Das ungarische „Waisenmädchenhaar“
Das ungarische „Waisenmädchenhaar“.
Mit großem Eifer hat man in neuerer Zeit der culturhistorischen
Bedeutung mancher Pflanzenarten nachgespürt und insbesondere
die Beziehungen verfolgt, in welchen die künstlerischen Erzeugnisse
bei verschiedenen Racen und Stämmen zur Vegetation
des heimischen Bodens stehen. Die diesfälligen Untersuchungen
sind auch nicht ohne Erfolg geblieben und es zeigte sich, daß durch
den Einfluß localer Pflanzenformen die Werke künstlerischen Schaffens
bei den in verschiedenen Himmelsstrichen, lebenden Menschen
allerdings eigenthümliche locale Färbungen erhielten, und daß
die Anklänge an die Pflanzenwelt, welche wir in den Kunstschöpfungen
der verschiedenen Stämme wahrnehmen, fast eben so mannigfaltig
sind, wie die unzähligen bunten Pflanzenarten, welche die Vegetationsdecke
von der reich gegliederten tropischen Zone bis hinauf
zum kalten Himmel des Nordens zusammensetzen.
Es ist wohl leicht erklärlich, daß sich die Gebilde der Phantasie ganz anders bei dem gestalten mußten, der in seinem Mutterlande fortwährend das Bild der schlanken Palme vor Augen halte, als bei jenem, dein ein mit düsteren Nadelwäldern erfülltes Land zur Heimath ward, und daß sich bei dem in jeder Menschenbrust liegenden Drange, das Empfundene auch wieder nach außen darzustellen, das Gepräge der heimischen Natur auch in die Poesien und Lieder, ebenso wie in die Bilder und Bauwerke aller Völker, aller Zonen und Zeiten fast unbewußt hineindrängte. – Zunächst waren es natürlich die durch ihre imposante Erscheinung mehr anregenden Baumformen, welche auf die schöpferische Thätigkeit des Menschen Einfluß gewannen, und unter ihnen unstreitig die edle Form der Palme, die am häufigsten als Motiv benutzt wurde. Allüberall, wo diese Baumform auf schlanken Stammessäulen ihre immergrünen riesigen Blätterkronen entfaltet, tritt sie uns in den Kunstschöpfungen der Menschen entgegen, und wir finden sie ebensowohl in die wunderbaren architektonischen Werke, wie in die bilderreichen Poesien längst verschollener und noch lebender Völkerschaften innigst verflochten. – Neben der Palme erkennen wir aber auch noch zahlreiche andere Baumformen, die zu verschiedenen Racen in unzweifelhafter. Beziehung stehen. Der Schauplatz der Sagen und Märchen ist bei den im östlichen Karpathenzuge lebenden Romanen gewöhnlich der schattige Grund unter dem Laubdache eines alten Ahornbaumes; der wandernde Zigeuner schlägt sein Zelt wenn möglich unter einem Weidenbaume auf; der Deutsche nennt mit Stolz die Eiche den deutschen Baum und verherrlicht ihn in seinen Liedern und Gesängen; der Slave hat sich die Linde zu seinem Liebling auserwählt, – und so hat fast jeder Stamm und jede Race einen Lieblingsbaum, den sie mit Vorliebe behandelt und welchem sie eine gewisse Verehrung zollt, die sie aus alter grauer Zeit von den Voreltern überkommen und die unstreitig mit den einstigen religiösen Anschauungen und dem Cultus des Volkes im innigsten Zusammenhange steht.
Auch aus der Reihe der niederen Gewächse sind seit uralter Zeit gewisse Formen zu Lieblingen der Menschen geworden und haben sich in die Werke der schaffenden Kunst hineingedrängt. So finden wir als Ornament an den Bauwerken der alten Aegypter die reizende Lotosblume, eine in den Gewässern des Nils heimische und unseren Seerosen ähnliche Wasserpflanze, in Anwendung gebracht, während der von angebornem Schönheitsgefühl durchdrungene Grieche das elegante Blatt des in seinem Vaterlande häufigen distelähnlichen Akanthus zu gleichem Zwecke sich auserwählte, – und so ändern sich die Motive je nach den verschiedenen Ländern und Völkern und je nach den auffallenden Pflanzenformen, welche die wechselnden Himmelsstriche erzeugen.
