung begonnen, welche unter dem Namen des bereits erwähnten Hambacher Festes historische Bedeutung erlangen sollte. Der Enthusiasmus der Bevölkerung hatte einen so hohen Grad erreicht, daß das polizeiliche Verbot der Versammlung nur Oel in’s Feuer goß und daß, nachdem die Festordner den Beschluß gefaßt hatten, die Versammlung dennoch abzuhalten, die Theilnehmer aus allen Theilen der Pfalz und der Rheingegend schaarenweise zusammenströmten, als gälte es, die alten Nationalversammlungen der Rheinfranken zu erneuern.

Zahlreiche Leiterwagen, mit Eichenlaub und Fichtenzweigen mit schwarz-roth-goldenen Fahnen geschmückt, bedeckten die Landstraßen der Rheinpfalz. Unter Böllerschüssen und Musikfanfaren, Freiheitslieder anstimmend, zogen die begeisterten Schaaren gleich Wallfahrern in Neustadt an der Hardt ein, Wirth an der Spitze seiner Homburger auf einem Goldfuchs reitend.

Am Vorabend des Festes setzte es scharfe Debatten über die zu beobachtende Haltung; denn wie überall, so gab es auch hier eine Reformpartei und Anhänger der unmittelbaren revolutionären That. Diese Vorberathung machte aber auf den gerade anwesenden Ludwig Börne, der etwas ängstlicher Natur war, einen solchen Eindruck, daß er schon am nächsten Morgen nach Paris abreiste, ohne den Verlauf des Festes abzuwarten. Alle Gasthöfe und Bürgerhäuser waren von den Zugezogenen überfüllt. Als sich am andern Morgen der aus ungefähr 30,000 Personen beiderlei Geschlechts bestehende Festzug in Bewegung setzte, dauerte es drei Stunden, bis er zur vollen Entfaltung gelangte, und die Spitze hatte bereits die eine halbe Meile entfernte Schloßruine erreicht, als das Ende des Zuges die Stadt verließ. Nachdem der Fahnenträger, einer der stattlichsten Männer der Feststadt, welcher unter dem Spitznamen des „Rothen Abresch“ noch Jahrzehnte lang an dem Ruhme jener Tage zehrte, die riesige schwarz-roth-goldene Standarte auf dem Lug-in’s-Land der Burgruine aufgepflanzt hatte, gruppirten sich die Zehntausende um den Bergkegel, den begeisterten Reden ihrer Führer zu lauschen.

Obgleich ein paar losgebrochene Steine den falschen Alarm veranlaßt hatten, die Burgruine sei unterminirt, sodaß auf der einen Seite ein großes Gedränge entstand, war doch nicht der geringste Unfall zu beklagen und das Fest verlief in schönster Harmonie.

Unter den Rednern müssen als besonders beachtenswerth hervorgehoben werden: Brüggemann, gegenwärtiger Redacteur der „Kölnischen Zeitung“, der im Namen einer Deputation der Heidelberger Studenten das Wort ergriff, Siebenpfeiffer und Wirth. Der Inhalt ihrer Reden, deren Charakter, trotz mancher Wendungen von äußerster Schärfe, doch nur ein akademischer war und nicht die unmittelbare Ausführung des empfohlenen Programmes forderte, concentrirte sich in der gemeinsamen Forderung der Gewährung bürgerlicher Freiheit und einer festeren, einheitlicheren Staatsform Deutschlands, sowie in dem Wunsche nach einer Verbrüderung der europäischen Völker. Obgleich insbesondere Wirth Aussprüche gethan, die bis dahin unerhört gewesen, sogar den Fluch über die deutschen Rheinbundsfürsten ausgesprochen und seine Rede mit dem unverhohlenen republikanischen Glaubensbekenntniß geendigt hatte: „Hoch leben die vereinigten Freistaaten Deutschlands, dreimal hoch lebe das conföderirte republikanische Europa!“, so wurden die bald darauf wegen ihrer Reden verhafteten und des Hochverraths angeklagten Patrioten dennoch vom Schwurgericht in Landau freigesprochen, weil ihre Aeußerungen mehr als fromme Wünsche, denn als „Aufforderung zu den Waffen“ angesehen wurden.

