Dat Blêkermäten wart grâven
(1366.) Um diese Zeit ungefähr ist ein Bleichermädchen in die Frohnerei gebracht, das eines großen Diebstahls halber beschuldigt war; da sie aber sich selbst verwillkürte, daß sie unschuldig sei, sollte sie gepeinigt werden, damit man die Wahrheit erführe. Als nun andern Tages die Richteherren mit dem Frohnen bei ihr eintreten, liegt sie todt auf ihrem Lager. Da thut man den Leichnam in einen Föhrensarg und setzt ihn in eine neue Kapelle der Jakobikirche, damit ihn am Abend der Racker mit hinausnehmen und am Hochgericht begraben möchte. Wie der um 9 Uhr kömmt, da auf einmal hebt die Glocke von selber an zu läuten, und alle Lichter auf den Messingarmen und Leuchterbäumen und Kronen in der Kirche werden brennen, und es wird wie eine feine Musik gehört. Nichtsdestoweniger hat sie der Racker mit sich hinausgenommen und am Galgen begraben.
Seit der Zeit läutete des Abends um 9 Uhr an [136] dem Tage, da das Bleichermädchen begraben ist, die Glocke von selbst eine Weile; auch brannten die Lichter, so lange der Galgen an der alten Stelle stand. Seitdem derselbe aber weiterhin verlegt ist, wird die Kirche zwar nicht mehr hell von Licht; aber die Glocke läutet noch, wenn man sie nur ein bischen anstößt.
Bemerkungen
[392] Nur mündlich und in mancherlei Versionen. Die von mir gegebene scheint die richtigste. Ihr zunächst steht eine andere, die zu S. Aegidien umgeht. Ein junger Mann hat seine Geliebte, ein Bleichermädchen, deren er überdrüssig, heimlich ins Wasser gestürzt. Nach längerer Zeit wird sie gefunden und Abends in der Stille begraben. Da fangen auf einmal alle Glocken an zu läuten. „Wat hätt dat to bedüden?“ frägt er ängstlich, und verräth dabei sich selbst.