Bemerkenswerth ist, daß insbesondere in der gemäßigten Zone die immergrünen Gewächse sich als die verbreitetsten und häufigsten Motive in die Producte des dichterischen Schaffens hineinflechten. In dem Wechsel der Jahreszeiten liegt dort eben ein eigenthümlicher Reiz, und das Erwachen der Natur im Lenze, sowie das allmähliche Einwintern und scheinbare Absterben im Herbste sind Erscheinungen, welche die Gemüthsseite des Menschen auf das Gewaltigste zu bewegen und zu ergreifen im Stande sind. Nichts lag daher dort näher, als immergrüne Gewächse und Immortellen, welche dem langen, alles pflanzliche Leben erstarrenden Winter zu trotzen scheinen, als Symbol der Unvergänglichkeit und Beständigkeit zu benutzen und die düstere Herbststimmung durch das Bild unvergänglichen Hoffnungsgrüns zu beschwichtigen. Die mit immergrünen Blättern bekleideten Ranken des Epheus und Sinngrüns, mit denen wir die Gräber unserer Lieben schmücken, sowie die wintergrünen dunklen Cypressen, welche von den Griechen an die letzte Ruhestätte gepflanzt wurden, sind darum auch ebenso wie der ewig frische Lorbeer und Myrtenstrauch mit den Poesien aller jener Völker, deren Land dem Wechsel der Jahreszeiten unterliegt, auf das Innigste verwebt.
Welche Motive mochte aber die Pflanzenwelt in den ebenen östlichen Pußten und Steppen darbieten, denen immergrüne Gewächse eben so fremd sind wie stolz ragende Baumformen, in welchen uns nirgends das Bild eines wintergünen Nadelwaldes erfrischend entgegentritt, in welchen kein Haidekraut, keine Stechpalme, kein Ephen, kein Rhododendron unter der weißen Schneedecke sein grünes Laubwerk hervordrängt und wo selbst unser immergrünes Sinngrün nur durch ein sommergrünes Gewächs vertreten ist, dessen Blätter und Blüthen schon unter den Strahlen der Junisonne vergilben und verdorren? An welche Pflanzenformen mochte sich dort in den weiten ungarischen Pußten die Phantasie anklammern, wo nicht nur der Winter des frischen lebendigen Grüns [45] entbehrt, sondern auch im Hochsommer fast alles pflanzliche Leben stille steht und die ganze Vegetation eine Art Sommerschlaf durchmachen muß?
Es ist wohl nicht ohne Interesse, in einem solchen Gebiete, wie etwa in der ungarischen Pußtenwelt, in welcher der von der umgebenden Natur ausgehenden Eindrücke so wenige sind, jenen Pflanzenformen nachzuspüren, welche im Stande waren, auch dort noch die Phantasie anzuregen und sich in die künstlerischen Schöpfungen des Volkes zu verweben. – Daß sich in dem aus tiefgründigem Alluvialboden bestehenden Gelände der ungarischen Tiefebene, wo auf viele, viele Meilen weit kein Stein unter dem Hufe des Pferdes erklingt, wo, so weit das Auge blickt, kein Fels aus dem weißen lockeren Sand oder dem dunklen fruchtbaren Humusboden aufragt und wo daher alles Material für die bildende Kunst fehlte, diese selbst nicht zu entwickeln vermochte, darf uns wohl nicht Wunder nehmen, und wenn wir daher dort den Einfluß der localen Natur auf die Kunstschöpfungen ermitteln wollen, so werden wir dabei fast einzig und allein auf die Musik und Poesie des ungarischen Volkes hingewiesen.