Auch war eine Erklärung Wirth’s trotz der unerhörten Heftigkeit seiner übrigen Angriffe von so actuell patriotischer Bedeutung, daß er sich durch dieselbe sogar die Achtung der Gegner sicherte. Die linksrheinischen Provinzen waren nämlich aller Vortheile und weniger Nachtheile der französischen Revolution und der aus ihr hervorgegangenen und auf diese Provinzen übertragenen bürgerlichen Gesetzgebung theilhaftig geworden. Die Sympathien für Frankreich waren dort daher so groß, daß es fast schien, als erinnerten sich die Rheinfranken ihrer alten Stammesverwandten, der Gründer Frankreichs. Ja, es bestand sogar eine starke Partei in der Rheinpfalz, welche sich mit dem Gedanken ausgesöhnt hatte, daß Deutschland seine Freiheit und Einheit nur mit der Hülfe Frankreichs erringen könne, welches mit einem Trinkgelde in Gestalt des linken Rheinufers belohnt werden möchte.

Die Zeitgenossen erinnern sich noch recht wohl, daß es damals mit der deutschen Gesinnung in der Rheinpfalz nicht viel anders aussah als heute in Elsaß-Lothringen. Diese Partei trat so unverhohlen auf und hatte einen so starken Anhang, daß sowohl physischer wie moralischer Muth dazu gehörte, sich ihr in einer Volksversammlung entgegen zu stellen, weil man fürchten mußte, entweder körperlich mißhandelt oder als ein Spion der Regierung verschrieen zu werden. Dieser Richtung glaubte J. G. A. Wirth von vornherein mit aller Entschiedenheit entgegentreten zu müssen. Er erklärte daher in seiner Rede in feierlicher Weise:

„Die deutschen Patrioten dürfen auf die Hülfe Frankreichs nicht allein keine Hoffnung setzen, sondern sie müssen auch die Pläne Frankreichs aufmerksam beobachten, vor Allem in ihr politisches Glaubensbekenntniß den Satz anfnehmen:

‚Selbst die Freiheit darf auf Kosten der Integrität unseres Gebietes nicht erkauft werden; der Kampf um unser Vaterland und unsere Freiheit muß ohne fremde Einmischung durch unsere eigene Kraft von innen heraus geführt werden, und die Patrioten müssen in dem Augenblicke, wo fremde Einmischung stattfindet, die Opposition gegen die innern Bedränger suspendiren und das Gesammtvolk gegen den äußern Feind zu den Waffen rufen.‘“

Diese Erklärung stieß anfangs auf heftigen Widerspruch unter einem Theile der Zuhörer, aber derselbe wurde von Seiten einer Schaar rechtsrheinischer Deutschen, welche die Rednertribüne stürmisch umdrängten, durch jubelnden Beifall niedergedonnert. In diesem feierlichen Augenblick trat eine Deputation Frankfurter Bürger vor, welche dem Redner als Ehrengeschenk ein Schwert überreichte.

Mit diesem symbolischen Ehrenzeichen umgürtet ritt der Volkstribun nach Hause, und die Erinnerung an dieses Sinnbild der That sollte den bald durch herbe Drangsale schwer Geprüften in der Stunde der Noth aufrichten. Denn bald brach jene lange Reactionszeit herein, in welcher die edelsten Patrioten im Kerker verschmachteten oder in der Fremde verkümmerten. Der gestreute Samen aber wucherte unter der Oberfläche fort, um später tausendfältig und herrlich aufzugehen und endlich zum Ziel zu führen.[1]

Max Wirth.

  1. Wir müssen unsere Leser an dieser Stelle auf zwei frühere Artikel unseres Blattes über diesen Gegenstand hinweisen. Im Jahrgange 1871 (S. 418) schilderte ein alter Freund und Gesinnungsgenosse der „Gartenlaube“ eine Stunde der Erinnerung an jenes erste große deutsche Nationalfest und an die „Pioniere der deutschen Einheit“, die er am Tage der Eröffnung des ersten „deutschen Reichstages“ und am Vortage des ersten deutschen „Kaisergeburtstages“ auf dem Hambacher Schlosse (jetzt Marburg genannt) feierte. Dieser Artikel preist in würdigster Weise unsere „Pioniere“ und darf schon deshalb nicht vergessen werden. – Der andere brachte die berüchtigte Jahresfeier des Hambacher Festes „Nach vierzig Jahren“ wieder in Erinnerung, und es geschah dies damals (im Jahrgang 1872, S. 362), wie es auch heute geschieht, nicht in der Absicht, den Zorn über die erlittene Unbill wieder aufzurühren, sondern mit der beruhigenden Zuversicht, daß Tage solcher Machtverirrungen im deutschen Vaterlande nunmehr für immer unmöglich geworden sind. D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die Gartenlaube 1860: Der Tugendbund