„Die Natur ist wie ein großes elegisches Gedicht. Ihr ganz hingegeben, versinkt auch der Mensch in eine elegische Stimmung,“ und es ist wohl nichts natürlicher, als daß der Bewohner der Pußta, der sein ganzes Leben lang in der freien Natur zu Hause ist, die elegische Stimmung, welche er von der ihn umgebenden Welt empfängt, auch in alle seine Lieder hineinlegt. So wie die Stimmen des Waldes in einem Waldgebiete, ebenso mußten auch die Stimmen der Pußta zur Nachbildung anregen, und das Lied des ungarischen Fischers, der tagelang vom schilfbewachsenen Ufer der Theiß träumend auf den Wasserspiegel hinausblickt und dort allein das melancholische Rauschen des Röhrichts und den klagenden traurigen Gesang der im Schilf hausenden Wasservögel an sein Ohr schlagen hört, harmonirt gerade so mit der umgebenden Natur, wie das in rhythmischen, heiteren Klängen sich bewegende Volkslied des Bergbewohners mit jenen Tönen im Einklang steht, die aus dem von plaudernden und murmelnden Bächen durchrieselten und von lustigen befiederten Sängern bevölkerten grünen Wäldern herausklingen. – Durch alle Volkslieder der Ungarn zieht sich wie ein rother Faden ein ganz eigenthümlicher schwermüthiger Anklang von Anfang bis zum Ende, und aus ihren nationalen Weisen klingt uns überall unverkennbar jene schwermüthige Musik entgegen, welche die Natur auf der Pußta aufspielt. Bald klagt die Fiedel gleich dem Liede des im Schilfe hausenden Rohrsängers, während das Cymbal gleichzeitig das Flüstern und Lispeln des im Herbstwind bewegten Röhrichts nachahmt; dann wieder glauben wir den Sturmwind zu hören, wie er in langen gezogenen Tönen bald schwellend, bald fallend über die Steppe dahinbraust; und aus den hinschwirrenden Klängen tönt dann plötzlich gleich dem aneifernden Rufe eines auf flinkem Rosse durch die Pußta jagenden Csikos oder gleich dem durch Nacht und Sturm hörbaren Wiehern seines Pferdes ein plötzlicher gellender Aufschrei heraus. – So malen uns die ungarischen Nationallieder mit Tönen die Scenen der Pußtenwelt; – aber bei weitem schärfer noch als in der Musik spiegelt sich die umgebende Natur in den Texten ab, welche den ungarischen Volksliedern zu Grunde liegen. Der Bewohner des Alfölds[1], der seine Heimath geradeso liebt, wie der Schweizer seine Alpen, weiß dem Flachlande eine Menge Reize abzugewinnen, die er in seinen Poesien verherrlicht und zu Bildern und Vergleichen verwendet, und während der Sohn eines Bergrevieres, wenn er zum ersten Male in die trostlose monotone Ebene tritt, von dem Gefühl der Einsamkeit und Verlassenheit erfaßt wird, fühlt sich der Mann der Pußta von ihrem Anblicke gehoben und begeistert, und mit schwungvoller Rede bricht der magyarische Dichter Petöfi, der das Pußtenland zwischen Theiß und Donau seine Heimath nannte, in einem Liede, in welchem er die Schönheit der ungarischen Niederung preist, in die Worte aus:
„Nieder-Ungarns meeresebne Gegend
Nenn’ ich meine Heimath, meine Welt. Befreit
Fühlt die Seele sich aus Kerkermauern,
Sah ich dort der Ebene Unendlichkeit.“
Und wie aus dem Bisherigen deutlich erhellt, daß der Totaleindruck der Pußtenwelt die künstlerischen Erzeugnisse der Bewohner wesentlich zu influenziren vermochte, ebenso spricht sich auch aus zahlreichen Zügen der ungarischen Poesien unverkennbar die Thatsache aus, daß auch concrete Erscheinungen, welche dem ungarischen Tieflande eigen sind, die Phantasie anzuregen und auf die poetischen Erzeugnisse des magyarischen Volkes Einfluß zu gewinnen im Stande waren.
Bei dem Bilderreichthum der ungarischen Poesie darf es uns nicht Wunder nehmen, daß sich ein reicher Kranz von Blüthen in die Dichtungen hineingewebt findet. – Zunächst waren es wohl Gewächse der Gärten: Rosen, Tulpen, Lilien und andere Zierpflanzen, welche als Motive Verwendung fanden, aber auch die heimischen der Pußta ursprünglich eigenthümlichen Pflanzen finden wir in jenen Kranz verflochten, und die üppig aufschießende blauköpfige Distel, die schlanke, in den ungarischen Pußten ungemein kräftig wuchernde Nachtkerze, die azurne Kornblume, das Veilchen, die Espe und Weide, das Schilfrohr und der für die öden Felder [46] höchst charakteristische Burzeldorn, dessen lange, peitschenförmige Triebe in den öden weißen Sand sich hinstrecken und dort ihre zierlichen ordensternförmigen Früchte, die der Magyare mit dem sonderbaren Namen „Königs-Melone“ (kiraly dinnye) belegt, zur Reife bringen – sind häufig genannte und zu sprachlichen Bildern oftmals benutzte Gewächse. Die populärste Pflanze in den ungarischen Poesien ist aber eine Grasart mit wehenden weißen, federigen Grannen, welche von den Ungarn sinnig „Waisenmädchenhaar“ (Arvaleányhaj) bezeichnet wird.
Der wissenschaftliche Name dieser Pflanze ist Stipa pennata L. Die Gattung, welcher sie angehört, umschließt durchgängig Arten, welche durch die Wachsthumsverhältnisse ebenso wie durch den physiognomischen Ausdruck übereinstimmen und auch darin mit einander übereinkommen, daß sie fast alle in den Steppengegenden und an sterilen sonnigen Plätzen ihre Heimath haben. Sie sind für das sandige Terrain der trocknen kontinentalen Bezirke in der alten Welt ebenso bezeichnend, wie die immergrünen Haidekräuter für die dem feuchteren Küstenklima ausgesetzten Heideländer, und sind daher als rechte Steppengewächse aufzufassen. Unter ihnen allen ist wohl das „Waisenmädchenhaar“ die verbreitetste Art. Es findet sich sporadisch im ganzen, südlichen Europa und dehnt seinen Verbreitungsbezirk sogar noch bis an den Mittelrhein, bis nach Südschweden und Kurland und bis an den Oberlauf der Wolga aus. Recht eigentlich es sie aber in den Steppenländern des südlichen europäischen Rußlands und in den Pußten Ungarns zu Hause; seine Rasen sind dort durch massenhaftes Auftreten sogar für die Physiognomie der Landschaft von Wichtigkeit, und es ist dort für die hügeligen, wolligen Grassteppen eine wahre Charakterpflanze.
Das ganze Gewächs ist 1 bis 3 Schuh hoch und treibt jährlich je nach dem Alter des Exemplares 1 bis 15 Halme aus dem an der Basis holzigen, dicht geschlossenen Rasen hervor. Das Halm- und Blattwerk sieht starr und spröde aus, die Blätter sind steif und fast borstenförmig und vermögen mit ihrer matten graugrünen Farbe der Fläche, die sie berasen, niemals ein frisches, lebendiges Ansehen zu geben. Die Entwicklung neuer Blätter und Halme beginnt erst im vorgerückten Frühling, gewöhnlich in der ersten Hälfte des Monats Mai, zu einer Zeit, wo die ersten Blüthen der Pußta, die kleinen zierlichen Gelbsterne und die krautige Vinca längst schon verblüht sind und wo auch die Frühlingsanemonen schon mit kugelförmigen haarigen Fruchtballen emporstarren. So wie aber im kontinentalen Osten alle von den Pflanzen durchzumachende Phasen der Entwicklung ungemein rasch auf einander folgen, so verdrängen sich auch bei diesem Steppengras die Stadien der Entfaltung des Blühens und Verwelkens in außerordentlich kurzen Zeiträumen, und wenige Tage, nachdem man aus dem alten, scheinbar abgedorrten Rasen die jungen Blätter und Halme sich hervorschieben sah, entfalten sich auf den letzteren auch schon die Blüthenrispen. Aus der obersten, etwas breiteren, rinnenförmig zusammengefalteten Blattscheide drängt sich jetzt ein Bündel schmiegsamer, haarförmiger Grannen hervor, das anfänglich wie ein silberglänzender Reiherbusch anzusehen ist, sich aber allmählich verlängert und in weiße im Winde wehende Fäden auflöst, deren jeder einer schlanken, zarten Feder vergleichbar ist. – Zu dieser Zeit hat die ganze Pflanzenformation, als deren tonangebende Pflanze eben das „Waisenmädchenhaar“ erscheint, den Culminationspunkt der Entwicklung erreicht. Ranunkeln, Nelken, Orchideen, eine zwerghafte, kaum spannhohe gelbe Schwertlilie, ein dem Boden sich anschmiegende, zottiger, gelbblühender Astragalus und vor allem die moschusduftende Jurinea, die mit distelähnlichen, purpurrothen Köpfen über die weißen Fäden der Stipa aufragt, stehen jetzt in voller Blüthe, und die Mehrzahl der für die Pußta so charakteristischen fiederblättrigen Schmetterlingsblüthler drängen gleichzeitig ihre Blüthenstände hervor.
Das Bild, welches diese Pflanzengruppe zu Ende des Monats Mai darbietet, ist unstreitig eines der reizendsten, welches die Vegetation der Pußtenwelt überhaupt aufzuweisen hat. Namentlich Abends, wenn die letzten Strahlen der Sonne, über die Steppe herüberspinnen, bietet dasselbe einen ganz einzigen Anblick dar. Wie Silberfäden schimmern dann die im Abendhauche wallenden federigen Grannen in dem magischen Lichte, mit dem die weite Fläche übergossen ist – aber nur noch einige aufblitzende Funken, und die Sonne ist hinabgesunken; die Flamme der Abendröthe lodert jetzt im Westen empor, und mit scharfer Linie grenzt sich dort die Erde von dem brennenden Himmel ab, die Grassteppe aber ist plötzlich eintönig und farblos geworden; im Vordergrunde wehen noch wie weiße Nebel die Fäden des „Waisenmädchenhaares“, aber in der Tiefe, wo sich die Fläche wie das Meer scheinbar ansteigend ausdehnt, ist das Land in unbestimmtes Zwielicht gehüllt. Endlich ist auch die flammende Abendröthe erblaßt, und Himmel und Erde fließen undeutlich in einander zu einer dunklen Masse, aus der nur hie und da ein aufblitzendes Hirtenfeuer herüberleuchtet.
Nur zu rasch aber ziehen diese Bilder vorüber, und schon im Juni vergilbt und vertrocknet unter dem sengenden Strahle der glühenden Sonne Alles, was da grünt und blüht, und wenn dann auch die milden Tage des Herbstes noch einige Blüthen auf der Pußta hervorlocken, so vermögen diese doch die Landschaft nicht mehr zu beleben, und zu einer Zeit, wo auf dem norddeutschen Haidelande das immergrüne Buschwerk des Haidekrautes in vollem Flor steht und sich ein von Millionen Blüthen erzeugter röthlich schimmernder Farbenton über die weite Fläche hinspinnt, ist die Pußta ein ödes, fast blüthenloses Land, das auf weithin nur mit abgedorrten Stauden und fahlgelben, im Herbstwinde schwankenden Halmen bewachsen ist.
Daß die graziösen und schmiegsamen Grannen des für die Vegetation des ungarischen Tieflandes so bezeichnenden „Waisenmädchenhaares“ dem Bewohner der Pußta besonders in die Augen fielen und bei ihm eine bevorzugte Berücksichtigung fanden, wird nach dem Mitgetheilten nicht überraschen, und wir finden es um so mehr begreiflich, daß gerade diese Pflanze von den Magyaren zum Range eines nationalen Schmuckes erhoben wurde, als sie eines der wenigen Pußtengewächse ist, das auch nach dem Abdorren Form und Farbe nicht verändert und daher gewissermaßen als Immortelle benutzt werden kann. – So wie die Immortelle der Alpen, das weißzottige „Edelweiß“, bei dem Gebirgsbewohner nebst dem Gemsbart allgemein als Schmuck des Hutes erscheint, ebenso figurirt bei dem Bewohner der Pußta neben den schmucken Federn des Silberreihers allgemein ein Bündel aus den Grannen des „Waisenmädchenhaares“ als Zierde der Kopfbedeckung. In den Volksliedern spielt dieses Federgras dieselbe Rolle wie etwa die Alpenrose in den Poesien des Aelplers, und wir schließen diese Zeilen, indem wir die ersten Verse eines magyarischen Volksliedes in deutscher Uebersetzung wiedergeben, welche speciell dieser Pflanze gewidmet sind und die folgendermaßen lauten:
Mit Waisenmädchenhaar hab’ meine Mütze ich geschmückt,
Ein Waisenmädchen hab’ ich mir zum Liebchen auserwählt.
Das erste hab’ ich aus der weiten Pußta mir gepflückt,
Im Dorfe fand das Mädchen ich, das mir so wohl gefällt.
- ↑ Alföld wörtlich so viel als Niederland.